Jorge Gonzalez

Für mich ist Glamour eine innere Haltung.

Model und Laufsteg-Trainer Jorge Gonzalez über Schönheit, wichtige Frauen in seinem Leben, den neuen Papst und seinen deutschen Traum

Jorge Gonzalez

© Philipp Rathmer

Herr Gonzalez, sind Sie stolz darauf, dass der neue Papst aus Lateinamerika kommt?
Für viele katholische Leute in Lateinamerika bedeutet das viel. Für meine Oma, wenn sie jetzt noch leben würde, hätte ich mich sehr gefreut. In Kuba war Religion früher verboten. Man durfte das Wort „Gott“ nicht verwenden. In der Schule haben sie uns aufgefordert, Steine gegen Kirchenfenster zu werfen. Kinder aus katholischen Familien wurden schikaniert, genauso wie Homosexuelle. Ich habe solche Sachen gesehen und es hat mir sehr leid getan. Ich weiß aber auch, die Kirche akzeptiert mich nicht, weil ich homosexuell bin. Meine Großmutter sagte immer: „Gott liebt die Menschen“. Ich bin doch auch ein Mensch. Das ist für mich ein Widerspruch und deswegen möchte ich mit der katholischen Kirche nichts zu tun haben.

Freiheit und Ausgrenzung spielen in Ihrem Buch „Hola Chicas!“ eine wichtige Rolle. Sehr wichtig sind auch Ihre Mutter, Ihre Großmutter und die Welt der Frauen. Weshalb sind Frauen so anziehend für Sie?
Was mich an Frauen fasziniert, kann ich gut an meiner Großmutter erklären: Sie hat 18 Kinder groß gezogen und trotzdem immer Haltung und Ruhe bewahrt. Sie war für uns da, sie hat die ganze Arbeit im Haushalt gemacht, war Mutter der Kinder und Frau für meinen Großvater und sie war zu jeder Zeit elegant.
Bei meiner Mutter war es ähnlich, ihre Energie war erstaunlich. Mein Vater kam müde von der Arbeit und saß rauchend im Schaukelstuhl, Mama hat gearbeitet, gekocht, gewaschen, geputzt und uns Kindern geholfen. Daneben war sie im kubanischen Fraueninstitut aktiv. Sie hat so viele Sachen gemacht, das hat mich geprägt.

Aber Sie mögen auch das Schönmachen und das Schönsein?
Natürlich ist es auch die Schönheit der Frau, die mich fasziniert. Ich habe sehr früh entdeckt, dass ich diesbezüglich einen sehr starken Teil in mir habe. Schuhe, Schmuck, Kleidung oder auch die Themen, die Frauen besprechen, das hat mich alles schon als Kind sehr interessiert.

Sie mögen das vollendete Äußere von Frauen, die Sie liebevoll mit Chicas anreden. Kann eine Frau auch ohne High Heels glamourös sein?
Auf jeden Fall. Für mich ist Glamour eine innere Haltung. Du kannst eine 90-60-90-Figur und die schönsten Kleider anhaben, aber wenn du als Mensch ohne Haltung in den Raum kommst, ohne „Glam“, dann bist du für mich flach. Andererseits habe ich diese Tante in Kuba, sie ist klein, große Hüfte, großer Popo. Sie kommt herein, bewegt sich, lacht mit den Augen. Sie füllt den Raum. Verpackung ist für mich ein Spiel. Wichtig ist für mich der innere „Glam“, den hat jeder Mensch in sich.

In Deutschland sind Frauen, die viel Wert auf ihr Äußeres legen, verrufen, nichts im Kopf zu haben.
Das sind Schubladen. Von meiner Großmutter und von meinen Eltern habe ich gelernt, dass man den Menschen, die man trifft, nur in die Augen sieht und dann schaut, ob sie lachen und etwas zu sagen haben.

Sie haben drei Jahre Ihre an Krebs erkrankte Mutter gepflegt. Auch in dieser Zeit war es Ihnen wichtig, ihr die Möglichkeit zu geben, schön gekleidet und geschminkt zu sein. Warum?
Äußerlichkeiten kann man nicht vergessen. Meine Mutter hat es auch nicht getan, schon drei Minuten nach der Chemotherapie hat sie mich nach ihrem Kulturbeutel gefragt, um sich schön zu machen. Sie wollte nicht, dass mein Vater sie so sieht. Auch ein kranker Patient ist schön. Sie war sehr krank, aber sie wollte unbedingt weiterleben. Das war ihre Art zu sagen: Ich habe zwar abgenommen und bin krank, aber nicht tot.

Haben Sie selbst Angst davor, älter zu werden und sich äußerlich zu verändern?
Überhaupt nicht. Mein Vater ist 91, fit und so lebensfroh, dass er bis 5:00 Uhr früh in den Morgen tanzt und noch ein Casanova für die Chicas ist (lacht). Ich hoffe, dass ist erblich. Ich werde jetzt 46 und ich genieße jede Falte, die ich bekomme. Das ist etwas Natürliches, Schönes.

Wenn man Ihr Leben im Buch verfolgt, dann klingt es ein wenig nach dem Märchen von Aschenputtel. Wie viel war Glück, wie viel harte Arbeit?
Über Schicksal kann man nicht viel sagen, aber bei mir war es auch immer viel harte Arbeit. Schon als Kind war ich sehr diszipliniert. Ich habe mir gesagt: Egal was passiert, du musst weitergehen. Noch mehr aber glaube ich, dass es meine Lebensfreude war. Der Optimismus, dass ich etwas schaffen kann, egal in welcher Umgebung ich bin.

