Herr Köstler, Herr Klophaus, wer hatte ursprünglich die Idee zu einer Doku-Serie über „Bild“?
Jochen Köstler: Wir haben uns bei Constantin Entertainment in den letzten Jahren intensiv damit beschäftigt, was der Markt um uns herum so macht. Und Dokumentarfilme und -Serien sind in Deutschland richtig beliebt geworden, nicht zuletzt durch die großen Streaminganbieter. Für uns ist das ein interessantes Betätigungsfeld, denn es ist weder klassisch Fiction noch klassisch Entertainment, sondern eigentlich ein „neues“ Genre. Es hat wenig mit dem zu tun, was man üblicherweise als Dokumentationen von den öffentlich-rechtlichen Sendern kennt, sondern hier wird E und U kombiniert, spricht Ernstes und Unterhaltung.
Dafür haben wir dann überlegt, was ein spannendes Thema sein könnte, das nicht schon von Guido Knopp bearbeitet wurde, das in puncto Rechte nicht extrem kompliziert ist wie zum Beispiel Fußball, das vom Anspruch her jung und alt, sowohl Akademiker als auch normale Arbeiter anspricht – und sind am Ende unseres Brainstormings auf „Bild“ gekommen.
2018 gab es dann ein erstes Treffen mit Oliver Berben und Julian Reichelt, bei dem Reichelt u.a. sagte, er hätte schon öfter gedacht: „Was hier jeden Tag passiert, müsste man eigentlich mal verfilmen.“ Das war für uns schließlich der Anknüpfungspunkt.
Im Herbst 2018 haben wir dann testweise zwei Tage im Axel Springer-Hochhaus gedreht und sind mit der Idee auf Amazon zugegangen. Amazon war für uns die erste Adresse aufgrund ihrer Kundenstruktur und aufgrund der bisherigen Zusammenarbeit mit uns.
Unter welchen Bedingungen konnte denn das Projekt realisiert werden?
Köstler: Es gab natürlich einige Rahmenbedingungen, die geklärt werden mussten. Amazon stellte von Anfang an klar, dass sie keinen Werbefilm für die „Bild“-Zeitung möchten, sondern eine gewisse journalistische Distanz, denn ansonsten würde sich Amazon angreifbar machen.
Letztendlich haben wir das Go für das Projekt bekommen, ohne dass wir und ohne dass Amazon und „Bild“ wussten, wie am Ende das fertige Produkt aussehen wird. Wenn man eine Langzeitdokumentation macht, weiß eben keiner der Beteiligten vorher, was am Ende erzählt wird. Unsere Konzeption sah auch tatsächlich ganz anders aus, als das, was am Ende entstanden ist, weil mit Corona damals noch niemand gerechnet hat.
Bei so einem Langzeit-Blick hinter die Kulissen besteht natürlich die Gefahr, dass es zu unkritisch wird.
Wie waren die Bedingungen seitens der „Bild“? In einem Zeit-Artikel heißt es, dass „Bild“-Mitarbeiter ein Veto einlegen konnten, wenn es um Persönlichkeitsrechte ihrerseits ging.
Köstler: Die Grundvoraussetzung für „Bild“ war, dass wir es ernst meinen. Dass wir nicht als verdeckte Journalisten a la Wallraff agieren, die sich einschleichen und am Ende etwas ganz Anderes daraus machen.
Und dann gab es drei einfache Bedingungen: 1. Veto wenn es um Persönlichkeitsrechte ging. 2. Veto wenn es um die Veröffentlichung von Quellen ging und 3. keine Unwahrheit erzählen.
Jan Klophaus: Damit ist auch gemeint, dass wir eine von Redakteuren gemachte Aussage nicht nach-recherchieren, sondern wirklich nur das zeigen, was wir mit dem Kamera-Team sehen.
