Juli Zeh

Wir wollten den Leuten mit dem Arsch ins Gesicht springen.

Schriftstellerin Juli Zeh über ihre Bücher „Angriff auf die Freiheit“ und „Corpus Delicti“, ihre Zusammenarbeit mit der Band Slut und Bewegungen gegen den Überwachungsstaat

Juli Zeh

© juli-zeh.de

Frau Zeh, Sie sind bekennende Raucherin und trinken auch Alkohol. Würden Sie sagen, dass der Staat Sie in diesen Bedürfnissen heute zu sehr einschränkt?
Zumindest ist er auf dem besten Wege dahin. Es gibt ja einen eindeutigen Trend, immer stärker in diesen ganzen Bereich hinein zu regieren, der die individuelle Gesundheit betrifft. Gerade gestern habe ich von einem Freund gehört, dass es jetzt auch Bestrebungen gibt – allerdings aus Gründen des Umweltschutzes –  an bestimmten Tagen das Fleischessen zu verbieten. Das heißt, bald trifft es dann auch die Leute, die glauben, dass sie als Nichtraucher und Nichttrinker gute Menschen sind und auf der richtigen Seite stehen. Ich würde einfach mal vorhersagen, wenn es uns weiterhin so gut geht, dass wir die Zeit haben, uns um solche Themen zu kümmern, dann wird sich das in den nächsten Jahren auf jeden Fall verschärfen. Letztlich sind es ja Dekadenz-Phänomene, mit denen wir es zu tun haben.

Glauben Sie, dass die Kunst ohne Suchtmittel wie Zigaretten, Alkohol und Drogen in ihrer Ausdruckskraft leiden würde?
Eigentlich nicht. Ich glaube, dass es da keinen notwendigen Zusammenhang gibt. Jeder Mensch ist anders und hat seine Art, mit sich und seiner Leistungsfähigkeit umzugehen. Es gibt bestimmt Künstler, die sagen, ohne Alkohol oder Zigaretten könnten sie überhaupt nichts schaffen. Zu denen würde ich mich jetzt nicht unbedingt zählen. Man muss aber betonen, dass das immer individuelle Fragen sind. Das ist genau mein Problem mit diesen Entwicklungen.
Der Versuch, Gesundheit quasi zu einer objektiven, normierten Angelegenheit zu machen, ohne zu berücksichtigen, dass Gesundheit ohne Individuum überhaupt nicht beschreibbar ist.

In Ihrem Roman „Corpus Delicti“ hat sich der Gesundheitswahn zur Diktatur erhoben. Ist das nun eine Abrechnung mit Joggern, Gewichthebern und Ökos, oder eine Anklage gegen die Regulierung durch den Staat?
Weder Abrechnung noch Anklage, solch aggressive Begriffe braucht man gar nicht. Es ist der Versuch, eine Tendenz aufzuzeigen und den Leuten Dinge klar zu machen, die sie vielleicht nicht immer so richtig auf dem Schirm haben. Weil sich die Politik von Tag zu Tag und damit langsam und schleichend entwickelt. Es ist sehr schwierig, wenn man selbst in einer bestimmten Zeit lebt, zu erkennen, was sich da gerade verändert. Im Rückblick sieht man das sehr genau und es werden dann immer Fragen gestellt: „Warum habt ihr das nicht gemerkt? Warum ist euch das nicht aufgefallen? Das muss euch doch klar gewesen sein!“ Aber es ist eben schwer, das selbst für seine Zeit zu erkennen. So braucht es bewährte Techniken und Mittel, um zu versuchen Distanz zu schaffen und einen kritischen Blick darauf zu ermöglichen. Darum geht es mir in „Corpus Delicti“, es ist eigentlich ein genuin aufklärerischer Text.

