Herr von der Lippe, wenn man Sie zuletzt wieder als Show-Moderator im Fernsehen gesehen und Ihr aktuelles Bühnenprogramm gehört hat, möchte man meinen: der ist ja wie immer. Kann sich der persönliche Humor überhaupt verändern?
Wenn man den Humor als das Talent versteht, das man glücklicherweise hat, verändert er sich natürlich nicht. Nur in dem Sinne, als dass man sein Ohr am Zeitgeist hat, und das hat ein Bühnenmann ja sowieso. Das ist die Crux des Berufes: man läuft mit ausgefahrenen Antennen durch die Welt und liest keine Zeitung, ohne die dabei gesammelten Eindrücke nicht auch auf Verwertbarkeit abzuklopfen. Eines meiner Lieblingszitate in diesem Zusammenhang stammt von Émile Zola: „Ich fresse Informationen und scheiße ein Buch.“ (lacht)
Machen Sie heute aber vielleicht über manche Dinge weniger gerne Witze als früher?
Ich habe ja unter der Knute der Kirche pubertiert und hatte damals Probleme, die man als junger Mensche heute gar nicht mehr nachvollziehen kann. Heute leben wir in einer Atmosphäre der sexuellen Freizügigkeit, optisch wie akustisch kann man sogar von einem sexuellen Überangebot sprechen, siehe Internet. Alles ist verfügbar, es gibt keine offenen Fragen mehr. Zu meiner Zeit war das anders. Ich bin nicht von meinen verklemmten Eltern, sondern auf dem Gymnasium von einem Religionslehrer aufgeklärt worden, also jemandem, der ein Spiel erklärt, für das er gesperrt ist. Das war vollkommen tabuisiert und wenig informativ. Und natürlich nehme ich das der Kirche bis heute übel. So lange ich weiß, dass da draußen noch irgendein Geistlicher herum rennt, der sich darüber aufregen könnte, macht es mir großen Spaß, diese Sache weiter zu thematisieren.
Ist es vielleicht auch einfach die Freude am Obszönen, die Sie antreibt?
Es ist die Verbindung von Obszönität und Gelehrsamkeit. Denn erst durch die Gelehrsamkeit wird das Ganze intellektuell reizvoll. Nur obszön ist langweilig.
Manchmal scheint es allerdings, als ginge es Ihnen bloß um einen schmutzigen Witz …
Der schmutzige Witz ist eine Selbstverständlichkeit – wenn Sie ihn denn schmutzig nennen wollen. Als Komiker ist man immer auf der Suche nach dem sogenannten Brüller, und den bekommen Sie eben nur mit tabuisierten Themen.
In Ihrem aktuellen Live-Programm machen Sie einmal einen schmutzigen Witz und sagen danach, den müsste eigentlich eher der Pocher bringen: „Zeigst du mir deine Muschi so – oder muss ich erst mit den Brekkies rascheln?“
Das Programm ist ja ein Comedy-Lehrgang. Dazu gehört auch Interviewtechnik, die ich vermittele, und eine Frage, die einem ja immer wieder gestellt wird, ist: Flirten Sie gerne? Dann nehme ich Material von früher, aus einem Jahre alten Text, und zähle meine vier Anmachsprüche von damals auf. Dann nehme ich noch einen neueren Spruch dazu und sage, dass man so was als Senior-Flirter nicht sagen könne, das solle besser der Pocher machen. Damit meine ich aber nicht den Komiker Pocher, sondern die Altersgruppe.
Fehlt Ihnen das Niveau in den Witzen der Generation Pocher also nicht so sehr wie den meisten Kritikern?
Kritiker interessieren mich nicht. Das sind Hennen, die gackern, wenn andere ein Ei gelegt haben. Wir haben eine richtig gute, sehr vielfältige junge Szene, die sich, wie ich finde, auch ganz gut entwickelt.
Warum taugen Kritiker in Ihren Augen nichts?
Das hat etwas mit unserem Kulturbegriff zu tun. Kritiker gibt es hier entweder in der klassischen Musik, in der Literatur oder beim Theater. Im Comedy-Bereich gibt es Kritiker erst, seitdem das Privatfernsehen Comedy als Wirtschaftszweig groß gemacht hat. Und es gibt einfach nur wenige Kritiker, die etwas davon verstehen. Jeder will natürlich mitreden und abwatschen. Es ist oft sehr vorhersehbar, was geschrieben wird.
Wenn nicht an der Kritik, woran misst sich ein Comedian dann?
An den Reaktionen, die er hervorruft, plus an der Raffinesse seiner Arbeit.
Sollten ihm diese nicht andere bescheinigen?
