Herr Wiesinger, die Affäre um Christian Wulff ist bereits vielfältig dokumentiert durch die Presse, Bücher etc. Sie selbst sagen in einem „Making Of“-Gespräch: „Es ist schrecklich, wenn man derjenige ist, über den ein Film gemacht wird.“ Warum finden Sie, ist es dennoch wichtig, dass man „Der Rücktritt“ gedreht hat?
Kai Wiesinger: Ich kann mir in der Tat vorstellen, dass es aus der Perspektive von demjenigen, über den so ein Film gemacht wird – der jetzt nicht nur Lobeshymne ist – schrecklich ist. Ich persönlich zum Beispiel möchte mein Privatleben nicht in der Öffentlichkeit ausgebreitet sehen. Aber wenn man einen Beruf ausführt, der in der Öffentlichkeit stattfindet, dann werden die Persönlichkeitsrechte etwas eingeschränkt. Dann muss man damit leben können, dass gewisse Sachen beobachtet und beschrieben werden.
Wir versuchen darzustellen, wie Wulff und die anderen handelnden Personen sich gefühlt haben könnten. Wir behaupten nicht, sie zu sein. Von daher kann sich Christian Wulff sagen „das sind Leute, die machen sich über mein Leben Gedanken und stellen das so und so dar.“ Ich denke, er kann dazu auch einen Abstand wahren.
Aber um bei der Frage zu bleiben: Welche Notwendigkeit sehen Sie für diesen Film?
Wiesinger: Ich finde immer wichtig, dass solche Filme – Kunstwerke generell – eine gewisse Allgemeingültigkeit haben. Ich fände es nicht notwendig, einfach nur Wulffs privates Seelenleben darzustellen, das wäre mir zu wenig gewesen. Mir ist wichtig, dass wir eine Diskussion darüber führen, wie wir in Deutschland miteinander umgehen wollen. Und dafür kann man diese Situation, was sich vor genau zwei Jahren zugetragen hat, wunderbar als Grundlage nehmen.
Sie erhoffen sich eine gewisse Wirkung von dem Film?
Wiesinger: Ich erhoffe mir von jedem Kunstwerk, von jeder kreativen Leistung eine gewisse Wirkung, sonst wäre sie sinnlos. Diese Wirkung sollte meines Erachtens immer sein, dass es den Zuschauer ein kleines bisschen verändert entlässt. Im Museum zum Beispiel gibt es auch Bilder, die nur dazu da sind, einen zu erfreuen, wie ein schöner Blumenstrauß. Und es gibt solche, die mich verändert hinterlassen, wo für mich Kunst Spaß macht und interessant wird. So eine Wirkung wünsche ich mir auch von diesem Film.
Der Film soll also zum Nachdenken anregen, anders als es die Berichterstattung im Fernsehen getan hat…
Wiesinger: Absolut. Die Berichterstattung im Fall Wulff ist ja an sich schon etwas, worüber ich mir Gedanken machen könnte. Ebenso der Umgang in der Bevölkerung mit den Geschehnissen.
Durch den Film bekommt man vielleicht einen gewissen Einblick in die Figuren hinter den verschlossenen Türen, um darüber nachzudenken. Es ist aber nicht dieser berühmte Zeigefinger „Achtung, ihr müsst das anders machen“, das wäre völlig unangemessen von unserer Seite aus. So ein Film muss in jedem Fall auch unterhaltsam sein. Und wenn man darin etwas verpacken kann, wovon der Zuschauer im Nachhinein etwas hat, weil er sich vielleicht bewusster darüber wird, wie wir als Volk in dieser Situation reagiert haben, dann finde ich das sehr schön.
Wäre Ihnen Christian Wulffs Meinung zu Ihrer Darstellung wichtig?
Wiesinger: Das wäre mir nicht so wichtig. Unser Film ist ja nicht für Christian Wulff gemacht, sondern für ein breites Publikum, um mit dieser Geschichte auf etwas Anderes aufmerksam zu machen.
