Herr von Dohnányi, in Ihrem Regiedebüt „Bis zum Ellenbogen“ waren Sie vor allem als Leiche zu sehen – wie groß ist das Desaster diesmal?
Justus von Dohnányi: Das Desaster ergibt sich einfach. Es gibt acht Personen, die alle hinterhältig, böse, vorteilnehmerisch und gierig sind und die alle durch diese Gier und Charakterschwächen bis zu einem gewissen Grad auf der Strecke bleiben. Ausgelöst wird das Desaster durch die Blödheit und Dämlichkeit von Ed. Dann geht alles, wirklich alles schief.
Diesen Ed spielen Sie selbst. Und Sie sehen dabei fürchterlich aus, wenn ich das so sagen darf?
von Dohnányi: (lacht) Das dürfen Sie auf jeden Fall!
Sie tragen einen Schnauzer, die Haare sind nach oben hin abrasiert, die Wampen von Ihnen und von Jan Josef Liefers sind nicht zu übersehen. Im Gegensatz dazu spielen Anna Loos und Angela Winkler die Femmes Fatales. Der Film wurde an der Côte d’Azur gedreht. Wie wichtig ist die Optik für den Film?
von Dohnányi: Es war schon wichtig, dass man im Süden ist und dass man auch die Atmosphäre, das Licht, die Wärme spürt. Die Côte d’Azur war für uns aus zwei Gründen ideal: Erstens ist sie sehr pittoresk ist und zweitens gibt es in der Gegend die eine oder andere – ich will mal sagen – mafiöse Struktur und damit auch viele reiche, aber dubiose Gestalten.

Justus von Dohnanyi und Jan Josef Liefes in „Desaster“ © Studiocanal
Ist der Ed Ihre bisher dickste Rolle?
von Dohnányi: (lacht) Ja, ich glaube schon. Der Jan und ich wollen nicht irgendwelchen amerikanischen Gangstermilieu-Typen nachhecheln, die dann mit Sixpack durch die Gegend rennen. Es ist schließlich eine Komödie. Wir dürfen dagegen angehen und mit unseren Schwächen arbeiten – und die haben wir mit Olivenöl, Weißbrot, Käse und Rotwein ausgebaut.
Wie fühlt man sich mit so einem riesengroßen Bauch?
von Dohnányi: Erst ist es lecker, dann beschwerlich.
Wie lange haben Sie gebraucht, um das wieder abzutrainieren?
von Dohnányi: Ich habe danach Gott sei Dank einen Film gemacht, bei dem das nicht problematisch war, in „Frau Müller muss weg“ durfte ich auch so aussehen. Danach musste langsam wieder alles runter.
Heute sind wir eine sehr freie, moderne und offene Gesellschaft, wo Amerika sich durchaus das eine oder andere abschauen könnte.
Ist „Desaster“ eine Fortsetzung von „Bis zum Ellenbogen“? Schließlich sind Jan Josef Liefers und Stefan Kurt wieder mit dabei.
von Dohnányi: Es ist eine ganz andere Geschichte. Diesmal spielt es im Gangstermilieu und ist eine Satire beziehungsweise Groteske. In unserem Geschäft gibt’s immer wieder lange Strecken, in denen man sich aus den Augen verliert und so haben wir alle paar Jahre gesagt: Wollen wir nicht mal wieder `nen Film zusammen machen? Einfach, weil wir einen ähnlichen Humor haben, Spaß miteinander haben, uns gegenseitig ganz gut hochschaukeln können, weil wir Theaterhistorie haben. Wir fangen nicht bei Null an, sondern wir wissen einfach schon, was der andere für Stärken und Qualitäten hat.
Was ist die größte Stärke des Films?
von Dohnányi: Dass man sich über Situationskomik, Wortkomik und Slapstick-Einlagen freuen kann.
Sie legen in „Desaster“ ein enormes Tempo vor. Wie erreicht man diese Geschwindigkeit?
von Dohnányi: Wir waren eine sehr kleine Crew, hatten eingeschränktes Equipment, aber viele Drehtage für so einen kleinen Film. Wir haben Dynamik, die wir durch Kamerafahrten nicht erzeugen konnten, durch die Schnittfolge gelöst.
