Frau Riemann, zunächst ein Glückwunsch: In diesem Sommer feiert „Abgeschminkt“ sein 20-jähriges Jubiläum, jener Film, der Ihren Durchbruch bedeutete.
Katja Riemann: Jaaa! 20 Jahre! Wir wollten ja einen zweiten Teil machen, sind aber irgendwie nicht dazu gekommen – schade eigentlich.
In Ihrem neuen Film „Das Wochenende“ spielen Sie Inga, die Ex-Freundin von Jens, einem verurteilten RAF-Terroristen, der nach 18 Jahren Gefängnis wie ein Geist aus der Vergangenheit in Ingas wohl geordnetem Leben auftaucht. Wie sehen Sie diese Inga?
Riemann: Sie ist für die Geschichte zentral, nimmt aber eher eine passive Rolle ein. Sie ist das Verbindungsstück in dem Kreis alter Freunde, die sich an diesem Wochenende in einem Landhaus treffen, um Jens Rückkehr zu feiern. Zunächst scheint sie zwischen ihren Beziehungen zu ihrer alten Liebe Jens und zu ihrem konservativen Ehemann zerrieben zu werden. Aber für sie geht es eben auch darum, das vermute ich jedenfalls, noch einmal die alte Nähe zu erleben, die durch Jens Festnahme jäh beendet worden war. Sich etwas anzuschauen, um Abschied nehmen zu können oder zu einer Entscheidungsfreudigkeit zu gelangen.
Trotz ihrer Passivität beweist Inga auch eine große innere Kraft. „Ich bin noch da“ ist einer ihren ersten Sätze und am Schluss geht Iris auf einer Landstraße alleine ihren Weg und lächelt. Erinnern Sie sich an einen anderen Film, der ein ähnlich starkes Ende hat?
Riemann: Da müsste ich jetzt lange nachdenken…
Im DEFA-Klassiker „Spur der Steine“ von 1966 hört man am Ende die Stimme von Jutta Hoffmann sagen: „Ich will neu anfangen“. Mir fällt kein Filmende ein, in dem ein Mann so etwas sagt.
Riemann: Solche Überlegungen sind für meine Arbeit als Schauspielerin natürlich müßig, aber wenn Sie das schon so ansprechen – vielleicht ist das „Neu anfangen“ in der Tat etwas Weibliches. Aufbauen und Anfangen, der Gedanke, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, ohne andere – das sind ja immer noch sehr weibliche Themen. Auch wenn es viele nervt, sowas zu hören, sowohl Frauen, als auch Männer: Frauen sind heute noch nicht da, wo Männer selbstverständlich sind. Sie kämpfen noch immer mit einer ganzen Menge Zweifel und Unsicherheiten. Sonst würde es ja keine Frauenquote geben.
Das Erstaunliche an „Das Wochenende“ ist unter anderem, dass Ihre Figur Inga in der Romanvorlage von Bernhard Schlink von Anfang an tot ist, sie hat sich das Leben genommen. Der Film lässt sie wunderbarerweise am Leben.
Riemann: Ja, das gab uns, meiner Regisseurin Nina Grosse und mir auch eine schöne Freiheit. Im Rahmen der Parameter, die diese Geschichte setzt, konnten wir uns diese Figur neu erfinden. Wenn man einen Roman verfilmt, stellt sich ja immer die Frage, wie man – profan gesagt – die Geschichte knackt. Ninas Schachzug war eben, diese Inga nicht nur am Leben zu lassen, sondern auch als Identifikationsfigur durch den Film zu schicken.
Warum hat sich Inga im Roman das Leben genommen? Empfand sie eine Mitschuld an den Morden der RAF?
Riemann: Ich weiß nicht, ob sie das aus einem Schuldgefühl heraus gemacht hat. Sie ist ja nicht selbst in den Untergrund gegangen und hat Leute in die Luft gesprengt. Ich glaube, sie war eine depressive Frau. So habe ich sie mir zumindest entschlüsselt und darüber habe ich auch versucht, sie zu spielen. Es gibt eben Menschen, die sich umbringen, weil sie am Leben scheitern, am Leben zerbrechen.
Aber ich möchte zu den Unterschieden von Roman und Film noch feststellen, dass man einen Roman überhaupt nicht eins zu eins in einen Film transferieren kann. Wo ein Autor zehn Seiten braucht, um etwas zu beschreiben, bauen wir beim Film ein Bild und da ist dann alles zu sehen. Andererseits gibt es eben innere Monologe, die man im Film vielleicht auch sprechen, aber nicht in Bilder übersetzen kann. Film ist eben Film und Buch ist Buch.
Das Material ist das gleiche, die Werkstätten sind komplett verschieden.