Zitiert

Wer will schon weg von einer Insel, auf der immer Sommer ist?

Jorge Gonzalez

Sie sind durch ihr Engagement zum Studium der Nuklearökologie nach Europa gekommen. Dort haben Sie in der Zeit des politischen Umbruchs Ihre ersten Erfolge als Choreograph, Designer und Modell gefeiert.
Für mich war das kein großer Erfolg, sondern eher ein Plan B, mit dem ich Geld verdient habe, um zu überleben und in der Tschechoslowakei bleiben zu können. In dieser Zeit war Europa in Freiheit, aber ich war gefangen in einem freien Land. Ich konnte nicht wirklich frei sein, denn die kubanische Regierung hat uns kubanischen Studenten am 17. November 1989 gesagt, dass ab sofort auch das tschechoslowakische Volk und alle ehemals sozialistischen Länder wie die DDR unsere Feinde wären. Das habe ich nicht verstanden. Ich hatte sechs Jahre in diesem Land gelebt, Freunde gefunden. Um nicht nach Kuba ausgewiesen zu werden, musste ich untertauchen und mich entscheiden: mein Studium abbrechen und zurück nach Kuba gehen oder bleiben. Natürlich habe ich gesagt, dass ich bleibe.

Warum?
Europa war für mich der Traum. Denn schon in der Tschechoslowakei hatte ich angefangen meine Freiheit zu genießen. Dort wurde meine Homosexualität nicht diskriminiert. Die Entscheidung zu bleiben war hart, denn ich war sehr jung. Ich wusste, ich muss wieder von Null anfangen, ohne Unterstützung aus Kuba. Aber das war es, was ich mein ganzes Leben lang geplant hatte. Also hieß es: Jetzt oder nie.

Sie konnten Ihre Chance ergreifen. Wenn es in Kuba möglich wäre, auch so frei zu leben wie in Europa, hätten Sie dann Lust zurückzugehen?
Auf jeden Fall. Wer will schon weg von einer Insel, auf der immer Sommer ist. Ich wäre nach Deutschland und nach Paris gereist, ich hätte mir Schnee angeschaut. Aber ich wäre nie aus Kuba weggegangen. Stalinismus oder Kommunismus interessieren mich nicht besonders, die Wirkung auf die Menschen schon. Die Kubaner lieben ihr Land. Auch wenn man sie reisen lässt, kommen sie zurück.

Bezeichnen Sie sich als politischen Menschen?
Als Kind war alles politisch und das war sehr anstrengend. Aber ich bin politisch, wenn es um die Freiheit des Menschen geht, auch bei Tier- und Umweltfragen.

Würden Sie dafür auch etwas einsetzen?
Auf jeden Fall. Deswegen habe ich auch das Buch geschrieben, denn in Kuba verändert sich etwas, aber noch nicht sehr viel. Viele Leute fragen jetzt: Wie war Kuba? Sie fragen, warum ich aus Kuba weggegangen bin. Viele können sich nicht vorstellen, dass man keinen Pass hatte als Austauschstudent oder dass meine Eltern in Kuba nicht in bestimmte Hotels gelassen wurden, wenn ich sie später besucht habe. Das wollte ich erzählen und deutlich sagen: Kuba braucht Veränderung.

Wird sich Kuba weiter öffnen?
Wir hoffen es, man weiß es nicht. Hier im europäischen Ostblock haben die Leute 40 Jahre gewartet und als es soweit war, konnten sie es kaum glauben und niemand war wirklich darauf vorbereitet. Ich erinnere mich, wie ich am 17. November 1989 extra nach Prag zur Demonstration gegangen bin. Wir haben uns in die Arme genommen und geweint, weil wir es nicht fassen konnten.

Sehnen Sie sich nach der Karibik?
Nein. Dazu bin ich zu sehr hier. Nach drei Wochen auf Reisen vermisse ich meine Couch in Hamburg.

Sie schreiben, Sie haben sich Anfang der 90er Jahre in Deutschland verliebt. Wie kam es dazu?
Von 1990 bis 1994 bin ich immer wieder nach Deutschland gereist. Ich habe mich auch in einen deutschen Mann verliebt, der das ganze Gegenteil von mir war. Immer wenn ich nach Deutschland gekommen bin, war ich von der Sauberkeit, Pünktlichkeit, der Schönheit der Häuser und der Gärten beeindruckt. Alle waren so gut organisiert, nicht laut. Der Bus kam um drei, wenn es am Plan so stand. (lacht)

Gibt es noch etwas anders außer den „deutschen“ Tugenden, das Sie für das Land einnimmt?
Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich etwas lernen wollte. Ich habe das Land als Herausforderung gesehen und ich habe die Toleranz bewundert. Wenn ich damals in extravaganter Kleidung ausgegangen bin, haben mich die Leute angeschaut, sie haben gelacht oder waren schockiert, aber sie haben nichts gesagt. Als ich gesehen habe, dass sich Männer auf der Straße küssen, habe ich mich so gefreut: Du kannst machen, was du willst und keiner sagt zu dir etwas. Du fühlst dich als Mensch. Das war mir sehr wichtig. Das ist mein deutscher Traum.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.