Karen Duve

Frutarisch war sehr anspruchsvoll.

Autorin Karen Duve über anständiges Essen, den Verzicht auf Gewohnheiten, 'Qualfleisch' und Veganer

Karen Duve

© Thomas Müller

Frau Duve, Ihr 2011 erschienenes Buch trägt den Titel „Anständig essen“. Was bedeutet „anständig“ zu essen?
Duve: Anständig essen bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Wie alles, was wir tun, hat auch die Auswahl unserer Nahrungsmittel und unser Umgang damit Konsequenzen. Wer Fleisch von brutal misshandelten Tieren konsumiert, fördert diese Art der Tierhaltung und Schlachtung. So wie momentan Fleisch vermarktet und subventioniert wird, hat das zum Beispiel zur Folge, dass  in afrikanischen Ländern die Märkte zusammenbrechen und Hungersnöte entstehen.

Sie zeichnen in Ihrem Buch einen Selbstversuch nach. Darin geht es um moralisch einwandfreie, gewaltfreie Ernährung. Diese ist zunehmend gleichbedeutend mit Verzicht auf persönlichen Genuss. Was fiel Ihnen im Rückblick am schwersten?
Duve: Es ging weniger um den Verzicht auf Genuss als um den Verzicht auf Gewohnheiten. Aber das ist ja nicht weniger schwierig. Ernährung hat nicht nur mit Geschmack, mit Kalorien, mit Hunger zu tun, sondern auch mit Traditionen, mit sozialen Bindungen und mit Erinnerungen. Man kann sich mit jeder Ernährungsweise wohlschmeckend ernähren – beim Frutarismus ist die Auswahl allerdings sehr begrenzt.

Wo beginnt Ihres Erachtens anständiges Essen?
Duve: Also: Fleisch aus Massentierhaltung ist absolut tabu. Das ist die allerunterste Schamgrenze. Selbst wenn man Fleisch mit Biosiegel kauft, richtet man immer noch genug Schaden an.

Tragen Sie diese Überzeugung nach außen? Dürfen Ihre Freunde keine Döner und keine Currywurst mehr essen?
Duve: Wer bin ich, anderen vorzuschreiben, wie sie sich ernähren sollen? Aber ich weise schon mal darauf hin, wie so eine Currywurst entstanden ist. Nicht gerade, wenn man gemeinsam in einem Restaurant sitzt. Wenn man dann etwas sagt, lassen diejenigen, die bereits Fleisch auf dem Teller liegen haben, bloß die Jalousien herunter. In dieser Situation genügt es meistens schon, selbst  kein Fleisch zu essen, um die Selbstverständlichkeit des Fleischessens in Frage zu stellen. Im Grunde wissen nämlich alle selber sehr gut, dass sie dieses Qualfleisch nicht essen sollten.

Ihr Buch über das Thema ist ein cleverer Weg, das Gespräch bei Tisch zu umgehen und trotzdem andere wachzurütteln und aufzuklären?
Duve: Ja, aber das war natürlich auch ein sehr aufwendiger und anstrengender Weg. Und es ging mir nicht nur darum, andere wachzurütteln, sondern vor allem mich selber. Ich konnte die Diskrepanz zwischen meinem eigenen Wissensstand über Tierhaltung und Landwirtschaft und meinem eigenen Verhalten irgendwann nur noch schwer aushalten. Ich war bestens informiert und habe trotzdem so weiter gegessen und gekauft wie vorher. Als mir das klar wurde, war ich sehr bestürzt.

Wünschen Sie sich manchmal zurück in die Phase der Sorglosigkeit? Als Grillen einfach nur Grillen war?
Duve: Wenn ich nicht lange darüber nachdenke, ja. Dann denke ich mir: Verdammt noch mal, was habe ich mir damit angetan. So gut kann das Buch überhaupt nicht laufen, dass es diesen Verzicht wett macht. Wenn ich aber ein bisschen länger darüber nachdenke, ist mir klar, was ich gewonnen habe – unter anderem Bewusstheit.

Was heißt das konkret?
Duve: Für jeden Menschen gibt es bestimmte Dinge, die er niemals tun würde. Und für die meisten Menschen – auch für mich – gehört dazu, dass sie niemals Tiere quälen würden. Sie würden sie nicht in absurd großen Mengen in dunklen, dreckigen, Hallen halten oder sie tagelang mit gebrochenen Gliedmaßen oder offenen Geschwüren herumhumpeln lassen, bis sie elendig verrecken. Ich würde es jedenfalls nicht tun. Trotzdem habe ich jahrzehntelang Fleisch gegessen, das aus genau solcher Haltung stammte. Jetzt vermisse ich zwar ab und zu Fleisch, aber ich lebe endlich in Übereinstimmung mit meinem eigenen Wertesystem und fühle mich erleichtert.

