Jürgen Vogel

Ich will nicht der sein, der alles richtig macht.

Jürgen Vogel über seine Rolle als Kleinkrimineller in „Schwerkraft“, Independent-Kino, eine Zukunft als Musiker, Werbeauftritte und seine Kinder

Jürgen Vogel

© farbfilm verleih

Jürgen, du bist in diesen Tagen in „Schwerkraft“ zu sehen, dem preisgekrönten Debütfilm von Maximilian Erlenwein. Was macht dieser junge Regisseur besonders gut?
Vogel: Ich müsste darüber nachdenken, was er nicht gut oder nicht richtig macht. Ich fühlte mich während der gesamten Dreharbeiten sehr wohl bei ihm. Er ist ein toller Regisseur und Mensch. Als Autor hat er für den Film eine tolle Welt geschaffen. Ich hatte nie das Gefühl mit jemandem zu arbeiten, der am Anfang steht und dennoch strahlte er diesen Enthusiasmus aus, wenn Menschen etwas zum ersten Mal tun.

Der Film will sehr viel unterbringen, Drama, Thriller, Komödie und Coming-Of-Age. Hätte er sich nicht eher konzentrieren sollen?
Vogel: Ich mag es, wenn Leute viel und alles wollen. Gerade bei dem Genre ist es okay, wenn das Tempo anzieht und zwischendurch trotzdem die Leute zum Lachen gebracht werden. Für ihn war es ideal, um sich auszuprobieren und um zu sehen, welche Art von Sprache er sprechen will. Natürlich sieht man nachher – wie nach jedem Film – Dinge, die man hätte noch besser machen können, das geht mir genau so, aber generell bin ich glücklich damit.

Du hast bereits einen Kinderhändler gespielt, Gangster, einen Vergewaltiger – ist auch der Vince Holland aus „Schwerkraft“ eine typische Vogel-Rolle?
Vogel: Er ist mir nicht ganz fremd, aber ich versuche darüber nicht mehr allzu viel nachzudenken. Als Einzelfigur hätte ich Vince nicht so spannend gefunden, aber in Kombination mit Fabian Hinrichs Frederik hat sie absolut ihre Berechtigung. Die Figuren spiegeln sich in diesem Duett.

Hättest du dich gefreut, wenn du die Rolle des Bankers Frederik angeboten bekommen hättest?
Vogel: Beim Drehen haben wir nachgedacht, ob es auch umgekehrt funktioniert hätte. Für uns als Schauspieler wäre es interessant gewesen, den gleichen Film noch einmal, nur mit verkehrten Rollen zu drehen. Möglich wäre es gewesen.

Dein „proletarisches Schauspiel“, wie du es selbst einmal genannt hast, wie sehr ist das geprägt von deiner Anfangszeit, als du mit Richy Müller in einer Wohngemeinschaft gelebt hast?
Vogel: Schon sehr. Das war eine Phase, in der ich nach jemand gesucht habe, der mir etwas vorlebt, etwas an dem ich mich orientieren kann. Richy war das als Schauspieler mit „Die große Flatter“ oder „Die Abschiebung“ mit denen er das etabliert hat. Er hatte für mich eine Vorbildfunktion, es war toll sich an ihm zu orientieren. Die Phase war sehr prägend und ein Geschenk für mich.

Vor diesem Interview sprach ich mit einem Kollegen, der den Schauspieler Jürgen Vogel sehr schätzt, aber den Menschen Vogel, der auch bei Uri Geller zu Gast ist, nicht versteht…
Vogel: Ich finde das gerade gut, wenn es einen aufregt. Ich zerstöre gerne solche Bilder. Ich will nicht der sein, der alles richtig macht. Ich mache das aus Spaß. Mich interessiert nicht, wie die anderen das finden, ich bin einfach neugierig. Bei Uri Geller zum Beispiel habe ich mich an meine Kindheit erinnert, als der seine Gabeln verbogen hat. Das war seine erste Sendung und ich wollte wissen, was passiert. Wäre es die fünfte gewesen, hätte ich vielleicht abgesagt… Ich hätte abgesagt. Aber die erste fand ich geil. Man sollte nicht meine Arbeit als Schauspieler damit beurteilen, was ich als neugierige Person mache. Ähnlich bei der Naturwissenschaftssendung „Clever“ mit Wigald Boning: Da erfahren Kids, was sie mit diesem und jenem Pulver anstellen können… Das will ich mir bewahren. Das ist lustig. Ich will damit nicht die Erwartungen von irgend jemand erfüllen, sondern ich mache das gerne. Gerade letztens sprach mich ein Kollege auf einer dieser Filmpartys auf eine Werbung an. Er fragte, warum ich die gemacht hätte. Ich sagte: „Weil mir die Agentengeschichte Spaß gemacht hat.“ Ich fragte ihn dann, was ihm nicht gefallen hat, worauf er meinte „find ich irgendwie scheiße, das passt nicht“, worauf ich geantwortet habe, dass die Rolle ja an James Bond angelehnt war und dass das Drehen Spaß gemacht hat. Also, warum sollte ich sie nicht machen? Ich sehe gute Werbung selbst sehr gerne. Wieso soll ich also etwas, das ich selbst gut finde, nicht machen? Sicher nicht, weil jemand sagt: „Ich find’s scheiße.“

Könnte das soweit gehen, dass du eine wirklich ungeeignete Rolle annimmst?
Vogel: Soweit geht das nicht. Es ist kein Trotz. Aber sobald ich das Gefühl habe, dass mir etwas schaden könnte, provoziert mich das. Würde jemand mich nicht besetzen, weil ich die „Schillerstraße“ mache, fände ich das völlig in Ordnung. Dann macht er es eben nicht. Ich will nicht so festgelegt sein in meiner Welt. Das empfinde ich als beklemmend. Auch wenn ich „Schillerstraße“ spiele kann ich einen Film wie „Schwerkraft“ drehen.

