Herr Schumacher, bei mehr als 20 Filmen haben Sie bereits Regie geführt, die meisten mit einem großem Budget …
Schumacher: … nein, das waren nicht die meisten, das waren eigentlich nur die beiden „Batman“-Filme. Die anderen, also zum Beispiel „Flatliners“, „St. Elmo’s Fire“ oder „Falling Down“ – die hatten alle kein so großes Budget. Das waren zwar zum Teil Kassenschlager, weshalb Sie vielleicht denken, dass Budget wäre hoch gewesen, aber so war es nicht. Zum größten Teil habe ich ja auch mit Schauspielern gearbeitet, die nicht sehr bekannt waren. Und wenn du einen Film machst mit jungen, unbekannten Schauspielern, dann geben dir die Studios eh nicht so viel Geld.
Aber andererseits, man kann die Dinge ja auch oft für wenig Geld teuer aussehen lassen, vorrausgesetzt du hast Geschmack und stellst es clever an. „Flatliners“ zum Beispiel, einer meiner ersten Filme, der hat nur 13 Millionen gekostet. Sicher ist das viel Geld – allerdings nicht in Hollywood.
Aber vielleicht können Sie mir erzählen, wie Sie die Arbeit an einem größeren Projekt erleben, zwischen den Hunderten von Menschen, die später im Filmabspann genannt werden. Wie sind Sie am Set?
Schumacher: Ich bin am Set genauso, wie im normalen Leben. Ich liebe es, einen Film zu drehen. Und ich mag die Menschen sehr, mit denen ich zusammen arbeite, ich versuche auch immer, Mitgefühl mit allen zu haben. Natürlich gibt es einige Leute, die dich sehr oft auf die Probe stellen, die hart oder unhöflich zu dir sind. Solchen Leute sind einfach nicht mein Fall, mit denen bin ich dann sehr streng.
Man muss auch sagen, wenn so viele Leute an deinem Film arbeiten, dann wollen die manchmal alle etwas anders von dir. Deswegen würde ich auch sagen, dass das Filmemachen nur zu einem Prozent aus kreativer Arbeit besteht – zu 99 Prozent musst du einfach mit den Leuten umgehen können, die dich umgeben. Am Anfang legst du dich noch zu Hause ins Bett und malst dir aus, wie du Lawrence nach Arabien bringst. Du träumst davon, wie du die Wüste filmst, wie Peter O’Toole am Horizont auf seinem Kamel reitet …
… aber am nächsten Morgen?
Schumacher: Am nächsten Morgen musst du erst mal nach Arabien. Du musst Hunderte von Leuten mitten in die Wüste bringen, du musst sie mit Essen und Wasser versorgen, die brauchen alle ein Badezimmer, ein Bett. Außerdem ist es in der Wüste ist heiß, viele werden das gar nicht mögen. Dann bietet dir der Kamelhändler zuerst nur kranke Kamele an, damit du mehr für die gesunden Kamele bezahlst. Schließlich wird Peter O’Toole so betrunken, dass er sein Kostüm nicht mehr mag und nach jeder gedrehten Szene, musst du deinen Standort wechseln, weil du Spuren im Sand hinterlassen hast – so sieht dein Job aus. Die Idee, Laurence nach Arabien zu bringen, ist ja nichts besonders viel Arbeit. Du musst diese Idee aber umsetzen können, das ist die eigentliche Kunst.
Einen Film zu machen ist ja an sich auch keine glamouröse Sache. Manche Leute denken aber, das Filmemachen, das wäre wie der Oscar. Die Leute fahren in Limousinen vor, steigen aus in Designer-Klamotten und –Brillen und werden wie Könige behandelt …
… wobei ich denke, dass diese Sichtweise in gewisser Weise von der Star-Maschinerie Hollywoods provoziert wird. Ihr aktueller Film „Nicht auflegen!“ behandelt ja ein wenig dieses Thema, die zentrale Figur im Film ist ein PR-Agent, der aus Musikern und Schauspielern Stars machen will, der aber in einer Telefonzelle festsitzt, weil ein Scharfschütze ihn im Visier hat. Eine kleine, private Abrechnung mit dem Star-Business?
Schumacher: Ein bisschen schon, es macht Spaß, sich über solche Leute lustig zu machen. PR-Agenten sind ja so etwas wie das notwendige Übel in Hollywood. Sie machen viel Lärm um nichts, sie verheimlichen Lügen, sie lassen etwas attraktiv klingen, was eigentlich gar nicht attraktiv ist. Das ist ja heute eine große Industrie geworden, in den verschiedensten Bereichen, sei es die Wirtschaft, die Politik, oder eben Hollywood. Der Agent in meinem Film ist also ein professioneller Lügner, sein Job ist die Lüge.
