Herr Hader, können Sie nach den Dreharbeiten zu „Der Knochenmann“ eigentlich noch Hühnerbeine sehen?
Hader: Ach, der Brenner, den ich spiele, der mag ja keine. Deshalb musste ich nicht so viele essen, auch wenn alles in dieser Hendlstation spielt. Das war nicht so wie in „Indien“, wo ich einen Schnitzeltester gespielt habe. Vor allem nachdem wir das Stück im Theater aufgeführt haben, konnte ich erst mal keine Schnitzel mehr sehen.
Im „Knochenmann“ gibt es zwar die Szene mit dem Menschengulasch, das war schon ein härterer Fall, aber da es ja nicht echt war (lacht), ging es. Schlimm war allerdings die Schlussszene in der Kühlkammer mit den Rehen, Hasen und Schweinhälften…
Wieso schlimm?
Hader: Der Dreh der Szene hat eine Woche gedauert. Und wegen der ganzen Menschen erwärmte sich die Kühlkammer. Es fing an, zu riechen und nach zwei, drei Tagen war das sehr grenzwertig. Die Ausstattung hatte da nicht dran gedacht. Und weil es sehr schwierig ist, Tiere zu finden, die dann genau gleich hängen und gleich aussehen, sind die alten Tierhälften drin geblieben. Mit dem Ergebnis: Die Cateringleute am Set sind auf ihren Fleischspeisen sitzen geblieben. Alle haben plötzlich vegetarisch gegessen.
Der Film wäre so gesehen auf der Berlinale, wo er Premiere feierte, auch etwas für das „Kulinarische Kino“ gewesen.
Hader: Ja, das stimmt. Aber Geruchskino wäre überhaupt das Beste gewesen. (lacht)
In „Der Knochenmann“ scheinen die Figuren wieder sehr viel näher an der Realität zu sein als in „Silentium“, wo sie sehr überzeichnet waren.
Hader: Wir haben uns wieder mehr an „Komm, süßer Tod“ orientiert. In „Silentium“ kamen die Figuren daher wie in einem Märchen. Sie ließen zwar Projektionen zu, waren aber nicht wirklich greifbar. Beim „Knochenmann“ kommt man den Menschen wieder näher. Ich verstehe zum Beispiel den Mörder. Und bin mir auch nicht ganz sicher, ob ich nicht will, dass er eigentlich davon kommt. Irgendwie hätte er das verdient. Die Menschen sind sehr plastisch und realistisch. Das ganze ist wie ein Alptraum, der sehr viel Ähnlichkeit hat mit der Realität.
Die drei Verfilmungen der Brenner-Romane haben Sie im Trio mit Autor Wolf Haas und dem Regisseur Wolfgang Murnberger entwickelt. Wie gehen Sie dabei vor?
Hader: Am Anfang nehmen wir uns viel Zeit und überlegen uns erst einmal, welchen Roman wir verfilmen wollen und wie weit wir uns mit dem Drehbuch von diesem entfernen wollen. Dass Wolf Haas bei diesen Überlegungen dabei ist, macht einen natürlich mutiger. Man traut sich mehr. Sonst würde man sich immer fragen: Ist das überhaupt erlaubt?
Uns ist es auch wichtig, dass sich der neue Film vom vorherigen unterscheidet. Wir wollen uns nicht wiederholen, wie das sonst bei Fortsetzungen üblich ist. Also überlegen wir uns: An welchen Schrauben wollen wir drehen? Dann schreibt einer von uns die erste Drehbuchfassung – und die anderen fallen über ihn her (lacht).
Besteht die Gefahr, dass viele Köche den Brei verderben?
Hader: Nein, es ist ein Glück, dass wir zu Dritt sind. Wenn eine Figur im Drehbuch etwas Unlogisches macht, dann fällt das einem von uns auf.
In dem Moment, wo die Besetzung feststeht, schreiben wir die Figur dann noch mal auf den Schauspieler hin. Und wenn ich merke, dass einem Schauspieler eine Szene nicht liegt, muss ich sie eben umschreiben.
Sie sind Kabarettist, Schauspieler und Autor…
Hader: Ja genau, man muss alles ein bisschen können.
Hätten Sie Lust, einmal selbst Regie zu führen?
Hader: Ja, sehr. Aber es ist schwer und ich traue es mir eigentlich nicht zu. Ich bin sehr dankbar dafür, dass der Wolfgang Murnberger mich bei diesen Filmen viel mit überlegen lässt. Doch einen ganzen Film als Regisseur zu machen – da bin ich noch nicht soweit.
