Sie sehen ein bisschen müde aus, Mr. Bongiovi…
Jon Bon Jovi: Nach unserem gestrigen Konzert war ich noch mit einem Freund unterwegs.
Scheint ein guter Freund gewesen zu sein.
Bon Jovi: Ein sehr guter sogar.
Heute Abend geht es gleich weiter: Sie wollen zu einem Konzert von Pink.
Bon Jovi: Ja, darauf freue ich mich sehr. Pink ist wirklich gut. Eine richtige Rampensau – und das meine ich als Kompliment. Die hat Feuer unterm Arsch.
In diesem Jahr feiern Sie mit Bon Jovi 30-jähriges Band-Jubiläum. Hätten Sie 1983 je damit gerechnet, 2013 immer noch auf der Bühne zu stehen?
Bon Jovi: So weit habe ich überhaupt nicht gedacht. Zu dieser Zeit gab es für mich nur das Hier und Jetzt. Auch solche Begriffe wie Ehe, Familie und Kinder waren damals noch nicht Teil meiner Gedanken. Da spukten mir andere Dinge im Kopf herum. Unwichtige Dinge.
Im März haben Sie das Album „What About Now“ veröffentlicht. Darauf gibt es den Song „What’s Left Of Me“, in dem Sie sich als „Newspaper-Man“ bezeichnen. Wir sind also Kollegen.
Bon Jovi: Absolut (lacht). Ich ziehe in dem Lied aber auch Parallelen zu anderen Berufen. In dem Stück geht es ja um die Auswirkungen der Rezession. Die Welt hat sich verändert, und viele Menschen sind durch diese Veränderungen dazu gezwungen, ihre Karrieren und deren Möglichkeiten zu überdenken. Wenn ein Arbeitgeber die Wahl hat zwischen einem 20-jährigen und einem 50-jährigen, wird er sich in der Regel für den Jüngeren entscheiden. Der hat nämlich weniger Verpflichtungen, ist seltener krank und arbeitet für weniger Geld. Und dann stehst du mit 50 Jahren plötzlich da und findest in deinem alten Berufsfeld keinen Job mehr. Furchtbar.
Der Rapper Chuck D von Public Enemy hat mal gesagt, Rap-Musik fungiere als Nachrichtensender der schwarzen Bevölkerung. Hatte Rockmusik eine ähnliche Funktion?
Bon Jovi: Auf jeden Fall. Leute wie Woody Guthrie und Bob Dylan galten damals genauso als Stimme des Volkes wie später Chuck D. Durch ihre Inhalte waren diese Singer/Songwriter die Nachrichten-Überbringer ihrer Zeit. Rap-Musik hat aber nicht nur den Schwarzen neue Denkanstöße gegeben, sondern auch den Weißen einen Einblick in die Kultur und Lebenswelt der Afro-Amerikaner verschafft. Das hat Brücken gebaut. Heutzutage, in Zeiten des Internets, ist die Bedeutung von Musik als Nachrichtenmedium allerdings zurück gegangen.
Was war das Schönste, das Sie je über sich in der Zeitung gelesen haben?
Bon Jovi: Diese Frage kann ich Ihnen gar nicht beantworten, weil ich mir bereits früh angewöhnt habe, mich nicht darum zu scheren, was über mich in der Presse steht. Denn wenn ich anfange, dem Guten Glauben zu schenken, wird mich das Schlechte eines Tages fertig machen. Und ganz ehrlich: Wenn ich nach einer dreistündigen Show erschöpft von der Bühne gehe und ein euphorisiertes Publikum zurücklasse, dann juckt es mich wenig, was ein Reporter dazu zu sagen hat.
Auf die Frage nach dem Grund für Ihren anhalten Erfolg haben Sie mal Ihren Optimismus genannt. Wie haben Sie es geschafft, diesen Optimismus über den Zeitraum von dreißig Jahren aufrecht zu erhalten?
Bon Jovi: Optimismus ist nicht ganz richtig. Ich würde es eher als optimistischen Realismus bezeichnen – den hört man auch auf unserem aktuellen Album heraus. Ich bin eben kein 25-jähriger Jungspund mehr, der dir einen vom Pferd erzählt und zwanghaft auf gute Laune macht. Ich bin 51 Jahre alt und bringe entsprechende Erfahrungswerte mit.
Dann wurde Ihr Optimismus über die Jahre also von der Realität eingeholt?
Bon Jovi: Ja, so kann man das sehen. Aber ich glaube nach wie vor an das Gute, und dieser Umstand ist sicherlich auch ein Teil meines Erfolges.
Sie haben mit Bon Jovi bereits 12 Studioalben veröffentlicht, und nicht alle waren gleich erfolgreich. Wurmt es Sie, wenn Sie von einer Platte plötzlich weniger Exemplare verkaufen?
