Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär

Der Tatort ist das Premiumprodukt. Meine Güte, kastriert es nicht!

Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär über ihren Einsatz für Kinderrechte, das Recht auf absolutes Privatleben, C-Prominente in Dschungelshows, pädophile Straftäter und einen Appell an die ARD

Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär

© Novy Kolja van der Wellingthon

Herr Behrendt, Sie sagten eben gleich zu Beginn, dass Ihnen die neue „Tatort“-Folge sehr am Herzen liegt.
Klaus J. Behrendt: Ja, weil es um ein Thema geht, das ich für sehr wichtig halte. Ein unangenehmes, polarisierendes Thema: Pädophilie. Auf der einen Seite gibt es diese Stammtischstrategie. Da heißt es: „Schwanz ab und bis ans Lebensende wegschließen!“ Andererseits gibt es die Form der Therapien. Genau das wird in dem Film aufgegriffen. Ich finde es eigentlich ganz schön, wenn der Zuschauer gezwungen wird, sich einmal damit auseinanderzusetzen.

Inwiefern haben Sie sich persönlich mit dem Thema Pädophilie auseinandergesetzt?
Behrendt: Mir leuchtet das alles ein, was ich über die Therapien, die durchgeführt werden, mitbekomme. Ich selbst fing etwa ab dem 12. Lebensjahr an, die Mädchen zu lieben. Aus den Mädchen wurden Frauen. Und heute mit fast 48 Jahren kann ich sagen: Ich liebe die Frauen immer noch. Mal angenommen, man würde mir jetzt sagen: „Klaus, das ist alles unmoralisch, das ist falsch, ab heute liebst du bitte die alten Männer. Wir schließen dich jetzt erst einmal zehn Jahre weg, du machst eine Therapie und dann wirst auch du erkennen: Du liebst nicht die Frauen, sondern die alten Männer.“ Wahrscheinlich hätte ich danach tatsächlich im Kopf, dass ich die alten Männer liebe. Aber sobald ich wieder einer Frau begegnen würde, wäre das vollkommen egal. Meiner Einschätzung nach ist die Pädophilie eine genetische Veranlagung.

(Dietmar Bär betritt den Raum und setzt sich mit an den Tisch.)

Behrendt (zu Bär): Es hört sich immer so nach Selbstlob an, wenn ich sage, dass ich den neuen „Tatort“ klasse finde. Aber ich finde ihn wirklich sehr sehenswert, das hätte ich bei anderen Folgen so nicht unbedingt gesagt.
Dietmar Bär: Nach zehn Jahren hat man ja auch einen professionellen, nüchternen Blick darauf. Es geht ja um die Frage: Wie gehen wir mit Pädophilen um? Gott sei Dank gibt es als Ausgleich zu diesem haarigen Thema Freddy Schenks Familiengeschichte.

In Ihrer Rolle sind Sie inzwischen Opa.
Bär: Dieses Enkelkind emotionalisiert ihn natürlich. Das ist das Gegengewürz.
Behrendt: Ja, und es bewirkt Gegensätze bei uns beiden.
Bär: Durch die Emotionalisierung fährt Freddy Schenk auf einem völlig anderen Dampfer und er hat auch Verständnis für die Äußerung des jungen Kollegen, der meint, der ermordete Pädophile hätte seine gerechte Strafe bekommen. Das ist sicherlich eine Meinung, die in der Bevölkerung vertreten ist. Genauso hört man von dem Anwalt den Satz: Die Pädophilen sind überall. Es sind Richter, Architekten, Polizisten…
Behrendt: … es geht eben durch alle Schichten hindurch.
Bär: Darum ist es ein Thema, das alle angeht. Ich finde es auch insofern ganz spannend, weil ich – auch in Hinblick darauf, was in Sachen Jugendkriminalität alles passiert – im Moment das Gefühl habe, dass man in der Gesellschaft gerade die 68er-Erfahrung noch einmal zertrümmern will. Dass man verständnisvoll-therapeutische Blicke auf bestimmte Leute wirft. Auf Kranke, auf Außenstehende, auf Perverse, wie auch immer.

