Kasper, wie schnell kannst du bei einer Website erkennen, dass sie auf TYPO3 basiert?
Kasper Skårhøj: Ich entdecke oft zufällig ein bestimmtes Detail. Einmal habe ich nach etwas auf der dänischen Seite der Baumarkt-Kette „Bauhaus“ gesucht. Und als ich den Suchbegriff eingegeben habe und dann die Ergebnisliste sah, dachte ich: Das hast du schon mal gesehen. Wie die Suchtreffer angezeigt wurden – das war mein Design.
TYPO3 ist sehr flexibel, so dass du damit Internetseiten bauen kannst, die dann gar nicht mehr nach TYPO3 aussehen – das ist eines der Geheimnisse des Systems. Aber manchmal schöpfst du eben Verdacht. Und dann ist es schön, im Quellcode der HTML-Seite deinen Namen zu entdecken.
Aber wie reagierst du, wenn du siehst, dass eine Website TYPO3 verwendet, dies jedoch im Impressum verschweigt?
Skårhøj: Das ist kein Problem für mich. Es gibt ja keine Verpflichtung, das Logo von TYPO3 auf der Website zu zeigen. Es ist schön, wenn die Leute es tun, aber dieses Content Management System (CMS) ist ein Instrument für Profis und ein normaler Kunde würde wahrscheinlich nicht verstehen, warum der Name des CMS auf der Seite ausgewiesen wird. Außerdem fordern wir ja noch nicht mal, dass die Leute im Quellcode darauf hinweisen, wenn ihre Site auf TYPO3 basiert.
Doch in einem Interview von 2003 hast du dich schon mal verärgert darüber gezeigt, wenn Firmen TYPO3 verwenden, ohne es anzuzeigen.
Skårhøj: Was ich damals meinte war: Wenn du TYPO3 nutzt gibt es verschiedene Wege, wie du etwas zurückgeben kannst. Du kannst das Projekt mit einer Spende unterstützen, aber im Fall einer großen Firma wäre es offensichtlich auch eine große Unterstützung, wenn wir sie als Referenz nennen können. Sie müssen dafür kein Logo auf ihre Seite nehmen, das die User jeden Tag sehen, aber sie sollten uns erlauben, sie auf unserer Referenz-Seite zu nennen. Damit andere Kunden sehen können, dass diese Firma zu ihrer Entscheidung für dieses System steht.
Du hast am Anfang vermutlich sehr viel Zeit in die Entwicklung von TYPO3 gesteckt. Warst du ein Workaholic?
Skårhøj: Ja, absolut. Ich habe damals viel mehr als nur eine normale Arbeitswoche damit verbracht. Aber es fühlte sich nicht an wie eine Sucht, es war immer Leidenschaft und Spaß dabei. Später habe ich dann das Team der Hauptentwickler verlassen weil ich nach den vielen Jahren intensiver Arbeit etwas anderes machen wollte. Doch ganz am Anfang, als das Produkt immer größer wurde und neue Features brauchte, war mir klar, dass ich jetzt alle Kraft darauf verwenden muss. Die Alternative wäre gewesen, die Sache am Anfang mehr auf die leichte Schulter zu nehmen. Aber dann hätte TYPO3 sicher weniger Erfolg gehabt.
Auf den TYPO3-Conventions kommen regelmäßig hunderte Entwickler aus aller Welt zusammen. Wie fühlt sich das an, wenn so viele Menschen an einer Sache arbeiten, die dein Baby gewesen ist?
Skårhøj: Sehr gut. Wobei es für mich zum Teil gar nicht möglich ist, die ganze Dimension zu erfassen, die das Projekt inzwischen angenommen hat.
Was mir an TYPO3 am meisten bedeutet, ist, wie die Leute auf positive Art und Weise von diesem Projekt berührt sind. Gut, manche werden vielleicht sagen, TYPO3 ist für sie nur ein Tool um eine Website aufzubauen. Doch für mich bedeutet es, Leute zu treffen, in einem freundschaftlichen Kontext, zu sehen, wie Leute sich vernetzen – aufgrund eines Produktes, bei dem ich mich entschieden habe, es frei zur Verfügung zu stellen. Leute haben sich durch TYPO3 kennen gelernt, sind Freunde geworden, haben sogar geheiratet und Kinder bekommen. Daran sehe ich, dass ich etwas Nützliches gemacht habe. Und das macht mich schon sehr glücklich.
