Katrin Sass

Man lebt nur noch um zu kämpfen.

Katrin Sass über den Umgang mit Seitensprüngen, den Wechsel vom Sozialismus zum Kapitalismus, Quotenabhängigkeit und ihre Rache an der Klatschpresse

Katrin Sass

© ARD Degeto/Hardy Spitz

Frau Sass, im Berliner Hauptbahnhof hängt ein großes Werbeplakat einer Hotelbuchungskette, auf dem ein Mann mit einer Frau im Hotelbett zu sehen ist und daneben der Satz „Sieben Prozent aller Hotelgäste buchen Businessreisen, die keine sind. 100% stornieren bei Verdacht Ihrer Frau.“ Wie würden Sie das interpretieren?
Sass: Das heißt doch, falls Sie einen Seitensprung vorhaben, dass Sie im letzten Moment noch einen Rückzug machen können.

Es bedeutet aber auch, dass Ihnen geholfen wird, wenn Sie vorhaben, Ihren Partner zu betrügen. Finden Sie es anstößig, wenn die Werbung uns zum Seitensprung, zum Vertrauensbruch animiert?
Sass: Da gibt es ganz andere Sachen, was heute möglich ist, dagegen ist ein Seitensprung doch gar nichts. Kinderpornografie zum Beispiel, das ist grauenvoll. Einen Seitensprung machst du oder machst du nicht.

Mich persönlich hat das Plakat angewidert.
Sass: Das verstehe ich auch. Vielleicht ist man aber langsam schon so weit versaut, dass man sagt: Das juckt keinen mehr.

Außer die betrogenen Ehepartner.
Sass: Tja, ich habe jetzt auch mal so meine Freunde gefragt, was für sie eigentlich Treue ist, und was ein Vertrauensbruch. Die einen sagen, ein Seitensprung ist ein körperliches Fremdgehen, es ist ja nur eine Nacht gewesen, man hat getrunken usw… Und für andere ist es der sofortige Scheidungsgrund, wo Leute sagen: „Nein, das kann ich nicht ertragen.“ Ich gehöre auch zu denen, das geht bei mir überhaupt nicht. Es macht Klick, der Hass geht los und dann heißt es nur noch: Raus!

Wie wurde das Thema Seitensprung in der DDR gesehen?
Sass: Das wurde gemacht, ich glaube viel mehr als im Westen. Außer es waren Genossen, die mussten in so einem Fall antreten, zum Rapport. Die wurden dann vor der Parteigruppe gerügt, ein Genosse hat nicht fremdzugehen. Ansonsten war das Gang und Gäbe, so habe ich es jedenfalls am Theater mitbekommen.

Und diese quasi offizielle Ächtung des Seitensprung, fanden Sie die richtig?
Sass: Ich weiß es nicht. Ich habe ein befreundetes Ehepaar, die sagen, sie haben es beide gemacht und die sind schon über 20 Jahre zusammen. Wenn ich dann allerdings mal bei ihr nachgefragt habe, hat sie mir auch gesagt, wie scheiße es ihr geht, wenn sie weiß, dass er woanders ‚rummacht‘.
Also, ich glaube, man versucht immer ganz locker damit umzugehen, auf der anderen Seite weiß ich nicht, ob es jemandem wirklich gefällt, wenn der Partner loszieht und dann sagt: „Es war ja nur ein körperlicher Betrug.“ Oder „Hat nichts mit dir zu tun“, auch so ein toller Satz.

Wenn wir auf die Stellung der Frau in der DDR zu sprechen kommen, Katharina Thalbach sagte uns in einem Interview, für sie sei das Wort „Emanzipation“ schwer zu verstehen gewesen, als sie damit nach ihrer Übersiedlung in den Westen konfrontiert wurde.
Sass: Ja, diese Diskussionen um die Rechte der Frauen, das kannten wir tatsächlich nicht, diesen Drang nach Emanzipation gab es nicht, denn es war ja irgendwie schon alles gleich. Es war völlig klar, wenn du geheiratet hast, kriegtest du dadurch die Wohnung, der Kindergartenplatz war umsonst und beide hatten Arbeit. Die Männer haben zwar immer ein bisschen mehr verdient, da hat man sich aber irgendwie keine Gedanken drüber gemacht, sondern man hat sich gesagt hat, es ist halt die härtere Arbeit. Eine Diskussion darüber gab es nicht.

