Jürgen Roth

Die Mafia-Realität wird verdrängt.

Mafia-Experte Jürgen Roth über Ausbreitung der Mafia in Ostdeutschland, Unwissen der Bevölkerung, Rückendeckung für Mafiosi von der deutschen Justiz und den "Betriebsunfall" von Duisburg

Jürgen Roth

© Hartmuth Schröder/Eichborn Verlag

Herr Roth, welche Mafia-Clans arbeiten Ihren Recherchen nach in Deutschland?
Jürgen Roth: Eigentlich fast alle, wenn wir die italienische Mafia betrachten. Die kalabresische Mafia, die `Ndrangheta, genauso wie die sizilianische Mafia, die Cosa Nostra, die Camorra und die apulische Mafia, die Sacra Corona Unita. Alle kooperieren  hier teilweise miteinander.

In welchen Bereichen ist die italienische Mafia tätig?
Roth: Es gibt zwei Bereiche. Das ist insbesondere der Bereich Restaurants, Hotels, Immobilien, wo ganze Häuserzüge, Grundstücke aufgekauft werden. Auch im Kredit – und Bauwesen und im Groß- und Einzelhandel ist die italienische Mafia führend vertreten. Geschäftsbereiche sind natürlich  Geldwäsche, Schutzgelderpressung und natürlich der Drogenhandel. Die ´Ndrangheta ist führend im Kokainhandel – und das wirkt sich auch hier in Deutschland entsprechend aus. Die Sacra Corona Unita wiederum ist im Tourismusbereich sehr aktiv, beispielsweise an der Ostseeküste, wo es zum Teil sehr große Hotels und zahlreiche Restaurants gibt, die mit dem Geld der Mafia finanziert wurden.

Die entsprechenden Landeskriminalämter bestreiten aber Aktivitäten der italienischen Mafia in Deutschland.
Roth: Das ist schlichtweg gelogen. Es gibt doch Auswertungsberichte des Bundeskriminalamtes. Im  letzten Bericht vom November 2008 werden die Dependancen der ´Ndrangheta in den neuen Bundesländern detailliert beschrieben, wer dazu gehört, welche Familien das sind etc. Und das betrifft in Ostdeutschland insbesondere Erfurt. Hier regieren bekannte Mafiafamilien aus San Luca. Erfurt ist für die neuen Bundesländer der wichtigste Stützpunkte für die ´Ndrangheta, mit Filialen in Weimar und Leipzig. Es ist mir vollkommen unverständlich, warum diese Realität verdrängt wird.

Wie erklären Sie sich das Verhalten der Landeskriminalämter?
Roth: Die italienischen Ermittler erklären es mit Engstirnigkeit und geradezu historischer Blindheit dem Problem Mafia gegenüber. Man versteht hier nicht, oder man will nicht verstehen, was es eigentlich heißt, einer Mafiaorganisation zugehörig zu sein. Der Grund dafür kann Dummheit sein, Faulheit, man verdrängt das Problem, weil man es nicht wahrhaben möchte, oder es gibt eine unheilvolle Verquickung mit Repräsentanten und Strohleuten der Mafia, was in Erfurt eine gewisse Rolle spielen dürfte.  Zudem fehlen die personellen und finanziellen Ressourcen für die Ermittler.

Haben Sie denn Hinweise darauf, dass es bei den Landeskriminalämtern Verstrickungen mit der italienischen Mafia gibt?
Roth: Es gibt innerhalb des Landeskriminalamtes in Thüringen in diesem Zusammenhang sicher keine Korruption. Das gleiche gilt für Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Doch in Sachsen-Anhalt bin ich mir da nicht ganz so sicher. Dort sind Camorra und Ndrangheta nachweislich vertreten und sie verfügen anscheinend über Beziehungen zu einer politischen Partei in Halle. Sie werden dort geschützt, während Vertreter, die keiner Mafiaorganisation zuzuordnen sind, über Schwierigkeiten klagen. Die einen können ungehindert agieren, ungehindert erpressen, während die anderen Probleme haben, wenn es um Betriebserlaubnis usw. geht. Das zumindest geben sie an, während die Stadtverwaltung in Halle dies alles dementiert, ohne jemals die Betroffenen gehört zu haben.