Einige der Szenen sind sehr schwarzhumorig – wie schwarz darf Humor in Deutschland sein?
von Dohnányi: Das weiß ich nicht. Wenn ein Film aus England oder Amerika kommt, dann wird das schon vom Publikum akzeptiert. Das sieht man bei den Filmen von den Coen-Brüdern, bei Tarantino oder auch bei der englischen Gruppe Monty Python.
Ich würde auch sagen, dass zum Beispiel die Österreicher oder die Skandinavier im Schnitt mutiger sind als wir. Vielleicht müssen die auch nicht so sehr an die Quote denken.
Eine Woche nach „Desaster“ startet der Film „Heil“, in dem Regisseur Dietrich Brüggemann viel Deutsches aufs Korn nimmt: Verfassungsschutz, Nazis, Antifa, Talkshows. Dürfen wir endlich über uns selbst lachen?
von Dohnányi: Es gibt natürlich Themen, die man nicht veralbern sollte, aber lachen dürfen wir schon über uns. Wir Menschen sind ja auch recht lächerliche Figuren.
Wo hat der Humor für Sie Grenzen?
von Dohnányi: Es kommt immer auf den Blickwinkel an. Erst mal ist es nicht verboten, einen guten Witz über alles Mögliche zu machen. Aber ich tue mich schon schwer mit der Herabsetzung von Minderheiten besonders wenn es schwammig wird zwischen Ernst und Spaß.
In „Napola – Elite für den Führer“ spielten Sie einen Gauleiter, in „Der Untergang“ einen Wehrmacht-General und in „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ den Propaganda-Regisseur Veit Harlan. Wie wirken diese Rollen auf Sie?
von Dohnányi: Das sind natürlich unglaublich böse und teilweise feige und hinterhältige Figuren. Ich versuche, dem so gerecht zu werden wie irgend möglich und das herauszuholen, was mir in der Richtung an Gedanken, Ideen und Phantasien kommt. Ich bin heilfroh, dass ich ab und zu einen Kinderfilm machen kann, eine Komödie oder zwischendurch einfach mal einen Thriller oder ein Drama. Damit man sich nicht ausschließlich mit so was beschäftigen muss. Das wäre ein bisschen zu einseitig.
Sie sind ein Großneffe von Dietrich Bonhoeffer und Ihr Großvater Hans von Dohnányi war ein bekannter Widerstandskämpfer. Welchen Einfluss hat das?
von Dohnányi: Das Thema beschäftigt mich bis zu einem gewissen Grad immer wieder. Es lässt mich die Filme, die über diese Zeit gemacht werden, in einem bestimmten Blickwinkel sehen. Da gibt es gute Komödien, zum Beispiel von Charlie Chaplin „Der große Diktator“, da gibt`’s aber auch welche, die mir nicht so gut gefallen, weil sie die Grenze des guten Geschmacks verletzen.
Wie gut hilft Ihnen das Wissen über Ihren Großvater, bestimmte Rollen zu erschließen?
von Dohnányi: Ich kenne mich gut aus in der Vergangenheit meines Großvaters. Das hilft mir aber nicht wirklich, Rollen zu erschließen, weil die Rollen, die ich da spiele oft fiktive Figuren sind. Es hilft aber, wenn man sich grundsätzlich mit dem Thema auseinandergesetzt hat und man etwas über die Zeit und etwas über die Gründe weiß, warum sich Menschen so oder so entwickelt haben.
Was haben Sie von Ihrem Großvater gelernt?
von Dohnányi: Dass es sich lohnt, für seine Meinung einzustehen und Zivilcourage zu haben.