Wie würden Sie den Brenner in wenigen Worten beschreiben?
Hader: Beleidigt vom Leben. Das Schlechte erwartend. Trotzig wie ein kleiner Junge.
Ich bin zu feige, um trotzig zu sein. Zu gesprächig, um so kantig rüber zu kommen wie der Brenner. Und ich will mehr geliebt werden als er. Das ist der Hauptunterschied.
Und sich selbst?
Hader: Ich bin zu feige, um trotzig zu sein. Zu gesprächig, um so kantig rüber zu kommen wie der Brenner. Und ich will mehr geliebt werden als er. Das ist der Hauptunterschied.
Aber Brenner gibt sich ja dieses Mal auch der Liebe hin…
Hader: Ja. Dieses Mal verliebt er sich so richtig.
Warum spielt im dritten Brenner-Film die Liebe plötzlich so eine große Rolle?
Hader: Dieses Mal sollte viel aus Liebe passieren. Das wollten wir so. Alle furchtbaren Taten, die da begangen werden, passieren aus Liebe oder enttäuschter Liebe. Und wir hatten Lust drauf, dass der Brenner dem ganzen nicht als cooler Detektiv gegenübersteht, sondern es sollte ihn auch voll erwischen. Dass er da quasi rein muss in das Knäuel der verschwitzten, verliebten Menschen und fast nicht mehr von den anderen zu unterscheiden ist. Für uns war das eine Weiterentwicklung der Geschichte. Wir wollten weg, von diesem klassischen Gut und Böse. Wir wollten nicht mehr den Brenner als Detektiv, sondern den Brenner als Menschen.
Und was macht die Liebe mit dem Brenner?
Hader: Die Leute werden immer älter, der Brenner auch. Da versucht er dann auch noch mal was vom Kuchen abzubekommen. Er versucht es mit der Liebe. Und diese Liebe macht ihn zu einem offeneren Menschen. Als sein Freund Berti mit dem Brenner und dessen abgehackten Finger ins Krankenhaus nach Wien unterwegs ist, das Auto auf der Autobahn verreckt und der Finger im aufgetauten Eisbeutel immer wärmer wird, da hat der Brenner Angst um seinen Finger. Und da sagt der Berti zu ihm: „Seitdem Du verliebt bist, da schaust Du viel mehr auf Dich“. Und er fragt ihn „Soll ich die Rettung holen oder die Bestattung… für den Finger?“. Früher wäre der Brenner da beleidigt gewesen. Aber jetzt lacht er.
Die Darstellung von Josef Bierbichler, der den Wirtshausbesitzer Löschenkohl spielt, hat etwas unglaublich körperliches. Es drückt einen förmlich in den Sitz.
Hader: Ja, er ist einfach ein Ausnahmeschauspieler. Ich habe mich neben ihm festhalten müssen, dass ich nicht weggeweht werde. Das war aber ganz in Ordnung so, weil der Charakter im Drehbuch so angelegt war (lacht), er ist dem Brenner weit überlegen. Die Figur des Löschenkohls kann ständig alles dominieren. Ich fand es dann schön, wie wir uns im Film in manchen Szenen doch sehr nahe gekommen sind. Ich hatte beim Spiel ja immer damit zu tun, mich festzuhalten… Aber jetzt auf der Leinwand, sehe ich, es war nicht nur Festhalten, sondern manchmal bin ich auch neben ihm gestanden.
Den Film prägt vor allem das Bösartige und eine gewisse Freude am Ekel. Woher kommt die Faszination für diese menschlichen Abgründe? Ist das typisch österreichisch?
Hader: Der Film ist ganz stark geprägt von Wolfgang Murnberger und Wolf Haas, die immer das Menschliche und damit auch die Abgründe suchen. Über mich kann man dasselbe sagen, da gibt es wahrscheinlich eine Verwandtschaft zwischen uns Dreien. Aber ich möchte nicht sagen, dass das alles typisch österreichisch ist. Ich kann mir auch englische Filme vorstellen, wo das so ist. Ich habe das sogar in den ersten Filmen von Detlev Buck gesehen, also einem Norddeutschen.
Aber es waren und sind doch immer wieder österreicherische Künstler, etwa Thomas Bernhard, Michael Haneke oder auch Elfried Jelinek, die menschliche Abgründe besonders drastisch darstellen.