Seit wann sind die neuen Bundesländer Ziel der italienischen Mafia?
Roth: Die italienische Mafia ist seit Mitte der 90er Jahre in den neuen Bundesländern aktiv. Nach dem Fall der Mauer flossen bereits Milliardenbeträge. Im Zusammenhang mit Privatisierungen gab es ja verschiedene Möglichkeiten, sich in Betriebe einzukaufen, Grundstücke zu erwerben. Die Fabriken sind zwar alle kaputt gegangen, aber die dubiosen Investoren aus Kalabrien oder Sizilien, bzw. deren Strohleute, waren dann in Besitz der Grundstücke. Und Immobilien sind für die Mafia schon immer ein wesentliches Instrument zur Geldwäsche gewesen. Die italienischen Ermittlungsbehörden wissen das seit Ende der 90er Jahre. Doch wenn Sie heute offizielle Stellen in den neuen Bundesländern fragen, erhalten Sie nur die lapidare Antwort: Wir haben hier keine italienische Mafia. Auch wenn die parlamentarische Anti-Mafia-Kommission in Italien und des Bundeskriminalamt sagen, dass es diese Dependancen in den neuen Bundesländern gibt.

Umstritten ist nun ein von Ihnen recherchierter Fall in Leipzig. Das dortige Landgericht hat verfügt, dass der Name eines Leipziger Gastronomen in Ihrem Buch geschwärzt werden muss. Ist es  für Sie eine Tatsache oder nur ein Verdacht, dass diese Person  mafiosen Strukturen zuzuordnen ist?
Roth: Es geht nicht darum was ich glaube sondern was das Bundeskriminalamt  festgestellt hat. Und das hat, aufgrund der Kooperation mit der  Staatsanwaltschaft, festgestellt, dass die von mir im Buch genannte  Person diese Beziehungen hat. Darüber zu berichten ist notwendig.

Warum stuft die Justiz in diesem Fall das Interesse des Klägers  höher ein als das Informationsinteresse der Öffentlichkeit?
Roth: Ich glaube die Justiz im Allgemeinen hat immer noch nicht verstanden  was a. Mafia ist und b. welche Bedrohung von ihr ausgeht. Daher wiegt  das Persönlichkeitsrecht höher als die Berichterstattung über schwerwiegende Verdachtsmomente.

Zitiert

Ich glaube die Justiz im Allgemeinen hat immer noch nicht verstanden was a. Mafia ist und b. welche Bedrohung von ihr ausgeht.

Jürgen Roth

Was müsste auf politischer und gesetzlicher Ebene geschehen, damit  Mafiosi in Deutschland keine Rückendeckung der Justiz mehr bekommen?
Roth: Bildung, Bildung und gezielte Aufklärung über die Mafia im allgemeinen  und die italienische Mafia im besonderen. Und natürlich ein Antimafiagesetz wie in Italien, das auch die Beschlagnahme von Vermögenswerten vorsieht, wenn der Verdacht besteht einer Gruppe mafiosen Charakters anzugehören. Also die Beweislastumkehr.
Wir haben Gesetze, die der Entwicklung der neuen modernen Mafia nicht mehr entsprechen.

Die deutschen Behörden verwenden das Wort  „Mafia“ allerdings auch gar nicht, offiziell heißt es nur „OK“, sprich organisierte Kriminalität.
Roth: Ich lehne diese Art der Verharmlosung durch eine technokratische Wortwahl ab. Weil die Begrifflichkeit der „organisierten Kriminalität“ die kriminelle Sprengkraft für eine Gesellschaft nur verniedlicht. Im Grunde genommen ist das Wort „Mafia“ viel klarer und deutlicher, auch viel emotionaler. Mafia ist viel mehr als organisierte Kriminalität. Der Siemens-Konzern z.B., da ist ja vieles organisierte Kriminalität, auch nach Einschätzung des Bayerischen Landeskriminalamtes. In Italien wären die Betroffenen aufgrund der italienischen Gesetzeslage, der Mitgliedschaft in einer Vereinigung mafiosen Charakters, schon ein Fall für den Staatsanwalt. Auch Heinrich von Pierer, der ehemalige Vorstandsvorsitzende und einstige Berater der Bundesregierung, würde dazugehören, hätten wir die italienischen Gesetze.