Das kann ich schon noch selbst. Ich kann doch beurteilen, ob mein Text gröber gestrickt ist, oder ob er Elemente enthält, die erst beim zweiten, dritten Mal Hören offenkundig werden. Es gibt nichts Schöneres, als bei etwas live dabei zu sein, weil man dann genau in dem Moment mittendrin sitzt, in dem etwas geschieht. Und wenn man das dann zu Hause noch mal Revue passieren lässt und vielleicht auf der Platte noch Feinheiten erkennt, ist das vergleichbar damit, wenn einen beispielsweise ein Gedicht nicht mehr loslässt. Wenn es einem bei jedem Lesen eine andere Art von Freude macht und man beginnt, darüber zu meditieren.
Wann fanden Sie sich denn das letzte Mal besonders komisch?
Ich fand mich sehr häufig sehr komisch bei „Ich liebe Deutschland“. Da hatte ich das Glück, mit zwei hervorragenden Autoren zusammenzuarbeiten. Diese drei Stunden, die wir vor einer Aufzeichnung zusammen saßen und uns Dinge ausgedacht haben, war eine wirklich schöne Zeitspanne, wir haben nur gelacht.
Das Quiz-Format „Ich liebe Deutschland“ gab es in Holland bereits als große Klamauk-Show. Hier lief es gesitteter ab – auch weil Sie es so lieber hatten?
Mir hat das Original tatsächlich nicht gefallen. Die Holländer gehen richtig auf die Zwölf und haben – im Gegensatz zu vielen älteren Deutschen – auch keine Angst davor, nationalistisch rüberzukommen. Mit unserer Vergangenheit ist das anders, wenn auch jüngere Leute, also die dritte Generation, das Ganze schon unbefangener sehen. Ich kann nur sagen, dass die Produktion von „Ich liebe Deutschland“ sehr viel Spaß gemacht hat und die Stimmung dabei nicht künstlich war. Das Geheimnis dabei war, dass der jeweilige Fan-Block, also das Publikum hinter den verschiedenen Teams, tatsächlich was gekriegt hat. Das war wie auf dem Rummel: Man zieht ein Los und gewinnt irgendeinen Scheiß, zum Beispiel einen zwei Meter großen Bären, von dem man weiß, dass man ihn später entsorgen wird. Aber in dem Moment des Gewinns ist man ein Glückspilz und hat unheimlich gute Laune.
Nur obszön ist langweilig.
Und Sie sind dabei in die Rolle des Rummel-Animateurs geschlüpft …
Nein, ich war eigentlich derjenige, der gütig auf dieses Gebaren blickte und ab und zu Gelegenheit hatte, eine saubere Pointe loszuwerden. Das Tempo bei all dem war zum Teil aberwitzig, was einerseits reizvoll war, andererseits hätte ich mir auch ein paar Momente gewünscht, in denen man mal ansatzweise ein Gespräch hätte führen können. Aber so sind eben die Zwänge: man strickt ein Programm so, dass man es auf Tempo schneiden kann.
Unterhaltungskunst muss offensichtlich allgemein immer schneller werden, um zu funktionieren.
Wir haben natürlich Gewohnheiten, aber Rüdiger Hoffmann zum Beispiel geht nicht mehr, er hat es überstrapaziert.
Sie hingegen gehen noch – obwohl Sie auch langsam sind.
Ich bin nicht langsam, ich bin unterschiedlich schnell. Abwechslung ist das Zauberwort. Eine Figur in einem Tempo können Sie heute keinem Publikum mehr zumuten.
Also sind Ihrer Meinung nach die Sketche eines Loriot in 20 Jahren womöglich vergessen?
Die gehen heute schon nicht mehr. Das ist ein ehrwürdiges Angedenken und tiefster Respekt für eine ganz tolle Kulturleistung, die Loriot sein Leben lang vollbracht hat. Was er gemacht hat, war toll, als es das Maß aller Dinge war, und ich will um Gottes Willen nicht daran pinkeln. Aber wenn ich seine Sketche heute jemandem zeige und dieser jemand sie zum ersten Mal sieht, wird er sich denken: Oooch, zieht sich das!
Haben Sie das schon mal so erlebt?
Ich mache diese Erfahrung bei mir selbst. Wenn man vom Fach ist, guckt man ja nicht mit unschuldigen Kinderaugen darauf.
Dennoch scheint Loriot einer der wenigen, wenn nicht der einzige deutsche Künstler gewesen zu sein, der zeitlose Komik schaffen konnte.
Zeitlos hieße ja, dass es heute noch funktioniert.
Das tut es doch aber, nicht zuletzt bei jungen Menschen.
