Herr Hader, ohne zu viel zu verraten: In „Das ewige Leben“ ist ein Mordverdächtiger selbst Polizist. „Die Polizei dein Freund und Helfer“, sagt man das auch in Österreich so?
Josef Hader: Ja, schon. Ich glaub, das hat schon wer in der Zwischenkriegszeit erfunden. Richtig populär wurde es aber erst in den 50er Jahren. Dazwischen hat es aber auch Himmler verwendet. Den Slogan konnte sozusagen jeder brauchen.
Und? Deckt sich der Spruch mit Ihren Erfahrungen?
Hader: Bei mir schon. Zu mir sind sie immer freundlich, aber ich hab ja nur als Autofahrer mit ihnen zu tun.
Wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit der Polizei?
Hader: Neulich, bei einem Planquadrat am Wiener Gürtel. Ich hatte jemand am Bahnhof abgeholt, aber mein Portemonnaie zuhause gelassen und da war mein Führerschein drin. Da musste ich blasen, wie das eben üblich ist am Samstag in der Nacht. Ich hatte 0,0 Promille und da hab ich dann auch keine Strafe wegen des Führerscheins zahlen müssen.
Ich persönlich hab immer gute Polizeierlebnisse, weil ich immer sofort aus dem Auto aussteige und gleich alles zugebe. Die Polizisten sind ja froh, wenn sie mal jemanden treffen, der nicht schlecht gelaunt ist und herumlügt.
Das Bild der österreichischen Behörden in den Schlagzeilen ist aktuell ein etwas anderes. Als der Student Josef S. 2014 gegen den Wiener Akademikerball demonstrierte kam er sechs Monate in Untersuchungshaft, saß 22 Stunden pro Tag in seiner Zelle, die er lediglich zum Ministrieren und zu einem einstündigen Hofgang verlassen durfte.
Hader: Ich weiß nicht, mit welchen rechtlichen Mitteln man so etwas machen kann. Es gibt bei uns eine Diskussion in den Medien, dass die Untersuchungshaft viel zu exzessiv verhängt wird.
Amnesty International warf den Behörden „Rechtsmissbrauch“ vor, die Verurteilung von Josef S. zu 12 Monaten Freiheitsstrafe wurde vielfach kritisiert, da sie einzig auf der Aussage eines Polizisten basierte, der sich zudem in Widersprüche verwickelte. Beunruhigt Sie so etwas?
Hader: Es hat stark den Anschein, als hätte man hier einfach einen Schuldigen gebraucht und irgendwen genommen, der halt herumsteht. Es gibt diesen Paragrafen des Landfriedensbruch, da macht sich jeder strafbar, der an einer Demo teilnimmt, bei der Gewalt passiert, ohne dass er daran beteiligt sein muss. Dieses Gesetz ist eines demokratischen Staates nicht würdig.
Wie ist es Ihnen bei Demonstrationen ergangen?
Hader: Ich habe die Polizei immer sehr korrekt erlebt. Das waren aber auch immer sehr pazifistische Demonstrationen, die großen Friedensdemos der Achtziger. Als in Hainburg 1985 gegen ein Donaukraftwerk demonstriert wurde, und die Polizei auf Leute eingeprügelte, war ich nicht dabei.
Gewinner, das ist nicht mein Fach.
Sind Sie oft auf Demonstrationen?
Hader: Früher war ich mehr, in letzter Zeit hab ich mich vor allem für Asylsuchende engagiert, und für Familien, die abgeschoben werden sollten, da hab ich eher Geld gesammelt und war auf Pressekonferenzen. Bei der Demonstration auf dem Heldenplatz war ich nicht. Wenn Rechte sich miteinander treffen, um zu feiern und dafür auch noch einen großen Raum wie die Hofburg brauchen, finde ich das sehr bedauerlich. Aber ich denke persönlich, durch den Protest wertet man diese Veranstaltung nur auf. Am Tag danach gibt die FPÖ immer eine Pressekonferenz und verkündet lautstark, dass die Gewalt von links kommt, nicht von rechts. Da besteht für mich die Gefahr, zum nützlichen Idioten für die zu werden. Deswegen habe ich für mich entschieden, nicht dagegen zu demonstrieren.
