Jochen Malmsheimer

Ich gebe lieber Anweisungen, statt sie zu bekommen.

Der Kabarettist Jochen Malmsheimer spricht über sein Lieblingswort, seine Jugend in den 1970er Jahren und sein Verhältnis zum Bücherkauf bei Amazon.

Jochen Malmsheimer

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Herr Malmsheimer, Sie verwenden in Ihren Shows immer wieder Worte, die etwas in Vergessenheit geraten sind, zum Beispiel „blümerant“. Haben Sie zurzeit ein Lieblingswort?
Jochen Malmsheimer: (lacht) Nein, ich habe ganz viele und die wechseln ständig. Eben habe ich in einem wunderbaren Buch das schöne alte Wort „Vollidiot“ gelesen und habe zehn Minuten gelacht, weil’s einfach schön ist. Es muss dann ja auch einen „Halbidiot“ geben – und dann wird’s noch schöner.

Haben Sie den Wunsch, solche Worte zu bewahren?
Malmsheimer: Sagen wir’s mal so: Wir haben eine wunderbare Muttersprache, die sich anderen Sprachen gegenüber besonders durch ihren Varietätenreichtum auszeichnet. Und es ist die vornehmste Aufgabe eines jeden Sprechers, diesen Varietätenreichtum so gut wie möglich zu nutzen. Und wenn mir dann so ein wunderbares Wort wie „blümerant“ begegnet und es genau den Zustand beschreibt, dem ich gerade unterworfen bin, dann muss ich das nutzen. Das hat weniger museale Gründe als einfach die Lust am Sprechen.

Wie denken Sie über Jugendsprache, in der viele Anglizismen verwendet werden?
Malmsheimer: Ich denke, dass die Sprache ein lebendiges Wesen ist, das sich selber reinigt. Sie hat immer wieder Phasen aushalten müssen, vor hundert Jahren war es das Französische, jetzt ist es Englisch. Auch das wird eine gesunde Sprache in aller Ruhe bewältigen können. Und ich bin der Auffassung, wenn ein Ausdruck das wiedergibt, was er wiedergeben möchte, dann ist er am Platz – egal wo er herkommt.

Sie selbst verwenden auf der Bühne kaum Anglizismen.
Malmsheimer: So lange ich etwas mit meiner Ausdrucksfähigkeit und mit meinen Wortmitteln beschreiben kann, so lange mache ich das auch. Wenn mir dann das entsprechende Wort nicht mehr einfällt, oder ich glaube, dass etwas anderes angebrachter wäre, dann benutze ich auch den Anglizismus. Aber das kommt tatsächlich selten vor, das ist richtig.

Sie zitieren mitunter aus Goethes „Faust“. Ergibt sich für Ihr Publikum ein Teil der Unterhaltung aus dem intellektuellen Anspruch?
Malmsheimer: Ich möchte das Publikum auf eine Weise unterhalten, die ich selbst auch unterhaltsam finde. Und dazu gehört, dass man auch seinen Kopf mitbringt.

Gehört dazu auch manchmal, das Publikum zu überfordern?
Malmsheimer: Sagen wir’s mal so: Ich versuche, es nicht zu unterfordern. Ich bin kein Missionar, aber ich stelle die Anforderungen, die ich an mich selbst stelle, auch an andere.

Manchmal klingt das dann etwas schulmeisterlich, wenn Sie auf der Bühne sagen: „Hefte raus, mitschreiben – Sie sollen hier auch etwas mit nach Hause nehmen.“
Malmsheimer: Na sicher. Ich weiß, dass man manchmal klare Anweisungen geben muss. Und da bin ich lieber derjenige, der sie gibt, als der, der sie bekommt.

Zitiert

Der Mensch hat sich als eine Sackgasse der Evolution erwiesen.

Jochen Malmsheimer

Sie sprechen häufig über Dinge aus der Vergangenheit. Sind Sie Nostalgiker?
Malmsheimer: Ich finde etwas nicht schlecht, nur weil es alt ist. Das ist ähnlich wie mit Oma und Opa: Nur die Tatsache, dass etwas schon länger auf der Welt ist, heißt noch nicht, dass es schlecht ist. Es kann schlecht sein, muss es aber nicht. Deswegen bin ich kein Nostalgiker, sondern ich bewahre Dinge, die gut sind.

