Katharina Schüttler

Wir haben Knastluft geatmet.

Schauspielerin Katharina Schüttler über den Film „Schurkenstück“, Dreharbeiten im Gefängnisalltag und weit verbreitete Theater-Klischees

Katharina Schüttler

© WDR/Martin Rottenkolber

Frau Schüttler, Sie sprechen viele Fremdsprachen (Anm.: Englisch, Französisch, Italienisch, Hebräisch). Was bedeutet es Ihnen zu reisen?
Katharina Schüttler
: Reisen an sich ist mir eigentlich gar nicht so wichtig. Zwar hätte ich gerne mehr Zeit um zu reisen, aber mir geht es eher darum, die Möglichkeit zu haben, an vielen anderen Orten zu leben. Mein Interesse länger an einem Ort zu sein ist größer, als in ein Land zu fahren, um dort die Sehenswürdigkeiten abzuklappern.

Also fungieren die vielen Sprachen, die Sie sprechen, eher als eine Art Infrastruktur?
Schüttler
: Ja, aber nicht nur. Anfang des Jahres habe ich erstmals auf Englisch gedreht und habe das sehr genossen, weil ich Englisch als eine tolle Sprache zum Spielen empfinde. In jeder Sprache, die man spricht, kommt ein anderer Teil des Ichs zum Vorschein, den es nur in dieser Sprache so geben kann.

In welchen Ländern könnten Sie sich vorstellen zu leben?
Schüttler
: Mein Traum war es immer in ein Land zu gehen, in dem es warm ist und es ein Meer gibt. Hätte ich einen anderen Beruf gewählt, in dem man nicht so sehr an die Sprache gebunden ist, hätte ich das auch bestimmt gemacht. Dann wäre ich wohl nicht mehr in Deutschland. Trotzdem bin ich ein Stadtmensch. Ich liebe New York und London. Es gibt einige Großstädte, in denen ich mir vorstellen könnte, für eine Weile zu leben.

Ist nicht gerade die Schauspielerei ein Beruf, der ein Leben außerhalb Deutschlands ermöglichen sollte?
Schüttler
: Spielt man Theater ist das schwieriger, da man alle drei, vier Wochen wieder eine Vorstellung hat und damit eine Regelmäßigkeit, mit der man in einer Stadt sein muss. Dreht man nur, ist es etwas leichter und eher projektgebunden. Ich drehe nicht ständig in Berlin und bin dann auch nicht zu Hause. Trotzdem wünscht man es sich auch in dem Land zu arbeiten, in dem man lebt. Macht man nicht die ganze große Hollywood-Karriere, muss man in jedem Land, in dem man dreht, wieder neu anfangen. Würde ich den Schritt nach Italien machen und in Rom arbeiten, müsste ich dort wieder ganz klein anfangen. Was auch heißt, dass man zu Hause etwas aufgeben müsste.

Sie sind Schauspielerin, spielen aber in „Schurkenstück“ eine Regisseurin. Könnten Sie sich das auch beruflich vorstellen?
Schüttler
: Nein, eigentlich nicht. Ich kann mir aber schon immer vorstellen Filme zu machen, aber eher aus dem Gedanken heraus „Filmemacherin“ zu sein – und nicht bloß Regisseurin. Die Kombination aus der vielen Verantwortung, die man trägt und andererseits aber auch die ganze Verantwortung, die man abgeben muss, weil der Regisseur letztendlich ja nicht mit auf der Bühne steht, würde mich nicht befriedigen.

Ist es ein Teil von Ihnen nicht abgeben und kontrollieren zu wollen?
Schüttler
: Wahrscheinlich ist das ein Teil von mir. Ich wünschte er wäre kleiner. Wobei ich dabei bin zu lernen, Dinge mehr laufen zu lassen.

Wie stellen Sie das fest?
Schüttler
: Konkret kann ich das gar nicht so genau sagen. Es sind eher kleine Dinge, die sich in meiner Einstellung verändert haben. Ich bin zum Beispiel viel gelassener als früher. Das hat wahrscheinlich mit einem Reifeprozess zu tun, der einen die Dinge nehmen lässt, wie sie kommen.

