Jörg Schönenborn

Unsere Analyse nach der Wahl wird nur so gut sein wie die Fragen, die wir vorher formuliert haben.

ARD-Wahlmoderator Jörg Schönenborn über die Bedeutung der NRW-Wahl für das politische Gefüge der Bundesrepublik, die Aussagekraft von Umfragen und die Idee, Wahlbenachrichtigungen per SMS zu verschicken

Jörg Schönenborn

© WDR

Herr Schönenborn, bei Wahlsendungen im Fernsehen geht es vordergründig erst mal um Zahlen. Waren Sie in der Schule gut in Mathematik?
Schönenborn: Ich habe sogar in Mathematik Abitur gemacht. Aber aus meiner Sicht hat das wenig mit einander zu tun. Wie Sie sagen, es geht vordergründig um Zahlen. Aber es geht im Kern um journalistische Inhalte, die Zahlen sind nur ein Mittel, diese auszudrücken. Unsere Analysen, die auf Zahlen beruhen, sind in Wirklichkeit journalistische Beobachtungen, die durch Umfragen dann in Zahlen umgewandelt werden. Dafür muss man nicht unbedingt rechnen können.

Muss man ein Faible für Statistiken haben, um sich in der Wahlberichterstattung wohl zu fühlen?
Schönenborn: Man muss vor allem ein Faible für Politik haben. Das was am Ende über den Erfolg von Analysen entscheidet, ist, ob wir im Vorfeld die richtigen Fragen formulieren. Demnächst werden die Forscher von Infratest dimap, meine beiden Redaktionsmitarbeiter und ich an diesem Tisch sitzen und die Fragebögen für die Landtagswahl formulieren. Nach der Wahl wird unsere Analyse nur so gut sein, wie die Fragen, die wir vorher formuliert haben.

Sie beschäftigen sich als Wahlmoderator aber intensiver mit den Zahlen, als ein Journalist, der am Ende einen Artikel über den Wahlausgang schreibt.
Schönenborn: Ja, das stimmt. Natürlich brauche ich ein Grundverständnis, wie sich Zahlenreihen entwickeln und viele Interviews zum Beispiel bei einer Umfrage nötig sind, um belastbare Ergebnisse zu bekommen. Ich habe auch schon mal einen Wahlabend erlebt, an dem ich gegen den Rat aller Experten Zahlen nicht herausgegeben habe. Damals in Schleswig-Holstein kam eine Hochrechnung rein, die rechnerisch die Mehrheitsverhältnisse geändert hätte. Ich hatte aber aus vielen Gründen das Gefühl, dass das statistisch nicht plausibel war. Wir haben sie dann einfach eine halbe Stunde lang nicht gesendet. Und in der Tat, mit den neuen Daten war dann wieder der alte Stand da.

Seit 1999 sind Sie offizieller Wahlmoderator der ARD. Wie kam es dazu?
Schönenborn: Das war eine glückliche Fügung. Meine damalige Chefredakteurin, Marion von Haaren, musste einfach jemanden benennen, mein Vorgänger Ulrich Deppendorf ging nach Berlin, ins Hauptstadtstudio. In der ARD ist das ja etwas, was wichtige Gremien beraten, denen ich heute selbst angehöre, aber damals nicht. Frau von Haaren hat mich dann einfach gefragt, ob ich Lust dazu hätte. Und das war deshalb eine glückliche Fügung, weil ich schon als 16-jähriger begeistert vor dem Fernseher gesessen habe und fasziniert die Wahlabende angesehen habe. Deshalb war ich natürlich glücklich über diese Aufgabe und mache das seitdem sehr gerne.

Aber es gab keine speziellen Qualifikationen, die Sie mitgebracht haben?
Schönenborn: Es gab ein Casting. Ich habe damals bei Phoenix schon den Deutschlandtrend interpretiert und ich musste eine Kassette zusammenschneiden. Die Fernsehdirektoren der ARD haben sich das angeguckt, bevor sie entschieden haben. Aber ansonsten war es einfach das Glück.