Sie kamen vom Sozialismus in den Kapitalismus – wie geht es Ihnen heute damit?
Sass: Also, wie es heute abläuft, das sehe ich auch bei meinen Kollegen: Man lebt nur noch um zu kämpfen. Und ich persönlich kann das alles nicht mehr mitmachen. Ich habe mich soweit zurückgezogen, ich fahre gleich nach diesem Gespräch wieder nach Hause, setze mich auf meine Wiese und gucke aufs Wasser.
Ein Schauspieler-Kollege fragt mich dann immer wieder, ob ich kein schlechtes Gewissen kriege, weil ja nichts tun würde. Ein anderer Kollege wiederum rief mich neulich an und sagte das berühmte Wort „Burnout“. Er sitzt nur noch da, kann nichts mehr machen – und fragt mich zum ersten Mal, seit wir uns kennen: „Kannst du mir helfen? Wie macht man das, nichts tun?“

Aber warum lebt man heute nur noch um zu kämpfen?
Sass: Die Deutschen sind ja sowieso ein merkwürdiges Volk, die Deutschen leben um zu arbeiten, während ich in Italien oder Frankreich den Eindruck habe, dass die Leute dort arbeiten, um zu leben. Wir leben überhaupt nicht. Ich lebe, das weiß ich – nur darf ich das niemandem zeigen.

Warum nicht?
Sass: Weil die Kollegen dann aus allen Wolken fallen. „Wie lange machst du jetzt schon nichts?“ – Seit Weihnachten, da haben wir „Weissensee“ abgedreht, jetzt habe ich nur ein paar Drehtage „Kriminalist“ gemacht, was Spaß gemacht hat und mal wieder eine andere Farbe ist.
Viele Kollegen irritiert das, denn die machen neben Fernsehen noch Synchronsprechen in München, Hörspiel in Köln, die fliegen auch am Tag vom einen zum nächsten Job. Ich kann das nicht, ich lehne das ab.

Und dieses Gefühl, kämpfen zu müssen, hatten Sie das vor der Wende nicht?
Sass: Nein, das war nicht an der Tagesordnung. Wir mussten alle arbeiten, weil es im Sozialismus keine Arbeitslosigkeit gab. Man wird geboren um mit 21 Kinder zu kriegen, wenn man die hat, muss man heiraten und wenn man heiratet kriegte man eine Neubauwohnung, die heute keiner mehr will. Plattenbau. Das war das Ziel – nicht mein Ziel, aber das der meisten Menschen in der DDR. Dann hatte man die Wohnung, die Arbeit, kostenlose Kindergartenkrippe und Miete 40 Euro. Das fand ich auch in Ordnung, dass man dagegen heute so viel Geld bezahlt, nur um ein Dach über dem Kopf zu haben, ist doch abartig.
Andererseits war natürlich vieles an diesem politischen System verlogen. Ich erinnere mich noch an eine Dokumentation über den Mauerfall, in der ein Bauarbeiter sagte: „Selbst wenn ich eines Tages unter der Brücke schlafen muss, dann bitte in der Freiheit.“ Das fand ich toll!

Zitiert

Ein Genosse hat nicht fremdzugehen.

Katrin Sass

Doch gibt es auch heute noch Menschen, die erzählen, dass in der DDR vieles besser war.
Sass: Ach, die ganzen Meckerer von damals. Sollen die sich doch ruhig eine Insel nehmen, mit Stacheldrahtzaun drum herum, dann den Krenz dazu, der lebt ja noch, aber dann auch bitte mit der Ost-Mark und dem Trabbi – ich bin gespannt wer da reingeht. Die haben alle die große Fresse, aber das Westauto will von denen auch keiner aufgeben. Trotzdem trauern sie der alten DDR-Bequemlichkeit nach.