Wir haben uns beim Dreh dann auch große Mühe gegeben, Quellen nicht offenzulegen, zum Beispiel an Bildschirme nicht zu nah heran zu zoomen. Einige Reporter haben sich vorab Ausschnitte angeschaut, um sich zu vergewissern, dass der Quellenschutz gewährleistet ist, aber nicht, um Inhalte zu redigieren.
Das heißt auch, dass Sie mit einer Aussage über „Bild“, die Sie außerhalb der Redaktion gefilmt haben, umgehen konnten wie sie wollten.
Klophaus: Richtig. An der Stelle konnte „Bild“ kein Veto einlegen.
Die Filmemacher sind in der Doku unsichtbar und auch nur in Ausnahmefällen zu hören. Warum?
Klophaus: Wir sind irgendwann zu dem Schluss gekommen: Wir werden das nicht werten, sondern wir lassen einfach die „Bild“-Mitarbeiter sprechen. So konnten wir zeigen, wo die Meinungen stark auseinandergehen und wo sie Dinge auch sehr einheitlich sehen. Es gibt ja schon so eine Art „Bild“-DNA – und die ist ein bisschen im Boulevard verhaftet.
Köstler: Mir war auch sehr wichtig, dass wir keinen Sprecher aus dem Off haben, das wäre mir zu reportagig gewesen. Diese Doku sollte ja ganz bewusst auch unterhaltsam sein. Ich wollte etwas machen, was sowohl meine Mutter als auch meine 16-jährige Cousine anschaut, weil sie es spannend findet.
Herr Köstler, Sie sagten, Amazon wollte keinen Werbefilm. Sie aber auch nicht, oder?
Köstler: Nein, natürlich nicht. Amazon wollte, dass die Serie hochgradig spannend wird. Und bei so einem Langzeit-Blick hinter die Kulissen besteht natürlich die Gefahr, dass es zu unkritisch wird. Das ist ja auch das Erste, was die Leute denken: Warum wird die „Bild“ so ein Film-Team bei sich reinlassen?
Wie lautet Ihre Antwort?
Köstler: Ich denke, „Bild“ hat das zugelassen, weil sie es in der Gesamtheit spannend finden, zu zeigen, dass sich dort Dinge verändern. Zu zeigen, dass es eben nicht mehr die ‚Haudrauf‘-Journalisten sind, als die man sie Jahrzehnte lang angesehen hat. Zum Teil gibt es die dort noch, aber es gibt auch eine Verschiebung.
Und ich denke, sie haben diesem Projekt zugesagt, weil sie mir vertraut haben, dass ich daraus eine gute Show mache. Weil ich das Thema faszinierend finde und weil auch dazu gehört, dass man unterschiedliche Standpunkte abbildet.
Allerdings kommen im Film wenig externe Kritiker der „Bild“ vor.
Klophaus: Wir haben am Anfang lange diskutiert, ob wir mehr externe Kritiker befragen. Ursprünglich war das auch so geplant und von Seiten der „Bild“ gab es diesbezüglich keinerlei Einschränkung. Es gab lediglich mal die Bemerkung ‚wenn ihr zum Bildblog geht, wisst ihr ja, welche Antworten ihr bekommt‘.
Nämlich welche?
Klophaus: Keine differenzierten Antworten. Es ist ja relativ klar und eindeutig, dass sich Bildblog darauf konzentriert, welche Fehler „Bild“ aus deren Sicht macht. Ich habe noch nie etwas Positives im Bildblog über „Bild“ gelesen.
Wir haben uns in den ersten Wochen der Produktion dann auch entschieden, nur Personen über „Bild“ zu befragen, die direkt mit der Handlung zu tun hatten, also zum Beispiel solche, die bei „Bild“ vor Ort waren, wie Karl Lauterbach, Lars Klingbeil, Paul Ziemiak oder Christian Lindner. Das war aber eine Entscheidung von uns, die „Bild“ hat uns da völlig freie Hand gelassen. Wir hätten auch sehr gerne mit Christian Drosten gesprochen, wir haben ihn mehrfach angefragt, aber kein Interview mit ihm bekommen.