Ich würde jederzeit für das Recht auf die Straße gehen, gegen den Akademikerball demonstrieren zu dürfen. Aber selber hingehen möchte ich nicht. Wenn ich bei einer Kundgebung von vornherein weiß, dass es da auch Leute gibt, die bewusst Gewalt ausüben wollen, möchte ich das nicht unterstützen. Ich komm eben aus der Friedensbewegung, für mich sind Demonstrationen nur vollkommen gewaltfrei denkbar.
Als Sie 2012 ein Flüchtlingscamp in Wien besuchten, sagten Sie u.a. „Menschenrechte haben in Österreich nur Wähler“ und es gäbe Zustände, die „einer „west bzw. ost-europäischen Demokratie nicht würdig“ seien.
Hader: Die Situation war damals die – und das ist bis heute so – dass alle, die zu uns kommen und um Hilfe bitten, unter wirklich unzumutbaren Umständen leben. Das finde ich in einem der immer noch reichsten Länder der Welt unwürdig. Aber in der Demokratie kann man so etwas oft beobachten: die Leute, die keine Lobby haben, die nicht zur Wahl gehen können – Ausländer, Kinder usw. – die werden ganz klar benachteiligt gegenüber denen, die eine Wählergruppe sind.
So ein politisches Statement, bauen Sie das auch mal in Ihr Bühnenprogramm ein?
Hader: Das Problem ist: Du hast im Kabarett – weltanschaulich gesprochen – fast nur Leute, die eh deiner Meinung sind. Du würdest eine Art politische Kundgebung abhalten, wo alle nur sagen: „Ja, Recht hat er. Ist ein geiler Typ, der hat genau meine Meinung.“ Das ist künstlerisch sehr unergiebig und deswegen möchte ich das nicht machen, sondern versuche, auf der Bühne immer sehr ambivalent zu sein. So dass man als Zuschauer immer genau zuhören muss, weil auch Dinge dabei sein können, die nicht so gemeint sind, wie sie gesagt werden. Das finde ich interessanter als die Leute in ihrer Meinung zu bestätigen.
Aber wenn mal Politiker in Ihre Shows kommen?
Hader: Das passiert bei mir nicht, ehrlich gesagt. Und selbst wenn: Es würde nichts bringen, über einen Politiker herzuziehen – und alle anderen lachen über ihn und fühlen sich gut.
Ich habe Kabarett begonnen, schon in der Schule, da habe ich im Grunde die ganze Kunstform begriffen, als wir Nummern über Lehrer gemacht haben. Die Schüler haben gejohlt, fanden das richtig gut, wir waren ‚Stars‘ in der Schule – und dann habe ich Kabarett im Fernsehen gesehen und gemerkt: Das funktioniert genauso. Es geht vor allem darum, sich an Feindbildern abzuarbeiten. Und sich selber gut zu fühlen.
Das hat Sie dann nicht mehr gereizt?
Hader: Nein, irgendwie ist mir das für eine lebenslange Beschäftigung zu billig erschienen. Ich habe versucht, Formen zu finden, wo die Leute, die im Saal sitzen, ein Stückweit gezwungen sind, über sich selber zu lachen, oder auch über mich zu lachen. Wo die Objekte des Witzes gefährlich nahe sind an einem selber. Wenn man längere Zeit Kabarett macht, finde ich das, zumindest für mich, sinnvoller.
Es gibt Kollegen, die die andere Form grandios beherrschen, aber ich fühle mich damit nach einiger Zeit nicht wohl.
Georg Schramm hat das ja mal gemacht, auf die anwesenden Politiker geschimpft.
Hader: Ja, großartig! Er bekam einen Preis (Kleinkunstpreis von Baden-Württemberg), da saßen viele Politiker und es denen mal richtig reinzusagen, das hat einen Sinn. Es gibt in Österreich aber kaum Kleinkunstpreisverleihungen, wo überhaupt wichtige Politiker versammelt da sitzen. Die einzigen, die dort sitzen, sind die nicht so wichtigen und netteren. Und die will man nicht dafür bestrafen, dass sie jetzt gekommen sind.
