Kim Wilde

Das ist nicht Karaoke!

Kim Wilde über Comebackversuche, ihr Album „Snapshots“ und böse Twitter-Kommentare

Kim Wilde

© Sony Music/Nikolaj Georgiew

Sie haben sich gerade einen Tee bestellt – trinken Sie Tee als Pop-Sängerin, um Ihrer Stimme etwas Gutes zu tun oder als Engländerin, um die Tradition aufrecht zu erhalten?
Eine gute Frage, auf die ich allerdings keine Antwort weiß. Aber ich gebe gerne zu: Wirklich Rock’n’Roll ist das nicht. Ich habe allerdings immer schon gerne Tee getrunken, insofern bleibe ich vor allem meiner eigenen Tradition treu. Dazu gibt es eine ganz schöne Geschichte. Wollen Sie sie hören?

Selbstverständlich.
Ich saß einmal in einem Flugzeug, als es dort heftige Turbulenzen gab und ich wirklich Angst hatte, dass wir abstürzen. Und was habe ich gemacht? Ich habe bei der Flugbegleiterin einen Tee bestellt. Ich dachte mir, wenn ich schon sterben muss, dann nicht ohne eine letzte Tasse Tee (lacht). Aber wie Sie sehen: Ich habe es damals überlebt.

Ihr neues Album „Snapshots“ beinhaltet lediglich Coverversionen von Stücken anderer Künstler. Sie haben das als musikalisches Fotoalbum Ihrer Generation beschrieben – das sind große Worte.
Ja, mag sein. Aber ich habe bei meinen Konzerten immer schon viele Coverversionen gespielt, die stets gut ankamen, und der Zeitpunkt für ein solches Cover-Projekt ist nun perfekt: Ich werde dieses Jahr 50, bin seit 30 Jahren im Musikgeschäft, und da kann man schon mal etwas Besonderes machen. Hinzu kommt: Die Songs sind bereits geschrieben. Ich habe also viel weniger Arbeit damit als sonst (lacht).

Alle Stücke auf der Platte sind in der Originalversion auf ihre Art einzigartig. War es Ihnen nun wichtig, diese Einzigartigkeit zu erhalten oder haben Sie versucht, durch Ihre Interpretation eine neue Einzigartigkeit zu erschaffen?
Ich habe für die Platte natürlich nur Stücke ausgewählt, die mir etwas bedeuten. Durch das Einbringen meiner persönlichen Note habe ich nun versucht, eine neue Form von Einzigartigkeit in die Songs hineinzubringen. Ich habe deshalb extra einen Zettel ins Studio gehängt, auf dem steht: „Das ist nicht Karaoke!“ Es ging mir schließlich nicht darum, besonders originalgetreu zu klingen, sondern mich von den verschiedenen Songs inspirieren zu lassen und sie in etwas Neues zu verwandeln.

Sie haben Lieder aus drei Dekaden gecovert. Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Auswahl getroffen?
Darüber haben wir sehr lange diskutiert. Schlussendlich haben wir ansatzweise versucht, Songs auszusuchen, die mich in meinen verschiedenen Lebensphasen begleitet haben. Das war sehr interessant und hat uns vor die Aufgabe gestellt, auch verschiedene Genres miteinander zu verbinden und deren Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Doch letztlich hat sich an den Anforderungen an gute Popmusik über die Jahre nicht viel verändert. Es geht immer noch um tolle Melodien, gute Performances und darum, auf interessante Art und Weise schöne Geschichten zu erzählen.

Sie haben es gerade angesprochen: Sie werden von den Menschen zwar als Popsängerin wahrgenommen, haben sich aber immer auch schon für andere Genres interessiert, wie nun auch auf der Zusammenstellung Ihrer neuen CD deutlich wird. Worin liegen denn die größten Unterschiede, wenn man beispielsweise mal Pop mit Punk vergleicht?
Erstaunlicherweise sind die Unterschiede gar nicht so groß, wie man vielleicht denken würde. Bands wie The Cure, Suede oder die Buzzcocks, deren Songs auf meinem Album zu hören sind, wurden nie als Pop wahrgenommen, unterscheiden sich aber in ihrer künstlerischen Herangehensweise gar nicht so sehr vom klassischen Pop-Ansatz. Indem ich diese Stücke auf ihre musikalische Basis reduziert habe, habe ich versucht, das zu verdeutlichen. Was übrig bleibt sind tolle Melodien, großartige Lyrics und nachvollziehbare Emotionen.