Ich habe bislang drei oder vier Menschen gespielt, die es wirklich gegeben hat bzw. die noch leben, und bin das jedes Mal so angegangen, dass ich nicht versuche, denjenigen zu imitieren, sondern wahrhaftig in dem Augenblick zu sein. Zwei Mal bekam ich unglaublich nette, liebevolle Briefe von Angehörigen der dargestellten Person zurück, die sich für meine Darstellung bedankten, weil sie einfach ehrlich gewesen sei. Es ist natürlich mein Ziel, dass ich demjenigen gerecht werde.
Man muss einfach davon ausgehen, dass wir alle viel primitiver sind als wir zugeben, dass der Mensch an sich ein unglaublich primitives Wesen ist.
In „Der Rücktritt“ sind immer wieder auch echte Nachrichten-Bilder von Wulff zu sehen. Ist es schwierig gewesen, dagegen anzuspielen
Wiesinger: Wenn ich das versucht hätte, wäre es verdammt schwer gewesen. Aber das haben wir nicht, wir haben nicht versucht, nahtlos an diese Bilder anzuschließen. Meine Bewegungen sind anders, auch mein Sprachduktus, die Stimme – da gibt es ganz klar den Schnitt. Es gibt die Bilder, die wir alle gesehen haben und dann gibt es unsere Interpretation dessen, was dazwischen gewesen sein mag.
Haben Sie heute morgen schon Nachrichten gelesen?
Wiesinger: Nein.
Wie intensiv verfolgen Sie denn das Politikgeschehen?
Wiesinger: Nicht sehr intensiv. Früher war ich totaler Nachrichten-Junkie, da habe ich bis spät in die Nacht noch N24 und N-TV geguckt, auch wenn es schon zum dritten Mal die gleichen Nachrichten waren. Und dann gab es eine Zeit, wo ich mich drei Jahre aus allen Medienbereichen zurückgezogen habe, kein Radio, kein Fernsehen, kein Internet, keine Nachrichten. Taxifahrer habe ich gebeten, das Radio auszumachen.
Warum das?
Wiesinger: Das ergab sich so, während Dreharbeiten in Afrika. Da habe ich nur die dortigen Nachrichten am Rande mitbekommen, nichts über Deutschland verfolgt und als ich wieder zurück kam dachte ich mir: „Ach nö, ich lass das mal“. Ich war durch ein paar Dokumentarfilme, die ich früher gedreht habe, mit einem religiösen Thema beschäftigt. Und dann habe ich mich drei Jahre fast ausschließlich mit Quantenphysik und Gehirnforschung auseinandergesetzt. Weil ich es wichtiger fand, zu verstehen, warum wir Menschen überhaupt so sind, wie wir sind, also warum solche Nachrichten überhaupt erst entstehen können. Die Ebene dahinter hat mich viel mehr interessiert.
Und wie ist es heute?
Wiesinger: Ich kam wieder zurück in diese Medienwelt Ende 2011, als auf Rügen dieses Kind von Kreidefelsen verschüttet wurde. Die Nachrichten darüber hörte ich jeden Tag, auch unfreiwillig bekommt man das ja irgendwo reingehämmert. „Die Bagger suchen jetzt“ usw. Da wird man überschwemmt mit etwas, was mit einem ganz viel macht, was aber gar nichts mit dem eigenen Leben zu tun hat. Ich fahre ja nicht dort hin, nach Rügen, und suche.
Aber Sie halten sich schon auf dem Laufenden, was die Tagespolitik anbelangt?
Wiesinger: Ich informiere mich jetzt so, dass ich grob weiß, was passiert. Denn was ich am wenigsten mag ist Smalltalk, also wenn Leute über etwas reden, was sie nicht wirklich wissen. Es werden uns ja sehr viele Meinungen als Nachrichten verkauft, Interpretation wird uns als Wahrheit verkauft. Damit tue ich mich wahnsinnig schwer, weil ich denke: Das könnte so gewesen sein, aber sehr wahrscheinlich war es doch ein bisschen anders. Und was nützt es, wenn ich mich am Flughafen mit jemandem über irgendein innenpolitisches Thema unterhalte, wo wir beide nicht die Wahrheit kennen, sondern nur irgendeine Meinung aus einer Zeitung? – Was für ein sinnloses Gespräch!
Welchen Eindruck haben Sie im Moment, warum es in Deutschland so viele Rücktritte gibt?
