Das folgende Interview entstand im Anschluss an die ARD-Jahrespressekonferenz am 03.12.2019 in Hamburg. Auf der Pressekonferenz selbst waren keine Fragen zugelassen.
Herr Schönenborn, die Initiative Tatort Drehbuch hat Ihnen im März 2019 sowie vor wenigen Tagen offene Briefe geschickt, in dem auf die geringe Frauenquote unter Drehbuchautoren aufmerksam gemacht wird (laut der Initiative sank 2018 „der Anteil der von Frauen verfassten „Tatort“- und „Polizeiruf“-Drehbücher auf unter 10%). Gibt es Ihrerseits ein Interesse daran, dass mehr Frauen die Drehbücher schreiben?
Jörg Schönenborn: Daran arbeiten wir aus Überzeugung. Deshalb habe ich den Autorinnen im Mai ja auch schon geschrieben, dass wir ihr Anliegen vollständig teilen. Das Problem ist aber, dass man Autorinnen- und Autoren-„Jobs“ nicht wie die für Kameramänner bzw. -Frauen besetzen kann, sondern bei solchen Besetzungen spielen ja kreative Ideen für Stoffe und Inhalte eine entscheidende Rolle. Und zur Wahrheit gehört dann auch: Drehbuchautorinnen mit guten Ideen gibt es ganz sicher viele, wir beobachten aber, dass uns viel weniger Angebote von Frauen als von Männern erreichen. Und deshalb tun wir im Moment eine Menge, um vor allem Autorinnen zu ermuntern, sich überhaupt bei uns mit ihren Ideen und ihrer Herangehensweise an Themen zu melden. So haben wir z.B. in diesem und im letzten Jahr zwei Workshops mit Autorinnen und Autoren initiiert, in denen wir gerade die Frauen ermuntert haben, sich mit Ideen für „Polizeiruf“ und „Tatort“ bei uns zu bewerben.
Das heißt, das Problem ist bislang, dass Frauen sich nicht melden?
Schönenborn: Ja, das ist so und gehört bei der Analyse der Situation dazu: Traditionell liegt die Ansprache von Autoren und Autorinnen sowie die Stoffakquise zwar bei den Produzenten, das heißt, wir als Sender sind bisher nur mittelbar beteiligt. Aber es gibt Landesrundfunkanstalten in der ARD, die über die Produzenten in einem kompletten Jahr keinen einzigen Vorschlag von einer Autorin bekommen. Das ist ein Problem, das wir – auch noch einmal faktisch unterlegt durch eine Studie vor drei Jahren – erkannt haben und warum wir seit einiger Zeit proaktiv auf einzelne Autorinnen zugehen. Der RBB oder der SWR z.B. können da für ihre Tatorte schon erste Erfolge vermelden.
Aber haben die Autorinnen (in ihrem Brandbrief) nicht gerade geschrieben, dass die Quote der Frauen unter den Drehbuchautoren zurückgegangen ist?
Schönenborn: Sicher. Aber das ist eine „Rückwärtsbetrachtung“. Denn die Entwicklung von Stoffen ist ja ein sehr langfristiges Geschäft. Das heißt, wenn man das Jahr 2018 auswertet, trifft man auf „Buchentscheidungen“ von 2015. Bei den Regisseurinnen z.B. haben wir bereits sichtbare wie messbare erste Fortschritte gemacht – gerade der „Filmmittwoch“ ist da ja vorangegangen. Da sind wir schon ein klein wenig stolz drauf. Wir müssen dasselbe aber jetzt auch bei den Autorinnen schaffen, sonst bilden wir in der Tat nicht die Wirklichkeit ab.
Ist es langfristig denkbar, dass die Regie der Filme im Wechsel stattfindet? (eine Folge Regisseur, eine Folge Regisseurin)
Schönenborn: Wir haben uns bei der Regie vor einigen Jahren entschieden, dass die Produzenten uns jeweils immer einen weiblichen und einen männlichen Vorschlag machen müssen. Damit wir immer auch eine Frau in der Auswahl haben. Zum Beispiel haben wir beim Kölner „Tatort“ in den jüngeren Produktionen sogar überwiegend Regisseurinnen eingesetzt. Das sind langfristige Maßnahmen, das geht nicht von heute auf morgen. Aber da bewegt sich was. Allerdings muss ich auch noch einmal sagen: Wir müssen immer wieder und weiterhin Autorinnen ermuntern, sich mit Drehbüchern bei den Produzenten, bei uns zu melden. Das ist an dieser Stelle bewusst auch eine Bitte, ein Aufruf!
