Hi Jean-Yves, meine erste Frage: wie stehst du generell zu Interviews, sprichst du gerne über deine Musik? Nicht alle Musiker tun das.
Prieur: Klar, mir macht das Spaß. Natürlich gibt es auch viele Musiker, die sich nur über ihre Musik ausdrücken wollen oder DJs, die sich nur über ihre Platten artikulieren – wie ein Schriftsteller seine Meinung sagt, mit dem, was er schreibt. Insofern ist es für manchen Musiker einfach, zu sagen: "wenn du was über meine Musik wissen willst, musst du sie dir nur anhören". Aber heutzutage verkaufst du ja kaum noch Platten, wenn du nicht über deine Musik sprichst. Und man läuft immer wieder Gefahr, in diese oder jene Schublade gesteckt zu werden. Ich als Musiker hasse Kategorien. Vor kurzem habe ich eine deutsche Musiksendung gesehen, wo die Chemical Brothers zu Gast waren. Und der Moderator hat doch tatsächlich gesagt: "euer neues Album klingt ein bisschen so wie Leftfield". Die Chemical Brothers haben daraufhin gar nichts gesagt, sie waren einfach nur wütend, was ich sehr gut verstehen kann.
Du magst es also nicht, mit anderen Musikern verglichen zu werden?
Prieur: Nein, nicht so sehr. Es sei denn, man vergleicht mich mit einem großartigen Musiker, das ist was anderes.
Wie würdest du die musikalische Entwicklung beschreiben, die du von deinem ersten Album "A grand love story" 1998 hin zu deinem jüngsten "Kill your Darlings" gemacht hast?
Prieur: Auf meiner ersten Platte habe ich noch sehr viel mit Samples gearbeitet. Das wollte ich mit "Kill your Darlings" ändern, weshalb ich mich entschieden habe, viel mit Akustik-Gitarre zu arbeiten, schließlich bin ich ja auch Gitarrist. Anstatt also einen Song mit einem Beat anzufangen, habe ich ihn mit der Gitarre angefangen, dazu Percussion und Vocals. Und erst als ich alle Tracks aufgenommen hatte, habe ich mir gesagt: "jetzt produziere ich die Platte". Beim ersten Album war das noch komplett anders, da habe ich Tag für Tag einen Song produziert und wenn der Song fertig war, dann war er fertig. Das nächste Album werde ich wieder anders machen.
Ich muss tatsächlich sagen, dass mich "Kill your Darlings" kaum an den Stil deines ersten Albums erinnert hat.
Prieur: Aber trotzdem bin das immer noch ich. Und ich glaube schon, dass ich meinen eigenen Sound habe. Für die Leute ist es doch außerdem schön, unterschiedliche Musik zu hören. Ich selbst bin ein großer Musikliebhaber, ich mag die verschiedensten Stilrichtungen, was ich den Leuten auch vermitteln will. Wenn man jung ist, dann ist man vielleicht Fan einer ganz bestimmten Band oder Stilrichtung. Aber wenn du älter wirst, dann kannst du als Punkrocker auch ruhig mal Jazz hören. Ich zum Beispiel war früher Punkrocker und fühle mich zum Teil heute noch wie einer – trotzdem höre ich Jazz. Ich habe von damals noch Freunde, die bis heute dieselbe Musik hören, 25 Jahre später! Die sind mit ihrer Begeisterung im Jahre 1977 stehen geblieben. Mir passt so etwas nicht, ich will heute leben und nicht gestern.
Du hast das Instrument schon beim Namen genannt – was bringt Kid Loco und die Akustik-Gitarre zusammen?
Prieur: Eine Gitarre ist einfach super, zum Beispiel weil du einem Mädchen ohne große Probleme schnell ein Liebeslied vorspielen kannst, mit einem Klavier wird das schon schwieriger, wenn du mit dem Mädchen meinetwegen im Park sitzt. Insofern ist die Akustik-Gitarre sehr bequem und du kannst einfach dazu singen. Für mich ist akustische Musik sowieso viel menschlicher als synthetisch erzeugte. Wenn ich mir Jimi Hendrix "Foxy Lady" anhöre, dann habe ich immer das Gefühl, seine Band wäre mit mir im Raum, ich fühle mich als einen Teil seiner Musik. Oder wenn ich zu einem Jazz-Gig gehe und die Musiker spielen ohne Mikrofone. Dann steht da das Klavier, dort der Bass, da die Bläser – da merkt man, wie akustische Musik im Raum lebt und nicht nur direkt vor deinem Kopf geschieht.
