Joseph Vilsmaier und Dana Vávrová

Der Rechtsradikalismus ist eine Tragödie.

Die Regisseure Joseph Vilsmaier und Dana Vávrová über ihren Film „Der letzte Zug“, anstrengende Dreharbeiten und die Bedeutung von Filmen über den Holocaust

Joseph Vilsmaier und Dana Vávrová

© Concorde Filmverleih

Frau Vávrová, Herr Vilsmaier, Ihr neuer Film „Der letzte Zug“ zeigt die grausamen Situationen, die Berliner Juden in einem Deportationszug nach Auschwitz durchleben mussten. Das Drehbuch hatten vor Ihnen vier andere Regisseure in der Hand, haben es jedoch abgelehnt. Warum haben Sie zugepackt?
Vilsmaier: Ich glaube, dass diejenigen, die vor uns da waren, das Projekt nicht wegen dem Drehbuch abgelehnt haben. Das hatte andere Gründe. Artur Brauner, der Produzent, hat mich damals während Dreharbeiten in Düsseldorf besucht und mir das Drehbuch gegeben. Er wollte, dass ich gleich auf einem Zettel, der da herum lag, den Vertrag unterschreibe. Das habe ich natürlich nicht gemacht (lacht). Dana und ich haben aber dann das Drehbuch gelesen und sofort gewusst, dass wir diesen Film machen wollen.

Und wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Artur Brauner? Er selbst hat ja durch den Nationalsozialismus viele Verwandte verloren.
Vilsmaier: Am Anfang ging es um das Drehbuch, darum, dass historisch alles stimmt. Dana hat dann in Prag noch eine Frau ausfindig gemacht, die als 14-jährige in einem solchen Zug gesessen hat. Wir haben stundenlang mit ihr gesprochen und sie hat uns sehr viele Anregungen geben können. Am Ende war das Drehbuch viel zu lang. Wir haben mit dem Produzenten diskutiert und auch um gewisse Sachen kämpfen müssen. Das war eine ganz normale Angelegenheit. Im Prinzip konnten wir den Film so machen, wie wir uns das vorgestellt hatten.

Haben Sie besonderen Druck dabei verspürt, diesem Thema der Judendeportation und dem damit verbundenen Schicksal so vieler Menschen gerecht zu werden?
Vávrová: Ja, ich persönlich schon sehr. Mir war ganz wichtig, dass es glaubwürdig ist, dass nichts geschönt wird.

War dieser Druck größer als bei anderen Filmen, weil die Thematik auf Grund ihrer Wichtigkeit in der Geschichte immer noch so sehr im gesellschaftlichen Diskurs ist?
Vilsmaier: Der Druck war am Anfang schon gewaltig…
Vávrová: …wenn man sich dann aber mit der Materie beschäftigt, gibt es ehrlich gesagt keinen großen Unterschied zur Arbeit an einer Komödie oder anderen Filmen. Es kommt zu einem Tagesablauf, wo man einfach an einer Sache arbeitet und sie so gut machen will, wie es gerade geht. Da kann man nicht jeden Tag denken: „Oh Gott, ist das alles schlimm.“

Gab es dennoch Situationen während der Dreharbeiten, in denen Sie an die Grenzen Ihrer eigenen Belastbarkeit gestoßen sind?
Vilsmaier: An die Grenzen meiner eigenen Belastbarkeit bin ich eigentlich nie gestoßen. Ich habe mich mit dieser Zeit immer intensiv beschäftigt, ich bin nach dem Krieg mit jüdischen Kindern groß geworden, ich habe da vieles erfahren und Elend erlebt – insofern habe ich während des Drehs nicht einen so großen Druck verspürt, weil ich vieles kannte.
Vávrová: Mir ging das ganz anders. Ich habe gemerkt, dass es mich mit der Zeit zunehmend belastet hat. Von Anfang an ist man darauf konzentriert, wie man das alles hinbekommt: das Drehen mit den Babys, mit den Kindern – auch mit den Komparsen: Die müssen genauso gut spielen können wie die Profischauspieler, weil es in so einem Ensemble-Film sonst sofort auffällt. Das war sehr anstrengend, auch weil die Produktion dreisprachig war: die Hälfte der Schauspieler waren tschechisch, dazu kamen die polnischen Lokführer …
Die tägliche Vorbereitung war sehr schwer: Sich jeden Tag ausdenken zu müssen, welche der Personen im Waggon jetzt schwächer wird, wer an welchem Tag schließlich stirbt – die ganze Nacht hat man im Kopf nur Leute umgebracht. Nach den Dreharbeiten hatte ich echt genug und habe zwei Wochen einfach Pause gemacht. In dieser Zeit wollte ich meine Ruhe haben, niemand durfte sich mir nähern, schon gar nicht in geschlossenen Räumen. Ich wollte auch nicht in den Schneideraum gehen, stattdessen habe ich einfach mal ein bisschen Abstand genommen, weil ich das psychisch schon schrecklich fand.

Wie hat bei Ihnen eigentlich die Arbeitsteilung funktioniert?
Vilsmaier: Das hat hervorragend funktioniert, weil wir ja schon seit fast 20 Jahren die Filme immer gemeinsam machen. Egal, ob wir gemeinsam Regie führen oder Dana schauspielert, sie ist immer bei der Vorbereitung dabei. Und da kommt sehr viel Fruchtbares heraus, weil wir total gegensätzlich sind.