Wie schwierig war es denn, eine Auswahl an Songs zu treffen, die ansatzweise den Soundtrack Ihres Lebens markieren?
Das war sehr schwer. Aber zum einen ist der Platz auf einer CD begrenzt, zum anderen gab es eine Deadline, die es einzuhalten galt. Ansonsten wären wir vermutlich nie mit der Platte fertig geworden.

Es gibt Lieder, die Erinnerungen in einem wachrufen. Woran liegt es, dass Musik in der Lage ist, bestimmte Gefühle aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu transportieren?
Das ist nur sehr schwer in Worte zu fassen, aber genau diese Ungreifbarkeit ist ja auch das Tolle an Musik. Musik vereint Menschen, bringt sie zusammen und verbindet sie viel intensiver miteinander als Religion. Das habe ich bereits als Kind verstanden und Musik seither immer vertraut.

Können Sie sich noch an den konkreten Moment erinnern, als Ihnen das klar wurde?
Ja. Ich muss etwa vier Jahre alt gewesen sein, als ich „Anyone who had a heart“ von Cilla Black gehört habe. Ich habe damals gar nicht so genau verstanden, worum es eigentlich geht, aber die Intensität des Stücks hat mich sofort berührt. Diese Leidenschaft im Gesang und die wundervolle Musik hat mich sofort angesprochen, und dieses Grundvertrauen in die Musik ist bis heute geblieben.

Im Pressetext wird Ihr neues Album als „ehrliche und fesselnde Verbeugung vor der zeitlosen Magie des Pop“ beschrieben. Worin genau liegt diese Magie?
Das ist die 60-Millionen-Dollar-Frage, und die Antwort darauf ist der heilige Gral, nach dem wir seit Ewigkeiten suchen. Aber die Magie, die Schönheit und der Reiz von Popmusik liegt eben vor allem darin, diesen Umstand nicht genau benennen zu können. Klar, man braucht eine starke Melodie – aber das ist längst nicht alles. Diese Unwissenheit hält die Popmusik jedoch am Leben, weil sich jede neue Generation auf die Suche nach der Lösung macht; und auf dem Weg dorthin entstehen wieder wundervolle neue Popsongs.

Obwohl erst im letzten Jahr Ihre Platte „Come Out And Play“ erschienen ist, wird man im Zuge der Veröffentlichung Ihres neuen Albums wieder von einem Comeback sprechen. Geht Ihnen das manchmal auf die Nerven?
Nein, damit komme ich klar. Ich veröffentliche nach wie vor Platten, stand kürzlich gemeinsam mit Debbie Harry auf der Bühne, habe mit La Roux zusammengearbeitet – das hat mit einem Comeback nichts zu tun. Ich lese aber auch nicht viel Zeitung und bekomme in Folge dessen auch nur wenig davon mit, was über mich geschrieben wird. Neulich bin ich allerdings mal bei Twitter reingerutscht, und da war es unvermeidbar, auch ein paar harte Kommentare mitzubekommen.

Worum ging es darin?
Ach, das Übliche. Es ging darum, wie alt ich mittlerweile bin, dass ich über Ruhestand nachdenken und mich lieber wieder der Gartenarbeit zuwenden sollte.

Zitiert

Es geht immer noch um tolle Melodien, gute Performances und darum, auf interessante Art und Weise schöne Geschichten zu erzählen.

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Hat Sie das verletzt?
Natürlich – wenn auch nur für zwei Minuten. Aber in diesen zwei Minuten war ich wirklich sauer (lacht)! Aber ich finde es auch toll, auf diese Art und Weise einen direkten Kontakt zu vollkommen fremden Menschen aufbauen zu können. Das ist das Risiko des Schmerzes durchaus wert.

