Jürgen von der Lippe

Theoretisch könnte ich selbst Diät-Coach sein.

Jürgen von der Lippe spricht im Interview über sein Buch „Beim Dehnen singe ich Balladen“, Stimmungsaufheller, Autobiografisches, den Blasphemie-Paragraphen und aufgewärmte TV-Shows.

Jürgen von der Lippe

© André Kowalski

[Hinweis: Das Interview entstand im Januar 2015]

Herr von der Lippe, mit welchen Vorsätzen sind Sie in das neue Jahr gestartet?
Jürgen von der Lippe: Es ist immer der selbe Vorsatz: zehn Kilo runter. Die sind aber noch nicht runter. Als ich neulich in München beim Radiosender Bayern3 zu Gast war, hat man mich mit einer Live-Telefonschalte überrascht: die haben während der Sendung Detlef D. Soost angerufen und der bot mir dann an, bei ihm in zehn Wochen 20 Kilo abzunehmen.

Klang das für Sie verlockend?
von der Lippe: Es ist so: Theoretisch könnte ich selbst Diät-Coach sein, ich weiß alles über Abnehmen, Ernährung, begleitenden Sport etc. Doch auf Tour ist das für mich von der Psyche her nicht leistbar. Wenn wir gemeinsam zu Abend essen, hauen sich die Jungs, die schwer arbeiten, Kisten schleppen usw., das Schnitzel mit Pommes und Mayo rein. Da denke ich dann immer: Ich halte hier den Laden am Laufen, soll aber selbst nur einen Salat essen?
Anthony Hopkins wurde einmal in einem Interview gefragt, woher er diesen grüblerischen Ausdruck nimmt. Da hat er geantwortet: „Ich denke einfach darüber nach, was es zum Mittagessen gibt.“

Das Jahr begann mit schlechtem Wetter und Schreckensnachrichten, u.a. aus Paris. Was sind für Sie als Entertainer Stimmungsaufheller?
von der Lippe: Ich habe dazu eine Nummer in meinem Bühnenprogramm, die fußt auf Erkenntnissen der Gelotologie, also der Lachforschung. Da gibt es die Theorie: wenn Sie so agieren, als wären Sie fröhlich, dann werden Sie es nach einer gewissen Zeit auch. Also zum Beispiel zehn Minuten angestrengt Grinsen. Dahinter steckt, dass man sich erstmal klarmacht, dass man schlechte Laune hat. Wenn man das mit seiner Körpersprache konterkariert, dann reagiert irgendwann auch die Psyche.
Es gibt aber auch Sachen wie bestimmte Videos, die als Stimmungsaufheller todsicher funktionieren. Beispielsweise Dagmar Berghoffs berühmter Versprecher beim „WC“-Turnier und den Lottozahlen. Wenn man das guckt und man schafft es, nicht zu lachen, dann ist man glaube ich ein hoffnungsloser Fall.

Bereitet Ihnen das Schreiben auch gute Laune?
von der Lippe: Wenn es läuft, ja. Wenn es nicht läuft…. Aber das kennt ja jeder, der von Berufswegen schreibt.

Was tun Sie bei einer Schreibblockade?
von der Lippe: Ich versuche eigentlich, jeden Tag etwas zu schreiben, damit ich diese schwierige Anlaufphase nicht habe. Ich habe etwa 50 angefangene Texte – Kurzgeschichten, Glossen, und wenn mir mal nichts einfällt, lese ich die solange, bis ich an eine komme, wo mir wieder was einfällt.

Wenn Sie versuchen jeden Tag zu schreiben, gehört dann auch Tagebuch dazu?
von der Lippe: Ich schreibe Tagebuch, ja. Weil ich es schade finde, das etliche meiner Jahre nur noch anhand meines Terminkalenders rekonstruierbar sind. Und ich finde es schön, wenn man sich Gedanken darüber macht, was den Tag besonders gemacht hat oder auch eben nicht. Ich schreibe Dinge auf, die mir so unterkommen, Meldungen, Buchzeilen, was ich gekocht habe… oder einen Film, den ich gesehen hab. Gestern kam zum Beispiel „Morning Glory“ mit Rachel McAdams. Zauberhaft, den kannte ich noch nicht.

Zitiert

Die Kerben im Colt habe ich schon.

Jürgen von der Lippe

Man erahnt in Ihren Kurzgeschichten und Glossen immer mal wieder etwas Autobiografisches…
von der Lippe: Ja, das soll man auch erahnen, das trügt aber.

