Jovanotti, Sie leben seit drei Jahren in New York. Vermissen Sie schon den italienischen „Way of Life“?
Jovanotti: Nein. Denn ich hatte nie das Gefühl, meine Wurzeln gekappt zu haben. Für mich ging es immer darum, die Welt zu bereisen, aber auch bereit zu sein, zurückzukehren. Man verlässt seine Heimat, aber im Herzen weiß man, dass man wiederkommt.
Eigentlich ist es sogar das Gegenteil: Je länger ich von Italien weg bin, desto mehr fühle ich mich meiner Heimat und meinen Wurzeln verbunden. Distanz kann ja manchmal sehr hilfreich sein, um eine Verbindung zu erneuern. Durch die Distanz, durch die Perspektive von außen wird der Blick klarer.
Sie haben also gerne Heimweh?
Jovanotti: Für einen Künstler ist ein Gefühl von Verlust oder Trennung eine gute Sache. Denn das Material, mit dem ich arbeite, ist ja die Emotion. Manchmal musst du dich eben in eine Situation bringen, die starke Gefühle verursacht. Wenn das Leben dir nicht auf die Sprünge hilft, musst du dem Leben auf die Sprünge helfen Du musst deine Komfortzone verlassen, dir einen neuen Blickwinkel verschaffen.
New York ist eine wunderbare Stadt, ich empfinde es als Privileg, dort zu sein. Als ich jung war, als DJ, als ich mich in Musik verliebte, da war es mein Traum, einmal nach New York zu reisen, wo man die ganze Welt quasi komprimiert in einer Stadt hat.
Wenn Sie über Wurzeln sprechen, meinen Sie dann auch Ihre musikalischen Wurzeln?
Jovanotti: Ja, sicher. Wenn man als Italiener auf Amerika schaut, dann träumt man ja erstmal davon, HipHop zu machen, oder Funk. Aber dann kommst du dort an und merkst: Für Funk oder HipHop brauchen die dich gar nicht, das haben sie schon alles selbst. Du kannst nur Dinge beitragen, die sie noch nicht haben.
Was zum Beispiel?
Jovanotti: Meine italienische, romantische Haltung, vermischt mit Funk und HipHop – was ich übrigens auch zu meinen musikalischen Wurzeln zähle. Denn ich bin nun mal ein Italiener des 20. Jahrhunderts, sprich ich muss nicht mehr auf der Mandoline vor einem Balkon spielen. Sondern heute Italiener zu sein, bedeutet eben auch zum Beispiel elektronische Musik zu hören. Ich bin mit HipHop aufgewachsen, mit Rock’n’Roll.
Sicher habe ich als Kind auch Musik gehört, die meine Eltern hörten, das hat mich auch beeinflusst…
Sprechen Sie von den sogenannten „Cantautori“?
Jovanotti: Ja, das ist in Italien die Musik, die jeder mitbekommt, ob er will oder nicht. Deine Eltern hören das, dein älterer Bruder, du wächst damit auf… Die Cantautori waren früher für mich, und generell für die italienische Jugend, sehr wichtig.
Welche Rolle spielt diese Tradition heute?
Jovanotti: Es fällt mir schwer zu beurteilen, was für Musik heute wichtig ist. Früher war das einfacher, ich bin noch zu einer Hitparaden-Zeit groß geworden, da war alles ziemlich klar, da hörten die Jugendlichen Rock, Punk oder HipHop. Irgendwann hat sich das aber alles vermischt. Heute hörst du erst Pharrell, dann James Blake und dann einen alten Song von The Clash – das ist die neue Welt.
Ich steige gerne mit Casting-Künstlern in den Ring.
Die italienischen Charts zumindest sind von italienischem Pop dominiert. Könnte der auch in den USA erfolgreich sein?
Jovanotti: Nein, nicht wirklich. Der einzige italienische Künstler, der in den USA erfolgreich ist, das ist Andrea Bocelli. Und Bocelli macht keinen Pop.
Popmusik in Italien ist heute größtenteils mit den Casting-Shows verbunden, die den großen Plattenfirmen den Umsatz retten.
Waren Sie schon mal als Gast oder Juror in solchen Shows?