Würden Sie sagen, als Filmemacher belügen Sie genauso das Publikum?
Schumacher: Ja, ein Film ist eine Lüge. Ein Film ist ein Konstrukt, ein Erzeugnis, ganz egal, wie realistisch er auch sein mag. Nehmen wir meinen Film „Tigerland“, der zeigt, wie sich Soldaten in einem amerikanischen Camp auf Vietnam vorbereiten. Da haben wir ohne Maskenbildner und ohne Haarstylisten gearbeitet, die 40 jungen Darsteller hatten zum Teil noch nie in einem Film mitgespielt haben, gedreht haben wir mit denen in einem Sumpfgebiet in Florida, auf 16mm Handkamera. Das war also so dokumentarisch wie möglich, aber es war kein Dokumentarfilm. Heute ist nicht 1971 und wir sind keine Teenager, die in den Vietnam-Krieg müssen. Die Geschichte, die erzählt wird, ist zwar wahr, weil der Autor das alles selbst erlebt hat. Aber letzten Endes ist das, was man auf der Leinwand sieht nur ein Konstrukt.
Liegt Ihnen denn viel daran, in Ihren Filmen die Realität zu zeigen?
Schumacher: Es gibt halt ein paar Themen unserer Zeit, soziale Themen, die mich reizen. In „St. Elmo’s Fire“ zum Beispiel habe ich mich mit den Yuppies in den 80ern beschäftigt, die gerade vom College kamen und schon einen 35-Jahres-Plan in der Tasche hatten, wie ihr Leben verlaufen würde, wie sie reich würden, erfolgreich – allerdings ohne gelernt zu haben, erwachsen zu werden. Oder „Falling Down“, die Geschichte über den amoklaufenden Geschäftsmann – der Film hat sicherlich einen ganz realen Nerv getroffen.
Nun wurde der Kinostart von „Nicht auflegen!“ in den USA verschoben, weil in der Realität zwei Scharfschützen in Washington am helllichten Tage willkürlich Menschen erschossen haben. War die Verschiebung auch Ihre Entscheidung?
Schumacher: Ja, den Film nicht zu verschieben, wäre rücksichtslos gewesen. Denn als der Film rauskommen sollte, waren die Sniper ja noch nicht gefasst. Die Angehörigen der Opfer hätten dann im Fernsehen sozusagen eine Werbung für einen Sniper gesehen.
Es ist nur etwas komisch, dass Hollywood Filme erst in dem Moment verhindert, wo sie von der Realität eingeholt werden. Sind Sie auch der Meinung, dass Hollywood zu viele Massenmörder und Serienkiller auf die Leinwand bringt?
Schumacher: Nein, ich würde sagen, solche Filme machen nur zehn Prozent aus, denn 90 Prozent der amerikanischen Filme sind einfach nur Therapie. Das sind Filme, die an eine breite Masse gerichtet sind, an Familien, um mehr Geld zu machen, Gute-Laune-Filme, die glücklich machen. Nur die wenigsten amerikanischen Filme sind Gewalt-Filme.
Aber selbst ein Familien-Film wie „Spiderman“ ist nicht frei von Brutalität.
Schumacher: Also, „Spiderman“ ist ein Comic-Buch, was soll das? Stört Sie etwa die Brutalität? Wenn Hamlet am Ende alle umbringt, stört Sie das? Wenn Romeo und Julia Selbstmord begehen, glauben Sie, das wird Teenager zum Selbstmord verleiten? […hier wird noch ei Satz nachgereicht, den ich bisher noch nicht übersetzen konnte…] Ich wünschte, ein Film könnte so viel bewirken. Wissen Sie, wir leben in einer brutalen Welt und manche Geschichten brauchen diese Gewalt und manche nicht.
Aber ist es nicht immer mehr die Darstellung von Gewalt, die die Leute ins Kino gehen lässt?
Schumacher: Ja, die Menschen sind brutale Wesen, die Brutalität ist ein Teil unserer Psyche. Das ist nun mal so. Ich für meinen Teil muss aber sagen, dass in „Nicht Auflegen“ doch nur sehr wenig Gewalt vorkommt. Man spürt die Gewalt zwar, aber sie kommt eigentlich nicht vor, es ist eine Art Gewalt der Bedrohung, schließlich sieht man den Scharfschützen ja nicht.