Da ist die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit aber doch eine andere…
Roth: Wir sagen in Deutschland natürlich gerne, die Mafia sei ein Problem der Italiener, wir hätten damit nichts zu tun. Doch das ist Unsinn. Erstens gibt es eine enge Vernetzung zwischen den jeweiligen Mafia-Organisationen und deutschen Strohleuten und Unterstützern in Banken und Wirtschaft. Und zweitens sind sie Teil unserer politischen Kultur geworden. Wir haben eine deutsche mafiose Kultur, im wahrsten Sinne des Wortes, und das ist der Nährboden für alles was mit Geldgier, mit Beuteverhalten, Klientelismus und mit fehlenden ethischen Kategorien zu tun hat. Es geht nur noch um das Bedienen des eigenen Klientels, nicht mehr und nicht weniger. Und Klientelwirtschaft, die Durchsetzung von Partikularinteressen ist die Urform der italienischen Mafia wie des kapitalistischen Systems.

Und das Problem wird nicht behoben, weil es zu viele unter den Tisch zu kehren wollen?
Roth: Ich glaube, die Polizeibeamten vor Ort würden in der Tat gerne ermitteln und einige tun das ja auch. Bei der nächsten Hierarchieebene, der Polizeiführung, ist es schon wieder etwas Anderes. Die sagen: Es werden ja keine Straftaten begangen und von daher gibt es kein Problem. Das dort schwerwiegende Straftaten geplant und anderswo ausgeübt werden wird verschwiegen. Diese Denkweise hatte auch das Bundeskriminalamt, bis zu den Vorfällen in Duisburg. Man sagte: Es gibt keine großen Bluttaten, nur ein paar Raubüberfälle, ein paar Schutzgelderpressungen, einzelne Morde, man erkennt jedoch nicht die Strukturen. So hat man in der Vergangenheit das Problem negiert. Erst nach dem Massaker in Duisburg ist man plötzlich aufgewacht.

Am 15. August 2007 wurden in Duisburg sechs Italiener im Alter zwischen 16 und 39 Jahren bei einem Anschlag der kalabresischen ’Ndrangheta getötet…
Roth: …und das Faszinierende an dem Problem mit der italienischen Mafia ist: Es muss erst viel Blut fließen, damit die Leute aufmerksam werden. Allerdings, wenn Blut fließt, ist das schlecht organisierte Kriminalität. Weil dann die Öffentlichkeit aufgeweckt wird, die Polizei muss ermitteln – das ist sicher nicht Teil des Geschäftsmodells der italienischen Mafia. Weder die ´Ndrangheta noch die Cosa Nostra hat Interesse daran, dass hier durch ein solches Massaker die Öffentlichkeit aufmerksam wird. Wenn ein oder zwei Italiener erschossen worden wären, was in der Vergangenheit ja häufig in Deutschland vorgekommen ist, hätte sich sicherlich niemand aufgeregt.

Sie schreiben, dass die italienische Mafia in Deutschland jährlich 150 Milliarden Euro umsetzt. Was bemerkt denn der normale Bürger davon?
Roth: Die Bevölkerung bemerkt erst mal relativ wenig davon. Sie zahlt aber letztlich, wie immer, die Zeche. Die Mitglieder der ´Ndrangheta betreiben in der Regel keine Raubüberfälle, sie überfallen keine alten Frauen und klauen deren Handtaschen. Sondern sie versuchen über die Banken Einfluss auf die Wirtschaft und Politik zu nehmen. Sie sind dabei, den freien Wettbewerb auszuschalten. Teilweise ist ihnen das gelungen, weil sie konkurrenzlos kriminell erwirtschaftetes Kapital zur Verfügung haben. Und jetzt in der Finanz- und Wirtschaftskrise sind sie die einzigen Profiteure.