Der Mensch ist dir als Klangerzeuger also lieber als die Maschine?
Prieur: Computer werden letzten Endes ja auch von Menschen kreiert, es sind keine selbständigen Roboter, sie brauchen den Menschen, um zu funktionieren. Ich benutze Computer nicht als ein Musikinstrument, sondern mehr für die Aufnahme von Musik. Die Musik aber mache ich selbst, nicht mein Musikprogramm. Heute gibt es so viele Bands, deren Platten alle so gleich klingen, weil eben teilweise sogar die gleichen Musikprogramme benutzt werden. Da ist für mich nichts dahinter, das ist einfach nur langweilig. Du hörst ein Lied im Radio und denkst, es ist deine Lieblingsband, dabei ist es eine andere. Und da helfen manchmal nur die Vocals, um rauszukriegen, wer nun der Interpret ist. Daher hört man auf meinem Album viel Gesang und viel Akustik-Gitarre.
Hast du denn in letzter Zeit jemandem mit deiner Gitarre ein Ständchen gebracht?
Prieur: Ja, ich spiele meiner Frau sehr oft etwas vor, sie mag das total. Ich hatte mir ja vor zwei Jahren den Arm gebrochen und danach für mehr als ein Jahr nicht Gitarre gespielt. Aber als ich dann die Gitarre wieder in die Hand nahm und spielte, war das für meine Finger die Hölle, sie haben geblutet, aber ich habe immer weiter gespielt, ich musste einfach. Also immer wenn du in einer besonderen Situation bist oder ein besonderes Gefühl hast, dann kannst du sofort die Gitarre in die Hand nehmen und dich ausdrücken. Ganz anders ist das mit dem Computer, der muss erst hochgefahren werden, du musst dein Programm starten…
Was erwartet die Zuhörer auf einem deiner Live-Gigs?
Prieur: Als ich "Kill your Darlings" veröffentlicht habe, da hatten wir in Paris ein Konzert, wo wir die Songs vom Album gespielt haben, richtig live mit Akustik-Gitarre, Doppelbass und zwei Harfen. Und das klang auf einmal ein bisschen wie Bob Dylan. Ich will damit sagen, dass ich sehr gerne meine eigenen Songs live völlig anders arrangiere und spiele, als man sie vorher schon mal gehört hat. Und ich cover unheimlich gerne – du hörst einen Song, du magst ihn, du machst daraus dein Cover. U2 zum Beispiel, ich hasse eigentlich U2, aber sie haben diesen wunderbaren Song "One" gemacht und ich mache daraus eben meine Cover-Version.
Im Popbereich ist das Covern mittlerweile immer weiter fortgeschritten, es kommt immer häufiger vor, dass über die Hälfte der Charts aus Cover-Versionen bestehen. Du hast da keine Bedenken?
Prieur: Also Popmusik höre ich überhaupt nicht. Ich höre kein Radio und weiß auch nicht, wer gerade in Frankreich die Nummer 1 ist. Manchmal entdecke ich in der Zeitung die Charts, wobei ich dann feststellen muss, dass ich von den Bands auf den ersten 20 Plätzen noch nie etwas gehört habe. Ich ziehe es vor, meine Zeit nicht mit dieser Art von Musik zu verschwenden, dafür gibt es gibt zu viele gute Musik.
Songs, die vielleicht auch zu gut sind, als dass du sie covern würdest?