Ist Pädophilie ein gesellschaftliches Tabuthema?
Behrendt: Es ist zumindest ein ganz unangenehmes Thema. Rein gesellschaftlich würde jeder damit klarkommen, wenn der Bruder, der Vater, der Onkel oder der Sohn schwul ist. Aber pädophil?
Bär: Man muss sich das einmal vergegenwärtigen: Die sitzen in den Schwimmbädern und haben unheimlich abgeschirmte Ringe untereinander, haben Möglichkeiten, sich zu vernetzen, sich auszutauschen. Und das Schlimmste: Sie sagen, Kinder brauchen Liebe, und bringen dafür noch historische Argumente. Nach dem Motto: Bei den Griechen und Römern war es ja auch normal. Es ist auch nicht der böse, schwarze Mann, der auf die Kinder aufpassen soll. Sondern es ist vielleicht der Nachhilfelehrer, der Mann in der Gemeinde, der Mann im Sportverein. Die lauern überall. Das ist das, was Ballauf zu Schenk sagt: Kümmer’ dich um deine Tochter, um dein Enkelkind. Bau Vertrauen auf, damit geredet wird. Denn dadurch, dass die Kinder nicht reden, werden die Pädophilen geschützt. Wir sind keine Weltverbesserer, aber wir können im „Tatort“ ein Thema anreißen.

Herr Behrendt, Sie sagten eben, dass Sie die Pädophilie für eine genetische Veranlagung halten. Sie glauben also nicht an den Erfolg von Therapien?
Behrendt: Doch, ich glaube schon, dass sie auch Erfolg haben können. Nur sagt mir manchmal mein gesunder Menschenverstand: Es hat auch Haken, das ganze Ding. Die Therapie beinhaltet, diesen Menschen klar zu vermitteln, dass das, was sie geben und in ihren Augen Liebe ist, eben keine Liebe ist. Sie ist von einem kleinen, hilflosen Menschen nicht gewollt, auch wenn er nicht imstande dazu ist, nein zu sagen, weil er so verängstigt ist. Es hat mit Liebe nichts zu tun. Es ist und bleibt Missbrauch. Das geht in die Köpfe nicht rein.
Bär: Als wir 1997 auf den Philippinen gedreht haben, haben wir gesehen, wie dort viele weiße Männer herumliefen. Nicht nur Geschäftsleute, sondern viele von ihnen mit Sicherheit auch Sextouristen. Das Elend, das wir damals dort erlebt haben, hat uns sehr beeindruckt. Deshalb haben wir ja auch den Verein „Tatort – Straßen der Welt“ gegründet und versuchen seitdem, uns um traumatisierte Kinder, aber auch um Straßenkinder zu kümmern.

Der von Ihnen mitgegründete Verein feiert in diesem Jahr sein 10-jähriges Jubiläum.
Bär: Und mittlerweile bekommt das alles ein bisschen eine andere Plattform. Wir haben jedoch gelernt: Charity ist eine eigene Liga. Da gibt es einerseits Titanen wie Unicef und die SOS-Kinderdörfer, und andererseits viele, viele kleine Vereine, die auf anderen Ebenen arbeiten.

Klingt so, als wäre es für Sie nicht ganz einfach.
Bär: Nach zehn Jahren wissen wir jetzt, wie schwer diese Arbeit ist. Man freut sich über Teilerfolge. Zum Beispiel über eine Kooperation mit der Deutschen Post, die tausende kleine Weingummitüten als Giveaways kauft und damit Aufbauhilfe für die Philippinen leistet. Die Töpfe sind da, aber die Großen kriegen immer noch das meiste. Die machen ja auch nicht Schlechtes, aber es ist schwierig, daneben solche kleinen Projekte aufzubauen. Das Gute ist, dass wir durch unseren Film eine Entstehungsgeschichte haben. Früher saß man immer da zu Weihnachten und dachte: Was mache ich jetzt? Spende ich ein bisschen was für „Brot für die Welt“? Oder für die Kinderdörfer? Wir sind damals direkt mit diesem Elend konfrontiert worden und hatten somit einen Grund, aktiv zu werden. Ich finde, für eine gute Sache kann man seine Prominenz schamlos ausnutzen.