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter Klaus Jansen bezeichnet die Mafia als „Jobvernichtungsapparat“ und sagt, dass der normale Mittelständler keine Chance gegen die Geschäftsgebaren der Mafia habe. Warum hat die italienische Mafia denn überhaupt die Möglichkeit in Deutschland so gut Fuß zu fassen?
Roth: Ich versuche genau das in meinem Buch darzustellen. Es ist ein Denkfehler zu sagen: Auf der einen Seite steht die böse italienische Mafia und auf der anderen wir guten Deutschen. Andererseits reden wir weniger gerne über die deutschen Verhältnisse. Die italienische Mafia kann hier nur deswegen so gut agieren, weil ein mafioses Biotop in der deutschen Gesellschaft vorhanden ist: Seilschaften, Klüngelwirtschaften, Abhängigkeiten, Erpressung, fehlende demokratische Kontrolle, politische Abhängigkeit von Polizei und Justiz. Das sind alles Begriffe, die einerseits für die italienische Mafia zutreffend sind aber genauso auch für die politische Kultur hier in Deutschland. Und weil das so ist, können sich diese Organisationen relativ gut und ungehindert ausbreiten und bewegen. Die Bevölkerung assoziiert mit Mafia allerdings etwas anderes, sie denkt an Camorra, Neapel und blutige Bandenkämpfe oder irgendwelche finstere Paten. Das gibt es hier so nicht. Duisburg war wirklich nur ein Betriebsunfall. Es zeigt jedoch über welches Gewalt- und Machtpotential die Ndrangheta in Deutschland verfügt. Und es ist nicht auszuschließen, dass sich die blutigen Kriege zwischen den Clans in Kalabrien auch in Deutschland fortsetzen könnten.

Die Mafia profitiert also vom Unwissen der Bevölkerung?
Roth: Ja, nach dem Vorfall in Duisburg bekam ich Anrufe wie: „Was ist denn die Mafia überhaupt“? Das heißt, es bestand bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest in der breiten Öffentlichkeit, ein sehr geringes Wissen über die italienische Mafia. Das gilt ja für andere mafiose Organisationen genauso, für die sogenannte Russenmafia, die in Deutschland ja nicht weniger präsent ist als die italienische, das gilt auch für die türkische Mafia, die im Heroinhandel führend ist, oder die albanische Mafia, die eng mit den Italienern zusammenarbeitet.

Sie schreiben, dass einige Mafiabosse in Deutschland so etwas wie Asyl finden. Warum werden sie hier nicht festgenommen?
Roth: Gegen diese Leute liegt in Deutschland strafrechtlich nichts vor. Mitglied der ´Ndrangheta oder der Cosa Nostra zu sein ist in Deutschland nicht strafbar. Das heißt, jemand, der in Italien von der Finanzpolizei, den Carabinieri oder wem auch immer verfolgt wird, der wegen Mordes gesucht wird, der geht nach Deutschland und kann in der Regel geruhsam seinen Geschäften nachgehen bzw. untertauchen bei den ehrenwerten italienischen Gastwirten. Da passiert in der Regel relativ wenig, wenn es keinen internationalen Haftbefehl gibt. Ich  frage mich manchmal selbst, warum das so ist.

Was haben Sie für Informationsquellen und wie glaubwürdig sind diese?
Roth: Also, glaubwürdiger geht es gar nicht. Ich habe meine Informationen u.a. von der italienischen Staatsanwaltschaft, insbesondere in Kalabrien aber auch in Palermo. Dann gibt es Recherchequellen bei der Finanzpolizei, den Carabinieri und der Direzione Investigativa Antimafia (DIA). Das ist die Organisation, die zentral die italienische Mafia bekämpft, ein Zusammenschluss von Nachrichtendiensten, Polizei, Staatsanwälten – eine Art italienisches FBI.

Und in Deutschland?
Roth: In Deutschland ist es das Bundeskriminalamt, es gibt Quellen bei der Polizei auf der Ermittlerebene. Und es gibt Gespräche, die ich mit verschiedenen hochkarätigen Mafiosi selbst geführt habe. Die wussten nicht wer ich bin und haben teilweise bereitwillig Auskunft gegeben. Wobei sie immer gesagt haben so etwas die Ndrangheta sei ein Märchen, eine Lügengeschichte, von Journalisten und Buchautoren erfunden.

Sie verfolgen schon seit vielen Jahren Mafiastrukturen und haben mehrere Bücher zu diesem Thema veröffentlicht. Werden Sie bedroht?
Roth: Ich sehe mich nicht als gefährdet. Ich finde es auch sinnlos zur Frage nach der Angst etwas zu sagen. Erstens: Wenn ich Angst hätte, würde ich es nicht tun. Zweitens: Es muss gesagt werden! Es muss an die Öffentlichkeit. Das Risiko für italienische oder osteuropäische Journalisten ist weitaus höher. Sie müssen damit rechnen, dass sie zusammengeschlagen oder liquidiert werden,  wie es ja leider schon in zahlreichen Fällen vorgekommen ist. Davor sind wir in Deutschland bislang verschont.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.