Aus dem ARD-Produzentenbericht 2018 (PDF) geht hervor, dass von den 770 Mio. Produktions-Budget 7,5% auf Dokumentationen und 46,9% auf Fernsehfilm/Serie/Spielfilm(Degeto) entfallen. Allein der „Tatort“ erhält beinahe so viel Budget wie alle Dokumentarfilme zusammen. Ist das in Ihren Augen ein gutes Verhältnis?
Schönenborn: Wenn Sie Information und Fiktion vergleichen, müssen Sie sehen, dass wir in der Information sehr viel selbst produzieren. Da gibt es nicht nur die Produktionen, die wir in Auftrag geben, sondern wir unterhalten Redaktionen, „Newsrooms“, Auslandsstudios. Dort entstehen regelmäßig auch viele eigenproduzierte Dokumentationen und Reportagen. Insofern ist das wirtschaftlich schwer gegeneinander zu rechnen. Aber am Ende ist natürlich eine Minute „Tatort“ immer teurer als eine Minute Dokumentation, selbst im teuersten Genre. Nur im Naturfilm kommen wir langsam an fiktionale Budgets heran.
Bedeutet das, Sie haben Verständnis dafür, dass für das Dokumentarfilm-Genre nicht so viel Budget vorhanden ist?
Schönenborn: Das ist eine verkürzte Wahrnehmung. Für den WDR kann ich sagen, dass wir einen ganz klaren Schwerpunkt im Dokumentarischen haben. Wir haben 2018 fast 400 Dokus und Reportagen mit einer Länge ab 30 Minuten gehabt, vieles davon eigenproduziert, vieles davon in Auftrag. Der Dokumentarfilm spielt eine Sonderrolle, weil er ein Format des Kinos ist, das wir meist nicht in Auftrag geben, sondern wo wir uns „in Lizenz“ beteiligen. Aber insgesamt ist das Dokumentarische eine ganz wichtige Farbe. Ich habe ja selbst hart dafür gekämpft, dass wir zum Beispiel im Ersten jetzt montags um 20:15 Uhr Dokumentationen senden. Ein Beleg dafür, dass der Wert dieses Genres im Programm weiterhin ganz eindeutig steigt.
Es gibt immer wieder Wortmeldungen von Politikern bezüglich des Rundfunkauftrags, beispielsweise aus der FDP (PDF) oder vom Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt. Auch haben RTL und ProSieben gerade eine Studie zum öffentlich-rechtlichen Auftrag vorgelegt. Nun sagte Programmdirektor Volker Herres auf der Jahrespressekonferenz in Hamburg, das im Ersten relevante gesellschaftliche Fragen abgebildet werden. Ist es vorgesehen, bzw. wären Sie dafür, dass die Diskussion um den Auftrag auch im Programm Das Erste vor einer breiten Öffentlichkeit geschieht?
Schönenborn: Ich glaube, dass jedes Diskussionsforum zu dem Thema wichtig ist, aber dass es dann am glaubwürdigsten ist, wenn wir nicht selbst den Rahmen stellen. Ich habe immer unterstützt, dass wir beim WDR, bei „hart aber fair“, bei Maischberger oder auch in unserem Format „WDR-Check“ den öffentlich-rechtlichen Rundfunk selbst zum Thema machen. Am Ende ist es aber immer eine Debatte über uns selbst, die wir stiften. Insofern ist es eher sinnvoll, wenn auch andere seriöse Medien solche Diskussionsrunden anstoßen. Denn dieses Thema betrifft ja immer unser gemeinsames Publikum. Insofern: Ja, wir stellen den Raum für diese Diskussion, aber es sollten andere auch tun.
Bedeutet das, es wäre möglich, das im Ersten zu zeigen aber ohne Moderatoren der ARD?
Schönenborn: Natürlich sollten wir, wenn wir das organisieren, auch die Moderation stellen. Das werden wir ganz sicher jetzt in der Beitragsdebatte ebenfalls wieder tun. Aber ich sage mal: Wenn die Gewerkschaften Tariferhöhungen fordern, dann veranstalten ja nicht die Gewerkschaften die einzigen Debatten, die darüber stattfinden, sondern dann gibt es Medien, die darüber berichten. Und genauso würde ich es mir bei den Öffentlich-Rechtlichen wünschen: Wir sind so ein wichtiger Faktor in dieser Gesellschaft, dass auch andere Medien sich breit mit uns befassen sollten. Ja, es ist auch unser Job, aber noch glaubwürdiger ist es, wenn andere das Forum für diese Diskussion stellen.