Dieter Nuhr sagte uns im Interview: „Kabarett ist mir oft zu schablonenhaft. Die da oben schlecht, wir hier unten gut – das ist so dumm, dass es knallt!“ Teilen Sie seine Auffassung?
Hader: Teilweise. Es gibt halt überall Schlechte und Gute, nicht nur in der Comedy sondern auch im Kabarett. Comedy ist für mich auch nicht nur das, was im deutschen Fernsehen passiert, sondern genauso, was Woody Allen in den 70ern gemacht hat, Bill Hicks in den 80ern oder Lenny Bruce in den 50ern. Ich finde Leute interessant, die an der Schnittstelle zwischen Kabarett und Comedy stehen, wie zum Beispiel Dieter Nuhr. Auch wenn ich nicht wie er der Meinung bin, dass die Bedrohung unseres täglichen Lebens erst mit dem Islamismus begonnen hat, sondern dass es auch schon etwas früher bedroht war.
Durch?
Hader: Durch RAF, NSU, durch die Briefbomben, die hier in Österreich bestimmte Menschen bekommen haben, die sich für Integration und gegen Rechts engagiert haben. Es gab auch schon vor dem Islamismus ein paar Leute bei uns, für die es gefährlich war, auf die Straße zu gehen.
Kann man im österreichischen Fernsehen alles sagen als Kabarettist?
Hader: Das müsste ich mal ausprobieren. Ich bin ja nie im Fernsehen im Österreich. Vielleicht mal in der Talkshow von Stermann & Grissemann, aber eine Kabarettnummer…. – es gibt diese Formate nicht bei uns. Wo natürlich die Frage ist: Warum gibt es die nicht?
Eine sehr gute Gruppe von Kabarettisten, „Wir Staatskünstler“, die richtig gutes politisches Kabarett machen, deren Sendung wurde vor kurzem plötzlich abgesetzt. Vielleicht aus Kostengründen, weil der Eurovision Song Contest so teuer wird….
…der in diesem Jahr in Österreich stattfindet.
Hader: Genau. Das kostet so viel Geld, dass die politische Satire abgesetzt wird, es werden deswegen auch viel weniger österreichische Fernsehfilme gemacht… (lacht)
…was mich tatsächlich noch zu dem Film bringt, aus dessen Anlass wir hier ja eigentlich sitzen. Man erkennt bei „Das ewige Leben“ ja wieder sehr gut, dass das Trio Hader, Haas, Murnberger sehr autonom arbeiten kann.
Hader: Das ist so, weil wir ein kleines Filmland sind und man in Österreich mit Filmen kein Geld machen kann.
Das müssen Sie erklären.
Hader: Es gibt eine staatliche Förderung, die entweder fördert oder nicht. Wenn Sie nicht gefördert werden, haben Sie kaum eine Chance, einen Film zu realisieren.
„Das ewige Leben“ ist also staatlich gefördert.
Hader: Ja, so wie alle österreichischen Filme, da gibt es nur wenige Ausnahmen. Es gibt eine große Bundesförderung und den ORF und wenn beide Nein sagen, brauchst du es nicht probieren.
Der Staat fördert, redet einem aber nicht rein?
Hader: Ja, das glaubt immer niemand, der aus Deutschland zu uns kommt. Wenn du in Österreich einen Kinofilm machst haben Redakteure da nichts zu reden. Und Produktionsfirmen reden inhaltlich auch nicht so stark rein, weil sie gar nicht erwarten, mit dem Film viel Geld zu verdienen. Es gibt keine gewinnorientierten Filmprojekte.
Dafür haben wir dann das Problem, dass die Produktionsfirmen versuchen, möglichst viele Filme gefördert zu kriegen, egal was dann aus denen wird.