Für die CDU tritt bei der Landtagswahl in NRW erneut Jürgen Rüttgers an, die SPD schickt Hannelore Kraft in die Wahl. Entscheiden die Wähler eher nach der Sympathie für den Kandidaten, oder nach den Versprechungen der Parteien?
Schönenborn: Ich bin davon überzeugt, dass Landtagswahlen in großen Ländern fast immer von der Bundespolitik entschieden werden. Bei der letzten Wahl in Nordrhein-Westfalen waren es die Hartz-Gesetze und fünf Millionen Arbeitslose. Und auch dieses Mal wird die bundespolitische Stimmung die entscheidende Rolle spielen. Wir haben in Berlin eine neue Regierung, das werden die Wähler im Hinterkopf haben. Dann kommen erst die regionalen Themen und die Frage nach persönlichen Sympathien. Es geht zwar eigentlich um eine Landtagswahl und einen Landtag der gewählt wird, aber leider sind es selten landespolitische Fragen, die eine solche Wahl entscheiden.

Nach der Forsa-Sonntagsfrage vom 14. April liegen CDU/FDP wie auch SPD/Grüne bei jeweils 45 Prozent. Frau Kraft lehnte eine mögliche Koalitionsbeteiligung der Linken im Vorfeld ab, sie hält die Partei für „nicht regierungs- und koalitionsfähig“. Zu einer großen Koalition wollte sie keine Stellung beziehen. Ist ein Regierungswechsel trotzdem wahrscheinlich?
Schönenborn: Ich versuche immer wieder deutlich zu machen, dass Umfragen keine Vorhersagen sind. Sonntagsfragen sind ein relativ ungenaues statistisches Instrument. Sie können zwar mit Umfragen hervorragend die Sympathien von Kandidaten messen, die Kompetenz von Parteien, oder ob Menschen Steuererhöhungen oder Steuersenkungen wollen. Aber wenn sie fragen: „Was würden Sie wählen, wenn…?“, haben sie gleiche mehrere Unsicherheiten. Von denen, die Sie befragen, gehen möglicherweise nur 60 Prozent überhaupt zur Wahl. Und die entscheiden sich oft kurz vorher noch mal ganz anders. Sonntagsfragen sind vor allem spannend im Zeitverlauf. Man kann gucken, ob es bei einer Partei hoch oder runter geht. Aber sonst sind sie ein bisschen so wie am Strand zu sitzen und Wellen zu fotografieren. In dem Moment, in dem Sie fotografieren ist das Bild zwar exakt, aber schon im nächsten Moment haben die Wellen eine ganz andere Position. Wenn Sie mich also fragen, wie wahrscheinlich ein Regierungswechsel ist, kann ich nur sagen, dass es im Moment so aussieht, dass eine andere Regierung wahrscheinlicher ist als die jetzige. Aber das ist heute. Ich würde sagen, 70 Prozent der Wähler haben sich noch nicht endgültig entschieden.

In Berlin und Brandenburg gibt es bereits rot-rote Koalitionen in Landesregierungen. Ist die Wahl in NRW in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung für die Linke?
Schönenborn: Diese Wahl ist für die Linke von besonderer Bedeutung, aber genauso für andere Parteien. Für die Linke geht es darum, nach dem Rückzug von Oskar Lafontaine zu zeigen, ob sie im Westen wirklich noch punkten kann. Bislang hat sie vor allem vom Protest gegen die große Koalition profitiert. Aber diese große Koalition gibt es nicht mehr. Wir haben also eine neue Situation. Und deshalb entscheidet sich in NRW die Zukunft der Linken in Westdeutschland. Es entscheidet sich aber zum Beispiel auch die Frage, ob Schwarz-Gelb seinen Siegeszug durch die Bundesländer fortsetzen kann. Und je nach Ergebnis geht es darum, ob die Grünen in einem großen Bundesland bereit sind, eine Koalition mit der Union zu bilden. Also: Es ist eine Wahl, die auf unglaublich spannende Weise politische Weichen stellt.

Ist die Bildungspolitik das wichtigste Schwerpunktthema für die Wahl, oder sind die Wähler doch mehr am Aufschwung und an Arbeitsplätzen interessiert?
Schönenborn: Wirtschaftslage und Arbeitsplätze sind die bundespolitischen Themen, die den Trend setzen. Aber auf Landesebene ist Bildung das Mega-Thema. Und zwar sowohl die Lage an den Hochschulen, Stichwort Studiengebühren, als auch die Debatte über unser Schulsystem. Nach meinem Eindruck treibt das jeden, der Kinder oder Enkelkinder hat, wahnsinnig um. Dabei gibt es ja nun auch richtige Alternativen. Jahrelang hieß es, Rot und Schwarz machen ja doch die gleiche Politik. Aber in der Schulpolitik wollen wirklich fünf Parteien fünf unterschiedliche Sachen. Was natürlich gut ist für die Demokratie.