Wie beeinflusst Ihre 70er-Jahre-Jugend Ihre heutigen Themen?
Malmsheimer: Mein ganzes Leben ist dadurch beeinflusst worden, ich habe Dinge kennengelernt, die mich sehr beeindruckt haben, positiv wie negativ, und das zieht sich durch bis heute. Kein Mensch kann sich davon frei machen. Meine Adoleszenz lag zwischen den 60er und 80er Jahren und das war naturgemäß eine sehr verstörende Zeit. Wenn Sie zum Beispiel die Musik der 80er Jahre hören, wissen Sie genau, was ich meine. Währenddessen musste sich Körper und Geist entwickeln – das ist eine hohe sportliche Leistung meinerseits und all derer die es geschafft haben.

Wie haben diese Jahre Sie humoristisch geprägt? Hat Sie Jürgen von Mangers Figur des Herrn Tegtmeier beeinflusst oder eher Lore Lorentz mit ihrem „Kom(m)ödchen“?
Malmsheimer: Lore Lorentz ist an mir vorbeigegangen, so alt bin ich nun auch wieder nicht. Aber ich bin mit Jürgen von Manger aufgewachsen und mit Loriot. Vor allem Hanns-Dieter Hüsch hat meine humoristische Entwicklung geprägt, das war die Initialzündung für vieles, was ich gemacht habe.

Gibt es eine Art Ruhrpott-Schule? Stammen Helge Schneider, Frank Goosen und Sie aus derselben Ursuppe?
Malmsheimer: Eigentlich nicht. Ich glaube, das hängt eher mit dem Ballungsraum zusammen. Da sind dann naturgemäß aufgrund der Bevölkerungsdichte mehr kluge Menschen drunter als auf dem Land. Das hat weniger mit dem Ruhrgebiet zu tun.

Georg Schramm sagt, für ihn erfülle der Gefühlsausbruch auf der Bühne einen therapeutischen Zweck. Sie werden auch oft laut: Geht es Ihnen ähnlich?
Malmsheimer: Ja, natürlich – die Katharsis, die Reinigung ist doch das, was wir anstreben. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn ich meine eigene Befindlichkeit auf andere Leute abladen kann. Ich fühle mich erleichtert, alle anderen sind unterhalten – herrlich!

Sie sagen immer wieder „Früher war nicht alles besser“ – ist es heute besser?
Malmsheimer: Ich habe es immer für Quatsch gehalten, zu sagen „Früher war alles besser.“ Aber es gibt Dinge, die waren früher gut und sind es heute noch. Die geraten aber immer mehr in Vergessenheit. Meine Aufgabe ist es, bisweilen darauf hinzuweisen und das zu verbalisieren. Ich glaube, dass die rückblickende Bewertung ein falscher Gedanke ist. Dinge sind ständig im Fluss, in ihrer Entwicklung. Es wäre eben schön, wenn man Dinge, von denen man weiß, dass sie gut waren, bewahren könnte. Darum geht es mir.

Welche Rolle spielt Improvisation bei Ihren Auftritten?
Malmsheimer: Die kommt zum Tragen, wenn ich vergesse, wo ich bin. Wenn ich meinen Text verlegt habe oder wenn ich einen Hänger habe – all diese furchtbaren Situationen die andere Leute in Verzweiflung treiben. Damit kann ich Gott sei Dank umgehen, weil ich über ein gewisses Maß an Improvisationsfähigkeit verfüge, die mich dann in solchen Situationen rettet. Wenn das nicht der Fall ist, ist das für alle Beteiligten ein großes Vergnügen. Es ist doch schön, den Herrn auf der Bühne scheitern zu sehen.