Waren die Dreharbeiten auf den Philippinen 1997 so etwas wie ein Wendepunkt in Ihrem Leben?
Behrendt: Solange man nur vom Sessel aus den „Weltspiegel“ verfolgt und sich das im Fernsehen anguckt, ist es etwas ganz anderes, als wenn man selbst zum ersten Mal da ist. Da bekommt man einen ganz anderen Blickwinkel. Wir waren damals in Manila fürstlich untergebracht, jeder von uns hatte eine 60qm große Suite mit allem drum und dran. Und dann kam man raus, vor dem Hotel war eine achtspurige Straße und auf dem Mittelstreifen lagen Pappkartons, die waren so groß wie Waschmaschinen. Wenn man genauer hinguckte, war es das Zuhause von einem Menschen, der nicht mehr als diesen Pappkarton und ein paar Plastiktüten besaß. Natürlich kann man es in dem Moment nicht ändern. Aber das Bewusstsein ändert sich sehr stark. Wir wollten keine blöden Lippenbekenntnisse mehr abgeben, nach dem Motto: „Hier müsste man mal helfen“. Das ist meistens nach ein paar Wochen wieder verflogen. Wir haben also im Kleinen angefangen und diesen Verein gegründet. Ein bisschen was ist immer besser, als wenn man gar nichts macht. Insofern war das schon ein Wendepunkt.

Was konkret haben Sie nach zehn Jahren erreicht?
Behrendt: Auf den Philippinen in der Nähe von Manila gibt es ein Zentrum, das wird von einem irischen Pfarrer geleitet, Pater Shay Cullen. In diesem Zentrum gibt es verschiedene Häuser, in denen sexuell traumatisierte Mädchen und Jungen ein zu Hause finden, sie bekommen eine Schulausbildung, eine Therapie. Ihnen wird auch geholfen, den Weg in ein normales Berufsfeld zu finden. Das haben wir in diesen zehn Jahren ziemlich heftig unterstützt. Jetzt wird gerade ein neues Haus eingeweiht, da sind viele Gelder von uns hingegangen. Wir sind auch des Öfteren mal da gewesen und haben es uns angeguckt.
Bär: Ein zweiter Punkt war die Gefängniskinder-Kampagne. Im Endeffekt wurde so viel Druck auf die Regierung ausgeübt, dass das Alter der Straffälligkeit von 9 auf 14 heraufgesetzt wurde.

Als Sie zuletzt auf den Philippinen waren, haben Sie verschiedene Gefängnisse besichtigt.
Behrendt: Wir waren in fünf verschiedenen Knästen. Mit versteckter Kamera. Die BBC hatte das schon mal gemacht. Wenn die Gefängniswärter mitgekriegt hätten, was wir da treiben, wären wir nicht mit einem blauen Auge da raus gekommen, glaube ich. Bei uns redet man von Käfig- und Hühnerhaltung, dort ist es das gleiche in grün. Aber das sind Menschen, die können nicht aufrichtig stehen, nur hocken. Ein Junge neben dem anderen, alle nur in Unterhose. Und wenn einer die Krätze hat, dann haben sie alle die Krätze. Die haben eine Haut, die ist dermaßen kaputt, das ist unglaublich. Und zum Teil sitzen die Kinder grundlos im Gefängnis.
Bär: Selbst wenn es Gründe gäbe, wären die Bedingungen nicht hinnehmbar. Mal davon abgesehen gibt es keinerlei Beschäftigungstherapie oder Arbeit. Es sind Räume mit 45 Leuten, in der Ecke ist ein gemauertes Loch für die Notdurft. Alles, was sich in diesem Raum abspielt, auch was Missbrauch angeht, bleibt völlig ungesehen. Viele Kinder werden auch einfach wegen Bagatelldelikten weg geschlossen, damit sie den Touristen auf der Straße nicht ins Auge fallen.