Wiesinger: Ich glaube, dass ist alles Teil eines gewissen Klarwerdungsprozesses darüber, wer wir eigentlich sind und wie wir miteinander sein wollen. Diese Ansprüche, die aneinander bestehen, sind ja absurd. Wenn man sieht, wer alles was von wem einfordert ohne auch nur ansatzweise von sich selber sagen zu können, diesen Forderungen gerecht zu werden. Ich glaube, man muss einfach davon ausgehen, dass wir alle viel primitiver sind als wir zugeben, dass der Mensch an sich ein unglaublich primitives Wesen ist. Natürlich gibt es altruistische Menschen, aber diese ganzen moralischen Ansprüche, man müsste sich so und so verhalten – am Ende tun die Leute es doch nicht. Wenn man ganz ehrlich ist, ist doch eigentlich jeder sich selbst der Nächste. Es ist natürlich schrecklich, was da alles gerade auffliegt, zum Beispiel wenn man sich die Kirchen anguckt. Was für eine Doppelmoral, was für ein Geheuchele!
Aber könnten Forderungen nach mehr Transparenz nicht dazu führen, dass die Doppelmoral stirbt?
Wiesinger: Das glaube ich nicht. Dieser Schrei nach einer unglaublichen Transparenz und die Erwartung, dass Menschen plötzlich zu unfehlbaren Wesen werden – das ist doch auch idiotisch.
Das Verhältnis zwischen Medien und Politik scheint aus der Balance gekommen zu sein – was müsste passieren, damit wieder das richtige Gleichgewicht hergestellt ist?
Wiesinger: Ich finde das unglaublich schwer zu beantworten. Und das Gute ist, dass wir als Künstler auch nicht die Aufgabe haben, tolle Antworten parat zu haben. Wir sind im Grunde genommen kaum anders als früher der Hofnarr. Wir tragen zur Unterhaltung bei. Vielleicht können wir Menschen damit auch auf neue oder bessere Ideen bringen. Letztlich halten wir ihnen mit diesem Film den Spiegel vor und sagen: So oder so ähnlich war das doch.
Was können die Medien aus diesem Spiegelbild lernen?
Wiesinger: Ich glaube, dass es schon Begriffe gibt, wie zum Beispiel „Würde“, die man ruhig mal wieder hervorholen könnte. Diese totale Entblößung, dieser Spaß an der Skandalisierung, den es im Fall Wulff gab, hat doch nichts Positives. Es hat sich in dem Fall nicht um einen wichtigen, investigativen Aufklärungsjournalismus gehandelt. Das mag hier und da eine Triebfeder gewesen sein, aber dann ist es mutiert und der Spaß an der Skandalisierung hat alles andere überrollt.
Bei der Berliner Filmpremiere von „Der Rücktritt“ gab es Applaus für die „Bild“-Recherche.
Wiesinger: Ja. Ein schwieriges Thema. Die Auseinandersetzung gab es ja auch bei der Auszeichnung mit dem Henri Nannen Preis. Ich finde die Ansätze, wie alles ins Rollen gekommen ist, interessant und richtig, aber irgendwann ist aus dem investigativen Journalismus etwas anderes geworden. Wobei auch Christian Wulff eine Verantwortung trägt für das, was da losgetreten wurde. Denn wenn ich als Ministerpräsident diese moralischen Dinge so vehement einfordere, wie er es getan hat, dann muss ich mich selbst daran messen lassen.
Wulff versuchte sich ja noch zu verteidigen, in einem viel beachteten Interview mit Ulrich Deppendorf und Bettina Schausten.
Wiesinger: Dieses Interview hatte auch seine guten Momente. Nur, was ich unerträglich fand, war die Aussage von Bettina Schausten, dass sie für eine Übernachtung bei Freunden 150 Euro zahlen würde.
Das Interview wird auch in „Der Rücktritt“ verwendet, doch diese Passage von Bettina Schausten fehlt.
Wiesinger: Da habe ich keinen Einfluss drauf. Ich frage mich aber an der Stelle: Das ist doch eine intelligente Frau, aus welchem Geist wird so eine Äußerung geboren? Man kann nicht Lieschen Müller und man kann nicht dem Bundespräsidenten offen ins Gesicht etwas sagen, von dem man weiß, dass es einer Überprüfung nicht stand hält.