In „Schurkenstück“ geht „Ihre“ Fanny Dannewald mit viel Idealismus, aber auch einer gewissen Naivität an das Projekt heran. Was schätzen Sie an guten Regisseuren?
Schüttler
: Diese Naivität und der Idealismus, den Fanny in der Geschichte hat, sind sehr speziell. Bei ihr bezieht sich das vor allem auf die Art, wie sie sich auf die Situation mit den jugendlichen Gefangenen umzugehen, einlässt. Ohne ihren Idealismus und den Glauben an das Gute im Menschen würde sie das ganze Projekt bestimmt nicht machen. Generell schätze ich an Regisseuren, wenn sie eine Menschlichkeit und Wärme ausstrahlen. Dass man sich auf einer respektvollen Ebene begegnet und gemeinsam auf eine Reise geht. Ansonsten ist das bei mir sehr unterschiedlich. Ich freue mich über jede Begegnung mit einem Menschen, einer spezifischen Arbeitsweise. Das kann mal eine Versponnenheit sein, dann wieder Klarheit oder Präzision. Es beeindruckt mich immer, wenn Regisseure etwas wollen – und das mit Entschiedenheit und Vehemenz. Wenn sie für das, was sie wollen einstehen und es riskieren, auch auf die Schnauze zu fliegen. Dass man die Dinge die man tut aus Liebe und Leidenschaft heraus tut. Menschen, die wirklich etwas erzählen wollen und ihr Ziel mit Leidenschaft verfolgen faszinieren mich. Das ist aber immer so. Auch bei einem Koch im Restaurant.

Im Film arbeitet die Regisseurin mit Inhaftierten in einem Gefängnis. Steckt in jedem ein Schauspieler?
Schüttler
: Auf eine Art vielleicht. Trotzdem glaube ich nicht, dass jeder Mensch, der sich auf eine Bühne oder vor die Kamera stellt, dann auch so spielen kann, dass es den Zuschauer unterhält. Da gibt es natürlich Unterschiede. Ob das dann Begabung, Talent oder Mut ist kann ich nicht sagen. Trotzdem ist es so, dass jeder Mensch Teile seiner Persönlichkeit spielt. Man lernt Dinge im Leben und glaubt so zu sein. Allerdings ist das zumeist unbewusst und von daher ein anderer Vorgang. Der Film beginnt aber mit einem Casting, in dem die Regisseurin die Teilnehmer auswählt, die sie für richtig  und am Begabtesten hält.

Wird bei Filmen, die Theater inszenieren der Punkt getroffen?
Schüttler
: Mir geht es zumeist so, wenn ich Theater im Films sehe, dass ich mir denke: So ist es nicht. Außer vielleicht bei „Bullets Over Broadway“ und „Vanya on 42nd Street“. Natürlich gibt es Regisseure, bei denen immer die Rotwein-Flasche auf dem Tisch steht, aber bei dem Großteil der Regisseure ist es nicht so. Das sind gängige Klischees, die auch in tollen Filmen immer wieder zu sehen sind. Da geht sogar manchmal noch der rote Vorhang auf. Ich bin immer wieder erstaunt, mit welchen Klischees die Theaterwelt erzählt wird.

Sie sind  schon als elfjähriges Kind zur Schauspielerei gekommen und Ihr Vater war lange Zeit Landesbühnenchef am Theater in Dinslaken. Sie kennen also diese Theaterwelt sehr gut. Wie hat Sie das beeinflusst?
Schüttler
: Als ich geboren wurde, war mein Vater noch auf der Schauspielschule in Bochum und meine Mutter schon fertig ausgebildete Schauspielerin. Für mich war die Schauspielerei ein ganz normaler, bodenständiger Beruf. Völlig unglamourös. Meine Vorstellung von der Schauspielerei war nie von irgendwelchen Traumbildern geleitet. Es war der Beruf meiner Eltern. Etwas Normales.