Wie hilflos fühlt man sich, wenn man diese Zustände aus der Nähe betrachtet, aber in dem Augenblick nichts tun kann?
Behrendt: Es macht einen wahnsinnig wütend. Es ist sowieso wirklich grausam, was Menschen mit Menschen machen auf der Welt. Natürlich ist man erstmal hilflos. Man kann nicht sagen: Gib mir den Schlüssel und wir machen das jetzt alles auf, die können jetzt alle raus. Das geht natürlich nicht. Man hat im Kopf: Das zeig ich der Öffentlichkeit, das kann so nicht sein.
Bär: Das, was man eben machen kann. Man kann es weitererzählen, man kann daran mitarbeiten. Das Jammern hier und die Probleme hier in Westeuropa bekommen dadurch einen ganz anderen Stellenwert.
Behrendt: Man wird geerdet, wenn man sich das anguckt. Wenn man sich überlegt, was man zu Hause für Probleme hat, verpufft das alles.

Wenn es um Ihr Engagement geht, suchen Sie die Öffentlichkeit, ansonsten halten Sie sich diesbezüglich zurück.
Behrendt: Wir beide haben unser Privatleben immer strikt raus gehalten. Meine Frau und meine Kinder haben kein Bedürfnis bei irgendwelchen Premieren über den roten Teppich zu laufen. Und es gibt diverse Zeitungen, in denen ich nicht gerne drin wäre. Ich bin auch der Letzte, der eine Home-Story machen würde, man muss auch nicht in gewisse Sendungen rein. Ich bin doch so schon sehr viel im Fernsehen.

Mit „gewissen Sendungen“ meinen Sie Talkshows?
Behrendt: Ja.
Bär: Für einige Leute stellt das inzwischen einen Teil ihres Lebens als Schauspieler dar. Das ist bei uns anders. Aber man weiß natürlich, dass man mit solchen Auftritten so was wie zum Beispiel die Vereinsarbeit noch weiter vorantreiben kann. Das wäre ein Grund in solche Sendeformate zu gehen, aber es muss einfach nicht sein, dass man jede Woche woanders sitzt. Natürlich gibt es diese Einladungen, auch die verschiedenen Gazetten, die man im Flugzeug immer durchblättert, kommen auf uns zu. Es gibt ein paar Schauspieler, die sind da immer drin, da weiß man gar nicht, wann die noch arbeiten. Aber das sollte freiwillig sein. Den Glamour gibt es ja schon immer. Es gibt allerdings Kollegen, die können viel besser damit umgehen als wir.
Behrendt: Es werden innerhalb unserer Filme so viele Themen aufgegriffen, wo man sehr viel von seinem eigenen zeigt. Man zeigt sich der Öffentlichkeit schon so sehr. Das reicht doch.

Sie sagen, Sie haben Ihr Privatleben immer strikt raus gehalten. Hatten Sie nie Probleme mit dem Boulevard?
Behrendt: Nein, wenn wann das konsequent handhabt, funktioniert es auch, das Privatleben privat bleiben zu lassen.