Ja, aber das ist dann so was wie: „Hildegard, sagen Sie jetzt nichts.“ Das ist wie bei „Palim Palim“, jeder weiß bei diesen kleinen Satzteilen sofort, welche Figur dahinter steht. Wer das schafft, ist ja schon unsterblich, und bei Loriot gibt es dafür einige Beispiele, etwa „Ein Klavier, ein Klavier!“ Diesen Sketch habe ich gerade noch mal gesehen, und es ist die Erinnerung, welche die Freude darüber ausmacht, nicht bloß das, was darin passiert.
Sie meinen, die Leute wollen nur noch die Kult-Sätze hören?
Ich behaupte, dass das wie mit einem Musiktitel ist, der beim ersten Kuss oder bei der ersten Nummer lief. Da braucht ja nur das Intro zu kommen, und die Laune hebt sich.
Aber Loriot hat natürlich auch Zeitloses gemacht. Seine Ankündigungen von klassischen Musikereignissen zum Beispiel sind für die Ewigkeit, das kann man ja gar nicht schöner machen.
Haben Sie beim Schreiben von Witzen auch manchmal das Gefühl, dass diese noch in vielen Jahren funktionieren könnten?
Ja. Ich habe ja auch in meinem aktuellen Programm ein paar Sachen drin, die zehn Jahre und älter sind. Zum Beispiel habe ich schon sehr früh in meiner Karriere Gags beim Stimmen der Gitarre gemacht. Einer meiner ältesten war: „Wozu ist der Bauchnabel gut? Wenn man im Bett frühstückt, kann man das Salz fürs Ei rein tun.“ Der wird noch in hundert Jahren funktionieren, weil er einfach ein schönes, absurdes Bild hervorruft.
Nicht zuletzt kommt es bei so etwas wohl auch auf die Präsentation des Witzes an.
Ja. Schlimm sind zum Beispiel die Veranstaltungen, wie sie zum Beispiel Frank Elstner gemacht hat: Laien erzählen Witze um die Wette. Da hat man ja schon ein Elend gesehen! Die Leute sind eigentlich ganz gute Witzerzähler – aber privat. Nun kommt eine Fernsehkamera dazu. So was kann ich mir gar nicht angucken.
Welche Show muss denn noch erfunden werden, damit Sie beim Fernsehen wieder dauerhaft lachen können?
Ich bin ein ganz leicht zufriedenstellender Kunde und suche nicht nach dem Haar in der Suppe. Mich interessiert alles Neue, aber es gibt natürlich auch Leute, die – egal was sie machen – mich einfach immer amüsieren. Harald Schmidt zum Beispiel. Selbst wenn der keine Lust hat, was er dann ja auch zeigt wie kein zweiter, amüsiert mich das schon. Einige Quiz-Sendungen sind auch irgendwo zeitlos, zum Beispiel „Wer wird Millionär“. Günther Jauch hat da über die Jahre eine Art und Weise entwickelt, die einfach perfekt ist.
Sie selbst, heißt es, schlagen immer wieder Angebote vom Fernsehen aus. Weil diese Ihnen nicht gut genug sind?
Weil sie mich nicht interessieren. „Ich liebe Deutschland“ hingegen war durch den Mix an Aufgabenstellungen und diesen genialen Trick, nicht für sich, sondern für das Publikum etwas zu gewinnen, schon etwas Besonderes. Das hat einfach unheimlich viel Spaß gemacht. Und ich mache das doch alles nur aus Spaß.
Herr Dohrenkamp, besser bekannt als Herr von der Lippe wurde bereits in einem Interview von Loriot (Mitte der 1980er Jahre) sehr passend von letzterem eingeschätzt: „In dieser Sendung sind alle sehr erwachsen, mit der Ausnahme des Herrn von der Lippe“.
Diese Aussage wusste das „schlagfertige Genie“ von der Lippe nur mit „immer auf die jungen“ zu kommentieren.
Die „Kunst“ des Herrn Dohrenkamp verschließt sich mir.
Alleine seine Annahme, „noch in hundert Jahren wissen alle über seine Erläuterung zum Sinn des Bauchnabels, welcher sich bei einem Frühstück im Bett erschließe“ zu lachen oder zu erinnern, ist widerlegt. Es weiß schon 3 Jahre später niemand mehr.
Irgendwann trifft Herrn Dohrenkamp das gleiche Schicksal wie Loriot und uns alle. Ich weiß nicht, ob eine öffentlich- rechtliche Sendeanstalt sich dann um 20:15 Uhr zu einer Sondersendung berufen fühlt. Sehr wohl weiß ich um meine Reaktion: „Ach was!“
Dabei denke ich: „Gut, dass das jetzt passiert“.