Jovanotti: Nein, noch nie. Man hat mich oft eingeladen, aber ich dachte nie, dass das etwas für mich ist. Es ist ja eine TV-Show, da geht es nicht um Musik, solche Sendungen inspirieren mich als Musiker nicht. Es sind gute TV-Produkte, einige Shows sind sehr gut produziert, aber mit Musikkultur hat es nicht wirklich etwas zu tun. Oder ich bin einfach zu alt dafür, zu sehr Snob. (lacht)
Wobei, nein, ich bin schon eher das Gegenteil von einem Snob. Denn ich mag Plastik-Musik, ich habe da überhaupt nichts dagegen, meine eigene Musik ist schließlich auch Pop. Und da bin ich stolz drauf. Mir gefällt es, in den Top 10 zu sein, im Radio gespielt zu werden, ich bin gerne Pop.
Und ich mag es, mit einem Casting-Künstler zu konkurrieren, in den Ring zu steigen. Mit jemand, der vielleicht 20 ist, der mein Sohn oder meine Tochter sein könnte. Wir kämpfen gegeneinander um die Nummer 1, das hält mich fit.
Platz 1 zu erreichen ist Ihnen also immer noch wichtig?
Jovanotti: Natürlich! Mir gefällt es auch, wenn ein Song, den ich komponiert habe, dann auf einmal passt und so eine Resonanz findet. Ich bin ja als Künstler in meiner Kreativität völlig frei, niemand setzt mich unter Druck, außer ich selbst. Ich habe gerade eine Stadion-Tour hinter mir, mit einer halben Million Besucher. Um so viele Leute zu erreichen, musst du immer drauf achten, dass deine Musik die Herzen der Leute erreicht.
Die Ambition Nr. 1 zu sein, haben Sie die auch in den USA?
Jovanotti: Nein, hatte ich nie. Obwohl ich viel Zeit in meine US-Karriere investiere. Da geht es mir aber nicht darum, an der Spitze zu sein, sondern darum, dass ich auf Festivals spielen kann, in Rock’n’Roll-Clubs, dass ich durch Städte touren kann oder auch in Südamerika Konzerte geben kann. Ich würde auch gar nicht sagen, dass ich so ein überaus ambitionierter Musiker bin. Musik ist einfach der Mittelpunkt meines Lebens, es dreht sich bei mir immer alles um Musik.
Ihr aktuelles Album umfasst 30 Songs, in viele verschiedenen Stilen: Funk, Electro, Latin-Rhythmen, Hiphop usw. Was kann man als Zuhörer von einem Jovanotti-Konzert erwarten?
Jovanotti: Man kann ein richtiges musikalisches Abenteuer erleben. Ich bewege mich durch verschiedene Genres und Stimmungen, aber der Kern – die Glaubwürdigkeit der Musik, die Spannung – bleibt immer erhalten. Ich kann von Afrobeat zu einem sehr langsamen Song wechseln, für mich, und ich glaube auch für das Publikum fühlt sich das ganz natürlich an.
Das ist wie beim Film: Manche Regisseure drehen Thriller, andere Komödien oder Liebesfilme – und manche kombinieren die Genres. Erst eine romantische Szene, dann ein Kopfschuss und dann kommt ein Zombie. (lacht)
Ihr aktueller Song „Il mondo è tuo“ klingt sehr optimistisch, vor allem in einer Zeit, wo wir viele Krisen und Konflikte erleben. Sind Sie Optimist?
Jovanotti: Also, das Wort „optimistisch“ ist schon so sehr abgenutzt, dass es manchmal fast wie ein Synonym von „dumm“ aufgefasst wird. Aber manchmal, ja, bin ich optimistisch. Optimismus ist für mich eine Form von Widerstand. Für mich bedeutet das nicht, Probleme auszublenden, sondern mein Optimismus ist eine Art Rebellion, eine Kampfstrategie, eine Art politische Haltung.
In „Il mondo è tuo“ und auch ganz generell mit meiner Musik, versuche ich zu bekräftigen, dass man immer noch eine Wahl hat, dass man auf Dinge reagieren kann, die einem nicht gefallen. Das ist im Grunde eine sehr simple Botschaft. Doch es gibt leider viel zu wenig Menschen, die auf all diese negativen Katastrophen-Visionen unserer Zeit reagieren, besonders in Europa.