Also alles frei erfunden?
von der Lippe: Nö, alles nicht. In meinem Bühnenprogramm habe ich zum Beispiel die Schlussnummer, einen Text, der nur aus Sachen besteht, die ich wirklich erlebt habe. Und die Leute mögen das natürlich wahnsinnig gerne, es gibt da ein Bedürfnis, von dieser Person, die man aufgrund seiner Bühnenleistung schätzt, etwas Authentisches zu hören.

Werden Sie diesem Bedürfnis eines Tages mit einer Autobiografie nachkommen?
von der Lippe: Wenn ich meinen Verleger treffe, taucht diese Frage immer wieder auf, aber ich empfinde das als relativ sinnlos.
Ich habe gerade die Autobiografie von Billy Crystal gelesen, der hat wahnsinnig viel erlebt. Er war Komiker, er hat Filme gespielt, geschrieben, Regie geführt, acht Mal den Oscar moderiert, er ist ein großer Baseballfan, er schreibt darüber wie Joe DiMaggio ihm einmal in den Magen geboxt hat usw.
Wenn man so eine Autobiografie gelesen hat und dann eine von Dieter Bohlen, oder auch von Fritz J. Raddatz daneben legt und dann sieht, wie die mit Wegbegleitern umgehen – dann sag ich mir: Nee, das machst du nicht. Das ist nicht nötig und wird auch nicht gebraucht.

Sie könnten eine freundliche Autobiografie schreiben…
von der Lippe: Sicher, andererseits gibt es ja auch bei mir Menschen, die ich furchtbar finde, und wahrscheinlich wollen die Leute das auch lesen. Aber mit welchem Recht soll ich mein persönliches Urteil über einen anderen Menschen in so ein Buch schreiben? Nein, ich denke, da gibt es Dinge, die würde man mir einfach übel nehmen, Einschätzungen beruflicher Art usw.

Ihr Leben, wäre das nicht interessant genug für ein Buch?
von der Lippe: Mein Leben ist schon interessant, wenn auch nicht im Vergleich mit einem Weltstar wie Billy Crystal, dessen Filme man weltweit kennt. Da möchte man natürlich wissen, wie das mit Meg Ryan bei der Orgasmus-Szene in „Harry und Sally“ war, oder damals bei „City Slickers“ mit Jack Palance.
Von mir wird man keine Autobiografie lesen. Ich verlasse mich dann lieber mehr auf meine Fantasie.

© André Kowalski)

© André Kowalski)


In Ihrem neuen Buch „Beim Dehnen singe ich Balladen“ kommen u.a. auch Gott, Jesus, Maria und Josef als Protagonisten vor. Können Sie verstehen, dass es Leute gibt, die nicht dulden, dass man ihrer Religion humoristisch begegnet?

von der Lippe: Ja, natürlich verstehe ich das. Mann muss aber zwischen Religion und Amtskirche unterscheiden. Die katholische Kirche hat ja – solange sie es verhindern konnte – auch diese Haltung eingenommen, speziell nachdem sie Staatsreligion wurde, um das Jahr 400 herum, im alten Rom. Es gab die Kreuzzüge, die Hexenverbrennungen… und jeder Fortschritt, ob in Wissenschaft oder was die Sexualethik angeht, wurde gegen den erbitterten Widerstand der Kirche erkämpft.

Doch inzwischen leben wir im 21. Jahrhundert…
von der Lippe: Wir hier in Mitteleuropa leben im postreligiösen Zeitalter, weltweit nimmt die Religiosität aber eher zu. Ich sehe das mit einer gewissen Beunruhigung, auch was den Islam angeht. Natürlich hat der Islam im Grunde die Aufgabe, sich weltweit zu verbreiten, diese Stellen findet man ja im Koran. Genauso gibt es die in der Bibel, wo es heißt „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“. Und bei der Missionierung war die Kirche nicht zimperlich.
Das Problem dabei ist, dass man mit religiösen Fanatikern ja nicht diskutieren kann. Für die ist das ein göttlicher Auftrag, da kommt man mit Argumenten nicht gegen an. Da kann man nur darauf warten – wie das im Iran der Fall zu sein scheint – dass die junge Generation aufgrund von Internet und Kommunikationsmedien irgendwann sagt: „Nee, geht weg mit eurem alten Zeug.“