Willst in solchen Momenten, in denen du bei einem Debütfilm wie „Schwerkraft“ zusagst, die Leute verwirren, die dir manchmal vorwerfen, nur noch Kasse machen zu wollen?
Vogel: Ja und das habe ich schon immer so gemacht. Es gab zwischendurch mal eine Zeit, in der es wenig kommerzielle Filme gab, zu der Zeit habe ich viele dieser Underground-Filme gemacht, woraufhin mich die Leute behandelten, als wäre ich ein Independent-Anspruchs-Schauspieler. Das hat mich total angekotzt. Plötzlich kommen Menschen auf dich zu und glauben mit dir in einer Art umzugehen, als würden wir in einer WG wohnen. Das will ich nicht. Noch schlimmer empfand ich, dass genau die Leute dann, als ich wieder andere Filme drehte, richtig eklig wurden. Es ist gefährlich, sich Herausforderungen verderben zu lassen.

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Man sollte nicht meine Arbeit als Schauspieler damit beurteilen, was ich als neugierige Person mache.

Jürgen Vogel

Dabei sollte das doch jeder wissen, der sich ein wenig mit deiner Biographie auseinander gesetzt hat…
Vogel: Teilweise sind andere Kollegen oft dankbar und freuen sich darüber, wie ich das mache. Unter dem Motto: Wenn du dich das traust, traue ich mich auch. Ich will mich einfach nicht festlegen, als einer der nur Kino oder nur Autorenkino macht. Auch an der Möglichkeit des Scheiterns lernt man. In Amerika sind sie da ein gutes Stück weiter. Da dreht Charlie Sheen mit „Two And A Half Man“ eine Sitcom. Ein eigentlich kleines Format, aber es ist geil. Oder auch ein George Clooney, der im Fernsehen angefangen hat. Dort kehren viele Schauspieler und Komiker wieder zurück. Für die ist das völlig normal. Die finden es toll, dass man über sie lachen kann. „Schillerstraße“ ist ja vergleichbar mit einer Sitcom, nur improvisieren wir eben. Ich bin mir sicher, dass Charlie Sheen auch Spaß dabei hat und dass er trotzdem weiter im Kino Filme machen kann. Wir müssen da in Deutschland ein Stück freier werden.

Dieses Stück Freiheit, gehört da auch deine Produktionsfirma „Badlands“ dazu?
Vogel: Das ist eben die andere Seite, wo wir Arthouse-Kino machen und ich versuche als Produzent anspruchsvolles Kino zu machen. Das eine benutzt man für das andere. Ich hätte mir „Badlands“ nie ohne soviel Arbeit leisten können. Statt mir eine Yacht zu kaufen hab` ich lieber die Firma gegründet. So gibt man etwas zurück in die Branche aus der man es holt.

In einem Interview hast du mal gesagt: „Ich träume manchmal davon, keine Filme mehr zu machen.“ Wie steht es um den Traum?
Vogel: Wenn man etwas lange macht, möchte man Dinge manchmal loswerden. Das ist bei mir so. Das mag absurd oder komisch klingen, aber das ist eine Hassliebe.

Was würdest du denn machen wollen?
Vogel: Ich glaube Musik. Wenn ich einem Lustprinzip folgen könnte, würde ich Musik machen. Ohne den Gelddruck würde es mir vollkommen reichen mit der Hansen Band 20.000 Platten zu verkaufen und abends vor 700 oder 1.000 Leuten auf der Bühne zu stehen, die das gerne mögen und mitsingen. Das reicht mir vollkommen aus. Das wäre wohl das, was ich machen würde.

Was treibt dich um, doch immer wieder Filme zu drehen?
Vogel: Man macht das, was man machen muss. Da ist ein Drang das zu tun, was man tut. Eine Notwendigkeit, ein Zwang, den ich mir nicht erklären kann.

Du bist Vater von fünf Kindern. Was willst du deinen Kindern vermitteln?
Vogel: Ich folge keinem bestimmten pädagogischen Ansatz. Ich will, dass sich die Kinder die guten Seiten von mir nehmen und die schlechten wegpacken. Die sind starke Persönlichkeiten, der Älteste ist 24 und ist ein guter, lieber Mensch, der sein Ding macht.

Was wäre, wenn eines deiner Kinder deinem Vorbild folgen würde und mit 15 das Elternhaus verlassen wollte?
Vogel: Das ist bisher noch nicht passiert. Aber ich habe Respekt davor, wenn jemand sagt, dass er bereit ist und jetzt raus in die Welt will. Dann kann er das versuchen. Sicher wünsche ich mir das nicht, weil es auch mit Gefahren verbunden ist und nicht immer gut läuft. Auch wenn ich niemanden aufhalten will, hoffe ich natürlich ein so gutes Zuhause zu bieten, dass sie länger bleiben wollen. Ansonsten würde ich einen Weg finden, das zu unterstützen.

Was hat dich damals rausgetrieben?
Vogel: Ich wollte aus diesem Kreis raus und mir meine eigene Familie basteln. Bei mir hat das gut funktioniert, aber ich hatte viel Glück. Im Grunde genommen steigt man aus etwas aus, wenn es nicht gut funktioniert. Im Rückblick war die Entscheidung für mich überlebenswichtig. Ich wäre nicht da, wo ich jetzt bin.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Vogel: Batman! Der darf böse sein und macht trotzdem Gutes.

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