Inwiefern gegensätzlich?
Vilsmaier: In jeder Richtung. Es befruchtet eben, wenn man unterschiedlicher Meinung ist und man zu verstehen versucht, was der andere will. Oft merkt man auch, dass die andere Idee die bessere war und man selbst nicht Recht hatte. Das war auch hier das Tolle.

Zitiert

Die ganze Nacht hat man im Kopf nur Leute umgebracht.

Joseph Vilsmaier und Dana Vávrová

Wie sah Ihre Zusammenarbeit konkret am Set aus?
Vilsmaier: Es war klar, dass die Dana im Zug bei den Schauspielern ist und ich draußen am Monitor . In den Zug konnten ja auch gar nicht alle rein: Da waren so viele Menschen, es war so eng, und das jeden Tag bei fast 50 Grad Hitze. Mit der Zeit bekam man auch annähernd ein Gefühl dafür, was passiert, wenn du sechs Tage ohne Trinken und Essen in so einem Zug eingesperrt bist. Jeder von den Komparsen konnte diese Situation irgendwann nachvollziehen.

Haben Sie denn jemals versucht, sich in die Situation der Menschen in einem solchen Deportationszug hineinzuversetzen und sich auszumalen, wie Sie sich verhalten hätten?
Vilsmaier: Darüber habe ich mir oft Gedanken gemacht: Was hätte ich gemacht, wenn ich da drin gewesen wäre? – Ich weiß es nicht, keine Ahnung. Ich habe mir überhaupt viele Gedanken gemacht, weil es natürlich Leute gibt, die sich fragen: „Was brauchen wir schon wieder so einen Film?“
Vávrová: Ich glaube, es ist wichtig, Stellung zu beziehen, zu sagen, was unsere Meinung ist. Und unsere Meinung ist einfach, dass der Rechtsradikalismus eine Tragödie ist, dass sich die Geschichte nicht wiederholen darf und wir darauf irgendwie aufmerksam machen wollen.

Wie schwierig ist es, mit diesem Film die Leute zu erreichen, bei denen er noch etwas bewirkt? Man hat ja oft das Problem bei guten, wichtigen Filmen dass ihn sich nur die Leute ansehen …
Vilsmaier: …die man gar nicht erfassen muss, weil sie sowieso schon anders denken.

Genau.
Vávrová: Es wäre schön, wenn Lehrer mit ihren Schulklassen in den Film gehen würden. Aber sie sollen die Kinder bitte nicht mit dem Film allein lassen, sondern mit ihnen darüber sprechen und diskutieren. Da können wirklich interessante Gespräche entstehen.

Haben Sie die Befürchtung, dass ohne Filme wie „Der letzte Zug“ die Geschichte in Vergessenheit gerät?
Vávrová: Nicht nur in Vergessenheit. Es gibt ja so wahnsinnig viele Leute in diesem Land, die den Holocaust leugnen und erzählen, dass es so etwas nicht gegeben hat. Das werden immer mehr und das macht mich wahnsinnig wütend.
Vilsmaier: Bei „Schindlers Liste“ gab es damals ja ein riesiges Echo in der Presse. Wunderbar, der Film hat sechs Millionen Zuschauer gehabt. Jetzt sind wir natürlich nicht Steven Spielberg und es geht bei diesem Film auch nicht ums Geld. Wir haben das letzte Jahr an diesem Film gearbeitet, ohne dabei einen Euro verdient zu haben, einfach weil es uns so wahnsinnig wichtig war. Aus meiner Sicht ist der Film schon ein Erfolg, wenn man nur ein paar Leute erreicht. Zum Beispiel habe ich einem Freund den Film auf DVD geschickt und nachdem er ihn angeschaut hatte, rief er mich an und sagte, er sei nach dem Film ins Schlafzimmer gegangen, wo seine beiden Kinder schliefen und hat sie sich einfach nur angesehen. Das ist doch eine tolle Aussage.

Herr Vilsmaier, Sie sind 1939 in München geboren, Ihre Frau, Jahrgang 1967 kommt aus Prag, konnte die Geschichte demzufolge mehr von außen betrachten. In wie weit war das wichtig für den Film?
Vilsmaier: Die Dana hat sich ja schon als junge Schauspielern ein Jahr lang jeden Tag zwölf Stunden mit dem Thema auseinandergesetzt, als sie die Holocaust-Serie „Ein Stück Himmel“ gedreht hat, von daher wusste sie da sehr viel.
Vávrová: Und wir wurden damals in der Tschechoslowakei in der Schule nicht so spät informiert wie es in Deutschland der Fall war. Seitdem ich auf der Welt bin, weiß ich, dass es dieses Verbrechen gab. Und damals als Kind hatte ich bei „Ein Stück Himmel“ schon schlaflose Nächte.

Auf den deutschen Bahnhöfen, die „Der letzte Zug“ durchfährt, sind immer wieder auch unbeteiligte deutsche Zivilisten zu sehen. Haben Sie sich auch mit der Frage der Kollektivschuld der Deutschen beschäftigt, mit denjenigen, die von den Deportationen gewusst, aber nichts unternommen haben?
Vilsmaier: Es war schon so gewollt, dass es im Film kleine Hinweise darauf gibt. Ich wage nicht darüber zu urteilen, wer damals was gewusst hat. Aber ich weiß, dass von Berlin-Grunewald, Gleis 17, bis zu 1800 Menschen täglich wegtransportiert wurden – das ist ja alles dokumentiert. Und die Züge mit den Menschenmassen müssen zwangsläufig auch an den ganzen Villen vorbeigefahren sein, da gab es ja keinen Tunnel. Also gehe ich davon aus, dass es die Menschen dort gewusst, aber nichts gesagt haben.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.