Sie waren auch in einigen großen internationalen Produktionen zu sehen, wie George Clooneys „Monuments Men – Ungewöhnliche Helden“ oder auch in „James Bond 007 – Die Welt ist nicht genug“. Wie war diese Erfahrung für Sie?
von Dohnányi: Das sind sehr hochprofessionell gemachte, technisch auf höchstem Niveau gedrehte Filme, wo am Anfang des Tages wahrscheinlich schon am Anfang des Drehs durch ein Storyboard genau festgelegt ist durch welche technische Einstellung wann wie was geschehen soll. Da geht es weniger darum, psychologisch mit dem Schauspieler zu arbeiten, als dass die Schauspieler funktionieren und ihre Aufgabe erfüllen sollen. Es ist ein beeindruckendes Spektakel, ich erinnere mich, dass beim Bond in den Studios in England eins zu eins ein U-Boot aufgebaut war. Und bei „Monuments Men“ hat man in Babelsberg diesen gigantisch großen Stollen aufgebaut. Da wird nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Ist man da als Schauspieler mehr Marionette?
von Dohnányi: Das kommt immer darauf an, in welchem Genre man sich bewegt. Bei dem letzten Film „Woman in Gold“, den ich mit Helen Mirren gedreht habe, wurde mehr auf schauspielerische Dinge wert gelegt, weil es nicht um Action oder Schnitte oder Geschwindigkeit ging, sondern eher um die Psychologie der Figuren.
Ärgert es Sie, dass Deutsche in Hollywood häufig die Bösewichter spielen müssen?
von Dohnányi: Wenn es Filme sind, die sich mit der Historie beschäftigen, dann ist das nicht verwunderlich, dass wir schlecht weg kommen. Heute sind wir eine sehr freie, moderne und offene Gesellschaft, wo Amerika sich durchaus das eine oder andere abschauen könnte. Da wäre es wünschenswert, ein anderes Bild von uns zu zeichnen. Das passiert auch ab und zu, aber es werden natürlich öfter die anderen alten Geschichten erzählt.
Sie arbeiten als Regisseur und schreiben auch Drehbücher. Jetzt könnten Sie das doch eigentlich ändern? Den Draht nach Hollywood haben Sie auch…
von Dohnányi: Nein, so einfach geht das nicht. Die haben natürlich ihre Mechanismen und da ranzukommen und die richtigen Stellschrauben zu bewegen… – das ist selbst in Deutschland unglaublich schwierig. Dazu hängt da zu viel Geld dran und es gibt zu viele Leute, die mit entscheiden. Aber man kann seinen Mund aufmachen und das ab und zu einfordern beziehungsweise sich das wünschen.
Was ist für Sie aktuell die spannendste Entwicklung in der deutschen Filmlandschaft?
von Dohnányi: Ich finde, dass wir ein sehr breites Spektrum an interessanten Stoffen haben. Ich kann in einen Film gehen, der ganz still und ruhig erzählt wird und sich nur auf die Figuren und die Psychologie der Figuren konzentriert. Dann gibt es Filmemacher wie Til Schweiger, die große romantische Filme machen, aber auch solche, die einen frechen, schnellen Film wie „Who am I“ drehen.
Was wünschen Sie sich noch vom Deutschen Film?
von Dohnányi: Ich weiß nicht, ob es ein naiver Wunsch ist, aber ich wünsche mir mehr Unabhängigkeit von der Quote. Vor allem im Fernsehen, wo zwar auch viele tolle Filme gemacht werden. Aber im öffentlich-rechtlichen Fernsehen muss man nicht so sehr darauf achten, dass die Quote stimmt, und könnte sich das eine oder andere Mal trauen, mutigere Wege zu gehen. Wie es zum Beispiel der Hessische Rundfunk beim „Tatort“ macht, der ungewöhnlich, inzwischen aber auch erfolgreich.
Sie sind Sohn des Dirigenten Christoph von Dohnányi und der Schauspielerin Renate Zillessen. Wie sehr hat Sie dieses Umfeld geprägt?
von Dohnányi: Das hat bestimmt eine Rolle in meinem Blickwinkel auf Berufe gespielt, weil mein Vater nicht von Nine to Five weg gewesen ist. Dafür wurde auch am Wochenende und am Abend gearbeitet.
Hatten Sie auch mal einen anderen Berufswunsch?
von Dohnányi: Ja, ich habe mich als Jugendlicher sehr für Fotografie interessiert. Das hat mir dann später, als ich vom Theater zum Film wechselte, sehr geholfen.