Ihre Kollegin Gaby Köster musste kürzlich zunächst eine einstweilige Verfügung gegen die BILD-Zeitung durchsetzen, um eine weitere Berichterstattung über ihren Gesundheitszustand zu verhindern.
Bär: Es gibt eben auch Kollegen, die sich einfach mal wehren und auch mal eine Unterlassungsklage anstrengen. Auch diese große Geschichte mit den Fotos von Caroline von Monaco war von großer Bedeutung. Wir sind Menschen des öffentlichen Lebens, wir haben nicht den gleichen Anspruch auf unser persönliches Bild wie Sie. Trotzdem gibt es Grenzen.
Behrendt: Meine Frau ist zwar mit mir zusammen, aber deshalb gibt es noch lange kein Recht, dass sie oder meine Kinder abgebildet werden. Sie haben sich diesen Beruf nicht ausgesucht.
Bär: Das muss man den Leuten dann klar machen, das ist nicht immer so selbstverständlich und führt uns einen Schritt weiter zu unsäglichen Formaten wie dem Dschungelcamp, wo es bis zum Auflösen des Privaten geht.

Haben Sie sich das einmal angeschaut?
Bär: Ich habe vor kurzem einmal kurz rein gezappt. Im Zuge dessen habe ich begriffen, was mit dem Wort Fremdschämen gemeint ist. Wir war das so peinlich, zu sehen, was die da machen. So schrecklich. Man sieht Menschen, die anschienend das Bedürfnis haben, noch mal raus zu kommen. Durch solche Formate wurde das Wort von B- und C-Prominenten geboren. Es gibt inzwischen auch Formate, wo man einen Trailer sieht und sich fragt: Was sind das für Promis? Beim „Promi-Dinner“ neulich kannte ich keinen einzigen.

Zitiert

Wenn man sich die Geschichtsbücher anschaut, kann man gleich eine gesammelte DVD-Liste mit Tatort-Folgen dazustellen.

Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär

Oftmals sind es vom Fernsehen selbst gemachte Promis, zum Beispiel ehemalige Castingshow-Teilnehmer…
Bär: Ja, es gibt da einfach eine neue Ebene. Das ist was anderes als bei uns. Wir sind ja nicht erfolgreich, weil wir Zeitungen oder Talkshows bedienen, sondern der Erfolg kommt dadurch zustande, dass die Arbeit, die wir machen, gerne geguckt wird.

Gerne gesehen wird offenbar allerdings auch das Dschungelcamp.
Bär: Ja, weil der Mensch Voyeurist ist. Voyeuristen gucken Exhibitionisten zu und wollen sehen, wie man einen Känguruhoden zunächst vom Fell abzieht und dann essen muss.

(Klaus J. Behrendt blickt Dietmar Bär angewidert an)

Bär: Du musst dir vorstellen: Da sitzen zwei Leute rum, und dann kommt da eine Modelleisenbahn vorbeigefahren. Die bringt einen verdeckten Teller vorbei, der bei Björn-Hergen Schimpf stehen bleibt. Der dann sagen darf: Okay, Barbara Herzsprung, das ist deins!
Behrendt: Ich hab nur mal gesehen, wie Bata Ilic in leicht gebückter Haltung in so ein Erdloch rein rannte. Mir fiel dazu nur „Michaela“ ein…
Bär: Hat er schon gesungen im Camp. Mit so einem Holzlöffel als Mikro.
Behrendt: Echt?
Bär: Ja, für die anderen, die da mit im Kreis rum sitzen. Letztes Jahr war das noch Costa Cordalis. Da weißt du, was da los ist. Auch ein Eike Immel läuft da rum. Unverständlicherweise. War mal ein großer, großer Torwart.
Behrendt: Das ist dann wohl wie beim „Stern“ auf der letzten Seite, wenn da steht: „Was macht eigentlich…?“
Bär: Ich kann mir auch vorstellen, dass in manchen Fällen dahinter auch richtig große Existenznöte stecken. Es muss nicht nur daran liegen, dass jemand noch mal in die Öffentlichkeit will. Aber es ist nichts weiter als die Fortsetzung dieser Nachmittagstalkshows.