Dann haben Sie sich über die Jahre anscheinend ein dickes Fell zugelegt.
Ja, absolut. Mich kann nichts mehr verletzen. Die Prioritäten in meinem Leben haben sich aber auch verschoben. Früher war meine Karriere alles, was ich hatte – das ist sie heute nicht mehr. Mittlerweile habe ich einen liebevollen Mann, zwei tolle Kinder und könnte mich auch wieder der Landschaftsgärtnerei widmen, wenn mir der Sinn danach stünde.

Kommen wir noch einmal auf die Comebacks zurück. Was halten Sie denn generell davon? Immerhin gibt es viele Beispiele von gescheiterten Comebacks wie das von Whitney Houston.
Es gibt aber auch viele positive Beispiele wie das von Take That. Das war doch unglaublich! Klar, diese müden Comebacks, bei denen nichts Neues herumkommt, sind reine Zeitverschwendung. Aber wenn man immer noch die nötige Leidenschaft mitbringt, die Zeichen der Zeit erkennt und offen ist für Neues, dann kann das durchaus funktionieren.

Auf Ihrem Album haben Sie ein Stück der Girlgroup The Sugababes gecovert. Sie haben mal erwähnt, dass Sie stets ein Faible für die Stärke und Sexyness von Girlbands hatten und als Teenager selbst gerne Teil einer Girlband gewesen wären. Warum hat das nie geklappt?
Um ehrlich zu sein: Der unerwartete Erfolg meiner ersten Single „Kids in America“ war schuld. Ich stand damals total auf Bands wie The Shangri-Las und die Mo-dettes, und als damals die Frontfrau der Mo-dettes aufgehört hat, wurde ich gefragt, ob ich nicht für sie einspringen will. Zu diesem Zeitpunkt war „Kids in America“ allerdings gerade in die Charts gekommen, sodass ich schweren Herzens ablehnen musste. Ich bin daher ganz knapp daran vorbeigeschlittert, Teil einer Girlgroup zu sein.

In dem Stück „Sleeping Satellite“, das Sie auf Ihrem Album von Tasmin Archer gecovert haben, geht es um verpasste Chancen. Ist dieses Girlgroup-Thema so eine verpasste Chance, der Sie manchmal nachtrauern?
Nein. Ich kann mich nun wirklich nicht darüber beschweren, dass es bei mir schlecht gelaufen wäre. Trotzdem hätte es mich sicherlich auch glücklich gemacht, Teil einer Girlband gewesen zu sein. Aber wer weiß – vielleicht kommt das ja noch.

Sie könnten zum Beispiel Nena fragen, mit der Sie bereits einige Male erfolgreich zusammengearbeitet haben.
Ja, das ist eigentlich keine schlechte Idee (lacht). Sie und ich in einer gemeinsamen Girlband – das könnte ich mir in der Tat sehr gut vorstellen. Ich werde sie mal fragen, wenn ich sie das nächste Mal sehe.

Also bereuen Sie tatsächlich gar nichts?
Nein. Wenn ich damals keine Kinder bekommen hätte, dann hätte ich das heute sicherlich bereut. Aber Gott sei Dank habe ich die Beiden, insofern bin ich eigentlich ganz zufrieden.

Es gab eine Zeit in Ihrer Karriere, in der Sie auf Fotos, Videos und auf der Bühne sehr intensiv mit Ihrem Sexappeal gespielt haben. Wie wichtig ist dieses erotische Spiel mit dem eigenen Körper heute noch für junge, aufstrebende Künstlerinnen.
Ich glaube, dass das heute nicht mehr so wichtig ist wie früher. Es gibt heute so viele großartige Künstlerinnen, die es schlichtweg nicht nötig haben, diesen sexuell-offensiven Weg einzuschlagen, um dadurch von dem einen oder anderen stimmlichen Defizit abzulenken. Schauen Sie sich doch nur mal Adele an: Sie ist wahnsinnig erfolgreich, ohne dafür ihre Weiblichkeit einsetzen zu müssen. Zu meiner Zeit war es hingegen üblich, auch seinen Körper zu benutzen, um sich künstlerisch auszudrücken.