Riemann: Absolut. Es gab auch in dem Roman ein paar Stellen, wo ich damals dachte: Was soll denn das? Jens hat im Roman Hodenkrebs und ist demnach impotent, so dass sich die mir die Frage stellte, ob erzählt werden soll, dass aus einem Täter ein Opfer wird. Im Film behält die Figur Sexappeal, wie beispielsweise Andreas Baader aus der ersten Generation der RAF es hatte.
Ich habe als junger Mensch sehr mit dem Studentenbund, mit Rudi Dutschke und auch mit der RAF sympathisiert.
Wie haben Sie als junge Frau die RAF gesehen?
Riemann: Ich habe als junger Mensch sehr mit dem Studentenbund, mit Rudi Dutschke und auch mit der RAF sympathisiert – allein aus Opposition, aus dem Bedürfnis heraus, was zu bewegen, aufzurütteln. Allerdings gehöre ich dann eher zur Grünen-Generation. Die Maidemonstrationen, Gorleben, Startbahn West, Jugendhäuser, Hausbesetzer – aus dem Bereich komme ich. Da saß man dann als Müsli im Unterricht, schlecht gekleidet, mit „Atomkraft Nein Danke!“-Plaketten.
Wie haben die Lehrer damals reagiert?
Riemann: Ich bin aus dem Unterricht geflogen, weil ich eine „Stoppt Strauß“- Plakette an der Jacke hatte. Diese Art von Opposition entstand aus einer diffusen Sympathie für Leute, die etwas bewegen wollten.
Und wenn man mit der RAF sympathisiert, wo ist da für Sie die Grenze? Riemann: In dem Moment, wo du Leute umbringst, ist immer eine entscheidende Grenze überschritten. Als wir vor zwei Jahren über unseren Film nachgedacht haben – was ist da passiert? Da wurde angeblich Osama bin Laden umgebracht, sofort verbrannt und ins Meer versenkt. Dabei haben wir doch einen Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Ich kenne den früheren Chefankläger Luis Moreno Ocampo und auch seine Nachfolgerin, Fatou Bensouda, eine Wahnsinnsfrau. Ich finde, wenn man versucht, eine demokratische Gesellschaft auch international zu etablieren, muss man jemanden wie bin Laden in Den Haag vor Gericht bringen.
Wie kam Ihr Kontakt zu den Chefanklägern von Den Haag zustande?
Riemann: Seit vielen Jahren treibe ich mich bei der Initiative „Cinema for Peace“ herum, die während der Berlinale auch ihre Gala veranstaltet. Und da ist Luis gewesen, er hat 2009 einen Preis bekommen und jetzt war auch Fatou dort zu Gast, in dem Zusammenhang habe ich beide kennengelernt. Mit Fatou und ihrer Assistentin bin ich jetzt auch weiter im Kontakt. Wer weiß? – Vielleicht kann ich mal was für die tun? Vielleicht kann ich auch mal nach Den Haag fahren und mir das anschauen, weil ich toll finde, dass es jetzt diesen Gerichtshof gibt und sehr beeindruckt bin von deren Arbeit, die ja auch gefährlich ist.
Was macht so eine Aufgabe, wie die eines Chefanklägers mit einem? Wird man da nicht schnell zum Zyniker?
Riemann: Ja, das könnte man denken. Aber es kommt eben auch darauf an, aus welchen Land du kommst. Luis Moreno Ocampo ist Argentinier, der hat die Militärdiktatur miterlebt. Fatou kommt aus Gambia. Das sind Länder, in denen man eine andere Sichtweise auf Kriegsverbrecher hat, als wenn man aus Westeuropa kommt.
In „Das Wochenende“ wird der bürgerliche Westeuropäer ja auch als Protagonist einer oral fixierten Gesellschaft porträtiert. Der eben aus dem Gefängnis entlassene Jens kann es kaum ertragen, wie sich seine alten Freunde einander ständig Häppchen in den Mund schieben.
Riemann: (Lacht) Das habe ich so noch nie gehört, aber das ist doch super, oder?
Ist das auch ein Reflex auf die oft als lustfeindlich verschrieene Müsli-Generation? Nun haben wir aus der Zubereitung von Essen eine Ersatzreligion gemacht hat, auf Dinner-Parties unterhält man sich mit Vorliebe über Rezepte…
Riemann: …und sobald man das Fernsehen anmacht, sieht man eine Kochshow. Wahnsinn eigentlich. Aber was war die Frage jetzt? Ich habe sie verloren.(lacht)
Was kommt nach der Kochshow-Generation?
Riemann: Gute Frage, ich habe darauf aber nicht wirklich eine Antwort. Ich habe nur manchmal das Gefühl, dass man in einer Gesellschaft, in der keine offensichtliche Not herrscht, irgendwie das Gut von Freiheit nicht mehr so wert schätzt. Bei uns hat sich Freiheit in Freizeit transformiert und das ist natürlich sehr betrüblich. Freiheit ist eben dort sehr erringenswert, wo sie abwesend ist. Wir hier sind frei. Aber was machen wir damit?
[Das Interview entstand im Februar 2013]