Gibt es denn etwas, dem Sie nachtrauern? Etwas aus dem Ost-Fernsehen vielleicht?
Sass: Ach, den Sandmann gibt es doch immer noch, wunderbar. Und den Grünen Pfeil haben wir auch. (lacht)

Ich möchte da nochmal auf das Eingangsthema zu sprechen kommen, denn in Ihrem aktuellen Film „Heiratsschwindler küsst man nicht“ spielt auch ein Seitensprung eine Rolle. Sollte ein Film bei dem Thema eigentlich eine moralische Botschaft ans Publikum senden?
Sass: Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, ob uns so eine Komödie zum Nachdenken bringen kann. Vielleicht entsteht das ja beim Hingucken, unser Film ist ja keine Komödie, wo man sich die ganze Zeit auf die Schenkel haut, es gibt da durchaus auch ernste Szenen.
Nur, auf so eine Botschaft hingearbeitet haben wir nicht. Sicher wäre es auch ganz schön, wenn der Film nicht nur Unterhaltung bleibt, die man danach einfach wegpackt.

Wie hätte denn das Ost-Fernsehen das Thema verhandelt, auch in Bezug auf den moralischen Anspruch?
Sass: Den gab es ja nur. Es gab immer den moralischen Zeigefinger und politische Intentionen…
Also, einen Heiratsschwindler hätte es in einem DDR-Film schon mal nicht gegeben, so wie auch immer gesagt wurde, in Ost-Berlin gäbe es keinen Smog. Es gab auch keinen Mord, wir waren ja clean – ganz viele haben das wahrscheinlich auch geglaubt.

Wie haben Sie zu Ost-Zeiten die Einflussnahme auf die Filme seitens der Politik erlebt?
Sass: Ich erinnere mich zum Beispiel an den Kinofilm „Der Traum vom Elch“, wo der Regisseur die DDR grau in grau gezeigt hat, mit brennenden Mülltonnen usw. Der hat das Leben so gezeigt, wie es war und ich habe mich in dem Film richtig wohl gefühlt. Dann gab es eine Szene, in der ich im Bus sitze, während draußen die Chemiewerke von Leuna und ein großes Schild mit der Aufschrift „35 Jahre DDR“ zu sehen waren. Dazu blies ein Mädchen im Bus Seifenblasen in die Luft. Eine der Seifenblasen ist dann offenbar genau über diesem Schriftzug zerplatzt. Das hatte der Kameramann nicht gesehen, niemand von uns hatte das gesehen – doch dann kam die Abnahme durch die Genossen und schließlich mussten wir zurück, um das ganze nochmal zu drehen, bei strahlendem Himmel und ohne Seifenblasen. Weil die ernsthaft vermutet haben, dass wir die Seifenblase absichtlich über der DDR-Jubiläumstafel zerplatzen lassen wollten.

Wenn Sie heute einen TV-Film wie "Heiratsschwindler küsst man nicht" drehen, wie frei sind Sie dann bei der Arbeit?
Es gibt immer mal Sätze, die im Buch stehen, die ich so aber nicht aufsagen kann, weil sie nicht stimmen. Aber dann kommt manchmal der Regisseur und sagt, das muss so bleiben, das wolle die Redaktion eben so. Ich habe mal eine Komödie gedreht, in der meine Tochter einen wunderschönen, jungen Mann heiratet – und wo bei der Hochzeit ein Lover des Bräutigams auftaucht. In einer Szene musste ich den fragen: "Bist du etwa auch schwul?"  Doch dann sagte man mir, "schwul" muss gestrichen werden. Auch "homosexuell" ging nicht, stattdessen wurde es "Sag mal, bist du etwa auch .?" und anstelle des Wortes ein komischer Blick zu ihm. Da habe ich mich gefragt: Was ist das jetzt?

Es gibt also durchaus noch eine Einflussnahme.
Sass: Aber wozu? Also, bei dem Wort „schwul“, das fand ich unglaublich. In der DDR waren es ja immer eindeutig politische Gründe.

Ist heute die Quote der Grund? Und die Redaktion fühlt sich der Quote verpflichtet?
Sass: Ja, die wollen Sachen, die Quote bringen. Ich bin auch manchmal erstaunt, wenn ich vor einem Regisseur stehe, der mir zwar „Guten Tag“ sagt, mich dabei aber so merkwürdig anguckt, dass ich weiß: Der hat mich gar nicht besetzt. Wir werden jetzt von Redakteuren besetzt, oder vom Sender, der sich sagt: „Die eine bringt mir die Quote, die andere nicht, also müssen wir wohl oder übel die eine nehmen.“
Quote ist heute wichtig, klar. Ich weiß allerdings nicht, wer diese Geräte dafür zuhause hat. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so eins besitzt.