Bon Jovi: Natürlich. Das verwirrt mich, denn wenn ein Song fertig ist, bin ich stets der Meinung, dass es das Beste sei, was ich je zustande gebracht habe.
Wie definieren Sie denn Erfolg?
Bon Jovi: Der Erfolg eines Albums hängt von unterschiedlichen Faktoren ab und gilt auch nicht für jedes Land gleich. „These Days“ von 1995 hat in Amerika beispielsweise nicht viel gerissen, ist in Deutschland aber durch die Decke gegangen. Mein persönlicher Gradmesser ist immer der, ob ich die Songs eines Albums auch auf der darauf folgenden Tour noch spielen will. Wir werden sehen, ob die Stücke von „What About Now“ den Test der Zeit bestehen.
Auf dem Album singen Sie „There’s a room at the end of the world where my secrets go to hide“. Wie viele Quadratmeter hat dieser Raum?
Bon Jovi: Besonders groß ist der nicht, so viel steht fest. Mein Leben ist wie ein offenes Buch. Da gibt es nicht viele Geheimnisse. Die ganze Welt hat mitbekommen, dass meine älteste Tochter im letzten Jahr ein Drogenproblem hatte – heute geht es ihr glücklicherweise wieder gut. Es hat auch jeder mitbekommen, dass unser Gitarrist Richie Sambora auf der aktuellen Tour aus persönlichen Gründen nicht dabei ist – und jeder hat das Recht, zwischen den Zeilen die Gründe dafür herauszulesen. Ich werde mich dazu aber nicht weiter äußern, denn Richie ist und bleibt ein treuer Freund.
Ist besagter Raum denn mit der Zeit größer geworden, weil Sie darin mehr unterbringen müssen oder kleiner, weil es viel schwerer geworden ist, unter den Augen der Weltöffentlichkeit überhaupt noch etwas darin unterzubringen?
Bon Jovi: Der ist gleichbleibend klein. Ich bin eben eine öffentliche Person. Aber ich bin seit fast 25 Jahren verheiratet, habe vier Kinder und neige nicht zu Skandalen. Das mag im Sinne des klassischen Rock-Star-Klischees ein bisschen langweilig sein, aber ich hatte einfach noch nie das Bedürfnis, geschieden, abgebrannt oder drogenabhängig zu werden. Man möge es mir verzeihen.
Ich bin kein 25-jähriger Jungspund mehr, der dir einen vom Pferd erzählt und zwanghaft auf gute Laune macht.
Sie wirken wie jemand, dem Ehrlichkeit sehr wichtig ist. Das Showgeschäft hat jedoch einen anderen Ruf.
Bon Jovi: Ja, das ist nicht immer ganz einfach. Ich hasse es, wenn mir Leute etwas vormachen.
Wie muss man sich so etwas vorstellen?
Bon Jovi: Gerade neulich kam jemand zu mir und sagte: „Mr. Jovi, es ist schön, Sie kennenzulernen. Ich bin Ihr größter Fan!“ Ich heiße aber nicht Jovi mit Nachnamen, sondern Bongiovi, und ein richtiger Fan weiß das. Warum lügt der mir also ohne Not ins Gesicht? Das ist doch peinlich.
Das war hoffentlich kein Journalisten-Kollege.
Bon Jovi: Nein. Aber wissen Sie, wo mir das passiert ist: Ausgerechnet in meiner Heimat New Jersey! Ich war mit dem Gouverneur unterwegs und das war jemand aus seiner Entourage. Aber wenn Christopher James Christie der Gouverneur von New Jersey ist, dann bin ich der Prinz! (lacht)
Im Stück „The Fighter“ singen Sie „Someday you may wanna know who I am/beyond this facade no guitar in my hand“. Ebenfalls eine Zeile, in der Sie auf den Unterschied zwischen der Privatperson Jon Bongiovi und dem Rockstar Jon Bon Jovi hinweisen.
Bon Jovi: Ja, das ist richtig. Aber mit der Anbetung seines öffentlichen Images ist jeder konfrontiert, der eine gewisse Popularität erlangt hat. Und dieses Image hat nur noch bedingt mit dir zu tun, weil durch die Interpretation vieler verschiedener Menschen ein fiktionaler Charakter deiner selbst entstanden ist. Den Song „The Fighter“ habe ich aber in erster Linie für meine Kinder geschrieben.
Tatsächlich? Hatten Sie den Eindruck, sich Ihnen gegenüber erklären zu müssen und das öffentliche Image, das Sie besitzen, von Ihrem wahren Ich abzugrenzen?