Können Sie dieses neue bewusste Leben führen, weil Sie sich es auch finanziell leisten können?
Duve: Unfug. Gemüse ist doch nicht teurer als Fleisch! Außerdem kommt uns das Billigfleisch ganz schön teuer. Wir bezahlen es jetzt schon mit Millionen von Subventionen aus der eigenen Tasche. Wir lassen andere dafür bezahlen – die Tiere, die unter grauenhaften Bedingungen leben und sterben müssen und die Menschen, die in den Schlachthöfen für elende Löhne und unter unzumutbaren Bedingungen arbeiten müssen. Wir werden alle in nächster Zukunft dafür zahlen müssen, wenn wir die Kosten der Klimaerwärmung werden tragen müssen.

Frau Duve, ist es nicht eigenartig über die Dimensionen des Essens zu sprechen angesichts der Katastrophen und politischen Umwälzungen in diesem Jahr?
Duve: Auf den ersten Blick kommt es einem so vor. Ist es nicht frivol, zu überlegen, ob ich einen Joghurt essen darf, während in Japan die Menschen durch zerstörte Atomkraftwerke verstrahlt werden?  Wenn man aber genauer darüber nachdenkt, sind beide Themen gar nicht so weit voneinander entfernt. Die Art, wie wir uns ernähren, nämlich mit viel Fleisch, hängt direkt mit der Klimaerwärmung zusammen. Und genauso wie die Energiegewinnung  durch Atomkraft ist die Nahrungsmittelgewinnung durch Tiere, ein Fehler, dessen katastrophale Folgen, wenn sie denn einmal eingetreten sind, nicht wieder rückgängig gemacht werden können.

Der Mensch ist also an derartigen Katastrophen mitschuldig?
Duve: Natürlich. Es sind Manager und Unternehmer die die Entscheidungen treffen, ob man ein Atomkraftwerk im Erdbebengebiet oder eine Hühnermastanlage im Naturschutzgebiet  baut, und Politiker, die solche Entscheidungen durchwinken. Bedauerlicherweise sind es naturgemäß besonders ehrgeizige, rücksichtslose und risikobereite Menschen, die es in die Chefetagen schaffen.  Bei einer Spielwarenfabrik mag das noch angehen, aber in der Finanzwelt, im Management von Atomkraftwerken oder wenn es um Nahrungsmittelproduktion und Klimaerwärmung geht, ist es natürlich fatal, wenn diese risikofreudigen Ellbogen-Typen in den Entscheidungspositionen sitzen.

Wer sollte da sitzen?
Duve: Leute, die sehr verantwortungsvoll und auf Sicherheit bedacht sind. Nicht so risikofreudig. Und sie sollten sozial funktionieren. Bei Managern weiß man, dass sie oft einen 16 oder 18 Stunden Tag haben. Wer so etwas in Kauf nimmt, legt keinen Wert auf seine Familie. Warum sollte jemand, der sich nicht einmal für seine Frau und seine Kinder interessiert, am Wohlergehen der Allgemeinheit interessiert sein? Managerjobs, die viel Geld und viel Macht bieten und gleichzeitig große Einschränkungen im Privatleben bedeuten, sind vor allem für asoziale, machtversessene Egomanen attraktiv. Deswegen muss es einen nicht wundern, wenn Kernkraftwerke in Erdbebengebieten gebaut und von Obdachlosen und arbeitslosen Jugendlichen gewartet werden.  Dazu braucht es schließlich nur ein bisschen Risikobereitschaft.

Zitiert

Fleisch aus Massentierhaltung ist tabu.

Karen Duve

Aber wie stellen Sie sich die praktische Umsetzung Ihres Gedankens vor? Wie sollen sozial orientierten Menschen an einflussreiche Positionen kommen?
Duve: Das ist eine Frage des Systems. Da finde ich die Frauenquote in bestimmten Bereichen absolut sinnvoll. Die Entscheider-Posten in Deutschland und der Welt müssen anders besetzt werden. Ein 18 Stunden-Managerjob ist sicherlich auch sehr gut in zwei Neun-Stunden-Jobs zu teilen. Einfach wird das nicht. Die entsprechenden Positionen sind ja von Leuten besetzt sind, die wiederum nur Menschen einstellen, die genauso funktionieren wie sie selbst.

Würden Sie selbst politische Verantwortung übernehmen?
Duve: Ich würde das sehr gern vermeiden. Egal ob in der Wirtschaft oder in der Politik: große Verantwortung zu übernehmen bedeutet in den oberen Etagen normalerweise den Verzicht auf ein lebenswertes Leben. Jedenfalls, das, was ich mir unter einem lebenswerten Leben vorstelle. Vielleicht sollte man Drückeberger wie mich zwingen. Denn dass die, die da oben unbedingt und um jeden Preis hinwollen, dort nachher dann mit ihrer Ellbogenmentalität herumfuhrwerken, kann ja auch nicht die Lösung sein.

Seit Beginn Ihres Selbstversuchs für „Anständig essen“ kaufen Sie in Bioläden ein. Erzählen Sie etwas über das Universum Bioladen. Welche Menschenart trifft man dort?
Duve: Kommt sehr darauf an, wo man kauft. In den kleinen Läden waren die Menschen manchmal ein bisschen esoterisch. Was mich beeindruckt hat war, dass sie beim Einkaufen so ungehetzt und entspannt wirkten. Irgendetwas machen die richtig.