Sie sind überzeugt, dass der Islam denselben Prozess wie die katholische Kirche durchläuft und wir in ein paar Jahrhunderten sorglos Witze über den Islam machen können?
von der Lippe: Das wird keine paar hundert Jahre dauern. Ich habe es ja selbst erlebt, als ich acht Jahre Deutschunterricht für Ausländer gemacht habe. In meiner Klasse war zum Beispiel eine persische Studentin, die schon länger in Deutschland lebte. Irgendwann kam ihr Bruder nach, als Aufpasser, und nur wenn sie sich in seinen Augen glaubenskonform oder konform mit den Vorstellungen der Eltern verhielt, bekam sie Geld. Sie war aber bereits aufgrund des jahrelangen Aufenthalts europäisiert, sie glaubte das nicht mehr. Das heißt: wenn man einmal mit liberalen Auffassungen wirklich konfrontiert ist, dann geht es sehr schnell.
Mich beunruhigt allerdings, dass die vielen Türken, Kurden, Muslime etc, die hier friedlich leben und nie auf die Idee kommen würden, fundamentalistisch zu sein, dass die jetzt mit diesen Arschgeigen in einen Topf geworfen werden. Das ist schrecklich, das wirft uns wieder sehr weit zurück.

Welche Konflikte hatten Sie persönlich mit Religionswächtern?
von der Lippe: Ich habe in den 90ern mal einen Spielfilm gedreht, „Nich‘ mit Leo“, da spielte ich gleichzeitig einen Pfarrer und einen Zuhälter und ich erinnere mich noch an die Schlagzeile „Jürgen von der Lippe – von Kirchenhass zerfressen“. Damals hat die Kirche durchgesetzt, dass der Film erst ab 12 freigegeben wurde, obwohl der Film dafür keinen Anlass bot. Aber die Macht hatten sie, weil sie in den Gremien sind. Das hat den Film viele Tickets gekostet.

Bis heute gibt es den Blasphemie-Paragraphen, der angewendet werden kann, wenn jemand „den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“…
von der Lippe: Genau, „den öffentlichen Frieden stören“, das ist der Punkt. Ich meine: Wo wird der öffentliche Frieden gestört, wenn sich ein Pfarrer über einen Komiker ärgert? Anders ist es, wenn eine Pogromstimmung gegen Gläubige erzeugt würde, dann würde tatsächlich der öffentliche Frieden gestört.

Der Paragraph ist also nicht veraltet?
von der Lippe: Ich denke, so wie der Paragraph gefasst ist, stört er niemanden. Es gibt ein Zitat von Rüdiger Safranski, das hier gut passt und das sinngemäß lautet: Im postreligiösen Zeitalter muss sich eine Glaubensrichtung gefallen lassen, dass sie als eine von vielen Möglichkeiten diskutiert wird.
Und die Religion muss es aushalten, dass man sich mit ihren Grundlagen befasst. Dazu gehört auch, dass man darauf hinweist, dass die heiligen Schriften aufgrund ihrer Entstehung zum Teil fehlerhaft sind. Sie wurden mündlich überliefert, das jüngste Evangelium ist knapp hundert Jahre nach Jesu Tod geschrieben worden – und damals gab es die Tradition der auswendigen Weitergabe noch nicht. Nur ein Beispiel, das Gleichnis „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als das ein Reicher ins Himmelreich gelangt“ – da ging es sehr wahrscheinlich nicht um ein Kamel, sondern um „kamilos“, griechisch für Schiffstau, also ein Kopier- oder Lesefehler des Übersetzers. Über so etwas muss man sich im Klaren sein. Die Bibel zählt wie jede heilige Schrift zur Weltliteratur, aber man darf nicht alles Wort für Wort nehmen.

Beim Dehnen singe ich Balladen von Juergen LippeGab es eine Zeit, in der Sie viel mit Menschen über Glauben und Atheismus diskutiert haben?
von der Lippe: Ja, sicher. Ich hatte früher eine Freundin, die aus einem erzkatholischen Haus kam, da habe ich mir dann den Vater vorgenommen. Ich las damals Karlheinz Deschners Buch „Abermals krähte der Hahn“, in der kirchenkritischen Literatur ein Standardwerk, das habe ich regelrecht gebüffelt. Wie man das eben macht, wenn man lange einer Überzeugung angehangen hat und diese dann zugunsten einer anderen Überzeugung ablegt. Wir waren damals ja alle stramme Sozialisten, in der unmittelbaren Nach-68er-Zeit, man ist dann erstmal ein bisschen ungehalten, auch über sich selber, dass man das geglaubt hat.

