Das folgende Interview ist ein Transkript eines Video-Interviews mit Joko Winterscheidt, welches wir Ende Januar 2011 im Rahmen eine Kooperation für SPIESSER geführt haben. Hier geht es zum Video-Interview.
Joko, was bedeutet dir Berlin?
Joko Winterscheidt: Berlin bedeutet mir tatsächlich gar nichts, weil ich einfach nur hier lebe. Ich habe keinerlei Bezug zu dieser Stadt, weil mein Herz an meiner Heimat hängt, dem Rheinland und Hamburg, wo ich lange gewohnt habe.
Berlin hält sich für eine Metropole, ist aber keine. Wenn man schon mal andere Weltmetropolen gesehen hat, dann ist Berlin einfach noch ein Dorf. Es ist durchaus schön, hier zu leben – zumindest im Sommer. Im Winter dagegen ist es „Pain in the ass“, das ist der härteste Winter deines Lebens, den du hier verlebst. Du wirst depressiv, dir geht es schlecht, weil alles grau, kalt und eklig ist.
Fühlst du dich in Berlin zu einer Szene zugehörig?
Winterscheidt: Was die Szene angeht, bin ich da so ein bisschen raus. Ich bin Familienpapa geworden… und Szenen haben mich vorher auch nicht interessiert. Vielleicht ist man für Außenstehende in irgendeiner Szene drin, aber ich würde mich selber nie einer zuordnen.
Warst du denn früher mal Teil einer bestimmten Szene?
Winterscheidt: Nein, ich bin nie so eine Szene-Typ gewesen. Wir hatten Skater an der Schule, da habe ich nie zugehört, Hooligans, da habe ich nie dazugehört… Ich habe sechs, sieben Sportarten versucht, aber ich habe nichts so beherrscht, dass ich zu so einer Szene hätte dazugehören dürfen. Die Skater haben gesagt: „Geiles Board, aber du kannst nicht fahren“, die Fußball-Dudes meinten: „Coole Schuhe, aber du kannst halt nicht spielen“ und die Tischtennisvögel haben gefragt: „Wozu hast du diesen teuren Schläger, das bringt nichts, du kannst es doch nicht.“
Am Ende bin ich beim Fernsehen gelandet und ob ich das besser kann ist eine Frage, die ich anderen stellen würde aber nicht mir.
Ich bin locker entspannt, jederzeit ansprechbar und genieße das Leben in vollen Zügen. Vielleicht gehöre ich der Szene der Hedonisten an.
Was wäre dein Leben ohne Klaas?
Winterscheidt: Es wäre nicht das Leben, das ich hätte, weil Klaas einen sehr großen Teil meines Lebens eingenommen hat. Ich verbringe mit ihm mehr Zeit als mit meiner eigenen Familie. Wenn wir uns drei Tage nicht sehen wird es so ein bisschen melancholisch wenn man sich dann wiedersieht, man fällt sich in die Arme und freut sich. Das glaubt immer keiner, dass wir befreundet sind, aber Klaas ist ein ganz lieber, feiner Kerl. Wir schätzen uns gegenseitig für die Qualitäten, die der andere nicht hat und haben schon wahnsinnig lustige, wahnsinnig anstrengende, spannende und betrunkene Momente zusammen verbracht und viele Geschichten erlebt, die man hier leider nicht erzählen kann. Klaas ist wirklich ein Freund, den ich nicht missen möchte.
Hast du manchmal Angst, dass Klaas’ Laberflut kein Ende mehr nimmt und dich niederwalzt?
Wnterscheidt: (lacht laut) Nein, ich stehe immer nur daneben und denke mir so: Meine Güte, alter, das hätte man auch in drei Sätzen sagen können, dafür muss man doch nicht drei Minuten labern. Aber so ist es halt, das ist part of the deal, entweder man kann sich kurz und knapp artikulieren oder man braucht halt einen riesen Bumerang, den man rausschmeist und erst wenn er wiederkommt, dann den Satz beendet. Nein, da habe ich keine Angst vor, teilweise bin ich sogar glücklich darüber, weil man muss bedenken: wir werden dafür bezahlt, was wir machen. Und es gibt manche Tage, da habe ich vielleicht 10 Prozent geleistet und er 90 und ich kriege das gleiche Geld (lacht)
Kommst du dir manchmal dumm vor bei den Dingen, die du mit Klaas bei „MTV Home“ anstellst?