Wie wichtig ist deiner Meinung nach der Open Source-Gedanke für die Weiterentwicklung einer Gesellschaft?
Skårhøj: Oh, das ist eine politische Frage – und ich war nie politisch, wenn es um Open Source geht, insofern ist es schwierig für mich, die Frage zu beantworten.
Ich vertrete keine bestimmte Position über die Rolle von Open Source in der Gesellschaft. Aber meine Intuition sagt mir, dass der Open Source-Gedanke für die Entwicklung von Software ein richtiger ist; wenn ich diese Freiheit sehe und das, was um die Open Software drum herum entsteht. Als Teil dieser Community sehe ich so viele gute Dinge entstehen, so viel Kreativität. Sobald so etwas aber an gesetzliche Restriktionen gebunden ist, geht die Kreativität leicht verloren.
Heißt dass, dass die Kommerzialisierung bei Software-Entwicklung ihre Kreativität einschränkt?
Skårhøj: Ja, es begrenzt die Möglichkeiten, wofür du eine Software nutzen kannst. Weil du sie dann ja mit so vielen gesetzlichen Regelungen zu schützen versuchst. Da muss kein böser Wille dahinter stecken, aber es ist einfach ein anderer Weg, Software zu entwickeln.
Also, ich sage nicht, dass kommerzielle Software eine schlechte Sache ist. Ich denke, es gibt Platz für beides und die meisten Leute in unserer Community sehen das genauso. Wir sind, was das anbelangt, nicht so wahnsinnig politisch. Aber wir haben alle erkannt, dass freie Software etwas sehr Interessantes ist, dass es sehr große Kraft und Vorteile hat.
Ich war nie politisch, wenn es um Open Source geht.
Was glaubst du: Wird Open Source in Zukunft ein gleichrangiger Wettbewerber neben kommerzieller Software sein – oder wird Open Source eines Tages geschützte Software verdrängen?
Skårhøj: Ich denke nicht, dass durch Open Source irgendwann die kommerzielle Software verschwindet. Aber ich bin der Meinung, dass Open Source die größte Rolle bei Anwendungen spielen sollte, von denen jeder abhängt. Offene Betriebssysteme wie Linux zu unterstützen ist wahrscheinlich das Beste, was du machen kannst, genauso Office-Programme wie „Neo Office“ oder „Open Office”. Es hängt sehr viel vom Betriebssystem ab und ich finde es beschämend, wenn du ein bestimmtes Programm nutzen willst und einer anderen Firma erst mal Geld bezahlen für das Betriebssystem zahlen musst. Dieser Teil sollte frei verfügbar sein, weil du sonst automatisch in diesen kommerziellen Kreislauf hineingezwungen wirst, weil du eben dieses Betriebsystem brauchst. Es wäre ideal, wenn du sozusagen am andere Ende der Kette die Wahl hast, zwischen kommerzieller und freier Software. Es sollte alles auf einem frei verfügbaren Fundament stehen und du solltest nicht gezwungen sein, viel Geld für dieses Fundament auszugeben.
Wie ist es eigentlich in deiner Heimat Dänemark, wie viel nutzt der Staat dort inzwischen Open Source-Software?
Skårhøj: Es wird sicher genutzt, aber ich kenne keine genauen Zahlen. Ich habe mal über Dänemark gehört, es sei das Microsoft-Land Nr.1 ist. Deutschland dagegen ist ja ein Vorbild was die Nutzung von Open Source im öffentlichen Sektor anbelangt, da hängt Dänemark noch weit hinterher. Leider ist mein Heimatland noch nicht so gut informiert, was das Potential von Open Source anbelangt, wobei es schon Leute gibt, die daran arbeiten, das zu verändern.
Wer sind denn deiner Meinung nach die größten Feinde von Open Source? Wer steht der Bewegung am meisten im Weg?
Skårhøj: Die größten Feinde? Ich weiß nicht, ob der größte Feind eine einzelne Firma, Person oder eine einzelne Institution ist. Vielleicht ist der größte Gegner von freier Software, wenn sich die Leute keine Gedanken über Raubkopien machen. Denn wenn man sich Länder wie China anschaut – das ist zumindest das, was ich von Leuten gehört habe, die dort TYPO3 promoten – sieht man, dass dort kein Platz für freie Software ist, weil sich stattdessen jeder eine illegale Kopie eines kommerziellen Produktes besorgt. Das heißt, die Leute werden dort nicht freie Software benutzen, wegen dem Freiheitsgedanken usw., weil sie diese Freiheit im Prinzip auch haben, wenn sie das Gesetz brechen und eine Raubkopie benutzen.
