Kida Ramadan, Ihre erste große Hauptrolle in „4 Blocks“ war ein voller Erfolg. War das Regiedebüt für Sie der nächste logische Schritt?
Kida Ramadan: Es war immer ein Wunsch von mir, Regie zu führen. Aber beim nächsten Mal werde ich das ein bisschen anders machen.
Haben Sie unterschätzt, was es bedeutet, bei „In Berlin wächst kein Orangenbaum“ zugleich vor und hinter der Kamera zu arbeiten?
Ramadan: Ich glaube, ich hab’s am Ende gut hinbekommen, weil ich einen guten Regieassistenten und Kameramann hatte. Aber nichtsdestotrotz würde ich mich beim nächsten Mal komplett auf die Regie konzentrieren und nur einen Gastauftritt machen, wie Detlev Buck oder Woody Allen das manchmal in ihren Filmen machen.
Wie lange haben Sie an dem Film gearbeitet?
Ramadan: Juri Sternburg und ich haben zwei Jahre lang geschrieben. Dann haben wir uns einen Sender gesucht, damit wir nicht so viel durch die Förderungen gehen müssen. Man hat uns vertraut und dann haben wir schnell losgelegt.
Ich habe aber festgestellt, dass ich eher doofe Klischees im Kopf gehabt hatte. Dafür muss ich mich beim ganzen Osten entschuldigen.
Die Geschichte des Films wird in einem Satz Ihrer Figur Nabil zusammengefasst: „Mein Leben hat sich gelohnt, denn ich konnte meiner Tochter zeigen, wo ich herkomme.“
Ramadan: Wir haben viel über diesen Satz diskutiert. Der Schnitt war fertig, ich war bei den Synchron-Aufnahmen und hab dann gesagt: ‚Warte mal, Alter, da fehlt irgendwas. Es braucht noch ein Voice-Over. Ich probier mal diesen Satz.‘ Dann habe ich ihn eingesprochen. Danach habe ich geweint. Und alle haben gesagt: ‚Kida, das ist zu kitschig. Hör auf damit.‘ Ich hab gesagt: ‚Ihr habt keine Ahnung, was Gänsehaut ist.‘ Der ist für mich sehr wichtig, dieser Satz.
Dieser Nabil wurde, wie Sie selbst, in Beirut geboren. Konnten Sie Ihren Kindern schon zeigen, wo Sie herkommen? Im Buch „Zusammen sind wir Könige“ schreiben Sie ja, dass Sie eine Zeit lang nicht in den Libanon reisen konnten…
Ramadan: Ich war irgendwann mal dort und musste leider wieder abhauen, weil mich die Armee zum Militärdienst einziehen wollte. Ich habe einen doppelten Pass. Aber meine Kinder kennen den Libanon inzwischen.
Das heißt, auch Ihre Flugangst haben Sie mittlerweile überwinden können?
Ramadan: Ja, die habe ich nicht mehr. Ich könnte jetzt selbst eine Maschinen fliegen. Durch das viele Fliegen habe ich mich gewöhnt und durch Tabletten, die einem die Angst nehmen. Aber das sind keine Chemie-Tabletten, sondern gute mit Kräutern. Vielleicht war das auch alles Placebo. (lacht) Aber Hauptsache, es hilft.
Im Film wird Nabil nach 15 Jahren aus dem Gefängnis entlassen, lernt in einem Brandenburger Ort seine Tochter kennen und zeigt ihr sein Berlin. Kannten Sie vorher solche Brandenburger Kleinstädte?
Ramadan: Nein. Die Erfahrungen, die Nabil da macht, waren auch für mich neu. Es war komisch für mich, so tief in den Osten zu gehen. Ich habe aber festgestellt, dass ich eher doofe Klischees im Kopf gehabt hatte. Dafür muss ich mich beim ganzen Osten entschuldigen. Durch den Film konnte ich die Vorurteile ablegen und habe den Osten richtig lieb gewonnen.
Sie haben als Bundeswehrsoldat durchaus negative Erfahrungen mit Soldaten aus Sachsen gemacht…
Ramadan: Ja, aber man darf nicht alle über einen Kamm scheren. Das war eine Situation, die hätte so auch in Finnland passieren können.
Im bereits erwähnten Buch erzählen Sie von einem Soldaten, der Ihnen sagte: „Wir Deutsche haben mit Euch Arabern eines gemeinsam: Wir hassen die Juden.“
Ramadan: Diesen Satz werde ich nie vergessen. Ich habe jüdische Freunde, die ticken genauso wie ich. Wir sind alles Menschen. Es ist nur Glück, wo man geboren und aufgewachsen ist. Man soll nicht in Religionen denken, sondern den Menschen sehen. Wenn ich einen mag, dann mag ich ihn, dann guck ich nicht, welche Religion er hat. Ich hasse solche rassistischen Menschen. Wenn ich über sowas rede, habe ich Gänsehaut am Körper, weil ich mich vor solchen Sätzen so ekele.