Haben Sie Ihre Eltern auf Ihren Weg vorbereitet?
Schüttler
: Da ich bei meinem ersten Film noch sehr jung war und damals eher zufällig dazu gekommen bin, mussten mich meine Eltern nicht wirklich vorbereiten. Ich hatte das ja elf Jahre lang mitgekriegt. Es war eher diese erste, tolle Dreh-Erfahrung, die mich antrieb weiterzumachen. Ich wusste schon selber, was da kommt und was das heißen könnte.

Sie spielten anfangs – auch aufgrund ihres Alters – eine Reihe von Kinder- und Heranwachsenden-Rollen, weil Sie schon immer jünger geschätzt werden, wie Sie in einem SZ-Interview mal gesagt haben. Konnten Sie so Ihre Jugend mehrfach ausleben?
Schüttler
: So habe ich darüber noch nie nachgedacht. Wer als Kind schon anfängt zu drehen, bekommt sehr viel, zahlt dafür aber auch einen Preis in Form der eigenen Kindheit oder Jugend. Man verliert an Unschuld und Unbeflecktheit, dadurch, dass man im Berufsleben steckt, obwohl man in die sechste Klasse geht. Man schreibt nicht nur seine Mathearbeit sondern geht eben noch arbeiten und verdient Geld. Man hat in dieser Arbeitswelt ausschließlich mit Erwachsenen zu tun und muss natürlich auch eine gewisse Professionalität an den Tag legen. So schleichen sich früh Druck und Erfolgsgedanken in ein Kinderhirn. Ich weiß nicht, ob ich es gut fände, wenn ich Kinder hätte, die Schauspielen wollten. Schließlich ist es toll als Kind eine kindliche Unschuld zu bewahren. Wobei auch die Erfahrung spannend ist, sich für kurze Zeit in verschiedene Biografien hinein zu leben und zu fühlen.

Fliessen von Ihren verschiedenen Rollen, mit denen Sie sich auseinander gesetzt haben, auch Teile in die eigene Persönlichkeit ein?
Schüttler
: Nicht zwangsläufig, aber jede Rolle bietet die Möglichkeit, von der Figur die man spielt, zu lernen. Ich empfinde das als großes Geschenk. Man entdeckt während man in andere Persönlichkeiten schlüpft auch Teile von sich, die man bis dahin noch nicht kannte.

Sie sagten in einem alten Interview „Arbeiten am Theater hat auch damit zu tun, Dinge zu erarbeiten, die dich möglicherweise in eine Sackgasse oder weit weg führen, so dass man nach Riesenumwegen da landet, wo man normalerweise nie hingekommen wäre. Und für so was ist beim Filmedrehen keine Zeit.“ Was schätzen Sie an der Arbeit auf der Bühne und was beim Film?
Schüttler
: Auf der Bühne schätze ich diese reine schauspielerische Auseinandersetzung. Da gibt es nichts Technisches drum herum. Es geht nur darum herauszufinden, wie eine Situation aussehen könnte. Wie tickt der Mensch, wie funktioniert er, wie spricht er, wie geht er und was passiert zwischen zwei Menschen. Man kann unheimlich viel ausprobieren. In Sackgassen gehen, die dann eben doch keine sind. Man macht nichts außer Spielen. Das liebe ich sehr.

Und beim Film?
Schüttler
: Das Spielen ist bei der Filmarbeit ganz anders. Man wartet sehr lange und muss aber, wenn man dran kommt, sofort da sein. Die Räume sind realistischer und es fehlt der Verfremdungseffekt eines Bühnenbildes. Alles spielt sich in konkreten Räumen und Szenen ab. Es ist im Grunde ein realistischeres Spiel. Eine Bühne aber bleibt immer ein Raum mit Requisiten drin. Beim Drehen sitze ich, wenn ich in einem Zimmer sitze auch wirklich in einem Zimmer. Der Raum ist näher am Leben, das man lebt. Am Theater ist man immer auf einer verfremdeten, höheren Stufe.