Prieur: Vielleicht, generell habe ich aber kein Problem mit dem Covern. Vor zehn Jahren, da habe ich mit meiner damaligen Band "Mega Reefer Scratch" ein Cover von einem "Temptations"-Song gemacht. Und viele Franzosen wurden verrückt und meinten, wir hätten kein Recht, diese großartige Band zu covern. Uns war das aber ziemlich egal, wir haben den Song aufgenommen und er war gar nicht so schlecht. Einmal habe ich dann dem Produzenten der "Temptations" persönlich ein Tape gegeben. Der hat sich bedankt, er war richtig stolz und es hat ihm gefallen. Oder wir haben ein Cover eines Songs von Lee Hazlewood gemacht, der unter anderem Songs für Nancy Sinatra geschrieben hat. Ich habe ihn später in den USA getroffen – er war da schon 70 Jahre alt – und ich hatte jene Kassette in der Tasche. Er hat sie damals in seinen Walkman eingelegt, die Kopfhörer aufgesetzt und was folgte, war ein vierminütiges breites Grinsen. Das war eins meiner schönsten Erlebnisse überhaupt.
Wenn dich jemand fragt, welche Botschaft du mit deiner Musik vermitteln willst, was antwortest du?
Prieur: Weiß ich nicht.
Etwas über das Leben?
Prieur: Es gibt da diesen großartigen Song von den "Sex-Pistols", wo sie singen: "I don’t know what I want, but I know how to get it". Ich mag diesen Gedanken. Denn ich weiß einfach, was ich nicht will. Ich will nicht in einer Fabrik arbeiten müssen, ich will nicht Teil des Systems sein… Aber was ich will, das weiß ich bis heute nicht. Ich weiß nur, dass meine Platten immer ein Teil meines Lebens sind, ein Zeitausschnitt könnte man sagen. Ich nehme also nie einen Song auf, den ich vielleicht erst vier Jahre später veröffentliche. Denn vier Jahre später würde mir der Song nichts mehr bedeuten. Sowieso mag ich Platten, wenn ich den Eindruck bekomme, eine Stunde mit der Band zu verbringen. Zum Beispiel die "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" der Beatles, das ist für mich eine der besten Platten überhaupt. Die einzelnen Stücke sind zwar nicht die allerbesten, aber es passt alles so wunderbar zusammen. Es ist eben keine "Best of" Platte.
Dein Lieblingssong der Beatles?
Prieur: "Strawberry Fields". Ich finde auch die Geschichte des Songs so erstaunlich. John Lennon wollte zwei Takes zu einem verschmelzen lassen, obwohl die im Tempo völlig verschieden waren und George Martin dann eins verlangsamte und eins verschnellerte. Der Song klingt daher so komisch, hier zu langsam und da zu schnell. So etwas heute zu machen, ist fast unmöglich, die Technologie ist so weit, dass man kaum mehr diese kleinen Fehler machen kann.
Magst du Perfektion?
Prieur: Nein, im Gegenteil, ich mag Fehler, und das Beste in der Musik ist für mich, wenn etwas nicht nach Plan läuft.
Sehr vielen Leuten bist du in erster Linie als DJ bekannt. Bist du das eigentlich schon immer gewesen?
Prieur: Nein, vor fünf Jahren war ich noch kein DJ. Heute bin ich ein DJ, weil mich Leute darum gebeten haben, aufzulegen. Zuerst habe ich Nein gesagt, ich wollte Musiker sein und nicht nur einfach Platten auflegen. Dann hat man mich aber gefragt, ob ich nicht in Japan auflegen wollen würde. Da habe ich dann mein OK gegeben. Zwei Jahre später habe ich mich allerdings immer noch nicht als DJ gesehen und die Szene hat das noch viel weniger getan. Bis dann der Anruf vom K7-Label kam und die mich fragten, ob ich nicht eine DJ Kicks CD machen würde. Und von dem Punkt an war ich für alle der DJ, nur weil ich diese eine Platte gemacht habe. Übrigens war das genau die Zeit, als mein Arm gebrochen war. Es war sehr lustig, eine DJ-Compilation mit nur einer Hand zu machen. Seitdem bin ich auch überzeugt davon, dass man eine Gitarren-Platte mit nur einem Arm machen kann.
Das Leben ist ein Comic, welche Figur bist du?
Prieur: Ich bin Coyote, der immer den Roadrunner fangen will. Er entwickelt immer äußerst komische Maschinen, um ihn zu fangen, aber es klappt nie. Das ist ein schönes Gegenstück zu mir, denn Coyote weiß, was er will, er weiß nur nicht, wie er es erreicht. Das gefällt mir eigentlich genauso gut wie der Song von den Sex Pistols.