Schausten hat in dem Moment ja auch die Zuschauer belogen – und sich nie dafür entschuldigt.
Wiesinger: Das habe ich nicht weiter verfolgt. Ich kann mir diese Äußerung nur so erklären, dass zu dem Zeitpunkt die Lust am Skandal wichtiger war, als eine Wahrhaftigkeit in der Auseinandersetzung. Ich kann nicht von jemandem ein bestimmtes Verhalten einfordern und dabei vergessen, dass ich mich selbst auch nicht anders verhalte.
Es geht in „Der Rücktritt“ auch um die „Bild“-Zeitung. Die Sängerin Judith Holofernes schrieb 2011: „Die „Bild“-Zeitung ist ein gefährliches politisches Instrument (…) ein bösartiges Wesen, das Deutschland nicht beschreibt, sondern macht. Mit einer Agenda.“ Teilen Sie diese Auffassung?
Wiesinger: Das würde ich so nicht unterschreiben. Es ist ja jeder mitverantwortlich dafür, was er mit sich machen lässt. Wir sind alle mündige Bürger – wenn wir es denn mal wahrnehmen würden. Ich glaube jedenfalls nicht, dass es einer Zeitung gelingt, ein Volk oder die Geschichte eines Landes zu machen. Natürlich versuchen Medien immer wieder, Einfluss zu nehmen. Letztlich sind wir aber glaube ich sehr viel mehr von wirtschaftlichen Faktoren abhängig als von der Stimmungsmache einer Zeitung.
Nichts desto trotz sagte Gerhard Schröder, er brauche zum Regieren auch „Bild“ und „BAMS“. Braucht man das als prominenter Schauspieler auch?
Wiesinger: Man braucht die Medien, um Werbung für seine Filme zu machen. Wenn es nach mir gehen würde, dann würde ich als Privatperson Kai Wiesinger nie in irgendeiner Zeitung auftauchen. Das eine ist mein Leben, das zuhause stattfindet, das andere ist meine Arbeit, die ich mache, um die Filme, in denen ich mitwirke, zu bewerben. Diesen Spagat zu schaffen, ist nicht einfach. Man gerät in Situationen, wo es einem schwer gemacht wird, wo Menschen versuchen, das aufzubrechen. Auch wenn man selber sich nur schützen und sein Privatleben privat halten möchte.
Wer bricht das auf?
Wiesinger: Es wird schon sehr viel gebohrt. Auch da erwarte ich mir eigentlich mehr Respekt im Umgang miteinander. Es müsste doch eigentlich für einen Schauspieler, der nicht Politiker ist, der nicht als Mensch für eine Botschaft steht sondern Filme macht, für den müsste es eine klare Regelung geben: Wenn ich die Medien nicht benutze nach dem Motto, „komm, guckt euch meine Küche an, damit mein Film besser läuft“, sondern stattdessen sage: „Wir treffen uns im Hotel“, dann müsste auch die Abmachung gelten: „Wir schreiben über dich das, was du uns im Hotel sagst und was du im Film sagst. Wir kommen aber nicht zu dir nach hause und schreiben nicht darüber, was du dort machst.“
Sogenannte „Home-Storys“ haben Sie also keine gemacht?
Wiesinger: Nein, nie.
Aber warum haben Sie sich Anfang 2012 entschieden, Ihr Privatleben in einem Interview mit der „Bild“ zu besprechen?
Wiesinger: Weil es eine Situation in meinem Leben gab, wo man so anfällig ist und so labil, dass man erpresst werden kann. Außerdem können Überschriften und Texte durch Kürzungen so verändert werden, dass eine Wirkung erzielt wird, die nie beabsichtigt war. Und es können Wahrheiten im Netz kursieren, die nichts mit der Realität zu tun haben.
Ich habe zwei Jahre lang still gehalten, mit meinen Kindern so viel Zeit verbracht wie möglich und mich nie irgendwo erklärt oder gerechtfertigt. Weil ich in eine Situation reingeraten bin, die ich niemandem wünsche, die ich nie wiederholen möchte und die nicht von mir zu steuern war.
Hatte diese Situation damit zu tun, dass auf Sie Druck von Journalisten ausgeübt wurde?
Wiesinger: Ja.