Und trotzdem arrangieren sich die Leute damit, passen sich der Quote an.
Sass: Ja, man könnte auch sagen, wie sich viele Menschen in der DDR angepasst haben, so geschieht das heute wieder, nur auf andere Weise. Wenn ich mich mal darüber beklage, dass die Produktionsbedingungen beim Fernsehen schlechter geworden sind, fragen mich meine Kollegen, ob ich denn nicht Angst habe, so etwas zu sagen. Eine Freundin meinte zu mir, „man kann darüber nicht so offen reden wie du“ – bis ich die Freundschaft beendet habe. Ich kann so nicht.
Und wenn mir mal jemand aus dem Westen sagt „bei euch war ja jeder dritte bei der Stasi“, dann denke ich, man könnte das Ganze doch mal umdrehen. Wer heute vom kleinen Aufnahmeleiter zum Produktionsleiter seine Karriere macht, da sind Leute dabei, wo ich denke: „Du wärst der erste, der für die Stasi gearbeitet hätte.“ Was die heute für Bücklinge machen, um die Karriereleiter hochzukommen, da wird mir zum Teil kotzübel.

Ich möchte mit Ihnen noch kurz über das Thema Klatschpresse sprechen – für die Seitensprünge und Affären von Prominenten ja auch ein gefundenes Fressen sind. Was glauben Sie, fasziniert den Normalbürger am Klatsch über Prominente?
Sass: Das ist wie ein Schlüsselloch, da wollen die Leute durchgucken.

Aber können Sie das nachvollziehen, warum die Leute diesen Einblick brauchen, in das Privatleben von Prominenten?
Sass: Nein, ich habe das am Anfang, also nach der Wende, gar nicht verstanden. Bei uns gab es ja nur die „Sibylle“. Dann kommst du über die Grenze und es stehen auf einmal diese bunten Zeitungen vor dir.
Ich habe wirklich gedacht, das kann nicht wahr sein. Bis ich dann irgendwann selbst zum ersten Mal drin war. Ich habe mich von einer Illustrierten dazu überreden lassen, auf ein Pferd zu steigen, habe Sachen gemacht, die ich sonst vielleicht nicht gemacht hätte. Ich dachte, in diesem neuen System musst du das mitmachen, schließlich tun die anderen Kollegen das ja auch. Ich habe auch jedem Journalisten meine Telefonnummer gegeben und gesagt: „Wenn Sie was brauchen, können Sie mich jederzeit anrufen.“ Ich wusste es ja nicht besser.

Kam dann irgendwann das böse Erwachen?
Sass: Also, es gab schon Medien, die schreckliche Dinge gemacht haben. Dafür habe ich mich aber auch einmal gerächt.

Wie das?
Sass: Als die Scheidung von meinem Mann kam, waren die natürlich auch hinter uns her – und wir haben dann ein schönes Spiel draus gemacht. Ich hatte einen Reporter am Telefon, dem ich erzählt habe: „Mir geht es ganz dreckig, mein Hof ist abgebrannt, die Tiere laufen hier wild rum“ woraufhin er fragte, ob er das berichten könnte. Aber da meinte ich „Nein, bitte auf keinen Fall berichten, das wäre jetzt ganz schlimm für mich, ich bin noch völlig aufgelöst, ich muss die Pferde festbinden, meine Hunde rennen hier rum usw.“ Ich wollte die einfach mal testen. Und was passierte? Am nächsten Tag sind die mit einem großen Kamerateam gekommen, obwohl ich ihnen gesagt hatte, dass sie mir damit sehr schaden würden. Als sie dann gemerkt haben, dass der Hof noch steht, alles in Ordnung ist und sie völlig umsonst gekommen waren, wurden die richtig sauer – und ich habe dagesessen und mich so richtig gefreut.

Katrin Sass wurde am 1956 in Schwerin geboren, bereits ihre Mutter war Schauspielerin und trat im DDR-Fernsehen auf. Nachdem sie eine Ausbildung zur "Facharbeiterin für Fernsprechverkehr" absolviert hatte, studierte sie Schauspiel in Rostock und mehr

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