Inwiefern?
Bär: Da geht es um Themen wie „Du schläfst mit meiner Oma“. Menschen, die anscheinend hier mit uns in diesem Land leben, stellen sich dort aus. Eben wie im Dschungelcamp. Und da geht’s ja noch ´ne Ecke weiter.
Behrendt: An den Nachmittagssendungen finde ich ja interessant, dass da alle 15 oder 20 Minuten ein Werbeblock kommt, aber Premiummarken wie Mercedes, BMW, Porsche, Loewe dort gar nicht werben. Da kommen Kartoffelchips, Waschmittel. Weil die sich natürlich sagen: Die Leute, die das gucken, können sich eh keinen Mercedes kaufen. Was ich auch ganz schlimm finde, ist, dass Jugendlichen, die sich davor hängen, ein falsches Bild vermittelt wird. Dass man ihnen sagt: So, wie du es im Fernsehen gezeigt bekommst, ist es, wenn du einmal vor Gericht stehst. Auf diese Weise bekommen sie einen falschen Eindruck von der Realität.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger sprach vom „Scheiß-Privatfernsehen“.
Bär: In den neuen Bundesländern sind die ersten Programme oftmals nicht mehr ARD und ZDF, sondern RTL und Sat1. Da ist in den letzten Jahren eine ganze Generation mit einer ganz anderen Fernsehrealität aufgewachsen, als ich sie kennen gelernt habe. Mit ein bisschen Tutti Frutti, merkwürdigen Fernsehspielen…
Behrendt: Ich finde, man kann nicht vom „Scheiß Privatfernsehen“ sprechen. Auch die Privaten haben sehr, sehr gute Sendungen gemacht. Die haben klasse Fernsehspiele gemacht…
Bär: …aber erst später! Vorher haben Sie irgendwelchen Dreck ausgestrahlt.
Behrendt: Wo ich ein Problem sehe, was Jugendliche angeht: Auf der Fernbedienung existiert der Knopf Zwei, das ZDF, gar nicht. Der ist gekillt. Es gibt MTV, RTL, Sat1, Pro7 – aber das ZDF ist weg. Ich finde, da hat der Sender echt geschlafen. Die haben eine Generation verpennt.

Herr Behrendt, Sie sagen selbst, dass Sie von den Menschen vor allem als „Tatort“-Kommissar wahrgenommen werden.
Behrendt: Ja, was ich auch verstehe. Das liegt an dem System der Reihe. Dass ich daneben sehr viele andere Filme mache, ändert nichts daran.
Bär: Es ist auch einfach dieses unglaubliche Format. Meistens schalten zwischen sieben und neun Millionen den „Tatort“ ein.
Behrendt: Inzwischen gibt es sogar Kneipen, in denen sonntagabends der „Tatort“ gezeigt wird. Mit Beamer, auf einer großen Leinwand. Da treffen sich 50-100 Leute zum „Tatort“-Gucken. Auf der einen Seite ist man mit Freunden zusammen, auf der anderen Seite lebt dieses Ritual von früher fort, am Sonntagabend gemeinsam den „Tatort“ zu schauen. Wie früher zu Hause mit den Eltern. Ich finde das schön zu hören.

Ist es auf Grund Ihrer Popularität als „Tatort“-Kommissar schwerer, die Zuschauer in anderen Rollen zu überzeugen?
Behrendt: Es liegt an einem selber, dem Publikum die andere Figur nahe zu bringen. Es ist eine Herausforderung, die Nuss zu knacken, dass man in anderen Geschichten eine andere Figur darstellt, ganz weg von Max Ballauf und Freddy Schenk.
Bär: Man steht im Supermarkt, im Fußballstadion, am Bahnhof… Überall wird man als „Herr Kommissar“ angesprochen, weil die Leute es lustig finden. Aber es gehört dazu, man kann es ihnen nicht austreiben.
Behrendt: Man kann es ihnen aber auch gar nicht verübeln.
Bär: Wir machen schließlich auch keine Kostümfilme. Wenn die Zuschauer uns abends aus dem Kontext herausgerissen auf dem Bildschirm sehen, assoziieren sie damit – egal, was für eine Rolle es ist – immer zunächst die „Tatort“-Figuren.