Der Film entstand nach dem 11. September – hat die unsichtbare Bedrohung durch den Scharfschützen auch mit dem Gefühl der New Yorker heute zu tun, mit der Angst vor neuen Anschlägen?
Schumacher: Ja, die Angst hat heute übernommen. Die Leute haben Angst, was ich gut nachvollziehen kann. Nur, wenn die Leute Angst haben, dann bringt sie das dazu, Entscheidungen zu fällen, die sehr konservativ und auch egoistisch sind. Deshalb ist die Politik bei uns auch so konservativ und rechts geworden, weil das Politiker sind, die auf sehr komplexe Fragen sehr einfache Antworten haben und so auf die Angst der Leute reagieren.
Haben Sie Angst?
Schumacher: Ich? Nein, das Leben geht weiter. Es sieht im Moment zwar sehr schlecht aus. Aber ich glaube an Ihre Generation und an die Generationen nach Ihnen. Auf der Ebene der Technologie macht diese Welt ja schon sehr viele Fortschritte. Aber, was die menschliche Ebene betrifft, solange sich Menschen gegenseitig im Namen Gottes umbringen, solange werden wir auf der Ebene nicht groß weiterkommen. Nicht, solange ein Mensch behauptet, seine Moral wäre besser, als die eines anderen.
Das spiegelt ja auch der Anrufer in „Nicht auflegen!“ wider. Der richtet sein Gewehr auf den PR-Agenten in der Telefonzelle, weil er findet, seine Moral wäre die bessere. Ich mag solche Leute nicht, die glauben, ihre Moral wäre besser, als die anderer Leute. Denen vertraue ich nicht.
Ein großer Teil der amerikanischen Geschichte basiert letztendlich genau auf diesem Prinzip.
Schumacher: Richtig, deswegen bedient sich George W. Bush heute ja auch der Cowboy-Sprache. Amerika wurde mit der Pistole besiedelt, ganz klar. Heute sieht das dann so aus: wir haben etwa 250 Millionen Waffen im Umlauf, eine Million Minderjährige brachten letztes Jahr ihre Waffen mit in die Schule und jede Woche sterben in den USA 500 Menschen aufgrund dieser Waffen. Und deswegen tauchen diese Waffen auch irgendwann in unseren Filmen auf – Filme reflektieren Kulturen.
Interessant an Ihrem Film „Nicht Auflegen!“ ist nicht zuletzt, dass sich alles um eine Telefonzelle dreht – wo wir doch heute längst im Zeitalter der mobilen Kommunikation angekommen sind. Wissen Sie noch, wann Sie Ihr erstes mobiles Telefon in der Hand hatten?
Schumacher: Das muss in den 70ern gewesen sein. Die ersten mobilen Telefone waren ja diese Autotelefone, das waren so riesige Kästen, die viel Platz brauchten und auch noch 5000 Dollar gekostet haben.
Aber Sie hatten so ein Telefon in Ihrem Wagen?
Schumacher: Ja, aber das hat eigentlich nie funktioniert. Und wenn es doch mal geklingelt hat, dann war die Leitung nach einer Sekunde schon wieder weg.
Wann ich dann mein erstes Handy hatte, das weiß ich nicht mehr. Das sind so Dinge, wo ich mir heute gar nicht vorstellen kann, jemals ohne die gelebt zu haben. Das ist genauso wie mit E-Mails. Aber ich kann mich erinnern, ja, es gab tatsächlich eine Zeit in meinem Leben, da gab es noch keine Computer und keine E-Mails.
Und, Sie werden staunen, ich bin auch ohne Fernseher aufgewachsen. Es gab wirklich mal eine Welt ohne Fernseher. Null. Es gab ein Radio bei uns zu Hause und es gab das Kino. Aber Fernsehen gab es nicht. Meine Familie war sehr arm, wir konnten uns lange Zeit keinen Fernseher leisten. Und der erste, den wir uns leisten konnten, das war so eine winzige Kiste, schwarz-weiß, mit vielen Knöpfen, die nie funktionierten. Das war schon verrückt damals, wenn man sich anguckt, dass wir heute Bildschirme haben, die so groß sind wie dieses Hotelzimmer und wir zwischen Millionen von Programmen wählen können.
Wie viele Fernseher haben Sie heute?