Am Anfang Ihres Versuchs stand lediglich ein anderes Einkaufen. In der Phase 2 begannen Sie sich vegetarisch zu ernähren. Wie langweilig war Ihr Speiseplan?
Duve: Vegetarisch heißt einfach Verzicht auf Fleisch. Das muss nicht zwangsläufig langweiliger sein, weil man ja die wunderbare facettenreiche Gemüseküche hätte entdecken können, wenn man sich denn für das Kochen interessieren würde.

Das klingt als wäre Kochen und das Entdecken neuer vegetarischer Köstlichkeiten in Eigenproduktion am Herd nicht Ihre Sache?
Duve: Da ich mich fürs Kochen überhaupt nicht interessiere, habe ich oft einfach bloß das Fleisch weggelassen und die Gemüsebeilage gegessen oder ersatzweise ein Sojaprodukt verwendet. Damals empfand ich diesen Fleischersatz als unzureichend. Mittlerweile habe ich aber Produkte auf Pflanzenbasis entdeckt, die Hähnchenkeulen oder Riesengarnelen so gut imitieren, das es tatsächlich so aussieht, so riecht und auch fast genauso schmeckt wie ein echtes Stück vom Tier.

Fleisch ist also eigentlich wichtig für Sie und sei es nur aus Gewohnheit?
Duve: Ich hab schon manchmal Heimweh nach einer gutbürgerlichen Küche mit so einem Brocken Fleisch auf dem Teller, um den sich das Gemüse scharrt. Dann hilft das Fleischimitat. Vegetarier, die nachgebildetes Fleisch essen, erinnern mich zwar an Schwule, die in die Vorstadt ziehen und dort versuchen das Leben von Heterosexuellen nachzuspielen. Aber schließlich tun weder Schwule in der Vorstadt noch Fleischimitat essende Vegetarier irgendjemandem weh.

Auf die vegetarische folgte die vegane Phase. Verzicht auf alle tierischen Lebensmittel und Produkte wie z.B. Leder, Daunen etc. Bedeutet Veganismus Verzicht pur?
Duve: Es ist der nächste folgerichtige Schritt. Wenn man nicht will, dass fürs Mittagessen ein Kälbchen totgeschlagen wird, dann wäre es doch auch etwas merkwürdig, weiterhin Kalbslederschuhe zu tragen. 75% der Weltbevölkerung ernährt sich ohne Milchprodukte. Es scheint also möglich zu sein.

Die frutarische Phase – gewaltfreier Umgang mit Pflanzen. Die Ernährungshölle?
Duve: Frutarisch war sehr, sehr anspruchsvoll (lacht). Ich hatte bereits drei Wochen vorher die stinkendste Laune, weil ich felsenfest davon überzeugt  war, dass ich bei so einer Ernährung nicht arbeiten kann. Das interessante Resultat war aber, dass ich gemerkt habe, ich kann sehr wohl so arbeiten. Offensichtlich geht es auch ohne Schokolade. Es reichen ein paar Tomaten, Erbsen und Kokosmilch-Sauce.

Hatten Sie keinerlei Mangelerscheinungen?
Duve: Ich hab mich zeitweise so gut gefühlt, dass ich in Versuchung gekommen bin zu sagen: Ich werde jetzt Frutarierin. Essen ist ja nicht alles. Ich mache in diesem Genussbereich Zugeständnisse und fühle mich dafür hervorragend in meinem Körper. Das war wahrscheinlich ein ähnlicher Euphorieschub wie beim Fasten. Auf die Dauer fallen einem vermutlich irgendwann die Zähne aus, wenn man nicht Ergänzungsmittel nimmt. Aber seit ich einmal frutarisch gelebt habe, weiß ich auch, wie einfach es ist, sich vegan zu ernähren. Vegan kann echt jeder.

Veganismus ist die einzig konsequente ethische Haltung, sagen Sie. Sind Veganer die besseren Menschen?
Duve: Ja, klar. Es hängt natürlich davon ab, wie man einen guten Menschen definiert. Veganer richten jedenfalls deutlich weniger Schaden an als andere. Dazu kommt, dass die Veganer, die ich kennengelernt habe, auch sonst  bewusster leben und konsumieren. Sie achten auch auf soziale Hintergründe und kaufen Fair-Trade.

Welcher Ernährungsstil hat Ihnen am meisten zugesagt?
Duve: Ehrliche Antwort? – Der Ernährungsstil, als ich noch mein Gehirn ausgeschaltet  und einfach gegessen habe, was ich wollte, hat mir am meisten zugesagt.

Erst kommt das Fressen, dann die Moral…
Duve: Nein, natürlich nicht. Dass mir der hirnlose Ernährungsstil am meisten zugesagt hat, heißt ja nicht, dass ich ihn so toll finde, dass ich dafür  gern Tierquälerei im großen Stil, Klimaerwärmung und Hungersnöte in Afrika in Kauf nehmen will. Ich ernähre mich vegetarisch und versuche so viel wie möglich von den Veganern zu übernehmen. Ein etwas fauler Kompromiss – also.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.