Köstler: Wir hatten in der Konzeption die Idee, zum Beispiel Personen wie Stefan Niggemeier oder Giovanni di Lorenzo zu befragen. Doch nach den ersten drei, vier Wochen haben wir gemerkt: Hier kommt erstens sehr viel Kritik auch aus den eigenen Reihen und zweitens hatten wir im Axel Springer-Haus Zugang zu „Bild“-Gesprächspartnern, an die wir über den üblichen, offiziellen Weg nur sehr schwer herangekommen wären, wie zum Beispiel Mitglieder der Bundesregierung. Von denen bekamen wir vor Ort O-Töne über „Bild“, was sozusagen unser Reporterglück war. Und Kritik an „Bild“ auf diese Art und Weise zu erzählen, ließ sich inhaltlich viel besser einbinden, als wenn sie zum Beispiel ein Off-Kommentator gesprochen hätte.
Klophaus: Ich finde es auch viel stärker, wenn es nicht aus dem Off kommt, sondern wenn zum Beispiel Andrea Petkovic, die einen Sport-Award bekam, uns in die Kamera sagt, dass sie die „Bild“ nicht liest und auch noch nie eine gekauft hat.
„Bild“-Reporter Peter Tiede sagt im Film: „Es gehört zum Geschäft, dass man Politiker nicht nur nach dem fragt, wonach sie gefragt werden wollen.“ Welche Ihrer Fragen haben dem „Bild“-Team nicht gefallen?
Klophaus: Das waren die Fragen zu Drosten. Da gab es auch ganz verschiedene Antworten, Redakteure haben es unterschiedlich gesehen, der Chefredakteur hat es nochmal anders bewertet… Ähnlich haben wir es bei der Berichterstattung über den Mordfall in Solingen erlebt. Da gab es innerhalb der „Bild“ große Diskussionen, ob das so richtig war. Da ist es manchen auch schwer gefallen, unsere Fragen zu beantworten, aber sie haben es getan. Ich kann mich an keine Situation erinnern, wo sie gekniffen hätten.
Julian Reichelt argumentierte in der Diskussion, ‚Warum zeigt man tote Kinder nur, wenn es in die politische Agenda passt?‘, womit er sich auf das Foto eines ertrunkenen Flüchtlingskinds bezog. Sein Vize Paul Ronzheimer hat ihm in Bezug auf die Solingen-Berichterstattung auch vehement widersprochen. Und das zeigen wir. Wir werten es nicht, wir bilden nur ab, dass es bei so einem Thema „Bild“-intern sehr unterschiedliche Meinungen gibt.
Giovanni di Lorenzo war zur Zeit der Solingen-Berichterstattung bei „Bild“ für eine Blattkritik. Haben Sie ihn nach seiner Bewertung gefragt?
Klophaus: Ja, haben wir, aber er wollte uns dazu kein Statement geben. Eine Äußerung von ihm aus dieser Blattkritik ist aber im Film, weil Kai Weise sie später zitiert. Nämlich, dass die Betroffenheit in diesem Mordfall bereits sehr groß war, und „Bild“ in dem Moment einen Schritt zu weit gegangen ist, in dem sie das Kind gezeigt haben, das überlebt hat. Diese Äußerung kann ich gut nachvollziehen.
Auf einer Skala von 1-10: Wie groß würden Sie Ihre Distanz zum filmischen Objekt, sprich zur „Bild“ und ihren MacherInnen einschätzen, wenn 10 sehr starke Distanz bedeutet?
Klophaus: Schwer zu sagen. Wenn wir jetzt einen Film über die AfD oder einen Neonazi gedreht hätten, könnte ich das leichter beantworten. Man hat es ja bei der „Bild“ nicht mit Monstern zu tun, sondern mit ernst zu nehmenden Journalisten. Auf der Skala wäre es bei mir vielleicht eine 7.
Köstler: Ich möchte da differenzieren. Zum einen würde ich mich auf einer Kritik-an-„Bild“-Skala bei der 5 verorten, also genau in der Mitte.