Es gibt Situationen, da wird man erpresst. Und es gibt Situationen, in denen man versucht, andere Menschen zu schützen. Mir war meine Familie immer das Höchste und das Wichtigste in meinem Leben, das ist es nach wie vor. Dass das plötzlich anders dargestellt wurde, ist ein Horror. Weil man plötzlich für etwas steht, was nicht im Geringsten mit der Wahrheit zu tun hat. Das wissen aber meine Kinder und ich. Und was die anderen Leute denken, ist mir in dem Moment auch egal. Wir wissen, was die Wahrheit ist und was in der Zeitung steht, ist vollkommen unbedeutend.
Wenn man weiß, wie Informationen in Zeitungen kommen, wenn man darein nur einen kleinen Einblick hat, dann ist einem das nicht mehr so wichtig, weil man weiß: Es ist so viel Quatsch, was da geschrieben wird.
Ich interessiere mich übrigens auch überhaupt nicht für das private Leben anderer. Mir ist es völlig unverständlich, wieso man nicht lieber nach hause geht und mit seinen Kindern spielt, als zu lesen, wie irgendein Prominenter mit seinen Kindern spielt oder irgendein Prinz am Strand mit wem anders liegt. Das ist mir so was von egal!
Im Fall von Ottfried Fischer besteht der Verdacht, dass er von der „Bild“ zu einem Interview genötigt wurde. Zuletzt spekulierte die „Bild“ über den Krankheitszustand des im Koma liegenden Michael Schumacher, entgegen der ausdrücklichen Bitte seiner Ehefrau. Was denken Sie darüber?
Wiesinger: Es ist ein Phänomen, das in unserer Gesellschaft stattfindet. Da sind wir wieder bei der Frage: Wie respektvoll, wie würdevoll gehen wir miteinander um? – Es gibt auch andere Medien, die ich erlebt habe, die Dinge schreiben, die nicht der Wahrheit entsprechen, die Leute einschleusen… Dieses Verhalten ist kein Alleinstellungsmerkmal der „Bild“.
Können Sie das Gefühl beschreiben, wenn Sie einen „Bild“-Artikel wie den folgenden von Sissi Benner über sich lesen: Vor vier Tagen verkündete Kai Wiesinger (45) seine Trennung . Nach 13 (!) Ehe-Jahren. (…) Hier lächelt er seine Trennung weg. (…) Wiesinger verriet: „Ich trainiere jeden Tag und esse täglich ein Kilo Quark.“ Ein Kilo? Das wäre mir als Ehefrau auch zu viel!
Wiesinger: Was soll man dazu sagen? So etwas braucht man nicht zu kommentieren. Wenn man weiß, dass ich nichts blöder finde als Smalltalk, dass ich in der Zeitung überhaupt nicht als Privatperson vorkommen möchte – das muss als Information reichen.
Ja, ich gestehe: Ich lese gern Geschichten aus dem Privatleben von Prominenten. Weil ich wissen will, wie die jenseits von Leinwand und Buehne ticken. Weil es mich interessiert, ob ihr propagiertes Selbstbild mit der Realitaet uebereinstimmt. So lange die Berichte wahrheitsgetreu sind, kann ich daran nichts Schlimmes finden. Wenn Prominente keine Oeffentlichkeit aushalten (mit der sie ihr Geld verdienen), koennen sie sich ja einen anderen Job suchen.
Warum sollen Medien blosser Bestandteil einer PR-Maschine sein und nur dann ueber Prominente berichten duerfen, wenn die einen neuen Film, ein neues Buch, eine neue CD zu bewerben haben? Wenn ich nur Geschichten wie „Das ist mein wichtigster Film, den ich jemals gemacht habe“ oder „In diesem Buch stecken sieben Jahre harte Arbeit“ lesen wollte, koennte ich mir gleich die Pressemappen der Sender, Verlage und Plattenfirmen schicken lassen.
Ich glaube man muss hier viel zwischen den Zeilen lesen und Kai Wiesinger hat eine deutlich negativere Meinung zur BILD, als er es sicht hier traut, explizit auszusprechen. Er steht wohl auch der Kritik von Holofernes an der BILD näher, als er offen zugeben will.