Hader: Das stimmt. Das sind die Außenseiter, die gerne hinschauen. Wahrscheinlich, weil der Mainstream so gefühllos ist, wollen die Künstler das Publikum bei der Nase nehmen und direkt in den Dreck tauchen – „Da schau! Merkst Du es jetzt endlich?“. In Österreich ist einfach viel mehr möglich als in anderen Ländern. Da sind Politiker im Amt, die wären in Deutschland aufgrund bestimmter Aussagen längst weg. Vielleicht ist die Beschäftigung mit dem Dreck und dem Abgrund eine Antwort auf die Dickhäutigkeit der Österreicher…
Andererseits paart man diese Bösartigkeit häufig mit einer gewissen Eleganz, verpackt Gehässigkeiten als Nettigkeiten. Woher kommt das?
Hader: Ich glaube, diese Eleganz beherrscht der letzte Wiener. Das lernt man in Wien von Anfang an, dass man alles Böse, Gehässige elegant und charmant verpackt. Es gibt eine hohe ironische Kultur. Wenn ich am Vormittag in bestimmte Wiener Kneipen gehe, wo die Langzeitarbeitslosen sitzen, könnte ich da stundenlang zuhören. Die Menschen sprechen in einer geschliffenen Ironie miteinander. Völlig absichtslos. Das ist einfach normaler Dialog. Und von dieser selbstverständlichen Ironie profitiert man auch als Künstler.
In „Komm, süßer Tod“ amüsierte man sich über die Wiener, in „Silentium“ wurden die Salzburger Opfer des schwarzen Humors. Ist es im „Knochenmann“ nun die Landbevölkerung?
Hader: Ja und Nein. Ich hab mir das gerade überlegt: Keine der handelnden Personen stammt eigentlich von dort. Vom Löschenkohl über den Brenner bis hin zum russischen Gangster und der ungarischen Prostituierten – keiner stammt von dort. Das Land ist der Ort, wo es sie hin verschlagen hat.
Wir wollten keine Satire über Provinzzombies machen, wir wollten ganz frei sein von diesen Klischees. Die einzige Attraktion im Film sollten die Menschen sein. So wollten wir eine andere Intensität erreichen, als in den vorherigen Filmen. Und ich denke, dass ist auch aufgegangen. Eine solche Intensität von tragischen und komischen Momenten hatten wir vorher nicht. Hier versteht man die Menschen irgendwie. Die haben alle Wünsche und sind nur tragisch verstrickt. Die sehen dann nur noch ihre Wünsche, mit einer Art Tunnelblick – und dadurch passieren diese furchtbaren Dinge.
Wenn man das Buch kennt kann man sich als Schauplatz der Handlung keinen authentischeren Ort vorstellen als dieses trostlose Wirtshaus unter der Autobahn, mit goldenen Kreuzen im Braunglas der Fenster. Nur, das ist kein Postkartenösterreich…
Hader: Der Originalschauplatz wäre die Südsteiermark gewesen. Eine liebliche Landschaft. Wolfgang Murnberger konnte sich das kaum vorstellen. Und dann haben wir in Niederösterreich das Wirtshaus entdeckt, direkt unter der Autobahnbrücke und waren sehr glücklich.
Wenn man dieses Gasthaus unter der Autobahnbrücke sieht, denkt man sofort, diese Menschen müssen etwas Verzweifeltes haben. Hier kann niemand glücklich existieren. Da ist sofort diese Stimmung, diese Beunruhigung, dass etwas passiert. Wie schaffen Sie das?
Hader: Das ist der Verdienst von Murnberger. Er denkt den Film schon, wenn er noch gar nicht da ist. Intuitiv. Er spürt welche Jahreszeit, welche Landschaft er will. Er sagt, Gott sei Dank ist nicht alles verschneit, sondern das Bild ist von Grau- und Brauntönen geprägt. Und nach eineinhalb Stunden Film in Grau und Braun und mit blassen Innenräumen bricht plötzlich dieser Farbenrausch des Maskenballs an. Wolfgang macht das nicht berechnend. Er spürt einfach, was er braucht. Er arbeitet wie ein Koch: da brauch ich das noch, und hier noch diese Zutat. Und alle Zutaten sind fertig und müssen nur noch zusammengebracht werden. Er ist ein Filmkopp – ein visueller Mensch. Er wirkt auch am Dreh nie wie der große Regisseur. Wenn Leute ans Set kommen fragen die, wer ist denn eigentlich der Regisseur?