Bon Jovi: Wenn Eltern in der Öffentlichkeit stehen, ist das immer ein Punkt, mit dem sich die Kinder auseinander setzen müssen. Hinzu kommt: Wenn Kinder erwachsen werden, verändert sich auch die Vater-Kind-Beziehung. Man begegnet sich auf Augenhöhe und dafür bedarf es einer Art „neuen Kennenlernens“. Im den vergangenen Monaten, in denen meine älteste Tochter eine sehr schwere Zeit durchgemacht hat, hat sie die Frage nach dem, wer ich bin, sehr beschäftigt.
Inwiefern?
Bon Jovi: Sie hatte zum Beispiel keine Vorstellung davon, wie unsere Lieder entstehen. Sie dachte, ich wache morgens auf und habe bereits einen fertigen Song im Kopf. Aber der Weg dorthin ist gepflastert mit ganz viel Leid, Schmerz und Enttäuschungen.
War es schwer, ihr das begreiflich zu machen?
Bon Jovi: Natürlich. Woher soll sie das auch wissen? Sie kann sich nicht ausmalen, berühmt zu sein; wie es sich anfühlt, mit vielen falschen Leuten in überfüllten Räumen konfrontiert zu sein und die Hände von Fremden zu schütteln, die sich nur mit deiner Prominenz rühmen wollen. Aber es ist wichtig, dass sie eine Ahnung davon bekommt und merkt, dass das Leben kein permanentes Honigschlecken ist, sondern auch von Fehlschlägen und Enttäuschungen geprägt ist. Sie ist alt genug, um das zu begreifen. Und dafür habe ich den Song „The Fighter“ geschrieben.
Wie hat sie das Stück aufgenommen?
Bon Jovi: Ich weiß gar nicht, ob sie sich mal die Zeit genommen hat, es sich in Ruhe anzuhören. Als wir das Album fertig hatten, habe ich ihr ein Exemplar des Albums ins Auto gelegt. Einen Monat später rief sie mich eines Tages aus der Schule an und meinte: „Ich mag das neue Album.“ Mehr hat sie nicht dazu gesagt.
Haben Ihre anderen Kinder mal reingehört?
Bon Jovi: Auch das weiß ich nicht. Aber um ehrlich zu sein: Ich bezweifle es.
Ist das nicht ein bisschen traurig?
Bon Jovi: Nein, das ist schon okay. Trauriger wäre es, wenn ich alle zusammentrommeln und fordern würde: „Los, jetzt hören wir alle mal gemeinsam in Daddys neue Platte rein!“
Ja, mag sein.
Bon Jovi: Aber meine Kinder kennen natürlich Bon-Jovi-Songs, selbst wenn sie zuhause nicht die Platten auflegen.
Was läuft denn stattdessen?
Bon Jovi: Als ich gestern mit meiner Ältesten telefoniert habe, war sie gerade auf einem Killers-Konzert in Brooklyn.
Auf Konzerten von Ihnen waren Ihre Kinder aber schon, oder?
Bon Jovi: Natürlich. Bei unserer diesjährigen Tour werden sie in New Jersey und London auch vorbeikommen. Letzte Woche hatten wir Bon-Jovi-Konzerte in Kapstadt und Johannesburg, da habe ich ebenfalls meine ganze Familie einfliegen lassen. Bei den Shows waren meine Kinder allerdings nicht anwesend. Die hatten mehr Interesse an einer Safari (lacht).
Was war das Wichtigste, das Sie von Ihren Eltern beigebracht bekommen haben?
Bon Jovi: Dass nichts unmöglich ist; und dass du Dinge erreichen kannst, wenn du nur hart genug dafür arbeitest. In den 60er Jahren haben die Kennedys uns Amerikanern noch das Gefühl vermittelt, zum Mond fliegen zu können. Da war Amerika noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Und diese Einstellung haben mir meine Eltern als Geschenk mit auf den Weg gegeben. Leider ist diese Denkweise irgendwann verloren gegangen. Heute treffe ich immer mehr Eltern, die ihre Kinder daran hindern wollen, bestimmte Dinge zu tun. Dieser Erziehungsansatz ist mir unbegreiflich.
Was ist denn der Grund dafür? Angst?
Bon Jovi: Ja, ich denke schon. Aber das ist zu kurzfristig gedacht. Wenn ein Kind Profisportler werden will und die Fähigkeiten dazu hat, dann sollten seine Eltern ihm dabei helfen. Wenn er Musiker werden will genauso. Das anvisierte Lebensziel kann doch nicht von vornherein sein, in einer Fabrik zu arbeiten – das kann man auch noch tun, wenn die Profisportler- oder Musikkarriere gescheitert ist. Gebt euren Kindern doch mal etwas Zeit, um sich auszuprobieren. Ihr werdet sehen: Das lohnt sich!
Das Interview wurde im Mai 2013 in München geführt.