Sie scheinen an Ihre Filmprojekte immer mit einem sehr hohen Anspruch heranzugehen. Aus dem Filmprojekt „Die Blumen von gestern“ des Mainstream-unverdächtigen Chris Kraus sind Sie kurz vor Drehbeginn ausgestiegen…
Hader: Da habe ich keine andere Möglichkeit gesehen. Es hat keinen Sinn – auch für den Regisseur nicht – wenn ich in einen Film reingehe, wo ich das Gefühl habe, dass ich die Rolle so nicht spielen kann. Das muss man im eigenen Interesse offen ansprechen. Das Drehbuch hatte eine bestimmte Art zu erzählen, wo ich gesagt habe, dass ich mich damit schwer tun würde, wenn es so geschrieben bleibt. Dann wurde mir zugesichert, dass das Drehbuch umgearbeitet wird, ich bekam dann aber im Wesentlichen dieselbe Fassung wieder zurück. Der Regisseur konnte seinerseits von gewissen Dingen nicht abrücken, und da haben wir beide gefunden, dass es nicht funktioniert.
Zum vierten Mal spielen Sie jetzt den Brenner, diesen etwas runtergekommenen, leicht melancholischen Privatdetektiv aus Wolf Haas‘ Kriminalromanen. Als wir vor zehn Jahren über den sprachen, sagten Sie: „Gewinner darstellen, das haut net hin bei mir“. Wie ist das heute?
Hader: Je älter ich werde, desto weniger kann ich Gewinner darstellen. Das ist aber auch eine ganz natürliche Entwicklung, dass 50-Jährige eher als Verlierer gut sind…naja, vielleicht mit Ausnahme von Tom Cruise oder Liam Neeson, diese bröckeligen Helden. Nein, Gewinner, das ist nicht mein Fach, das kann ich nicht glaubwürdig rüberbringen.
Ich habe hier noch ein Zitat auf meinem Zettel, von einem Landsmann von Ihnen. Ich sprach einmal mit DJ Ötzi über Thomas Bernhard, er sagte: „Der Thomas Bernhard wollte nur provozieren. Das war sein Trick, nicht mehr und nicht weniger. Was er geschrieben hat, war gut, aber es war auch so wie bei Schönberg: ‚Ich mache die normale Musik auf schräg, und das ist dann etwas Besonderes.‘ Manche Leute springen da vielleicht drauf an, aber es ist doch nur Show. Das wissen auch seine Fans, aber die würden das nie zugeben. Wenn einer über sein Land so herzieht, dann hat er es meines Erachtens nicht verstanden. Man beschmutzt nicht das eigene Nest.“
Hader: Schade, das Zitat hat klug angefangen und dumm geendet. (lacht) Wirklich, bis zur Hälfte dachte ich noch, das kann ich unterschreiben. Aber am Schluss nicht mehr. Bernhard hat es ja selbst von sich gesagt, dass er in gewisser Weise ein Übertreibungskünstler ist, dass er die Übertreibung nutzt, um Dinge klarer zu machen. Natürlich gibt es auch Anhänger von ihm, die alles ernst nehmen, die im Sinn des Satzes ernstnehmen, was er geschrieben hat. Das geht dann aber an dem vorbei, was er eigentlich wollte. Religiöse Bernhard-Anhänger würden das jetzt nicht so sehen, insofern stimme ich da mit DJ Ötzi überein.
Aber was das Nestbeschmutzen angeht…
Friedle: Nein, das ist natürlich vollkommener Blödsinn.
Der Autor Daniel Kehlmann sagte mal über Sie: „Josef Hader ist einer der besten Schriftsteller in deutscher Sprache“. Wann kommt Ihr erstes Buch?
Hader: Das ist ein Zitat, das würde ich nicht so unterschreiben wie die erste Hälfte von DJ Ötzi. (lacht)
Ein Buch… nein, sowas kann ich nicht. Würde ich gerne können, würde ich sofort machen, das ist das schönste Leben, Romanautor zu sein, ist ein Traum von mir. Aber ich kann’s nicht.
Die Vorschusslorbeeren hätten Sie ja jetzt schon mal.
Hader: Ja, aber nur weil man gelobt wird, kann man noch nix besser.