Hat man Sie denn damals dazu gedrängt, das zu tun?
Nein, nein – das war meine eigene Entscheidung. Ich mochte es einfach, meine Haare auffällig zu stylen und knallroten Lippenstift zu tragen. Mir hat das Spaß gemacht, aber das geht und ging sicherlich nicht allen Künstlerinnen so.

Wenn Sie sagen, dass die Künstler einen vermehrten Körpereinsatz heute nicht mehr nötig haben, weil sie so gut sind, sind Sie dann der Meinung, dass die Künstler heute besser sind als noch vor zehn, zwanzig Jahren?
Nein, so pauschal lässt sich das sicherlich nicht sagen. Für mich hat das damals aber wunderbar funktioniert, weil ich mich neben der Musik eben auch für Lippenstifte interessiert habe. Als junges Mädchen macht dieses Herumexperimentieren mit dem eigenen Sexappeal einfach Spaß – vollkommen unabhängig davon, ob man Platten veröffentlicht oder nicht.

Das dürfte sich über die Jahre auch nicht großartig verändert haben.
Nein, hat es auch nicht. Was sich jedoch verändert hat, ist die allgemeine Vorstellung davon, was schön ist. Die Wahrnehmung dessen, was als schön erachtet wird, ist heute viel weiter als damals – und das ist eine gute Entwicklung. Es gibt heutzutage nicht mehr nur ein einziges Schönheitsideal, und das finde ich toll.

Sie haben mal erwähnt, dass Sie sich noch daran erinnern können, wie Ihr Vater in den 70er Jahren die „Tubular Bells“-LP von Mike Oldfield mit nach Hause gebracht hat und es stets ein Event war, wenn er sie aufgelegt hat. Haben Sie das Gefühl, dass die Wertschätzung von Musik in Zeiten des Internets, von Youtube und illegalen Downloads weniger geworden ist?
Nein, eigentlich nicht. Wenn man mal Konzerte als Referenzpunkt nimmt, bei denen das Interesse in den vergangenen Jahren stets gewachsen ist, müsste man fast vom Gegenteil ausgehen – dass das Interesse an Musik zugenommen hat.

Sie haben also nicht das Gefühl, dass die Besonderheit einzelner Songs durch die permanente Verfügbarkeit im Internet abhanden kommt?
Nein, zumal es eine permanente Verfügbarkeit von Musik durch das Radio auch zu meiner Zeit schon gab. Ich glaube eher, dass die Verfügbarkeit von Musik dazu führt, dass man sie mehr wertschätzen lernt. Schließlich bekommt die Musik dadurch viel mehr Möglichkeiten, Leute zu berühren und sie von sich zu überzeugen. Das ist doch toll!

Haben Sie ein Lieblingslied auf Ihrem neuen Album? Ein Stück, dass Ihnen besonders viel bedeutet?
Ja, das Stück „Kooks“ von David Bowie. Darin singt Bowie über seinen Sohn, das hat mich damals wahnsinnig bewegt, dass jemand wie er ein Kind hat und darüber singt. Daher fand ich es toll, gemeinsam mit meinem Mann ins Studio zu gehen und diesen Song nun für unsere Kinder zu singen. Da hat sich für mich ein Kreis geschlossen, und das hat sich großartig angefühlt.

Waren Ihre Kinder denn genauso fasziniert von dem Stück wie Sie damals?
Nein, überhaupt nicht (lacht): Mein Sohn Harry ist dreizehn, großer Metallica- und Slipknot-Fan und kann damit überhaupt nichts anfangen. Aber wenn er ein wenig älter ist, wird er das verstehen und zu schätzen wissen – da bin ich mir ganz sicher (lacht).

Die ganz große Zeit von Kim Wilde waren die 80er Jahre, als sie mit Hits wie „Kids in America“, „Cambodia“ oder „You keep me hangin’ on“ aus den Charts kaum wegzudenken war. Doch die 50-jährige Britin hat sich nie auf den frühen Lorbeeren ihrer mehr

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