Joel Schumacher

Wir kennen heutzutage die Namen aller Mörder, aber nicht die ihrer Opfer.

Regisseur Joel Schumacher über seinen Film "Nicht auflegen!" und Reality-TV in den USA

Joel Schumacher

© 20th Century Fox

Herr Schumacher, nicht wenige Ihrer Filme sind Thriller.
Joel Schumacher: Ja, ich bin halt eine spannende Person, wussten Sie das nicht?

Doch, doch, aber was fasziniert Sie am Genre des Thriller?
Schumacher: Mich fasziniert, dass du die Leute mit einem guten Thriller an den Kinositz fesseln kannst. Ich mag Thriller, Horrorfilme – Filme, die viele Schockmomente bereithalten.

Im Mittelpunkt Ihres neuen Films „Nicht Auflegen!“ steht insbesondere eine Telefonzelle. Haben Sie vor kurzem während Ihres Deutschland-Besuchs einmal die deutschen Telefonzellen begutachten können?
Schumacher: Nein, leider nicht. Ich war für Promotionzwecke in Berlin und ich konnte das Hotel leider kaum verlassen.

Alfred Hitchcock hat einmal gesagt, einer seiner größten Träume wäre, einen Film in einer Telefonzelle zu drehen. War das also auch Ihr Traum?
Schumacher: Das mit Hitchcock habe ich nichts gewusst, ich habe es dann später in der Presseinformation zum Film gelesen.
Ich habe mir einfach gedacht, so einen Film habe ich bisher nicht gesehen. Es ist in Hollywood ja meistens so, dass man Drehbücher vorgelegt bekommt für Filme, die man so eigentlich schon gesehen hat, weshalb man dann manchmal auch selbst etwas schreibt. Ein erfolgreicher Film ruft ja meistens hervor, dass ein Studio am alten Konzept festhält und einen ähnlichen Film produziert. Als ich nun aber das Buch zu „Nicht auflegen!“ las, wusste ich, so etwas habe ich noch nicht gesehen, einerseits ein Thriller, andererseits ein Film, mit dem ich ganz aktuelle Thematiken aufgreifen konnte. Ich musste nur noch die richtige Besetzung finden, um die Arbeit gut zu machen und dem Publikum vielleicht etwas neues, frisches zu bieten.
Ich bin ein Geschichtenerzähler, ich muss als Regisseur den Leuten im dunklen Kinosaal eine Geschichte erzählen, die sie interessiert, fesselt, eine Geschichte, die die Kinokarte wert ist und die sich von anderen Filmen unterscheidet.

Der Film wurde zum großen Teil an einem Ort mit nur vier Kameras gedreht. Inwiefern mussten Sie dafür eine ganz neue Bildsprache anwenden?
Schumacher: Ich denke, jeder Film sollte seine eigene Bildsprache haben. Der Inhalt sollte die Form bestimmen und nicht umgekehrt.
Ich weiß nicht, wie das in Deutschland momentan aussieht, aber bei uns in den USA, wenn ein Verbrechen passiert, dann sind diverse TV-Sender immer sofort zur Stelle und du kannst dann am Fernseher eine Verfolgungsjagd oder eine Schießerei live miterleben. Viele gucken sich das gerne an, andere sagen, dass man diese Dinge nicht zeigen sollte – da wollte ich mit „Nicht Auflegen!“ meinen eigenen Kommentar zur Gewaltdarstellung in den Medien abgeben.
Die Kameras helfen mir in meinem Film dabei, zu zeigen, dass da gerade ein reales Verbrechen abläuft, dass es jetzt in diesem Moment passiert. Ich versuche den Leuten diese elektrisierende Unmittelbarkeit zu geben – so eine Art jetzt-Gefühl.
Wir haben den Film ja innerhalb von zwölf Tagen mit einem relativ geringen Budget abgedreht. Wir konnten auch immer nur bis vier Uhr nachmittags drehen, weil Winter war. Die vier Kameras waren dafür nicht statisch, sondern ständig in Bewegung, wir wollten die Umgebung damit ausloten wie es nur ging. Für die Schauspieler war das wie ein Adrenalinschub und wir alle am Set waren dadurch sehr aufgekratzt, was man glaube ich auch an der Atmosphäre merkt, die der Film kreiert. Am meisten unter Druck stand natürlich Colin Farrell. Er hat nicht nur jeden tag 12 Seiten dieses Dialoges in dieser Telefonzelle wiedergegeben, der immer mehr zum Drama wird, er hat zusätzlich noch so einen Bronx-Akzent aufgesetzt, obwohl er selbst immer mit so einem irischen Akzent spricht – das war nicht einfach.
Heute bin ich einfach nur stolz auf alle, die am Film mitgearbeitet haben. Am ersten Drehtag hatte ich noch Angst gehabt und mir gedacht: in was für ein Schlamassel habe ich uns da reingeritten?