Sie drehten „Schurkenstück“ in einem echten, sehr engen Raum, einer Jugendvollzugsanstalt. Wie fühlte sich das an?
Schüttler
: Sehr speziell. Es ist toll durch das Drehen Orte kennen zu lernen, an die man sonst nie kommen würde. Einen Jugendknast von innen zu sehen und mehrere Tage dort zu verbringen ist unheimlich spannend. Wir konnten eine fremde Welt kennen lernen, die einem sonst eher abstrakt erscheint. Fürs Drehen war das super, weil ich wie im Film, mit dieser echten Knastwelt konfrontiert war. Man merkt, dass man eigentlich überhaupt keine Ahnung hat, wie die Leute dort ticken. Wir wurden von der Direktorin und den Gefängniswärtern sehr aufmerksam betreut. Sie haben uns unheimlich viel erzählt und bereitwillig Auskünfte gegeben. Wir haben Knastluft geatmet und diesen Ort der Unfreiheit erlebt.

Wie passte der Drehalltag zum Gefängnisleben?
Schüttler: Es gab immer wieder Situationen, in denen die Gefangenen in das, was wir getan haben, eingegriffen haben. Bei einer Szene auf dem Hof standen an allen Fenstern Gefangene und haben immer wieder in die Szene hineingerufen. Es gab auch aufregende Sachen, wie dieses Pendeln, das ich überhaupt nicht kannte. Da wird meist an abgerissenen Bettlaken, weil ja keiner Fäden, alles Mögliche dran geknotet und dann durch die Gitterstäbe durch, zur nächsten Zelle weiter gependelt hat, bis der andere es fängt. Man hört Sätze wie „Mirko haste mal ne Zwiebel“ und plötzlich kommen in einem leeren Zitronentee-Behälter eine Zwiebel und vielleicht noch eine Kippe gependelt. Das passiert parallel an allen Fenstern. Da wechseln Zitronen, Handys, Drogen und Wasserkocher den Besitzer. Wir haben das lange bestaunt.

Haben Sie anschließend Ihre persönliche Freiheit anders wahrgenommen?
Schüttler
: Total. Vor allem, wenn wir in bestimmten Zonen gedreht haben und dann irgendwann die Schleusen geöffnet wurden und echte Gefangene durchkamen. Wir 30 vom Team haben geregelte Mittagspause und gehen abends um 19 Uhr nach Hause, während diese Jugendlich vielleicht noch die nächsten drei Jahre dort verbringen werden.

Sie haben ja auch in den kleinen Zellen gedreht…
Schüttler
: Die Zellen fand ich richtig schockierend. Mir war nicht klar, wie klein sie sind. Das war in diesem Gefängnis extrem, da es ein Altbau war. Es gab nur Fenster, die unter der Decke waren, aus denen die Gefangenen nur kucken können, wenn sie aufs Bett steigen. Die Zellen sind sehr klein und waren bis vor drei Jahren noch doppelt belegt, bis in der Haftanstalt Gefangene einen anderen Gefangenen zu Tode gequält haben. Als Konsequenz daraus wurde die Doppelbelegung abgeschafft, aber die Situation ist dennoch unfassbar.

Um von der Freiheit zur künstlerischen Freiheit zu kommen: Improvisieren Sie viel als Schauspielerin?
Schüttler: Spielen ist immer auch improvisieren. Natürlich muss man sich, vor allem beim Drehen, an den Text und den spezifischen Ablauf einer Szene halten. Im Spiel selbst, ist der Schauspieler eigentlich sehr frei. Ich denke als Regisseur ist es mit der künstlerischen Freiheit schwieriger, da dort jeder Ausschnitt, jede Musik-Unterlegung und vieles, vieles mehr überdacht werden muss. Als Schauspieler ist es wichtig, sich vorher gut zu überlegen, ob der Stoff und die Rolle einen wirklich interessieren und ob der Regisseur und die Kollegen einen reizen. Diese Wahl treffen zu können, gehört für mich zur künstlerischen Freiheit eines Schauspielers.

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