Das heißt Raubkopierer sind das größte Problem bei der Verbreitung freier Software?
Skårhøj: Ja, weil wenn die Leute für kommerzielle Software eine Lizenz bezahlen würden, dann wäre ihr Interesse an freier Software automatisch viel größer. Ich sehe das auch bei Freunden von mir, bei Studenten: Nehmen wir Microsoft Office – wie viele Leute bezahlen denn noch dafür? Wenn es auf deinem Computer nicht vorinstalliert ist holst du dir eine illegale Kopie. Aber wenn du es bezahlen würdest, würdest du schnell auf den Gedanken kommen, eine freie Software zu benutzen, die genauso gut funktioniert. Ich benutze Neo Office auf meinem MacBook – und es funktioniert.
Welche kommerzielle Software benutzt du selbst?
Skårhøj: Als Mac-User benutze ich viele der Standard-Anwendungen für Mac. Bezahlt habe ich aber zum Beispiel für mein Videoschnitt-Programm. Das ist kommerzielle Software, und ich denke, es existiert im Open-Source-Bereich kein Programm, das sie ersetzen könnte. Mac hat außerdem ein gutes Programm für Powerpoint-Präsentationen, „Keynote“, dafür habe ich auch eine Lizenz, die aber recht günstig ist, etwa 100 Euro, das ist ein fairer Preis für die ausgefallen Effekte, die man damit machen kann.
Außerdem habe ich Programme von Adobe und ich habe für Photoshop und Ähnliches bezahlt. Auch das ist etwas, was man nicht so einfach auf Open Source-Basis findet. Ansonsten bevorzuge ich Neo Office und die Standardprogramme auf meinem Macbook. Ich habe auch für ein paar Jahre Linux benutzt, ich war sehr zufrieden damit und ich glaube, damals hatte gar keine kommerzielle Software auf meinem Computer.
Gibt es einen Wettbewerb zwischen den Entwicklern freier Software, bzw. zwischen ihren Systemen? Joomla, Drupal…
Skårhøj: Ich verfolge das nicht all zu sehr, aber ganz sicher gibt es einen Wettbewerb. Ich würde gerne sagen, dass es ein freundlicher Wettkampf ist, aber das kommt auch drauf an, wie sehr jemand davon abhängt, TYPO3-Lösungen zu verkaufen.
Für mich als Entwickler wäre der Wettbewerb, dass du natürlich willst, das dein System populär ist. Auf der anderen Seite gibt es aber nicht viel, was du dafür tun kannst. TYPO3 hat seine Seele, das Produkt hat eine Identität, die du nicht verändern kannst – und entweder die Leute mögen es oder nicht. In Deutschland sind sie verrückt nach TYPO3, in Dänemark ein bisschen, in anderen Teilen der Welt weiß niemand, was TYPO3 ist.
Also, ja, es gibt einen Wettbewerb, aber an dem orientieren wir uns nicht bei der Entwicklung, sondern wir konzentrieren uns eher darauf, was cool ist, auch welche Anwendungen wir selbst brauchen. Wir schauen nicht immer zu den anderen Entwicklern rüber und sagen: „Wir müssen diese Leute besiegen“. Aber klar: Wenn eine andere Open Source Entwicklergruppe etwas Cooles und Großartiges macht, was die Leute mögen dann gucken wir uns das auch an, um uns davon inspirieren zu lassen.
Zum Schluss. Bitte ergänze den folgenden Satz: Geld bewegt die Welt, weil …
Skårhøj: Geld bewegt die Welt, weil ….(überlegt lange)… Geld ist irgendwie der kleinste gemeinsame Nenner, um Dinge in Bewegung zu setzen. Aber ich denke, wenn du eine Balance hinbekommst, zwischen dem Nutzen auf der einen Seite und zwischenmenschlichen Beziehungen und Leidenschaft auf der anderen – dann kann das die Welt genauso bewegen, in einem viel schöneren Sinn. Aber dieses Gebilde ist fragil, wie eine Blume, auf die versehentlich jemand drauftritt. Es verbindet sich damit ein viel höheres Ideal, das nicht so einfach zu erreichen ist. Aber es lohnt sich viel mehr, daran zu arbeiten.