Schumacher: Ich habe in jedem Zimmer meiner zwei Häuser einen Fernseher. Ich bin vollkommen abhängig von diesen visuellen Eindrücken, ich kann gar nicht mehr leben, ohne dass der Fernseher läuft. Meistens läuft bei mir zu Hause MTV, mal mit, mal ohne Ton. Ich arbeite ja auch viel für MTV, ich betreue zum Beispiel Kampagnen gegen Gewalt oder auch für die Bekämpfung von AIDS. Außerdem mag ich einfach Musikvideos, die sind so surreal, das sind oft großartige Bilder.
Machen Sie die Fernseher niemals aus?
Schumacher: Nein, die laufen die ganze Zeit, außer, wenn ich schlafen gehe. Aber wenn ich dann mitten in der Nacht aufwache, mache ich sie wieder an. Manchmal surfe ich auch einfach über die Fernbedienung, um von jedem Kanal nur eine Sekunde aufzuschnappen. Aber nach einer Sekunde weißt du ja meistens auch schon genau, was auf einem Kanal abgeht, du kannst dir den Rest denken.
Hat Sie denn diese Bildersucht nie nachdenklich gemacht?
Schumacher: Nein, ich liebe das, ich kann von diesen Bildern nicht genug kriegen. Ich bin halt ein visuell-sinnlicher Mensch, ich kann einfach nicht genug kriegen von den visuellen Reizen. Ich mag Schönheit, ich mag die Sexyness der Leute – ich brauche Bilder ohne Unterbrechung. Aber, vielleicht habe ich auch einfach nur zu viel Acid geschluckt, damals in den 60ern.
Was gucken Sie noch, außer MTV?
Schumacher: Reality-TV zum Beispiel, das hat in den letzten Jahren ja stark zugenommen, das gibt es in den USA mittlerweile rund um die Uhr. Wenn in diesem Moment in Los Angeles eine Bank ausgeraubt wird, dann werden innerhalb von Minuten alle Sender ihre Kamera-Teams dort hinschicken und schon kannst du den Überfall live mitverfolgen, wie die Leute aufeinander schießen und so weiter. Dann gibt es zum Beispiel noch die Sendung „Cops“, wo ein Kamerateam jede Woche einen Polizisten begleitet und filmt, was er so alles macht. Du siehst die ganzen Mörder, die Drogen-Bosse … Manchmal gucke ich auch eine von diesen Casting-Shows und natürlich gibt es auch noch BigBrother.
Aber wären das nicht alles Gründe, den Fernseher einmal auszuschalten?
Schumacher: Nein, weil im Fernsehen kannst du dir die Menschen angucken wie im Zoo. Das Fernsehen ist heute ein großer Zoo. Man geht heute nicht mehr in den Zoo, um sich irgendwelche sonderbaren Tiere anzugucken, sondern man guckt fern, um zu sehen, das ist so ein Mensch und das ist ein anderer Mensch. Ich bin einfach fasziniert davon, wie das Fernsehen die Menschen überwacht.
Herr Schumacher, viele der Geschichten, die Sie in Ihren Filmen erzählen, haben eine pessimistische Grundstimmung. Sind Sie selbst ein Pessimist?
Schumacher: Ja, ich bin ein Pessimist, aber ich bin auch ein richtiger Optimist. Wenn du heute zu sehr ein Pessimist bist, dann müsstest du dich ja umbringen. Denn es gibt heute nicht besonders viel Anlass zur Hoffnung. Ich bin ein Optimist, weil ich denke, dass Pendel immerzu schwingen. Und es liegt jetzt an Ihrer Generation und Ihren Kindern, die Dinge weiter schwingen zu lassen, vor und zurück. Ihre Generation ist heute ganz anders als meine, Ihre Kinder werden auch ganz anders sein als Sie – wir entwickeln uns weiter, die Dinge schwingen weiter.
Wissen Sie, ich bin ja noch Teil der Hippie-Generation und ich habe gemerkt, dass viele Menschen der Folge-Generation genau das Gegenteil von Hippies wurden. Diese Menschen wurden Yuppies, Konservative, die nur nach Geld, Besitz und Status streben, also alles, was die Hippies nicht haben wollten. Geld und Status ist heute alles, was zählt. Aber ich, als Optimist, hoffe, dass es in Zukunft Leute geben wird, die sagen: „Nein, nicht mit uns!“. Und darauf müssen wir hoffen. Schließlich leben wir in einer Kultur, wo Geld unser einziger Gott ist. Da müssen die Leute doch irgendwann mal aufwachen und sich fragen: „Gibt es nicht vielleicht doch einen besseren Weg?“
Vielleicht habe ich auch einfach nur zu viel Acid geschluckt, damals in den 60ern.