„Corpus Delciti“ ist durch die Mitarbeit der Ingolstädter Band „Slut“ nun teilweise vertont worden. Ist die Band dafür auf Sie zugekommen, oder haben Sie bewusst nach Musikern für dieses Projekt gesucht?
Weder noch. Wir sind zufällig zusammen gekommen und weil ich sie schon sehr lange kenne, also ihre Arbeit, war ich sofort begeistert von der Idee, irgend etwas zusammen zu machen. Da ging es aber nicht konkret um „Corpus Delicti“. Ich habe da gerade am Romanmanuskript gearbeitet und es ihnen geschickt. Sie fanden es gut und dann haben wir entschieden, dass wir auf der Grundlage zusammenarbeiten.

Hat Slut für Sie eine spezielle Qualität in der deutschen Musiklandschaft, die die Band für so ein Projekt prädestiniert?
Ja, absolut, sonst hätte ich das nicht gemacht. Ich kann an keine andere deutsche Band denken – außer vielleicht an Die Goldenen Zitronen – mit denen ich bereit gewesen wäre, überhaupt irgendein Projekt durchzuführen. Slut hat für mich eine besondere Qualität, weil sie zwar eine deutsche Band sind, aber in keiner Weise deutsch klingen oder rüberkommen. Nicht nur, weil sie englisch singen, sondern weil sie einfach eine universelle Musik machen, die sich quasi an die ganze Welt richtet und nicht an ein kleines, regionales Publikum. Das ist eine Sache, die mir sehr gut an ihnen gefällt.

Wie setzt sich das konkret um?
Es geht darum, dass ich die Musik cool finde, nicht darum, dass etwas speziell auf „Corpus Delicti“ besonders gut passt. Man sitzt ja nicht zuhause und überlegt sich, welche Band denn „Corpus Delicti“-Musik macht, das wäre ja absurd. Es geht einfach nur um Geschmäcker und Vorlieben, und ich finde auch die Musik toll, die Slut jetzt speziell für das Projekt gemacht haben. Es geht darum, dass man sich sowohl menschlich, also auch was die Arbeit betrifft, versteht. Und ich glaube auch daran, dass sich aus solchen Sympathien fruchtbare Produktionen ergeben. Ich vertraue in diesem Bereich sehr auf Intuition, Gespür und Sympathie.

Für die CD „Corpus Delicti“ haben sie Textpassagen teilweise neu entworfen. Wie stark verändert die Musik den ursprünglichen Text?
(Zögert) Es ist nicht so, dass die Musik den Text verändert. Es ist einfach so, dass wir von Anfang an eine ziemlich offene Zusammenarbeit hatten. Wir haben eben nicht da gesessen und uns alles theoretisch überlegt, oder geplant. Jeder hat etwas mitgebracht, ich habe Textstellen aus „Corpus Delicti“ mitgebracht mit der Frage, ob die sich eignen könnten, für so eine überschreitende Geschichte. Und Slut haben erst mal ein paar musikalische Motive ausgewählt und entwickelt und dann haben wir uns direkt hingesetzt und angefangen rumzuspielen und auszuprobieren und uns gefragt wie man das zusammenschüren kann und was sich das gegenseitig zu sagen hat. Das passierte direkt im Studio und nicht am Reißbrett, so haben sich die ganzen Elemente gegenseitig beeinflusst und verändert. 

Und wie war es in einem Rock-Kontext auf Tour zu gehen? Was unterscheidet die Tour mit Slut von einer Lesereise?
Ich fand’s toll. Es ist natürlich anstrengend, weil die Auftritte wesentlich aufwendiger sind. Es kommt der ganze Auf- und Abbau dazu, es kommt das Fahren im Tourbus dazu, was auch anstrengender ist als so eine gepflegte ICE-Reise, es kommt das Saufen dazu und das Feiern und dementsprechend dann meist auch wenig Schlaf. Deswegen ist es körperlich anstrengend, aber komischerweise hat mich das weniger belastet als eine Lesereise. Was wahrscheinlich daran liegt, dass man den Stress besser verarbeitet, wenn man immer von Leuten umgeben ist und das nicht alleine auf den eigenen Schultern tragen muss.