Als Privatperson liebe ich es, am Samstag vor den Bundesliga-Spielen die „Bild“ zu kaufen und zu gucken, wer wie heute wann spielt, da gibt es für mich nichts Besseres. Gleichzeitig finde ich die „Bild“ bei vielen Sachen, die sie gemacht haben, ganz furchtbar. Im Fall des Virologen zum Beispiel sage ich als Privatperson: Ich finde es falsch, dass man einen Christian Drosten, in dieser Situation, wo das Land ohnehin schon zerrissen und sehr vieles unsicher ist, so ans Kreuz nagelt. In so einer Phase müssen wir uns gegenseitig unterstützen und nicht einen Sündenbock suchen, dem wir alles zuschieben.
Wir haben aber auch gefilmt, wie „Bild“ ein Versprechen für Kinder gibt, sich gegen Kindesmissbrauch einzusetzen. Und da muss man konstatieren: So etwas so schnell auf die Tagesordnung zu setzen, schaffen nur wenige Medien. Das finde ich gut, auch als Vater.
In diesem Spektrum bewegt sich meine Meinung über die „Bild“ als Privatperson.
Aber was ist mit Ihrer Distanz als Filmproduzent?
Köstler: Es gibt für mich eine emotionale Nähe – und die muss es auch geben. Ich muss als Unterhaltungsproduzent eine gewisse Leidenschaft für das entwickeln, was das Gegenüber macht. Denn nur dann komme ich nah heran. Nur dann kann ich einerseits abbilden, was die Gefahr dieses Blattes ist, warum Menschen diese Zeitung abgrundtief hassen und andererseits zeigen, wofür Leser die „Bild“ lieben.
Deswegen halte ich es für wichtig, dass man nicht nur maximale Distanz hat, sondern auch emotional dabei ist und eine gewisse Nähe aufbaut. Durch diese Nähe hat sich ja auch ein Vertrauen zu den Journalistinnen und Journalisten aufgebaut. Sie haben uns sehr nahe Einblicke gewährt, weil sie wussten: Die haben das Herz am rechten Fleck, die wollen uns nicht hinhängen sondern zeigen, was ist, auf eine faire, objektive und neutrale Art und Weise.
Mir erscheint jedoch der Aspekt der Persönlichkeitsrechte etwas zu kurz gekommen. Bis heute weisen immer wieder Journalisten auf unverpixelte Fotos z.B. von Gewaltopfern, Todesopfern oder Angehörigen hin, da gibt es bis heute in der „Bild“-Berichterstattung sehr negative Höhepunkte.
Klophaus: Wenn man zehn Monate dreht, muss man am Ende eine Auswahl vornehmen, und sicherlich ist das dann auch eine Wertung. Was das Thema Persönlichkeitsrechte angeht war der Peak in diesem Jahr wahrscheinlich die Berichterstattung zum Mordfall in Solingen. Die haben wir in Folge sieben auch abgebildet, stellvertretend für die zwei, drei anderen Fälle, die es dieses Jahr auch gab und da ist, wie schon erwähnt, heftig diskutiert worden.
Dass die „Bild“ immer an die Grenze dessen geht, was legal ist – das ist Teil des Boulevardjournalismus, den sie praktizieren. Das muss man auch nicht gut finden, es gibt da auch bei „Bild“ intern viele abweichende Meinungen. Mich hat positiv überrascht, wie offen darüber dann auch diskutiert wird.
Anke Engelke hat gegen „Bild“ prozessiert, der Bundesgerichtshof fällte dazu im Juli 2020, also während Ihrer Drehzeit, ein Urteil. Engelke gehört zu einer Reihe von Prominenten, die „Bild“ keine Interviews geben. Das kommt in Ihrem Film aber nicht vor, sondern bei Ihnen sagt Reporter Alexander von Schönburg: „Es gibt niemand, mit dem „Bild“ nicht ein Interview bekommt.“
Klophaus: In einer Folge zeigen wir aber auch einen Video-Ausschnitt von Sido, in dem er sagt, dass er „Bild“ kein Interview gibt.