Das stört Sie nicht?
Bär: Nein, man muss es nur steuern, und sehen, dass es nicht inflationiert. Drei oder vier Filme im Jahr sind noch nicht zu viel, bei sechs wäre es schon problematisch. In jedem Fall ist es wichtig, dass man pro Jahr auch zwei oder drei Fernsehspiele macht, wo man völlig entgegengesetzte Charaktere verkörpert.

Das tun Sie erfolgreich.
Behrendt: Ja, Dietmar und ich haben auch das Glück, dass wir mit unserem Heimatsender, dem WDR, sehr gut verstehen und der sehr, sehr aktiv ist. Was den Sender angeht, was uns angeht, ist das ein sehr schönes Miteinander.

Herr Behrendt, Ihre Redakteurin Katja de Bock sagt, eigentlich sei Max Ballauf keine realistische Figur. Er habe viel erlebt und durchgemacht, reihenweise seien ihm die Verwandten und diverse Liebhaberinnen weggestorben. Ein normaler Mensch wäre schon längst in der Psychiatrie.
Behrendt: Da hat sie nicht ganz Unrecht. Aber irgendwie muss man dramaturgisch einen Film aufbauen. Deshalb baut man es in die Geschichten ein. Aber das so akribisch aufzublättern, da hat er den Vater verloren, da die Mutter, finde ich übertrieben. Man muss die Kirche im Dorf lassen. Es ist ein Krimi.
Bär: Wir sind auch kein Realismus.

Herr Bär, Sie sagten einmal, als Schauspieler habe man eine Verantwortung für seine Figur.
Bär: Man muss sich einfach im Laufe der Zeit vor seine Figur stellen und sagen: Ich weiß jetzt, wer Freddy Schenk ist. Falls man ein Drehbuch bekommt, wo man sagen muss: Sorry Freunde, das geht so nicht.

Sie sind laut vieler Umfragen die beliebtesten „Tatort“-Ermittler.
Behrendt: Aber da darf man sich nicht drauf ausruhen. Es gibt Kollegen, die andere „Tatorte“ machen, die wirklich höllengut sind. Insgeheim ist das wie eine kleine Bundesliga. Und das ist ja auch schön. Das ist geil. Konkurrenz belebt das Geschäft. Und wenn die Münchner einen klasse „Tatort“ hinsetzen, dann freue ich mich sehr.
Bär: Eigentlich auch ein Grund, wieso man das damals mal angefangen hat. Es gibt eine Qualitätsgarantie. Es kommen gute Regisseure dran, die bringen Top-Kameraleute mit, es ist immer ein gewisses Produktionsniveau, immer ein toller Cast.
Behrendt: Aber es ist scheiß wenig Zeit. Nur noch 22 Drehtage.
Bär: Ja, die Produktionskosten sind extrem knapp und eng…
Behrendt: Wir arbeiten jeden Tag 13, 14 Stunden. Es ist ein wahnsinniger Dauerlauf. Ein Dauerlauf, der es in sich hat.

Leidet die Qualität der Filme darunter?
Bär: Für die Zuschauer soll es ja genauso toll aussehen wie vorher. So ist auch die Argumentation. Es heißt dann: Schaut mal, ihr habt das jetzt auch in der Zeit geschafft, einen schönen Film zu machen. Ihr seid ja alle belastbar.