Heute sprechen Sie darüber wesentlich entspannter.
von der Lippe: Da bin ich altersmilde geworden, ich bin in dieser Sache kein Eiferer mehr. Mein Standpunkt ist, dass jeder glauben soll, was er möchte. Ich beneide auch jemanden, der glauben kann und daraus Trost und Kraft zieht. Ich selbst kann das nicht mehr, ich versuche einfach mit der Tatsache fertig zu werden, dass hinterher nichts mehr kommt. Und dass eigentlich unsere ganze Existenz ein bisschen absurd ist. Damit versuche ich meinen Frieden zu machen.

Lassen Sie uns noch über das Fernsehen sprechen. Schauen Sie noch oft fern?
von der Lippe: Wenn ich den Tag zuhause verbringe, tagsüber arbeite und abends die Möglichkeit habe fernzusehen, dann schaue ich erstmal in die Programmzeitung. Ich bin kein Zapper. Gestern zum Beispiel waren es „Morning Glory“ und ein Film mit Russel Crowe, da habe ich bis zwei Uhr nachts geguckt. Ich bin ein großer Film- und Serienliebhaber seit einiger Zeit. Und ich gucke mir alles Neue in Sachen Comedy und Show an, wie das Frühstücksfernsehen von Olli Dittrich und Cordula Stratmann. Natürlich habe ich mir auch „Am laufenden Band“ angeguckt…

Momentan gibt es ja den Trend, alte Sendekonzepte wie „Am laufenden Band“ wieder aufleben zu lassen. Ist das für Sie kein No-go?
von der Lippe: Nein, wieso denn? Das ist doch alles zyklisch. Nach dem Erfolg von „Wer wird Millionär“ gab es ja auch eine Renaissance der Quizshow, es kamen viele andere Quizformate, die ordentlich gelaufen sind. Jetzt gibt es eine Wiederbelebung der Gameshow. Zum einen wird geguckt, ob die alten Konzepte noch funktionieren, andererseits gibt es dann Leute wie Joko und Klaas, die für ihre Shows die Komfortzone verlassen.

Mögen Sie deren Sendungen?
von der Lippe: Das anzuschauen macht schon Spaß, die Jungs sind wirklich gut. Aber man atmet schon tief durch, wenn zum Beispiel Joko im Flugzeug sitzt und der Pilot abspringt. Der hatte Todesangst. Das ist schon faszinierend, wobei ich immer denke: Ich könnte das nicht. Dafür ist mein Harmoniebedürfnis zu groß. Ich habe das gemerkt, wenn wir früher bei „Donnerlippchen“ versteckte Kamera gemacht haben: Wenn man dann die Leute verscheißern, sie wirklich belügen muss, das überzeugend zu machen, dafür habe ich kein Talent.

Was ist mit Sendungen wie „Dschungelcamp“, sind Sie da als Zuschauer dabei?
von der Lippe: Nein. Wobei ich es in Ordnung finde, dass es viele Leute gucken und dass es sogar mal für den Grimme-Preis im Gespräch war. Mich stört daran etwas Anderes: Das Format gibt vor, Menschen in eine Ausnahmesituation zu bringen um dann zu gucken, wie sie als Gruppe harmonieren. In Wirklichkeit ist das aber natürlich alles gelenkt. Die haben 100 mal mehr Material und picken sich dann nur raus, was sie zeigen wollen. Deswegen ist das, was wir da sehen, nicht authentisch.

Sie strahlen eine große Gelassenheit aus. Werden Sie in Ihren Bühnenshows auch mal laut?
von der Lippe: Ja klar, dafür habe ich ja meine Figuren, wie den manchmal grausamen und schwarzhumorigen Kalle oder den Opa, ein fieser, dirty old man. Dafür hat man ja die Figuren, wo man alles sein kann, was man selber nicht ist.

Fühlen Sie sich heute auf der Bühne wohler als vor der Kamera?
von der Lippe: Ich habe immer gesagt, ich bin der Bühnenmann, ich brauche aber auch Abwechslung. Ich möchte nicht 300 Tage im Jahr dasselbe Programm spielen, das wäre furchtbar. Ich mache dann ein anderes Programm, eine Lesereise, oder ich schreibe eine Woche, oder ich mache eine Fernsehsendung. Und wenn es keine Fernsehsendung für mich gibt, ist das auch nicht schlimm, ich habe ja meinen Spaß gehabt – die Kerben im Colt habe ich ja alle.

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