Julia Jentsch

Ich habe noch nie Mainstream gemacht.

Schauspielerin Julia Jentsch über den deutsch-polnischen Film "33 Szenen aus dem Leben", den Umgang mit Krankheit und Tod und wonach sie ihre Rollen auswählt

Julia Jentsch

© RealFiction Filme

Julia, „33 Szenen aus dem Leben“ ist ein autobiografischer Film, mit dem die Regisseurin Malgosia Szumowska, die in einem Jahr beide Eltern verlor, ihr Erlebtes aufarbeitet. Wie habt ihr euch dem Thema angenähert?
Jentsch: Wir haben uns unheimlich oft getroffen – auch mit den anderen Schauspielern, um die Sprachbarriere zu überwinden, die es anfänglich gab. Regisseurin Malgosia Szumowska hat auch das Buch zum Film geschrieben und hatte sehr genaue Vorstellungen zu ihrem Film. Sie hatte, ähnlich einem Tagebuch, ihre Erlebnisse aus dieser schwierigen Zeit in Notizen aufgeschrieben, weil alles was passierte sehr schnell ging. Als sie darauf zurückblickte, wollte sie aus dieser ungewöhnlichen, extremen Geschichte einen Film machen. Gerade für Menschen, die Ähnliches erlebt haben. Bewundernswert ist aber, wie sie aus diesen ihren persönlichen Erlebnissen etwas Fiktionales macht, indem sie nicht an ihren Erfahrungen klebt und uns Schauspielern Interpretationen ermöglichte, die die Geschichte weiterentwickeln.

Wie vermittelte sie dir ihre schlimmen Erlebnisse? Schließlich spielst du ja in deiner Rolle „Julia“ quasi sie…
Jentsch: Anfangs dachte ich, dass sie mir genau sagen wird, wie meine Figur ist. Aber letztlich war das nicht so, da sie daran interessiert war, wie ich das, was ich im Drehbuch lese, verstehe. So will sie diese Innenansicht verlassen.

Konntest du bei diesem Film auf eigene Erlebnisse zurückgreifen?
Jentsch: Ich habe zwar schon Personen verloren, die mir wichtig waren, aber die Reaktionen der Rolle Julia waren mir sehr fremd und ungewöhnlich. In einer Szene sitzen die beiden Schwestern am Bett der sterbenden Mutter und lachen plötzlich, weil die Brille lustig auf der Nase sitzt. Das mag ein lustiges Bild sein, aber ich würde nie selbst auf eine solche Reaktion kommen. Oder dass sie ihre kranke Mutter anfährt, weil sie sie nervt, oder wie sie ihren Vater anfährt und sogar schlägt als er betrunken ist. Das sind Reaktionen, die mir fremd waren und die ich nicht aus eigenen Erfahrungen abrufen konnte. Dem musste ich mich gemeinsam mit Magosia und dem Buch nähern.  

Dein neuer Film zeigt in sehr drastischen Bildern, wie persönliche Katastrophen das eigentlich stabile Gefüge einer Person und Familie komplett zerstört…
Jentsch: Der dramatische Stoff, mit dem sich der Film auseinandersetzt, ist sehr heftig und persönlich, gerade, wenn man von Freunden hört, dass deren Eltern an Krebs erkrankt sind. Das läuft parallel ab. Andererseits macht es das wichtig, sich mit solchen Situationen zu beschäftigen oder sich darauf vorzubereiten – nicht nur im Film, sondern auch privat.

Wie sieht das bei dir aus?
Jentsch: Ich habe da sicherlich keinen idealen Weg, aber ich denke es ist wichtig sich nicht vor solchen Situationen zu drücken und dabei zu sein, wenn jemand krank ist oder im Sterben liegt. Das ist auch das schöne an diesem Film: Es ist nicht immer nur alles traurig, das Leben läuft parallel weiter. Man muss den Rest nicht ausklammern. Es ist nicht moralisch verwerflich, wenn jemand an die eigene Karriere denkt, obwohl die Mutter krank ist. So ist nun mal das Leben und das ist auch okay so.

In der Originalversion von „Ich habe den englischen König bedient“ sprichst du tschechisch. Nun spielst du in einem polnischen Film. Sprichst du im Original Polnisch?
Jentsch: Ja, bei „Ich habe den englischen König bedient“ waren etwa zwei Drittel meines Textes tschechisch. Das war meine erste Erfahrung mit einer Sprache, die ich nicht spreche. Ich spreche auch kein polnisch, aber bei einem meiner ersten Treffen mit Malgosia erklärte sie mir, dass meine Rolle synchronisiert werden wird. Das ist außergewöhnlich, da es in Polen keine Tradition des Synchronisierens gibt und das nicht gemacht wird. Filme werden entweder im Original mit Untertiteln gezeigt, oder aber eine polnische Stimme erzählt die ganze Geschichte mit allen Charakteren. Um Irritationen beim Publikum zu vermeiden bat sie mich Lippensynchron, also auf Polnisch zu spielen. So habe ich ähnlich wie bei „Ich habe den englischen König bedient“ nicht die Sprache gelernt, sondern nur meinen Text und die Aussprache.