Winterscheidt: Es ist tatsächlich so, dass ich bei nichts in dieser Sendung sagen würde, dass ich mich dafür geschämt hätte. Das ist wirklich die Sendung wo ich ausleben kann, was ich will und das auch in vollen Zügen mache. Bei Klaas ist das glaube ich genauso…
Es gibt natürlich ein paar Dinge, wo man Grenzen überschritten hat, die man nicht überschreiten würde, wenn keine Kamera dabei ist – so eine Kamera ist ja immer eine Ego-Erweiterung, ein Ego-Boost.
Man erzählt auch schon mal Geschichten, wo man im Nachhinein denkt: „Warum hast du das im Fernsehen erzählt?“ Aber das sind nie Momente, wo denkt: „Das war peinlich“, sondern nur, „Oh Mann, das hättest du dir sparen können.“ Peinlichkeiten gibt’s nicht.
Ich sehe durch meine Brille garantiert nicht klüger aus.
In deiner Sendung geht es auch um Sex, Pornografie – hast du nicht die Befürchtung, dass deine Tochter dich später nicht ernst nimmt, oder dass ihr Dinge, die du im Fernsehen gemacht hast, peinlich sind? Schließlich ist der Vater ist das größte Vorbild.
Winterscheidt: Nein, ich glaube, wer so denkt, sollte sich selbst kurz die Frage stellen, ob es ihm unangenehm wäre, wenn der eigene Vater so etwas machen würde. Ich hätte mich gefreut, wenn ich so einen Vater gehabt hätte, der so frei und offen mit Themen umgeht, die zuhause von den Eltern ja eher tabuisiert werden.
Ich hoffe nicht, dass es ihr peinlich ist, ich hoffe auch nicht, dass es für sie irgendwann eine Respektsfrage sein wird, wenn sie feststellt, was ihr Vater früher gemacht hat. Ich hoffe, dass es für sie eher ein Ansporn sein wird, mit mir über alles reden zu können, weil der Vater in seiner Jugend genauso bescheuert gewesen ist.
Ich denke aber ehrlich gesagt gar nicht so weit, wie das für meine Tochter irgendwann sein würde. Allerdings sagt mir meine Freundin inzwischen auch: „Denk dran, du hast jetzt eine Tochter, du hast eine gewisse Verantwortung, du kannst nicht mehr alles so machen wie früher.“
Nichts desto trotz ist es wirklich ein bisschen so, dass ich mir den Gedanken gar nicht mache. Weil wenn ich immer darüber nachdenken würde, wie das jetzt für meine Tochter wäre, dann würde ich nur noch mit angezogener Handbremse arbeiten und überlegen: „Wäre das für sie später ok?“ – Das macht an der Stelle keinen Sinn.
Glaubst du, dass du durch deine Brille klüger aussiehst?
Winterscheidt: Ich sehe durch meine Brille garantiert nicht klüger aus, aber ich sehe durch meine Brille viele Menschen besser und das macht es wesentlich leichter. Es ist schrecklich zu sagen, aber ohne meine Brille bin ich wirklich fast blind. Mir kommen Leute entgegen, die ich erst auf ganz kurze Distanz erkenne und sage, „Ach du bist es“ – dabei haben die schon 30 Meter vorher angefangen zu lächeln, zu grüßen und zu winken. Ohne Brille bin ich aufgeschmissen. Das hat nichts mit klüger aussehen zu tun, eher mit besser aussehen.
Ich kann mich auch gar nicht mehr ohne Brille sehen, das ist ganz komisch. Es gab eine Zeit, da habe ich die Brille getragen, weil ich sie brauchte und habe sie ausgezogen, sobald ich sie nicht mehr brauchte. Weil ich immer fand, dass ich mit Brille total dämlich aussah. Wenn ich heute die Brille ausziehe bevor ich ins Bett gehe, denke ich mir immer: What the fuck! Wie siehst du ohne Brille aus? Schrecklich!
Tut es dir weh, dass MTV Home jetzt auf Viva läuft – und wird es mit der Sendung weitergehen?
Winterscheidt: Was die Weiterführung anbelangt kann ich noch nichts sagen, da gibt es momentan auch keine Tendenz, weder ein Ja noch ein Nein. Wir hoffen natürlich sehr, dass man es irgendwie fortführen kann, in welcher Form auch immer. Mir tut es jedenfalls nicht weh, dass es auf Viva läuft, weil damit garantiert ist, dass es noch eine breite Masse erreicht. Und das ist einfach durch MTVs Entscheidung, Pay-TV zu werden, nicht mehr gewährleistet.
