Frau Jentsch, in der Sat.1-Produktion „Frühstück mit einer Unbekannten“ wird der bevorstehende G8-Gipfel in Heiligendamm thematisiert. Sie spielen in der Hauptrolle eine Hebamme, die durch die romantische Bekanntschaft mit einem Finanzpolitiker (Jan Josef Liefers) plötzlich auf dem Weltwirtschaftsgipfel landet und dort für die Rechte der Dritten Welt streitet. Wenn man dazu Ihre letzten Filmprojekte wie „Sophie Scholl“ oder „Die fetten Jahre sind vorbei“ betrachtet, drängt sich eine Frage auf: Sind Sie ein politischer Mensch?
Jentsch: Ja, die Frage kann sich aufdrängen. Kurz gesagt, ich bin kein sehr politischer Mensch. Wenn ich näher auf die Frage eingehe, kommt es darauf an, wie ich das definiere, also wann jemand als politischer Mensch gilt. Aber ich engagiere mich in keiner politischen Organisation oder Partei. Trotzdem freue ich mich, wenn es Projekte oder Arbeiten gibt, wo der Film eine politische Aussage haben kann, die ich teile. Da trage ich gern dazu bei.
Haben Sie unverrückbare politische Überzeugungen, die Sie im Alltag vertreten?
Jentsch: Wie meinen Sie das?
Ich denke da zum Beispiel an das Konsumverhalten: Kaufen Sie bewusst fair gehandelte oder ‚politisch korrekte’ Produkte oder sind diese Dinge beim Konsumverhalten nicht in Ihrem Bewusstsein?
Jentsch: Ich stoße immer mehr auf dieses Thema durch Nachrichten oder durch entsprechende Geschäfte, die die Herkunft der Waren genau deklarieren. Ich finde es gut, dass es das gibt. Wenn ich dadurch darauf aufmerksam gemacht werde, dann achte ich dann schon darauf. Aber ich kaufe auch in „normalen“ Geschäften. Ich folge da keinen politisch strengen Regeln.
Warum waren Sie denn eigentlich in der letzten Zeit in so vielen politischen Filmen zu sehen? Kam das durch Zufall?
Jentsch: Das ist vielleicht ein falscher Eindruck. Ich habe sehr viele unpolitische Sachen gemacht. Ich habe bei vielen Theaterstücken ohne politischen Hintergrund gespielt, habe bei einem Tatort-Krimi mitgewirkt, ich habe bei einem tschechischen Kinofilm mitgespielt, der in diesem Jahr auf der Berlinale lief. Es hängt ja auch davon ab, was man angeboten bekommt. Vielleicht ist in der jüngsten Vergangenheit allgemein das Interesse größer, politische Filme zu machen und sich damit zu beschäftigen. Die Tatsache, dass ein Film ein politisches Thema behandelt ist für mich persönlich kein Entscheidungskriterium für oder gegen einen Film.
Wie muss man sich den Entscheidungsprozess für oder gegen ein Rollenangebot praktisch vorstellen?
Jentsch: Das Drehbuch muss mich erst interessieren – die erzählte Geschichte ist für mich entscheidend.
Welche Kriterien kommen noch dazu?
Jentsch: Ich achte in erster Linie darauf, welche Leute an dem Projekt mitwirken. Welcher Regisseur ist beteiligt? Haben diese Menschen eine ähnliche Vorstellung von dem Film und von dem Thema? Manchmal stelle ich nach Gesprächen fest, dass ich eine ganz andere Idee von dem Buch hatte, als die Entscheidungsträger. Entweder es fasziniert mich dann oder ich stelle fest, dass man inhaltlich nicht zueinander kommt.
Jetzt findet bald der G8-Gipfel in Heiligendamm statt. Interessiert Sie dieses Ereignis?
Jentsch: Bevor ich diesen Film zum G8-Gipfel gemacht habe wusste ich, dass es diesen G8-Gipfel gibt und welche Länder beteiligt sind. Aber was zum Beispiel die Entwicklungsziele im Detail bedeuten und dass die Länder einen bestimmten prozentualen Anteil ihres Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe versprochen haben, das sind alles Sachen, die ich erst verstärkt durch die Recherche für den Film wahrgenommen habe. Für den Film habe ich mich natürlich mit diesen Dingen näher beschäftigt.
Ich finde es sehr gut, dass der Film vor dem G8-Gipfel ausgestrahlt wird, weil es für viele Menschen die Gelegenheit bietet, auf das Thema aufmerksam gemacht zu werden. Dadurch kann Interesse geweckt werden, die Leute unterhalten sich über den Gipfel und verfolgen vielleicht die Gespräche.
Was beeindruckt Sie persönlich an dem G8-Gipfel?
Jentsch: Es ist prinzipiell beeindruckend, was sich die Teilnehmer des G8-Gipfels vorgenommen haben. Dass in einem Beschluss aus dem Jahre 2000 das Ziel festgesteckt wurde, die Armut auf der Welt bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Dass Kindern in den armen Regionen den Zugang zu Bildung erleichtert werden soll und dass Krankheiten wie Malaria und AIDS bekämpft werden sollen.
Es gibt sehr viel Kritik gegenüber dem G8-Gipfel…
Jentsch: Ja, ich glaube die Kritik entsteht daraus, dass die beschlossenen Ziele nicht eingehalten werden können.
Das Drehbuch muss mich erst interessieren – die erzählte Geschichte ist für mich entscheidend.