Wenn ich sage, „die Welt gehört dir“, dann meine ich nicht diese Art Utopie nach dem Motto „die Zukunft gehört dir“. Sondern mir geht es ganz einfach um das Leben, das Aroma des Lebens. Dass du dich frei fühlst und nicht wie ein Unterworfener. Dass du für deine Individualität und für deine persönlichen Träume und Wünsche kämpfen kannst, dass du es schaffen kannst.
Das klingt jetzt ein wenig nach dem „American Dream“…
Jovanotti: Also, wenn am in den USA ist, merkt man, dass es viele Dinge gibt, die nicht funktionieren, aber eines funktioniert dort immer: Das ist dieser verrückte Optimismus, den die Leute sich immer bewahren. Ich selbst stamme ja aus einem totalen Arbeiterumfeld, aber heute weiß ich, dass es nicht darauf ankommt, wie viel Kraft zu hast, sondern welche Position zu deinem Leben einnimmst. Das macht an Ende den Unterschied.
Im Jahr 2000 haben Sie bei Italiens wichtigstem Musik-Festival in Sanremo einen Song gesungen, der heute immer noch sehr relevant erscheint…
Jovanotti: Sie meinen „Cancella il debito“? Ja, ich erinnere mich gut. Der Song wurde übrigens nie auf einer Platte veröffentlicht.
In dem Rap-Song ging es um die Forderung, den ärmsten Ländern ihre Schulden zu erlassen. Wie blicken Sie heute auf diesen Auftritt zurück?
Jovanotti: Das war sehr wirkungsvoll, das hat damals die Politiker auch erreicht. Man hatte mich nach Sanremo eingeladen und ich wusste, dass ich ein Publikum von 15 Millionen Menschen habe, also habe ich diese Plattform genutzt, um etwas zu sagen. Mir war klar, dass das am nächsten Tag auf der Titelseite aller Zeitungen sein würde.
Wenn ich heute nochmal in so eine Situation kommen würde, wo ich sehe, dass so eine Aktion, so ein Skandal nützlich ist, um das Bewusstsein der Leute zu verändern, dann würde ich es auch wieder tun.
Könnten Sie sich vorstellen, den Song heute in Bezug auf die Griechenland-Krise zu singen? Auch bei Griechenland wird seit langem von Politikern und Aktivisten ein Schuldenschnitt gefordert.
Jovanotti: Nein. Das ist eine völlig andere Situation. Damals ging es um extreme Armut, um Länder, die Jahrzehnte Hunger litten, das war eine andere Zeit. Es ging um die Millenniums-Ziele und die Schulden der extrem armen Länder, wo die Leute noch weniger hatten als eine Tasse Reis.
Nein, das wäre so, als wenn ich ein Liebeslied einer bestimmten Frau widme und es dann später mit dem gleichen Text einer anderen vorsinge.
Ihr damaliger Auftritt in Sanremo war sehr emotional, Sie wirkten rebellisch und voller Wut. Jemand, der heute dieses Video sieht und dann Ihr aktuelles Album hört, würde sich vermutlich fragen, ob es sich um den gleichen Künstler handelt. Wie würden Sie diese Veränderung beschreiben?
Jovanotti: Was sich verändert hat? Ich bin heute der Meinung, dass wütend zu sein nichts verändert. Die Leute zu unterhalten und dabei ihren Geist anzuregen, kann heute viel hilfreicher sein. Ein Song über die Schulden armer Länder bringt nichts, da ist selbst ein Posting auf Facebook wirkungsvoller. Ich singe heute über kleinere Dinge, die aber für dein Leben entscheidend sind. Was ich als Musiker tun kann ist nicht, dich über die Schulden zu informieren – das weiß doch sowieso jeder. Was ich tun kann, ist dir Emotionen zu geben, dich das Leben spüren lassen, wenn du einen Song von mir im Konzert hörst.
Mir geht es auch gar nicht darum, auf der richtigen Seite zu stehen, ich bin lieber auf der falschen Seite.
Wie meinen Sie das?
Jovanotti: Auf der Seite des Pop. Pop gilt als primitiv, aber mit meiner Musik kann ich Leute dazu bringen, dass sie sich lebendig fühlen, dass sie lächeln und denken: „Yeah, was für ein schöner Tag heute!“
Warum ist das die „falsche“ Seite?