Wirkt die Sponsoring-Affäre um vertrauliche Gespräche gegen Bezahlung bei der CDU noch nach, oder haben die Wähler das schon wieder vergessen?
Schönenborn: Mein Eindruck ist, dass die Sponsoring-Affäre das Vorurteil der meisten Wähler bestätigt, dass die Parteien sowieso alle käuflich seien. Deshalb richtet sich das Thema gar nicht alleine gegen die CDU und Herrn Rüttgers. Die Wähler wissen, dass sich fast alle Parteien von der Wirtschaft sponsern lassen. Das ist das Glück von Herrn Rüttgers, alle werden unter dieser Diskussion leiden. Wenn wir eine niedrige Wahlbeteiligung haben, wird ein Grund dafür die Diskussion über die Hotelsteuer und das Parteien-Sponsoring sein.

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Ich versuche immer wieder deutlich zu machen, dass Umfragen keine Vorhersagen sind.

Jörg Schönenborn

War es nicht auch ein wenig Glück, dass dieses Thema weit vor der Wahl aufgetaucht ist?
Schönenborn: Ja, das ist so. Skandale haben immer eine Halbwertszeit. Wenn es ein großer Skandal ist, kann er mal vier Wochen tragen, aber dann muss es schon ein sehr großer sein. Wir sind ja alle total auf Neuigkeiten getrimmt und unsere Neigung, sich mit einem Thema wirklich lange zu beschäftigen, ist nicht sehr groß. Die wirklich gefährlichen Skandale sind die, die in der Woche vor der Wahl ans Licht kommen. Das war vor Jahren mal so mit der Visa-Affäre um den damaligen Außenminister Fischer, die den Grünen damals die Landtagswahl in Schleswig-Holstein verhagelt und letztlich eine ausreichende Mehrheit gekostet hat.

Die Landtagswahl kann auch Auswirkungen auf die derzeitige schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat haben. Ist das für Deutschland nicht vielleicht sogar die spannendere Entscheidung?
Schönenborn: Für die Leute außerhalb von Nordrhein-Westfalen mit Sicherheit. Deswegen ist die Wahl bundesweit interessant. Es geht um die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. Seit den Kohl-Jahren hatten wir die meiste Zeit eine Bundesregierung, die ohne eigene Mehrheit im Bundesrat war. Deswegen waren gravierende politische Veränderungen oft nicht möglich. Eine solche Richtungsentscheidung gibt es auch am 9. Mai. Falls Schwarz-Gelb in Berlin wirklich gemeinsam gestalten will, müssen sie in Düsseldorf die Wahl gewinnen. Wenn nicht, haben sie jedenfalls eine Entschuldigung für alles, was sie nicht tun.

Die großen Parteien CDU/CSU und SPD haben bei vergangenen Wahlen große Verluste hinnehmen müssen, das Feld der Parteien ist größer geworden. Wie wahrscheinlich ist ein Fünf-Parteien-System aus CDU, FDP, SPD, Grünen und Linke in NRW?
Schönenborn: Das ist die Schlüsselfrage, die sich im Moment an der Linken festmacht. Im Osten ist sie etabliert, da haben wir das Fünf-Parteien-System. Im Westen ist sie da auf dem Weg, aber noch nicht am Ziel, Nordrhein-Westfalen ist die entscheidende Hürde. Wenn sie hier nicht in den Landtag kommt, werden wir in den nächsten Jahren eher ein geteiltes Parteiensystem haben, fünf im Osten und vier im Westen.

Gibt es abseits der großen Parteien Wahlteilnehmer, die bei Ihnen Belustigung, Verwunderung oder gar Angst hervorrufen?
Schönenborn: Ängste deshalb nicht, weil ich unsere Demokratie für sehr stabil halte. Ich will Rechtsextremismus als Problem nicht verharmlosen, aber ich empfinde es als wirklich beruhigendes Zeichen, dass es auch in Zeiten der Wirtschaftskrise bundesweit keine nennenswerte rechtsradikale Strömung gibt. Das ist ein gutes Zeichen für die Demokratie. Aber es gibt etwas, das ich bewundere: wenn es kleinen Splitterparteien gelingt, nennenswerte Stimmenzahlen zu bekommen. Die Piratenpartei hat es bei der Europawahl und der Bundestagswahl geschafft, aus dem Stand auf zwei Prozent zu kommen, in manchen Wählergruppen war sie fast zweistellig. Das ist irre schwer und das schafft man nur, wenn man den Nerv der Zeit trifft. Ich glaube, dass die Piratenpartei dadurch bei den etablierten Parteien in puncto Datenschutz, in puncto Netzsicherheit und Internetpolitik schon eine Menge verändert hat, Hut ab. Manchmal entwickelt sich das dann, wie bei den Grünen, zu einer richtigen Bewegung, die Veränderungen möglich macht, aber meistens nicht. Die Piratenpartei hat jedenfalls schon jetzt etwas ausgelöst und Spuren hinterlassen.

