Frau Salié, Ihr Redaktionsleiter Christhard Läpple hat den schönen Satz gesagt: „Kultur ist die Tankstelle des Lebens.“ Empfinden Sie das ähnlich?
Salié: Absolut. Und ich finde es toll, dass Christhard ein Redaktionsleiter ist, der in Bildern spricht – denn das tue ich auch gerne. Das passt ja auch zu einem Kulturmagazin. Man kann das auch mit einem Fluss vergleichen: Man geht arbeiten, versorgt seine Familie, der Fluss ist ruhig. Die Wellen entstehen aber erst dann, wenn die Kultur dazukommt. Denn das Leben an sich ist ja eher öde.
Empfinden Sie das so?
Salié: Natürlich. Wenn Sie weder ein gutes Buch noch einen guten Film noch gute Musik haben – was bleibt denn dann noch?
Natürlich bereichert Kultur das Leben, das steht außer Frage. Aber es gibt doch auch noch Dinge außerhalb der Kultur – Freunde, Familie…
Salié: Aber was machen Sie denn mit Freunden und Familienmitgliedern? Sie können reden, okay. Aber worüber reden Sie dann? Die Tankstellen der Kultur sind überall. Und das ist das, was die Leute häufig nicht sehen – gerade die Menschen, die behaupten, sie könnten mit Kultur nichts anfangen. Das glaube ich diesen Menschen nämlich nicht. Jeder hat etwas mit Kultur am Hut.
Wobei das Verständnis dessen, was Leute unter Kultur verstehen, sehr stark divergiert. Wie sieht denn Ihre Definition von Kultur aus?
Salié: Für mich ist Kultur immer ein Gegenentwurf zum „normalen“ Leben. In der Kultur ist so vieles möglich, was im normalen Leben undenkbar wäre. Und das macht die Kultur in meinen Augen so spannend.
Wir haben eben über Kultur als Tankstelle gesprochen: Welchen kulturellen Treibstoff tanken Sie am liebsten?
Salié: Auf jeden Fall Musik. Ich mache zwar nicht selbst Musik, aber ein Leben ohne Musik könnte ich mir einfach nicht vorstellen.
Sie haben sechs Jahre lang „west.art“ im WDR moderiert – ebenfalls ein Kulturmagazin. Was bleibt für Sie gleich, worin liegen die Unterschiede?
Salié: Der größte Unterschied liegt sicherlich darin, dass ich mich bei „aspekte“ auch überregionalen Themen widmen kann. „west.art“ hingegen war zwar ebenfalls ein engagiertes Kulturmagazin mit tollen Themen, aber da hat man die Zuschauer dort abgeholt, wo sie herkommen. Nun gibt es jedoch keine regionalen Grenzen mehr, und das finde ich toll. Uns liegt sprichwörtlich die Welt zu Füßen.
In Deutschland gibt es stets die Unterscheidung zwischen Massen- und Hochkultur. Gibt es derlei Unterscheidungen auch bei der Themensuche der „aspekte“-Redaktion?
Salié: Nein. Uns interessiert alles, was spannend ist. Genauso wie es keine regionalen Grenzen gibt, wird es auch keine thematischen Grenzen geben. Wenngleich wir natürlich versuchen wollen, der kulturellen Genrevielfalt gerecht zu werden. Eine schöne Kombination aus Hoch- und Pop-Kultur finde ich daher wunderbar. Das wurde bisher so gehandhabt, und das wird auch weiterhin so gemacht werden.
Die kulturelle Vielfalt macht es Medien nicht gerade leicht, zu entscheiden, worüber letztendlich berichtet wird. Ab wann wird für Sie ein kulturelles Thema relevant?
Salié: Innerhalb der Redaktion kann natürlich jeder die Themen vorstellen, die ihm vorschweben. Danach gilt das demokratische Prinzip: Wenn es einem Großteil der Redaktion gefällt, wird über die Umsetzung nachgedacht. Es gibt aber auch klassische Massenphänomene, über die man als Kulturmagazin einfach berichten muss – da werden wir sicherlich nicht hinterherhinken. Aber „aspekte“ hat sich eigentlich immer schon zum Ziel gesetzt, möglichst vorne dran zu sein. Und wenn man den Ton angibt oder gar neue Künstler entdeckt, ist das natürlich toll. Jemand wie Wladimir Kaminer oder die französische Sängerin Zaz konnte man beispielsweise erstmals bei „aspekte“ im Fernsehen sehen.
Was passiert denn, wenn Ihnen ein kulturelles Massenphänomen total auf die Nerven geht? Berichten Sie trotzdem darüber?
Salié: Natürlich. Ich finde es ganz furchtbar, wenn sich Moderatoren zu wichtig nehmen. Bei einer solchen Sendung wie „aspekte“ geht es nicht um meinen persönlichen Geschmack. Wir wollen den Zuschauern bestimmte Dinge zeigen, bei denen er selbst entscheiden soll, ob sie ihm zusagen oder nicht.
Wenn Menschen behaupten, sie könnten mit Kultur nichts anfangen, glaube ich denen nicht. Jeder hat etwas mit Kultur am Hut.
Das ZDF wird aufgrund des hohen Altersdurchschnitts seiner Zuschauer häufig als Seniorensender bezeichnet. Inwiefern spielt dieser hohe Altersdurchschnitt eine Rolle bei der Auswahl der Inhalte?
Salié: Es wird in unserer Sendung interessante Beiträge für jede Altersgruppe geben. Das war schon immer so, und das wird auch so bleiben.