Ihr neuestes Buch „Angriff auf die Freiheit“, welches sie gemeinsam mit dem Autor Ilija Trojanow veröffentlicht haben, klagt nicht den Gesundheitswahn, sondern den Überwachungsstaat und den Abbau bürgerlicher Rechte an. Werden diese Themen im Allgemeinen zu wenig thematisiert?
Ja, viel zu wenig! Es wird aber gerade besser. Seit einem guten Jahr bin ich viel, viel optimistischer, was die Frage anbelangt, wie interessiert die Leute gegenüber solchen Veränderungen sind. Vor einem Jahr hätte ich noch gesagt: Katastrophal, die Leute sind alle gleichgültig, es gibt überhaupt keine Debatte, es interessiert keine Sau. Das hat sich ja ein bisschen geändert, Gott sei Dank, und auch in den Reaktionen zu „Angriff auf die Freiheit“ hat man gemerkt, dass es in Wahrheit doch viel mehr Leute gibt, die das interessiert. Die sitzen nur alle still zuhause und melden sich nicht so richtig.
Ich denke schon, dass Potential da ist, dass es eine Bewegung wird. Aber das hängt sicherlich auch davon ab, wie die Politik sich in nächster Zeit verhält. Die Anzeichen stehen ja eher darauf, dass es in der selben Spur weitergeht. Auch wenn die FDP ihr bürgerrechtliches Herz im Wahlkampf wiederentdeckt hat, glaube ich nicht so richtig, dass es die Politik der nächsten vier Jahre prägen wird. Von daher könnte es schon sein, dass die Fronten sich da schärfen.

Zitiert

Wir wollten den Leuten mit dem Arsch ins Gesicht springen und sie auch ärgern. Weil Ärger eine gute Vorraussetzung dafür ist, das Gehirn einzuschalten.

Juli Zeh

Ist die Zeit prädestiniert dafür, sich darüber mehr Gedanken zu machen?
Weiß ich nicht. Erstens weiß ich nicht, ob unsere Zeiten soviel kälter geworden sind. Das ist ja momentan vor allen Dingen ein rhetorisches Problem, diese ganze Wirtschaftskrise. Die Auswirkungen sind ja noch nicht so deutlich, als dass wir sagen könnten, wir leben hier in Armut. Ich glaube, wenn es den Leuten richtig schlecht gehen würde, würden sie sich für solche Probleme überhaupt nicht mehr interessieren. Weil sie dann einfach andere Sorgen hätten. Ich würde eher sagen, dass es im Moment anfängt, dass es spürbarer wird und spürbar wird es eben dann, wenn auch darüber berichtet wird. Seit einiger Zeit bemühen sich die Medien Missbrauchsfälle im Datenschutz aufzudecken. Es wird thematisiert und es wird auch herausgearbeitet, was denn wirklich das Problem ist. Ich glaube, dass sich so auch das öffentliche Bewusstsein schult, dass die Leute es irgendwann einfach verstehen. Das Problem ist ja, dass man die Überwachung nicht wirklich sieht, und das ist ja auch der Zweck der Überwachung. Menschen sind nun mal so, was sie nicht wissen, macht sie nicht heiß.  

Überwiegt beim Verfassen einer solchen Streitschrift das Bedürfnis, die Wut zu kanalisieren, oder der Wille, dem Thema ein Podium zu schaffen, welches dann von möglichst vielen Leuten beachtet wird?
Der Wunsch ist, das Podium zu geben, die Diskussion zu nähren. Eigentlich gibt es sogar zwei Intentionen, die eine war sozusagen das Aufrütteln, deswegen ist das Buch auch so provokant gestaltet. Wir wollten den Leuten mit dem Arsch ins Gesicht springen und sie auch ärgern. Weil Ärger eine gute Vorraussetzung dafür ist, das Gehirn einzuschalten. Und die zweite Intention war, dass wir die Informationsgrundlage verbessern wollten. Wir haben sehr viele Fakten zusammengetragen, um überhaupt erstmal geballt zusammenfügen zu können, was eigentlich passiert. Wo stehen wir denn so in etwa, was gibt es jetzt schon für Maßnahmen, was haben die für Missbrauchsmöglichkeiten? Darum ging es auch. Und getrieben wurde das Ganze natürlich von unserer eigenen Wut, unserem Ärger und unserer Sorge.