Hat die Piratenpartei eine Chance, sich zu etablieren, oder ebbt dieses Phänomen wieder ab, während sich die anderen Parteien deren Inhalte zu Eigen machen?
Schönenborn: Die Piratenpartei hat zwei Probleme. Das eine Problem ist, dass sie sich an eine junge Zielgruppe wendet, die überwiegend wahlfern ist. Wenn ihr Hauptthema nicht die 25jährigen, sondern die 65jährigen umtreiben würde, hätten sie viel größere Chancen. Aber Leute unter 30 überlegen es sich zweimal, ob sie wählen gehen. Das andere Problem ist, dass die Partei in einer Zeit groß geworden ist, in der wir mit der Wirtschaftskrise existentiellere Probleme haben. Wenn ich mir wirklich Sorgen mache um meinen Arbeitsplatz, dann ist der Weg zur Piratenpartei eben doch sehr weit. Deswegen habe ich Zweifel, ob sie den Aufschwung, den sie hatten, fortsetzen können.

Die Prognosen und Hochrechnungen vor den Wahlen werden immer genauer. Gibt es im Team der ARD-Wahlkampfsendung überhaupt noch Spannung, bevor die ersten Wahlergebnisse eintreffen, oder ist im Vorfeld ohnehin schon beinahe klar, wie die Wahl ausgehen wird?
Schönenborn: Also vor Sonntag, 15 Uhr, wissen auch wir nicht viel. Ich habe ja bereits gesagt, dass die Sonntagsfragen im Vorfeld aus systematischen Gründen keine Ergebnisse vorhersagen können. Da weiß man, ob eine Partei im Trend ist, aber es ist völlig unmöglich, auf ein oder zwei Prozent genau zu bestimmen, wie eine Partei abschneiden wird. Im Laufe des Sonntags bekommen wir erste Vorab-Daten. Ab 14, 15 Uhr gibt es dann so viel Material, so dass man das auch durchrechnen kann, da hat die Wahlforschung tolle Fortschritte gemacht. Die Spannung des Wahlabends entsteht vor allem dadurch, dass es eine Fünf-Prozent-Hürde gibt oder oft ganz knappe Mehrheitsverhältnisse. Aber ganz ehrlich: bei manchen Landtagswahlen sitzen wir um 15 Uhr da und denken insgeheim „alles gelaufen“.

Aber dieser Moment um 15 Uhr ist schon der Augenblick, an dem sich möglicherweise Entwicklungen abzeichnen oder Zahlen reinkommen, die Sie so nicht erwartet hätten und wo dann doch so etwas wie Verwunderung entsteht?
Schönenborn: Ja, absolut. Manchmal kann ich nur ungläubig staunen. Ich werde nie den Wahltag 2005 vergessen. Wir hatten die Vermutung, dass die Union vielleicht die 40 Prozent nicht schaffen würde. Und ich weiß, dass ich mittags das erste Mal telefoniert habe und die Tendenz ging sogar deutlich unter die 40 Prozent. Um 14 Uhr sagten unsere Hochrechner dann, es wird weniger als 2002, also weniger als 38,5 Prozent. Das habe ich schon kaum glauben wollen. Am Ende waren es dann sogar nur 35,2 Prozent. Das war so ein Sonntag, an dem eine Partei richtig Schwindsucht hatte, völlig gegen unser aller Erwartungen.

Ist es ein komisches Gefühl, morgens wählen zu gehen und danach das Ereignis von der anderen Seite als Moderator aufzurollen?
Schönenborn: In NRW, einem Land, in dem ich selbst lebe, habe ich einfach ein besseres Gespür für die Stimmung, weil ich den Wahlkampf auch miterlebt habe. Ich habe ja selbst die Sachen aus dem Briefkasten geholt, oder am Samstagmorgen auf dem Markt die Leute von den Parteien getroffen. Ich habe einfach einen anderen persönlichen Bezug dazu und kann vielleicht auch besser verstehen, warum bestimmte Themen oder bestimmte Stimmungen am Ende funktioniert haben oder nicht funktioniert haben.