Woran merken Sie, dass es Zeit ist für ein neues Programm?
Malmsheimer: Wenn ich mich selber nicht mehr hören kann. Ich trete ja mit allen Programmen parallel auf, damit ich nicht verblöde. Irgendwann habe ich dann jedes Wort so oft gesagt, dass es mir meterweise aus dem Arsch hängt. Dann wird es Zeit, sich über etwas Neues Gedanken zu machen.

Es gibt bei Ihren Auftritten auch immer wieder längere Passagen, bei denen das Publikum einfach nur Ihren Sprachkreationen lauscht. Haben Sie mal überlegt, ernste, beziehungsweise „ernsthafte“ Literatur zu verfassen?
Malmsheimer: Ich glaube, dass das, was ich mache, relativ ernsthaft ist. Komische Literatur ist ja nicht trivial, nur weil sie komisch ist. Was ich tue, ist von großem Ernst durchdrungen. Aber ich schreibe keinen Roman. Ich bin ja Buchhändler von Beruf und ich weiß, dass jedes vermiedene Buch ein gutes Buch ist. Es wird unglaublich viel Schlechtes produziert, von unglaublich vielen Leuten, die nichts können. Aus diesem Grund schreibe ich nicht. Und wenn mir der große Entwicklungsroman noch einfallen sollte, dann würde ich ihn wahrscheinlich schreiben, aber nicht publizieren.

War das wenigstens früher besser, dass es weniger schlechte Bücher gab?
Malmsheimer: Insgesamt gab es früher weniger, ob es auch weniger schlechte gab, kann ich nicht beurteilen. Seit ich mich mit Literatur beschäftige, weiß ich, dass man lange suchen muss, bis man etwas Schönes findet. Gerade Kabarettisten fühlen sich offenbar bemüßigt, ihre Programme weiter zu verwerten und auch noch als Bücher auf den Markt zu bringen, aber das will ich nicht. Auch nicht für Geld.

Wo kaufen Sie denn als gelernter Buchhändler Ihre Bücher?
Malmsheimer: Halten Sie sich fest: In einer Buchhandlung! In einer so genannten „inhabergeführten“. Wenn ich in einer neuen Stadt bin, gucke ich als erstes, wo ich meine Apple-Geräte reparieren lassen kann und zweitens, wo ich ein Buch bekomme, wenn ich eins brauche.

Vermeiden Sie Amazon aus Überzeugung?
Malmsheimer: Nicht aus Überzeugung, nein. Wenn es nicht anders geht, wenn ich etwas schnell haben muss, dann ist Amazon schon die richtige Wahl. Aber es gibt nichts Schöneres, als zu stöbern, und dass kann man im Internet eben nicht. Da können Sie auch niemanden fragen. Außerdem muss man gerade schöne Dinge wie Bücher in die Hand nehmen.

Merkt man eigentlich einem Kabarettisten an, ob er beim Bund gewesen ist?
Malmsheimer: Das müssten Sie beantworten. Merken Sie mir an, dass ich Feldjäger war? Merken Sie Herrn Schramm an, dass er Oberstleutnant war? Ich denke schon. Aber da hilft ja nichts.

Man kann sich zum Beispiel bei Mathias Richling relativ schwer vorstellen, dass er gedient hat.
Malmsheimer: Die Bundeswehr ist ein modernes Unternehmen und offen für jede Art von Leuten, auch für Herrn Richling. Ich kann mir aber tatsächlich nicht vorstellen, dass er es gemacht hat.

Sind Ihre Vorstellungen über das „moderne Unternehmen“ Bundeswehr dann mit denen unserer Verteidigungsministerin konform?
Malmsheimer: Ich habe mich weder um das aktuelle Bundeswehrbild zu kümmern, noch um sonst irgendwelche Verteidigungsfragen. Ich habe meinen Wehrdienst absolviert, als es anstand, das war mein einziger Kontakt mit der Bundeswehr. Ich halte diese Zeit nicht für eine Bereicherung meines Lebens. Jetzt bleibt mir nur noch, mich für meine Kinder zu freuen, dass sie keinen Wehrdienst leisten müssen.