Um es einmal zugespitzt zu formulieren: Er hat offenbar doch ein bißchen „Angst“ davor, der BILD klar und deutlich seine Meinung zu geigen und hat auch „Angst“ davor es sich mit der BILD völlig zu verscherzen. Das ist zwar irgendwie verständlich aus der Sicht einer Person, die glaubt, sie wäre beruflich (und damit indirekt auch privat) von der Berichterstattung der BILD abhängig – finde ich aber menschlich schade. Die tatsächliche Macht der BILD wird nämlich massiv überschätzt. Wie Stafan Raab zeigt, kann man auch trotz (oder gerade wegen) der strikten Weigerung einer Zusammenarbeit mit der BILD und der Ablehung dieser Propaganda-Maschinerie, erfolgreich sein und sein Privatleben auch vor den BILD-Schnüfflern schützen!
Gerade dieses Einstellung und falsche Denkweise („vielleicht könnte ich die BILD ja bei meinen nächsten Projekt nochmal brauchen“) führt dazu, dass viele Menschen sich selbst verleugnen und sich dadurch auch gerade der BILD ausliefern! Den Fehler haben schon viele Promis zuvor gemacht und mussten die scheinbar nette Zusammenarbeit mit der BILD später bitter bezahlen.
Wer mit der BILD im Aufzug rauf fährt, fährt auch immer mit ihr runter. Wer sich einmal mit ihr einlässt, bekommt dadurch niemals bessere Voraussetzungen, dass sie dich bei der nächstbesten Gelegenheit nicht sofort abschießen und gnadenlos in den Dreck ziehen.
Die Aneinanderreihung der Aussagen, dass man a) die Möglichkeit habe, sich den Medien zu verweigern und diese darum nicht die Macht, die manche ihnen zuschreiben, und b) dass er selbst aber dann doch nicht die Möglichkeit hatte, sich zu verweigern, weil er erpresst wurde – das ist sehr widersprüchlich. Das Dumme ist: Erpressbarkeit ergibt sich leider oft, das Perfide ist, genau das nutzt diese Form von Gossenjournalismus – und wenn man Erpressbarkeit noch etwas weiter definiert als Ausnutzung menschlicher Schwächen, hat diese Journaille dann doch viel Macht, denn jeder hat Schwächen und die Chance sich zu verweigern sinkt, nur der Aufwand ist für „Bild“ und Konsorten mal kleiner, mal größer, diese Schwächen zu finden – und das Wort Erpressung sagt aus, dass sie da keinen Auwand scheut.
In der Tat ein seeeehr wirres INnterview!
Entschuldigung, aber dieses Interview ist eines der wirrsten, die ich seit längerem gelesen habe. Da liegt nicht an den Fragen, planet interview – die sind gut gewählt und platziert. Aber wenn man Kai Wiesingers Äußerungen mal aneinanderreiht, steht zwischen all dem langatmigen Gerede ein Widerspruch neben dem anderen. Die BILD ist also sinngemäß schrecklich, aber Holofernes‘ Aussage würde er nicht unterschreiben. Interpretation wird uns als Wahrheit verkauft, ganz schlimm, aber er spielt Wulff auf der Basis eines Drehbuchs, das genau das tut. Wir sind alle mündige Bürger und sollten „so etwas“ nicht mit uns machen lassen – ich allerdings habe mit dem BILD schon ausführlich über mein Privatleben geredet, obwohl ich das natürlich überhaupt nie so wollte.
Ich stecke in Wiesinger nicht drin. Aber ich kann mich mit diesen sich in dauernde Widersprüche verwickelnden Antworten nicht anfreunden. Und schnell noch mal Quantenphysik untergebracht, schon klar. Sorry…
Warum? Die Quantenphysik sagt doch dass die Zustände auch immer beide gleichzeitig richtig sein können – das passt hier ja perfekt. Katze tot, Katze lebendig – egal, hauptsächlich was gesagt.
„Wenn man weiß, wie Informationen in Zeitungen kommen, wenn man darein nur einen kleinen Einblick hat, dann ist einem das nicht mehr so wichtig, weil man weiß: Es ist so viel Quatsch, was da geschrieben wird.“
.
Das reiht sich ein in die lange Liste kluger & richtiger Kommentare über die Journaille, von G. Freytag und Karl Kraus bis heute.
Kai Wiesinger ist offenbar ein „Guter“. Danke.