Seit 2002 sind Sie WDR-Chefredakteur für den Bereich Fernsehen. Seit 2005 moderieren Sie im ARD „Brennpunkt“ und seit 2008 auch den „Presseclub“. Ist das, gemeinsam mit der Wahlberichterstattung, die richtige Mischung, damit die Arbeit nie langweilig wird, oder gibt es eine klare Präferenz für eine dieser Tätigkeiten?
Schönenborn: Meine Präferenz ist alles, was sich mit Politik beschäftigt. Und ich habe einen breit gefassten Politikbegriff, dazu gehören für mich alle wichtigen gesellschaftliche Entwicklungen. Und solange das alles zusammenpasst, ergibt das ein rundes Bild. Der „Presseclub“ ist eine tolle Möglichkeit der Vertiefung. Ich bin richtig glücklich, wenn dort eine Runde sitzt, bei der neue Gedanken auf den Tisch kommen und die Kollegen eine Idee einbringen, die mir die Augen öffnet. Wahlberichterstattung, „Presseclub“, Kommentare, das eine hat immer mit dem anderen zu tun. Nur beim Sport bin ich zurückhaltend. Der interessiert mich zwar auch, aber da würde ich nie moderieren.

Kommt Ihrer Stelle als Chefredakteur dabei aber nicht die größte Gewichtung zu?
Schönenborn: Chefredakteur ist ja eigentlich ein Beruf, der zwei Dinge vereint. Auf der einen Seite bin ich Chef der Redakteure, bin also verantwortlich für Geld, Personal und die Entwicklung von Sendungen, so wie andere Menschen in anderen Unternehmen Bereiche leiten. Die andere Aufgabe eines Chefredakteurs ist immer auch selbst Publizist zu sein, also selbst Diskussionsanstöße zu geben, Kommentare zu sprechen oder Diskussionen zu leiten. Das ist eigentlich das Tolle an dem Beruf. Es sind zwei Aufgaben, die mit einander verschränkt sind und ich kenne nicht so viele Funktionen, wo das so schön nebeneinander läuft und mir macht das großen Spaß. Außerdem glaube ich, es ist auch eine Führungsaufgabe, selbst im Programm Themen und Akzente zu setzen und damit Vorbild für all die anderen Kolleginnen und Kollegen zu sein.

Wie hoch schätzen Sie die Relevanz des „Wahl-O-Mat“ ein, den die Bundeszentrale für Politische Bildung im Internet zur Verfügung stellt, oder gibt es Ihrer Meinung nach auch andere Methoden, junge Leute für die Wahlen zu interessieren?
Schönenborn: Ich finde den gut. Ich glaube, er erreicht aber nur diejenigen, die sich ohnehin dafür entschieden haben, an der Wahl teilzunehmen. Das große Problem bei Erstwählern oder jüngeren Wählern ist ja, genau diese Entscheidung zu erzwingen. Ich finde nicht, dass man an jeder Wahl teilnehmen muss, wenn man das nun gar nicht will. Aber ich finde, man muss sich damit auseinandersetzen. Ich habe mal mit Studentinnen aus einem Forschungsprojekt zusammengesessen, die neue Ideen dafür gesammelt haben wie man mehr Begeisterung für das Wählen schaffen kann. Einer der Vorschläge war, dass man per SMS wählen kann, oder dass man wenigstens am Wahltag per SMS noch einmal eine Wahlbenachrichtigung bekommt, mit einem Strichcode wie beim Einchecken am Flughafen, womit man dann ins Wahllokal gehen kann. Die Wahlgesetze lassen so was natürlich im Moment nicht zu, aber vielleicht brauchen wir tatsächlich mehr Ideen in solch eine Richtung. Wer 22 ist und zum ersten Mal wählen kann, der will einfach anders angesprochen werden, als mit einem Wahlbrief, der mich erstmal darüber aufklärt, welche Rechte ich überhaupt habe.

Mit welchen persönlichen Worten würden Sie Wahlmuffel dazu überreden, am 9. Mai in NRW wählen zu gehen?
Schönenborn: Ich würde niemanden dazu überreden, wählen zu gehen. Ich würde Menschen dazu überreden, sich damit auseinander zu setzen und mir zu erklären, warum sie nicht wählen gehen wollen. Ich würde sagen: Um nicht zu wählen, musst du ein Argument haben, dass stärker ist als die Hoffnung, dass du durch deine Stimme etwas verändern kannst, was dir wichtig ist.

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