Zum Fall Anke Engelke: Wir waren darauf angewiesen, was wir mitbekommen haben und diesen Fall haben wir nicht mitbekommen. Dass so etwas nicht im Film vorkommt, heißt nicht, dass wir das nicht interessant gefunden hätten.
Die „Bild“ schrieb über Amazon im Mai 2020: „Amazon spielt seine Macht als große Plattform brutal und häufig aggressiv aus.“ Würden Sie dem zustimmen?
Köstler: Ich differenziere da insofern, als dass für mich die Handelsplattform und die Unterhaltungsplattform zwei völlig unterschiedliche Unternehmen sind, auch wenn sie beide zu Amazon gehören. Wir haben unseren Film im Auftrag der Streaming-Plattform produziert und ich glaube nicht, dass sich das „Bild-“Zitat auf diese Plattform bezieht. Dafür ist die Streaming-Plattform in Deutschland auch noch zu klein.
Klophaus: Ich werde mich zu meiner Haltung gegenüber Amazon nicht äußern, das ist kein Thema für mich. Das Faszinierende bei „Bild“ ist allerdings: Du kannst in der gleichen Ausgabe einen Wut-Kommentar für Amazon und genau daneben einen Wut-Kommentar gegen Amazon lesen. „Bild“ ist eines der wenigen Medien, die so etwas tatsächlich machen.
Ich habe jetzt natürlich auch schon Kommentare gelesen a la „Lord Voldemort macht eine Doku über Darth Vader“. Unser Ansatz ist: Guckt es euch an, bildet euch eine Meinung und entscheidet dann. Unser Film ist weder eine Doku über die Historie von Amazon noch über die Historie der „Bild“, sondern es ist eine Geschichte im Hier und Jetzt. Es ist das, was wir in diesem extremen Jahr bei „Bild“ erlebt haben.
Hellmuth Karasek sagte hier in einem Interview, er würde „nie eine politische Entscheidung nach „Bild“ treffen.“ Würden Sie es?
Köstler: Ich formuliere es anders: Ich glaube, die „Bild“ war noch nie so politisch wie in diesem Jahr. Und das hat vor allem mit dem Thema Corona zu tun.
Klophaus: Eine politische Entscheidung nach „Bild“ treffen würde ich sicherlich nicht. Aber ich würde über Themen, die „Bild“ anspricht, definitiv nachdenken. Ich glaube, dass sie die Ventilfunktion, auch Unpopuläres zu sagen – womit sie sich ja schmücken – dass sie diese Funktion tatsächlich auch ein Stück weit haben.
Eines meiner Lieblingszitate im Film stammt von Karl Lauterbach, als er das Wesen des Populismus umreißt. Er sagt zum Drosten-Fall, dass es dort im Großen und Ganzen einen Konsens der Wissenschaftler gab, „Bild“ habe sich aber auf die wenigen Widersprüche konzentriert. (O-Ton Lauterbach: „Es kommt drauf an, ob ich, um Hetze zu betreiben, kleine Unterschiede hochjazze und damit den Eindruck erwecke, die widersprechen sich alle, oder ob ich das Gemeinsame betone und einräume: an der Spitze gibt es noch unterschiedliche Bewertungen.“) Und das ist unter Umständen gefährlich. Andere Zeitungen gehen stärker auf den Zusammenhalt und Konsens ein, während die „Bild“ darauf guckt, was abweicht. Das ist zu einem gewissen Grad Stammtisch und Populismus und das ist eine Gefahr, die ich durchaus sehe.
Jene Wissenschaftler, die „Bild“ in der Causa Drosten zitiert hat, haben sich später von der „Bild“-Berichterstattung distanziert. Im Film bleibt das unerwähnt. Warum?