Rund um den Tagungsort wurde ein Sperrzaun errichtet, die Kosten dafür belaufen sich auf mehrere Millionen Euro…
Jentsch: Ich verstehe, dass man gegen diese teure Maßnahme demonstriert. Wir haben im Filmteam während der Dreharbeiten auch viel über dieses Thema diskutiert. Sicherheit kostet immer viel Geld. Man fragt sich dann, ob es nicht einen anderen Rahmen für eine solches Gremium geben kann. Aber der Protest wird solange anhalten, bis die Beschlüsse in Taten umgesetzt werden. Ich glaube, wenn es klar wäre, was beim Gipfel herauskommt und diese Beschlüsse eingehalten werden, dann würde die Akzeptanz steigen und die Sicherheitsmassnahmen bräuchten vielleicht nicht diesen Umfang.
Waren Sie selber schon mal demonstrieren?
Jentsch: Ja, ich habe schon mal demonstriert.
Gegen was oder für was?
Jentsch: Einmal ging es um die Zusammenlegung von Unis. Und ich habe gegen den Golfkrieg demonstriert.
Der Film „Frühstück mit einer Unbekannten“ wird im Privatfernsehen gezeigt. Stört Sie es, dass die Ausstrahlung des Films mit Werbeblöcken unterbrochen wird?
Jentsch: Ich habe mich für dieses Projekt entschieden, weil mich die Geschichte interessiert hat. Mich hat interessiert, was die Regisseurin über dieses Projekt denkt, was sie mit dem Film vorhat. Und es geht in dem Film um eine romantische Liebesgeschichte, die im Verlauf eine politische Dimension bekommt.
Der politische Aspekt des Filmes interessiert mich, aber das eine schließt das andere nicht aus. Es geht nicht um Entweder Oder.
Wie ist denn Ihr eigener TV-Konsum, Ihr Medienkonsum überhaupt?
Jentsch: Ich nutze den Fernseher nur gezielt, um eine bestimmten Film zu sehen. Aber ich mache mir keine Regeln oder habe einen Fernseh-Plan oder so etwas.
Ich nutze die Medien sehr unterschiedlich. Manchmal schaue ich Nachrichten im Fernsehen oder höre sie im Radio. Manchmal lese ich sie auch in der Zeitung. Ich bin nicht jemand, der jeden Tag im Internet ist, ich checke auch nicht jeden Tag meine Mails. Ich nutze das Internet vor allem, um zu recherchieren.
Ihr Engagement für das Theater ist relativ groß, obwohl Sie zur Zeit viele Filme drehen. Halten Sie bewusst am Theater fest?
Jentsch: Momentan bin ich nicht mehr fest am Theater, ich arbeite lediglich als Gast. Aber ich würde es nicht als eine Entscheidung für das Eine oder gegen das Andere sehen. Nach „Sophie Scholl“ habe ich erst mal sehr viel Theater gemacht und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo ich wieder mehr Film machen möchte. Und ich hoffe, dass ich das so hinbekomme, dass die Dinge sich abwechseln können, ohne dass ich mich endgültig entscheiden muss. Ich weiß, dass viele Menschen der Meinung sind, dass Film und Theater parallel für einen Schauspieler nicht möglich sind und man sich entscheiden muss. Aber bis jetzt bin ich noch guter Hoffnung.
Weil Ihnen sonst das Theater fehlt?
Jentsch: Es bedeutet mir sehr viel und ich finde es gut, dass es so etwas wie Theater gibt. Für den Zuschauer ist der Theaterbesuch ein besonderer Moment. Die Menschen gehen aus und freuen sich auf ein gutes Stück. Die Atmosphäre, die Reaktionen des Publikums auf den Schauspieler und die Tatsache des gemeinsamen Erlebens empfinde ich als etwas Besonderes. Andererseits können sich Film und Theater sehr bereichern und es steht nicht gegeneinander. Für viele Menschen ist Theater und Film zu unterschiedlich. Aber ich finde, dass Theaterarbeiten die Filmarbeiten unterstützen können und umgekehrt.
In den letzten Jahren haben Sie durch Ihre Erfolge eine große Bekanntheit erlangt. Wie hat sich Ihr persönliches Leben dadurch verändert?
Jentsch: Ich habe plötzlich Dinge erleben oder sehen können, womit ich nicht gerechnet hatte. Und ich habe Orte gesehen, von denen ich nicht erwartet hätte, dass ich da jemals hinkommen würde, was mit den Reisen zu tun hatte, die ich für die Filme machen konnte. Aber sonst hat sich nicht viel verändert.
Hat sich der Freundeskreis verändert?
Jentsch: Mein Freundeskreis hat sich eigentlich nicht geändert. Filmprojekte sind eine sehr intensive Zeit. Da entstehen neue Kontakte und Freundschaften. Dann geht man wieder auseinander und manche Verbindungen bleiben. So kommen Freundschaften dazu. Aber der Kern meiner engen Freunde hat sich seit vielen Jahren nicht verändert.
Ist das Leben glamouröser geworden?
Jentsch: Mein Leben ist nicht glamouröser geworden. Ich konnte teilnehmen an vielen glamourösen Augenblicken von Preisverleihungen und ähnlichem. Teilweise ist das sehr aufregend und neu gewesen, weil ich auch nicht wusste, was mich da erwartet.
Wenn ein Film ein Preis erhält, ist das ein sehr schöner Moment für mich und das Filmteam. Aber das sind flüchtige Augenblicke. Das verändert nicht wirklich mein Leben.
Es verändert aber vielleicht das Denken und die Erwartungen ein wenig?
Jentsch: Ja, klar. Es sind neue Erfahrungen und ich weiß, was ich mir unter diesen Momenten für eine Atmosphäre vorzustellen habe.