Sie sagten gerade, dass Sie sich um bestimmte Dinge nicht zu kümmern haben. Sparen Sie deshalb in Ihren Programmen politische und gesellschaftliche Themen aus?
Malmsheimer: Ich spare gesellschaftliche Themen nicht aus. Es ist vielleicht nicht jedem gegeben, dahinter zu kommen, aber sie sind auf jeden Fall da. Ich spare jede Art von tagesaktuellem Geschehen aus, Parteipolitik findet bei mir auch nicht statt, dafür sind andere zuständig. Aber ich stelle die Frage, wie wir Kommunikation wahrnehmen und was wir mit Kommunikation tun.

Bis 2013 waren Sie als Hausmeister in der Kabarett-Sendung „Neues aus der Anstalt“ zu sehen. Wie kam es zu dieser Figur?
Malmsheimer: Ich bin zu der Rolle gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Ich hatte erst nur einen Auftritt in der Sendung, dann kam der zweite und der dritte und irgendwann hat man sich überlegt: Irgendwie müssen wir den Kerl in die Geschichte einfassen. Hausmeister war da einfach naheliegend.

Vermissen Sie die Sendung?
Malmsheimer: Nein. Ich vermisse die Arbeit mit den Kollegen sehr. Das war ein wundervolles Erlebnis. Ich bin ja mit gewissen Ressentiments zum Fernsehen gekommen, musste dann aber zu meinem Vergnügen feststellen, dass es auch anders geht. Das waren wunderbare Leute, die sich sehr um mich gekümmert haben. Und ich habe zum ersten Mal mit Freude Fernsehen gemacht.

Woher kam Ihre Skepsis gegenüber dem Fernsehen?
Malmsheimer: Die Interessen des Fernsehens stehen meinen diametral gegenüber. Es ist mehr am Optischen interessiert und es hat wenig Zeit. Ich werde mit dem Alltag eben nicht in 3 Minuten 30 fertig. Ich brauche Zeit für das, was ich tue.

Um so mehr interessieren Sie sich für das gesprochene Wort, wie man auch an Ihren Hörbüchern sehen kann. Zum Beispiel haben Sie Erasmus von Rotterdams „Lob der Torheit“ aufgenommen, ein 500 Jahre altes Buch, dass Sie modern interpretieren, obwohl Sie sich genau an den Text halten.
Malmsheimer: Ja, das Buch ist von einer bestürzenden Aktualität. Ich hatte es vor Jahrzehnten gelesen, fand es ganz lustig, aber als ich es wieder in die Hand bekommen habe, dachte ich: Das könnte von gestern sein. Eigentlich war das damals nur eine literarische Fingerübung, aber das Bestürzende ist, dass sich trotz der 500 Jahre, die vergangen sind, nicht ein Jota an der Wahrheit der Aussagen verändert hat. Man kann aus dem Buch jede Menge lernen: Zum Beispiel, dass sich der Klerus nicht verändert hat, dass die meisten Politiker Hohlköpfe sind, dass es nur um Gier und Macht geht….

Finden Sie es tröstlich, dass die Menschen schon vor so langer Zeit so waren oder eher deprimierend?
Malmsheimer: Ich finde es wirklich deprimierend, dass so gut wie keine wesentliche charakterliche oder mentale Entwicklung stattgefunden hat.

Und es gibt nichts, was uns aus dieser entwicklungstechnischen Sackgasse herausführt?
Malmsheimer: Doch, natürlich: Die Auflösung aller Inhalte und die Beendigung des Experiments Mensch. Das steht glaube ich außer Zweifel, die Frage ist nur, wann. Der Mensch als solcher hat sich als Sackgasse der Evolution erwiesen, wie ich finde – gehen Sie nur mal auf die Straße (lacht). Und insofern wird da früher oder später ein klarer Schnitt vonnöten sein.

Das klingt jetzt geradezu apokalyptisch.
Malmsheimer: Ja, ist doch wunderbar! Das nennt man Reinigung. Wir haben vorhin schon von der Katharsis gesprochen – da fällt von allem der Dreck ab. (lacht) Aber wir haben noch Zeit, es gibt noch die nächste Woche. Machen Sie sich also keine Sorgen.

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