Wie funktioniert das?
Jentsch: Es ist anstrengend. Die Dolmetscherin hatte mir eine CD besprochen, so dass ich mir den Klang der Sprache anhören konnte. Aber ich musste viel einpauken.

Zitiert

Es ist nicht moralisch verwerflich, wenn jemand an die eigene Karriere denkt, obwohl die Mutter krank ist.

Julia Jentsch

Neben Mimik und Gestik, fällt aber mit der Sprache ein wichtiges Element weg. Wie hat sich der Umstand auf dein Spiel ausgewirkt?
Jentsch: Die Sprache fällt ja nicht weg. Aber es stimmt schon, es entstehen andere Schwierigkeiten: Etwa reagieren zu können, wenn der Kollege improvisiert. Dadurch ist die eigene Reaktionsfähigkeit eingeschränkt. Aber durch solche Einschränkungen verändert sich das eigene Spiel auch.

Wie schwer ist dir deine Nacktszene gefallen?
Jentsch: Ich bin der Meinung, dass man Sex und Liebe erzählen kann, ohne nackte Menschen zu zeigen. Dennoch versuche ich Verständnis für den Regisseur und seine Vorstellungen aufzubringen und stelle mich nicht völlig quer. In dem Fall ist die Szene wichtig, da sie eine Reaktion auf den Tod zeigt, in der sich Julia nach Zärtlichkeit und Geborgenheit sehnt. Vielleicht sogar nach neuem Leben, schließlich besteht durchaus die Möglichkeit, dass sie ein Kind bekommen könnte. Das habe ich schon oft erlebt: Bricht ein Teil der Familie weg, entsteht der Wunsch nach einer eigenen Familiengründung. Wir haben schließlich eine Art der Darstellung gefunden, die für alle okay war.

Es wäre auch unpassend, in einem Film, der mit so drastischen Bildern über den Tod erzählt, beim Sex wegzublenden…
Jentsch: Ja, man kann nicht plötzlich mit einem völlig anderen Stilmittel erzählen und plötzlich nicht mehr hinsehen, nachdem vorher alles gezeigt wurde.

Als nächstes stehen die beiden Literaturverfilmungen „Tannöd“ und „Effi Briest“ an. Ein paar Worte dazu bitte…
Jentsch: „Tannöd“ ist fast abgedreht, „Effi Briest“ kommt im Februar in die Kinos. Ich spiele gerade Theater, das Stück „Major Barbara“ von George Bernard Shaw am Schauspielhaus Zürich.

Wieder Filme von dir, die eindeutig dem Arthouse zuzuschreiben sind. Wie wichtig ist es dir anspruchsvolle Themen in deinen Filmen zu thematisieren? Kannst du dir auch ein Mainstream-Projekt vorstellen?
Jentsch: Meine Entscheidung, ob ich etwas spiele, hat immer mit Regisseur oder Rolle oder Geschichte zu tun. Erst in zweiter Linie damit, ob es Film, Theater oder TV ist, weniger damit, ob etwas Mainstream ist. Ich tue mich schwer, das zu beurteilen. Mainstream hat auch immer mit Erfolg und Publikumsmenge zu tun. Wobei schon oft klar ist, was für ein Publikum der Film finden kann. Ich folge eher einem Idealismus, dass ich hoffe, wenn ich einen Film zu einem guten Thema drehe, sich auch viele Menschen finden, die sich dafür interessieren. Richtig darauf geachtet, ob das Mainstream ist, habe ich nicht. Wenn du so willst, habe ich noch nie Mainstream gemacht.

Viele deiner Filme wie eben „33 Szenen aus dem Leben“ (in Locarno) oder auch „Ich habe den englischen König bedient“, der bei der Berlinale im Wettbewerb war, sind auf den großen internationalen Filmfestivals zu sehen. Wie wichtig ist das für dich?
Jentsch: Ich fand es total beeindruckend, auf der Piazza Grande mit 8.000 Leuten einen Film zu sehen. Ein Festival, das für den Verkauf eines Films schon eine große Bedeutung hat. Die Presse-Aufmerksamkeit ist vielleicht nicht ganz so hoch wie bei der Berlinale.

Welche Rolle spielte der „Silberne Bär“ und generell die zahlreichen Preise und Auszeichnungen, die du erhalten hast?
Jentsch: Nach Sophie Scholl gab es zahlreiche internationale Anfragen, die aber letztendlich alle nicht zustande kamen. Auch eine spannende Erfahrung. Von deutscher Seite blieben die Angebote erstmal aus, was für mich nicht dramatisch war, weil ich mit dem Film viel herumreiste und ja auch Theater spiele. Es ist nicht so, dass plötzlich alle auf einen zukommen und mit dir arbeiten wollen. Vielleicht denken die Leute, dass sie lieber jemand anderes nehmen, der nicht gerade in aller Munde ist. Aber das kommt dann wieder. Aber ausländische Preise und Festivals tragen dazu bei, dass internationale Regisseure auf einen Aufmerksam werden.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Jentsch: Vielleicht A-Hörnchen oder B-Hörnchen. Ich glaube die haben ein gutes Leben und viel Spaß miteinander.

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