Klophaus: Das war ein wahnsinnig langer Diskurs. Sie haben sich auch nur halbwegs und justiziabel nicht richtig distanziert. Sie haben zwar gesagt, dass sie nicht Teil der Kampagne gegen Drosten sein wollten. Aber dass die statistischen Daten falsch sind, haben sie eben auch gesagt.
Ihr Filmtitel lautet „Bild. Macht. Deutschland?“ Wie viel Macht hat „Bild“ heute?
Klophaus: Der Titel hat am Ende ein Fragezeichen und ist auch ein bisschen ironisch zu verstehen. Dass die „Bild“ einerseits an Einfluss verliert, ist sicherlich richtig. Andererseits gewinnt sie aber an Einfluss durch die Transformation des Medienunternehmens in Richtung Bewegtbild. Wie das am Ende ausgeht, wird sich zeigen.
Wie bewerten Sie als TV-Experten denn die Chancen der „Bild“ auf dem Bewegtbild-Markt?
Köstler: Das weiß ich nicht. Wir hatten keinen Einblick, was der Vorstand des Axel Springer Verlags in dieser Sache vorhat. Bei Strategiemeetings waren wir mit der Kamera nicht dabei, das hat uns für unsere Doku auch nicht interessiert. Dass sie in dem Bereich etwas planen und Corona ihnen dabei auch in die Hände gespielt hat, ist offensichtlich.
Ich erkläre „Bild. Macht. Deutschland?“ Freunden gerne an dem Beispiel Christian Lindner, den „Bild“ fotografierte, als er vor dem Restaurant Borchardt einen Freund umarmte, die Umstände haben wir im Film abgebildet:
Das Restaurant darf nicht mehr offen sein, Lindner sitzt dennoch drin, gleichzeitig aber auch „Bild“-Redakteure. Diese hängen Lindner im Blatt am nächsten Tag hin, Julian Reichelt stellt daraufhin die Redakteure zur Rede und dann wird intern diskutiert, ob die Berichterstattung richtig war oder nicht. Am Ende stellt sich auch noch heraus, dass Lindner nicht irgendwen umarmt hat, sondern den Honorkonsul von Weißrussland, ein Land über das wir seit Monaten reden. An dieser Geschichte merkt man, wie die Berichterstattung über so ein kleines Abendessen und eine kurze Umarmung auf einmal eine große Relevanz bekommt. Und wir sind dabei.
Um Himmels Willen. Die Antworten der beiden Filmemacher offenbaren eine geradezu erschütternde Naivität und Distanzlosigkeit – fast, als seien sie stolz darauf, dass sie bei diesem Revolverblatt ein- und ausgehen durften. Nach der ersten Hälfte des Textes hatte ich vor meinem geistigen Auge das Bild zweier jugendlicher Berufsanfänger – dann sah ich das Foto von Köstler im Gespräch mit Reichelt …
Ich bin fassungslos. Auch darüber, dass Constantin das Projekt in der Form unterstützt hat.
Vielen Dank für dieses großartige Interview, das die Finger genau in die Wunden gelegt hat. Das Machwerk werde ich mir nun mit Sicherheit nicht mehr ansehen. Schon beim ersten Reinschauen hatte ich ein ziemlich ungutes Gefühl, das sich hiermit bestätigt hat.
Diese windigen Antworten lassen ja übles erwarten (fast so, wie die Bewertung der Doku auf Amazon). Die Haltung der „““Journalisten“““ hinter diesem Machwerk verdeutlicht sich finde ich schön in diesem Abschnitt:
„Ich möchte da differenzieren. Zum einen würde ich mich auf einer Kritik-an-„Bild“-Skala bei der 5 verorten, also genau in der Mitte.“
Was für kritische Analysen und Gedanken will man erwarten von jemandem, der sich einfach nur gerne in der Mitte sehen will.
Oh weh, schon bei dem Satz „sondern eine gewisse journalistische Distanz“ wurde mir mulmig. Irgendwann später heißt es dann, es soll nur die Wahrheit gebracht werden. Hä? Was denn sonst? Das wird ja ein schönes Propaganda Stück werden. Freu mich schon drauf.