Ist der Rassismus seit Ihren Bundeswehrtagen stärker geworden oder war er immer schon da und es wurde nur nicht so viel darüber geredet?
Ramadan: Ach, solche Begegnungen gehören zu meinem Leben. Ich nehme solche Idioten aber auch nicht ernst. Was die sagen, geht hier rein und da raus. Ich sage denen dann zwar meine zwei Sätze, aber wie willst du so einen Typen neu erziehen? Es braucht wahrscheinlich Jahre, um dem klar zu machen, dass seine Art zu denken falsch ist.
In einer Szene des Films sagt Nabil: „Wo ich herkomme, gibt es Stolz und Ehre.“ Wenig später guckt die Tochter in Berlin aus dem Auto und ruft: „Wir sind Libanesen!“
Ramadan: Da habe ich auch immer Gänsehaut, wenn sie das sagt. Also wieder Gänsehaut im guten Sinne. Das ist ein starker Moment. Von da an akzeptiert die Tochter ihren Vater. Das hat eben auch etwas mit Stolz zu tun.
Worauf sind Sie stolz?
Ramadan: Eigentlich glaube ich, dass man nur stolz auf seine eigene Leistung sein kann. Aber andererseits ist Stolz eine ganz komplizierte Sache. Ich bin natürlich auf eine Art und Weise stolz auf meine Herkunft. Ich bin Libanese. Dort sind meine Wurzeln. Ich bin aber auch Deutscher. Und ich bin dankbar, dass ich in einem Land wie Deutschland leben darf. In keinem anderen Land könnte ich meine Träume so ausleben. Deswegen bin ich meinem Vater sehr dankbar, der uns damals in dieses Land gebracht hat. Es reicht schon, wenn du eine Krankenkassenkarte in der Tasche hast.
Hat Würde, Ehre und Stolz auch etwas mit Sicherheit zu tun?
Ramadan: Ja klar. Sicherheit ist auch eine Art von Frieden. In Deutschland verhungerst du nicht. Und eine Krankenversicherung zu haben, das ist ja schon ein großer Luxus, den die meisten Menschen leider nicht haben.
Wie sehr betrifft Sie die aktuelle Situation in Beirut, nach der Explosions-Katastrophe?
Ramadan: Das hat mich sehr getroffen und stark beschäftigt, na klar. Gott sei Dank geht es meiner Verwandtschaft dort gut. Aber es sind 400.000 auf der Straße, obdachlos. Darum habe ich einen Spenden-Aufruf gemacht, um den Leuten vor Ort zu helfen. Wenn ich irgendwann mal zwei Tage Zeit habe, will ich hin und selber etwas an den Mann bringen. Damit ich weiß, wo das Geld hingeht. Sehr viele Anlaufstellen sind halt nicht seriös, aber mit der Kindernothilfe habe ich einen super Verein gefunden, mit dem ich das zusammen mache.
In Ihrem Film taucht auch immer wieder ein Luftbild von einem Beirut auf, das es so nun nicht mehr gibt.
Ramadan: Es war für mich sehr wichtig, dass dieses Foto immer wieder auftaucht. Es erzählt von der Sehnsucht nach diesem Land. Ich musste dabei immer an meinen Vater denken, der gesagt hat: ‚Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir in diesem Land, in das wir geflohen sind, auch sterben werden.‘
Auch die Frage, wo man stirbt, hat etwas mit Würde und Stolz zu tun?
Ramadan: Ja klar. Mein Vater war sehr dankbar, dass wir in Deutschland aufgenommen wurden, aber er hatte eben nicht damit gerechnet, dass er nicht wieder zurückkehren würde. Er ist leider schon vor zehn Jahren von uns gegangen. Jetzt ist er in Kreuzberg auf dem Friedhof. Und ich bin Berliner. Hier ist meine Heimat.
Migrantisch geprägte Milieus spielen im deutschen Film eine immer größere Rolle, doch oft mit Hauptfiguren, die gerade aus dem Knast kommen oder auf dem besten Weg dorthin sind. Geht es nicht ohne?
Ramadan: Ich weiß, was Sie meinen und ich muss Ihnen Recht geben. Ich selbst war aber nie in so einer Bande, von der zum Beispiel mein Film „Nasser Hund“ erzählt. Ich versuche auch, jede Rolle anders zu spielen und den Menschen auf verschiedene Art und Weise eine Freude zu machen. Und auch an Geschichten ohne Knast bin ich dran, keine Sorge.
Planen Sie als Regisseur bereits ein neues Projekt?
Ramadan: Ich will auf jeden Fall das Leben von Tim Raue verfilmen, dem Koch. Frederick Lau soll die Hauptrolle spielen. Ich kenne Tim aus Kreuzberg sehr gut. Das wird hoffentlich das nächste große Ding.