Zitiert

Jeder Film sollte seine eigene Bildsprache haben. Der Inhalt sollte die Form bestimmen und nicht umgekehrt.

Joel Schumacher

Würden Sie Michael Moore zustimmen, der sagt, dass die Live-Übertragung von Verbrechen eine Atmosphäre der Angst verbreitet und sich dadurch mehr Leute eine eigene Waffe zulegen?
Schumacher: Viele machen dafür ja die Filme verantwortlich, ich würde dafür aber die Medien verantwortlich machen, die Medien verherrlichen die Gewalt. In einer Szene meines Films sagt Colin Farrell zu Kiefer Sutherland, dem Anrufer: „Wir kennen heutzutage die Namen aller Mörder, aber nicht die ihrer Opfer.“ Oder wissen Sie etwa, wie der Kellner hieß, den OJ Simpson umgebracht hat, oder den Namen seiner getöteten Ehefrau? Das weiß doch heute niemand mehr.

Sie glauben, dass Simpson sie umgeracht hat?
Schumacher: Ja, ich denke, er hat es getan.

„Nicht auflegen!“ hat am ehesten Ähnlichkeiten mit Ihrem Film „Falling Down“ von 1993. In beiden Filmen geht es in gewisser Weise um Opfer, nur das Michael Douglas eher dem Anrufer und Scharfschützen Kiefer Sutherland ähnelt.
Schumacher: Ja, ich habe Kiefer tatsächlich gesagt, er spielt jetzt den Sohn von Michael Douglas aus „Falling Down“. Beide Filme handeln von urbaner Paranoia, modernen Problemen, beide verstören und sind kontrovers auf verschiedenen Ebenen. Der große Unterschied zwischen den Rollen von Kiefer und Michael Douglas ist aber, dass Douglas unbewusst, sozusagen im Schlaf handelt. Er geht durch die Stadt und wird zu einem Amokläufer, der bei McDonalds um sich schießt, aber eigentlich gar nicht beabsichtigt, jemanden zu verletzen. Am Ende, als der Robert Duvall, der Polizist seine Waffe auf ihn richtet fragt er noch: „Bin ich jetzt der Böse?“
Da ist Kiefers Rolle anders, der Scharfschütze sieht sich als Moralist und gibt sich das Recht, Richter, Geschworener und Henker zugleich zu sein, dabei ist er nur ein geistig verwirrter, sadistischer, böser, eifersüchtiger, verbitterter Mörder. Ich denke, Moralisten sind sowieso die schlimmsten Leute, finde ich. Zwar werden sicher viele Zuschauer mit der Figur des Scharfschützen sympathisieren, weil er ja auch clever ist. Aber am Ende ist er nur ein weiterer Gewalttäter, der seine Handlungen rechtfertigen will, wie es vielleicht Terroristen tun würden.

Ihr Film trägt im Original den Titel „Phone Booth“ („Telefonzelle“), auf deutsch „Nicht auflegen!“, im Französischen „Der Anruf“ und im Spanischen „Tödliche Verbindung“ – welcher Titel gefällt Ihnen am besten?
Schumacher: Ich mag „Phone Booth“ (lacht). Aber wissen Sie, es ist nun mal so, dass sich jedes Land für deine Filme einen eigenen Titel sucht, da habe ich dann nicht mehr das Sagen.

Sie haben bisher kaum Komödien gedreht, wann könnte es wieder soweit sein?
Schumacher: Ich habe 1976 das Buch zu „Car Wash“ geschrieben, das war sehr lustig. Mein allererster Film war dann ja 1981 „The Incredibly Shrinking Woman“, eine alberne Komödie. Heute werden mir auch alberne Komödien angeboten, aber die sind nicht gut genug. Ich versuche aber immer etwas Comedy in meine Filme zu bringen. „Nicht auflegen!“ habe ich inzwischen schon mehrmals mit anderen Kinozuschauern gesehen – und es wurde viel gelacht.

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