Ist das Ergebnis von 1,9 Prozent, welches die Piratenpartei bei der Bundestagswahl 2009 erzielt hat, demnach ein wichtiges oder ein eher belangloses Statement?
Es ist natürlich ein wichtiges Ergebnis, aber es hätte für meinen Geschmack gerne auch noch mehr sein können. Weil es in unserer Gesellschaft ja immer nur darum geht, worüber die Medien Bericht erstatten. Vor der Bundestagswahl hat es ungeheuer viel Berichterstattung über die Piraten gegeben, weil es durch diesen überraschenden Erfolg bei der Europawahl nach einem Thema für die Medien aussah. Nach der Bundestagswahl ist das von einem Tag auf den anderen schlagartig abgestorben. Das Ergebnis war für die Medien also nicht extrem genug, um sich weiter damit zu befassen. Ich hasse es eigentlich, so zu denken, aber so läuft es halt. Gemessen daran wäre es einfach cooler gewesen, wenn die Piratenpartei noch ein bisschen mehr geschafft hätte. Dann hätten wir jetzt eine riesige Debatte, ob die Piraten dann irgendwann doch in den Bundestag kommen, ob die dann die Volksparteien angreifen und so weiter.

Wäre die Piratenpartei dann, durch den überraschenden Erfolg, zu einer vagen Bedrohung geworden?
Eine Bedrohung ist sie in dem Sinne sowieso nicht. Aber die Volksparteien sind im Schwinden begriffen, die SPD noch viel mehr als die CDU. Und sie sehen die Abwanderung zu den kleinen Parteien momentan nicht gerne, nicht mal im 0,1 Prozent-Bereich, weil das ja alles Stimmen sind, die Ihnen fehlen. Ich glaube, dass das auch für die Diskussionen vor der Wahl gesorgt hat, dass die großen Parteien momentan einfach sehr darauf gucken, wohin ihre Wähler eigentlich alle abwandern, denn sie wandern ja ab. Deswegen registrieren sie jetzt sehr genau, was sich in diesem Splitterparteien-Bereich so tut.

Sie haben 2009 zwei Bücher veröffentlicht, dazu das Hörbuch, die Tour, Lesereisen etc., Sie waren viel unterwegs. Ist das ein stressiger Zustand, der Ihnen Spaß macht, oder sehnen Sie sich danach, wenn das alles wieder vorbei ist?
Ich bin total froh, wenn es jetzt ruhiger wird. Aber ich muß auch sagen, dass das ein super Jahr war. Ich gehe normalerweise nicht so wahnsinnig gerne auf solche Touren, Lesereisen sind für mich einfach ungeheuer anstrengend. Jeden Tag alleine unterwegs zu sein, alleine auf der Bühne zu stehen und das immer wieder alleine stemmen zu müssen. Aber dadurch, dass ich zu „Corpus Delicti“ diese Kooperation mit Slut hatte und für das andere Buch mit Ilija Trojanow zusammen unterwegs war, hat es mir einfach sehr viel Spaß gemacht, weil ich nicht alleine war. Deswegen bin ich jetzt viel weniger gestresst und habe einfach gute Erinnerungen. Aber wie man hören kann werde ich jetzt krank und es ist Zeit für eine Pause. Ich habe zwar noch Termine, aber es passiert nicht mehr, dass ich einfach wochenlang gar nicht zuhause bin.

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