Ich glaube, so sehr die Entscheidung von MTV getragen wurde, die Sendung zu kippen, wissen sie hoffentlich zumindest auch, welche Qualität diese Sendung jede Woche abliefert. Und was sie für viele Leute da draußen bedeutet sieht man allein an den Facebook-Gruppen, die sich gegründet haben, seit unserer Bekanntgabe, dass die Sendung eingestellt wird. Wie viele Menschen sich da mobilisieren… dass wir den Zahn der Zeit mit der Sendung getroffen haben. Ich persönlich finde es sehr traurig, dass diese Entscheidung gefällt wurde, aber ich habe leider mit der Entscheidung nichts zu tun.
Was möchtest du deinem Kind unbedingt beibringen und was hoffst du von ihm lernen zu können.
Winterscheidt: Ich hoffe, mir dadurch eine gewisse Leichtigkeit im Leben bewahren zu können, dass man Dinge immer noch so ein bisschen mit Kinderaugen sieht. Weil man eben ein Kind hat, das einem das alles zeigt, dass man nicht so schnell erwachsen wird – natürlich ist man schon irgendwo erwachsen, aber ich glaube, dass einem mit dem Kind auch ein ganz anderer Blick auf die Welt gegeben wird.
Ich hoffe auch, dass ich meiner Tochter was mitgeben kann. Ich möchte auf jeden Fall, dass sie lernt, was Gerechtigkeit ist, dass sie weiß, wie wichtig es ist, zu unterscheiden, was Recht und was Unrecht ist. Ich hoffe, ihr mitgeben zu können, dass sie ein weltoffener Mensch ist, dass sie niemandem gegenüber aus irgendwelchen Gründen heraus verschlossen ist. Und ich hoffe, ihr als Vater ein sorgenfreies Leben bescheren zu können und ihr das möglich zu machen, was sie von mir erwartet. Ich weiß, wie schwer es ist, wenn man eine Erwartungshaltung an seine Eltern hat, diese aber von denen nicht erfüllt werden kann und man selbst immer nur bei Freunden mitbekommt, wie es sein kann, wenn das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ein freundschaftliches ist. Wenn wir das hinkriegen, dass wir ein freundschaftliches Verhältnis haben und von Tag 1 bis zum Tag meines Ablebens beste Freunde sind, dann habe ich glaube alles erreicht.
Wenn du jungen Menschen eine Lebensweisheit mitgeben könntest, was würdest ihnen raten?
Winterscheidt: Ich würde raten, an die eigenen Träume zu glauben. Es gibt nichts Wichtigeres, wenn man einen Traum und eine Vision hat, von dem, was man möchte. Natürlich sollte man den diesen Traum auch realistisch betrachten und sich fragen: Kann ich das erreichen? Also, wenn ich nicht singen kann und Rockstar werden will, dann sollte ich überlegen, ob ich anfange, Schlagzeug oder Gitarre zu spielen.
Einfach an die Vision zu glauben, wo man hinmöchte, dass man weiß, was man will und dass man alles daran setzt, es auch zu erreichen. Das kann auch manchmal über Umwege sein – das Endziel ist aber die Motivation, nicht vom Weg abzukommen. Wirklich dran glauben, was man will und daran arbeiten, dass man dahin kommt.
Zum Schluss: Was war die dümmste Frage, die dir je gestellt wurde?
Winterscheidt: Meine Lieblingsfrage ist mittlerweile so ein bisschen: „Du wolltest ja mal Pilot werden, wie kam es dazu?“
Jeder Typ, der mir diese Frage stellt, hat wahrscheinlich schon diverse Interviews mit mir gelesen, worin genau diese Frage gestellt wurde. Und der denkt sich dann: „Geil, das kann ich auch fragen.“ Aber es ist irgendwann ermüdend, die Dinge zu beantworten, die man schon 20, 30 mal beantwortet hat. Und man erwischt sich irgendwann selber in Situationen, wo man zum Beispiel Musiker interviewt und merkt: „Ah, diese Frage kriegt der wahrscheinlich relativ häufig gestellt.“ Weil die dann ähnlich reagieren: Play, abspulen, Stop und Feierabend.
Aber eigentlich gibt es keine dümmste Frage sondern nur dumme Antworten. Genau wie in der Schule.