Jovanotti: Es ist die gefährlichere Seite, da bist du viel mehr angreifbar. Und ich will angreifbar sein mit meiner Musik. Ich will nicht „der Richtige“ sein, wo alle klatschen und sagen, „ja, der Jovanotti, der ist korrekt, der ist gegen die Reichen und für die Armen“.
Es geht Ihnen nicht um „Political Correctness“…
Jovanotti: Nein. „Political Correctness“ spielt für mich überhaupt keine Rolle, um so etwas geht es mir nicht. Wenn, dann will ich wirklich bei den Armen sein. Und um bei ihnen zu sein, musst du ein guter Künstler sein, ein guter Musiker, der wundervolle Songs macht. Ich mag es zum Beispiel, wenn meine Songs auf Hochzeiten gespielt werden, oder auf Beerdigungen, an Geburtstagen. Oder wenn drei Typen im Auto sitzen, einen Song von mir hören und zusammen mitsingen. Das sind Dinge, die ich erreichen will. Ich werde in zwei Jahren 50. Und ich will heute Musik machen, die die Leute glücklich macht, die sie daran erinnert, wie wichtig ihr Leben ist, auch wenn sie sich manchmal verloren fühlen, in diesem Meer von Meinungen und Konflikten.
Als ich einmal mit Chris de Burgh über politisch engagierte Popstars wie Bono sprach, meinte er „Popstars können rein gar nichts verändern. Sie werden von Politikern ignoriert, außer es gibt einen guten Foto-Termin.“
Jovanotti: Das weiß ich nicht, da wäre ich mir nicht so sicher. Bono ist sehr ehrlich mit allem, was er tut, und er ist sehr talentiert. Meine Generation ist auch die Generation von „Live Aid“. „Live-Aid“ war sehr wichtig für mich als Kind und ich kann nicht leugnen, dass mich all diese Künstler, die sich dort engagiert haben, sehr beeinflusst haben.
Chris de Burgh zumindest bezweifelt, dass die Appelle der Popstars eine Wirkung haben.
Jovanotti: Nun, es vergeht kein Tag, an dem ich nicht darüber nachdenke, was ich zum Beispiel angesichts der vielen Flüchtlinge tun kann. Was kann da wirkungsvoll, was kann da nützlich sein? Jeden Tag frage ich mich das.
Und die Antwort?
Jovanotti: Meine Antwort ist heute, dass ich versuche meinen Job so gut zu machen wie ich kann. Und den Leuten zu vermitteln: Dein Leben kann nicht von anderen bestimmt werden. Das ist eigentlich die Botschaft von all meinen Songs. Von jedem einzelnen Song.
Ich denke jetzt an „Imagine“ von John Lennon, ein wunderbarer Song. Aber die Liebeslieder der Beatles sind trotzdem noch kraftvoller. Elvis kann deine Seele genauso gut befreien wie Songs von Bob Dylan. Es geht nicht um die Signifikanz der Wörter, die du singst, sondern um Energie.
Ich kann versuchen zu bewirken, dass die Leute sich frei fühlen, dass die Leute merken:, das Leben passiert jetzt, in diesem Moment. Darum geht es. Auf die Bühne zu gehen mit geballter Faust und zu singen „wir sind gegen die Mächtigen“ – ja gut, dann bekommst du Applaus. Aber dann gehst du von der Bühne, nach Hause und hörst die Beatles.
Musik ist eine Verbindung zwischen Menschen. So eine Verbindung kann ich schaffen. Damit die Leute merken, dass ihre Mitmenschen genauso menschlich sind wie sie selbst.
Können Sie zum Schluss noch sagen, welche Musik aus Deutschland Sie besonders mögen?
Jovanotti: Krautrock und Kraftwerk. Kraftwerk war mit Sicherheit eine der zehn einflussreichsten Bands der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Früher habe ich auch viel deutschen HipHop gehört, in den 90ern.
Und von heutiger Musik?
Jovanotti: Da fällt mir ehrlich gesagt nichts ein. Ich wollte jetzt Avicii oder Tiesto sagen, aber die kommen ja nicht aus Deutschland. (lacht)