Also kein Verjüngungswahn beim ZDF?
Salié: Nein, auf keinen Fall. Natürlich bin ich jünger als meine Vorgängerin Luzia Braun. Aber es sind doch immer die Jüngeren, die nachrücken – alles andere macht in der Regel wenig Sinn.
„aspekte“ gibt es seit 1965. Die Sendung ist damit das dienstälteste überregionale Kulturmagazin und hat eine lange Tradition. Inwiefern fühlen Sie sich dieser Tradition verpflichtet? Was wollen Sie bewusst beibehalten? Was wollen Sie bewusst ändern?
Salié: Ich kann ja nur so sein wie ich bin. Und als Moderatorin hat man sich für mich entschieden, weil man mich mit meiner Art für den Job haben wollte. Das tolle Redaktionsteam hingegen ist gleich geblieben, und das wird sicherlich weiterhin einen guten Job machen. Die Sendung wird also weiterhin „aspekte“ bleiben, aber ich werde natürlich versuchen, mich dort bestmöglich einzubringen.
Wie schafft man es, als fast 50-jährige Sendung stets am Zeitgeist zu bleiben? Oder passiert das automatisch, weil man ja eigentlich „nur“ Augen und Ohren aufhalten muss?
Salié: Ich finde es am schönsten, wenn einen Themen direkt aus dem normalen Kulturalltag anspringen. Aber es hilft natürlich ungemein, ein starkes Team um sich zu haben, das die Themenvielfalt bei „aspekte“ ausmacht und begünstigt.
Die Sendung läuft freitags ab 23h. Wenn Sie entscheiden könnten: Würden Sie sich einen anderen Sendeplatz zulegen und die Sendezeit verlängern?
Salié: Auf jeden Fall. Ich verstehe auch nicht, warum Kulturmagazine so spät laufen müssen, weil ich der Meinung bin, dass jedermann offen ist für Kultur. Und in meinen Augen hat Kultur es verdient, eher zu laufen. 20.15 Uhr könnte ich mir locker vorstellen – optimal fände ich aber 21 Uhr. Es würde bloß wahrscheinlich nicht klappen, weil das Publikum eben etwas anderes gewöhnt ist.
Inwieweit sind die Neuen Medien ein Konkurrent bei der kulturellen Berichterstattung, und inwiefern helfen sie auf der anderen Seite, auf bestimmte Themen überhaupt aufmerksam zu werden?
Salié: Bei „aspekte“ schlägt unser Herz besonders für Kultur, die Substanz hat, und die sich nicht von heute auf morgen wieder verflüchtigt. Unsere Redaktion ist glücklicherweise bunt gemischt, da gibt es Ältere, da gibt es Jüngere, und besonders letztere sind natürlich auch bei Facebook und Youtube unterwegs, wo man ab und an auf bestimmte Künstler aufmerksam wird.
Ein ehemaliger Moderator von „aspekte“, Wolfgang Herles, schrieb einmal, „aspekte“ sei Spiegel, aber niemals Spielball des Zeitgeistes Sie lernen bei Ihrer Arbeit ja auch Künstler, Veranstalter, Agenten und Promoter kennen. Wie schafft man es dabei, stets objektiv zu bleiben und sich seine Unabhängigkeit zu bewahren?
Salié: Das ist eigentlich ganz einfach. Ich empfinde mich als total unabhängig. Natürlich finde auch ich bestimmte Künstler toll und würde gerne etwas zu denen machen, aber ich verdiene ja nicht daran, bestimmte Künstler zu pushen. Was sollte ich also für ein Interesse daran haben? Ich genieße Kultur sehr gerne, aber ich mache mich nicht mit ihr gemein.
Sie haben im Pressegespräch gesagt, dass Sie „aspekte“ in der Vergangenheit manchmal als zu textlastig empfunden haben und das zukünftig gerne ändern wollen. Nun ist Text als Moderatorin aber ihr Handwerkszeug. Ist das nicht ein Widerspruch?
Salié: Bei Kulturmagazinen ist es häufig so, dass da Leute an der Feder sitzen, die tatsächlich gut schreiben können. Und das tun sie dann eben auch – allerdings häufig ein bisschen zu viel. Natürlich lässt sich gerade über Kultur sehr schön schreiben, aber beim Medium Fernsehen kommen eben auch noch die Bilder dazu, die oftmals auch mal für sich stehen können und sollten. Ich finde es ganz schlimm, wenn Moderatoren vollkommen redundante Informationen verbreiten. Das braucht niemand.
Empfinden Sie es als leicht, ein Kulturmagazin zu moderieren?
Salié: Um ehrlich zu sein, halte ich es für eine der schwierigsten journalistischen Formen überhaupt. Denn es ist wahnsinnig schwer, den Leuten Kultur zu präsentieren, ohne ihnen gleichzeitig zu sagen, dass es gut ist – denn das muss am Ende immer noch jeder selbst entscheiden. Wir wollen es den Leuten anbieten, aber nicht aufdrängen.
Ihre Vorgängerin Luzia Braun war 18 Jahre lang Moderatorin der Sendung. Haben Sie Angst, von den Zuschauern nicht akzeptiert zu werden?
Salié: Natürlich wird es Zuschauer geben, die sich Luzia zurückwünschen, weil sie eben 18 Jahre lang ganz hervorragend durch die Sendung geführt hat. Insofern ist es durchaus eine schwere Bürde, ihre Nachfolgerin zu sein, aber das gehört eben dazu. Die Neue hat es immer schwer am Anfang, aber das bekomme ich hin.