Aber eigentlich ist es nicht so?
Bär: Fragen Sie mal die Produktionsfirmen, die mit dem Budget, das der Sender zur Verfügung stellt, umgehen müssen. Da wird geknapst ohne Ende. Dabei fängt es wie so oft unten an. Die Leidtragenden sind die Leute mit den kleineren Verträgen wie Beleuchter oder Maskenbildner. Es gibt einen Haufen von Praktikanten, auch sie tragen diese dünne Finanzdecke irgendwie alle mit. So viele Praktikanten hat es vor zehn Jahren nicht gegeben. Dieselben Motive werden häufiger eingesetzt, man hat mehr Büroszenen. Das sind so Dinge, wo die Firma sehen muss, dass sie klar kommt. Und bei 22 Drehtagen sind Überstunden einkalkuliert. Es geht nicht anders. Der Film wird ja nicht kürzer, es bleiben 88:30.
Behrendt: Man muss da an die ganzen Sendeanstalten der ARD appellieren, nicht nur an unsere, denn das ist ja bei allen so.

Was sagen Sie denen?
Behrendt: Der „Tatort“ ist das Premiumprodukt. Es ist eines der Flagschiffe der ARD. Meine Güte, kastriert es nicht! Gibt uns einen einzigen Tag mehr, nur einen einzigen Tag.

Das würde schon helfen?
Behrendt: Aber hallo.
Bär: Es ist ja keine Massenware, jedes Buch ist anders. Mal gibt es einen Hubschrauber, mal eine große Familie, da muss man acht Leute besetzen. Dann gibt es kleinere Geschichten, das schwankt immer. Da ist es schwer, mit einem festgelegten Budget zu arbeiten, womit immer alles abgebügelt werden soll. Außerdem muss noch ein Gewinn dabei rauskommen, denn die Firma muss auch existieren. Also versuchen wir, mit den Leuten, die da Verantwortung haben, Gespräche zu führen.

Sie sprechen in Zusammenhang mit dem „Tatort“ von einer Qualitätsgarantie, Herr Bär.
Bär: Wie Klaus schon sagt: Der „Tatort“ ist bei allen das Premiumprodukt. Jeder Sender hat sein Team, das auf der besten Unterhaltungsebene sonntags um 20.15 Uhr Geschichte schreibt. Wenn man sich die Geschichtsbücher der Bundesrepublik Deutschland anschaut, kann man gleich eine gesammelte DVD-Liste mit „Tatort“-Folgen dazustellen. Am „Tatort“ erkennt man genau: Was waren die Themen? Wie sahen die Menschen aus?
Behrendt: Ein Spiegelbild der Gesellschaft.
Bär: Die Geschichte des sterbenden Ruhrgebiets in den 80er Jahren findet man bei Schimanski wieder. Da ist das Spannende. Und es waren immer Top-Besetzungen. Top-Leute. Da gab es einen Petersen. Und wo ist der heute?

Schimanski-Darsteller Götz George steht der heutigen „Tatort“-Generation skeptisch gegenüber. Er sagt, heute werde jeder zweite Schauspieler „Tatort“-Kommissar. Hat George Recht?
Bär: Die Bedenken qualitativer Art kann ich teilen, aber generell, nicht nur auf den „Tatort“ bezogen, weil das ein ungeschützter Beruf ist. Sie können morgen eine Schauspielschule aufmachen. Dementsprechend sieht es da draußen aus mit den Rollen. Und so was wie „Deutschland sucht den Superstar“ muss man da auch nennen. Es wird so getan, als könne heute jeder ein Star sein. Das ist nun einmal leider so.

Wissen Sie, wie lange Sie den „Tatort“ noch machen wollen?
Bär: Wir gehen jetzt in die „vierte Episode“. Es wird einen weiteren Rahmenvertrag geben. Aber wie lange wir es noch machen? Das weiß schlussendlich nur der Wind.
Behrendt: Im Moment macht’s einfach noch Spaß.
Bär: Auch der Arbeitgeber hat noch Spaß dran und gibt noch Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden. Es gibt also zurzeit keinen Grund aufzuhören.

Hat sich im Laufe der Jahre so etwas wie Routine eingestellt?
Behrendt: Nee. Also, ich hab nicht das Gefühl, dass das bei uns so abgewichst ist. Dazu muss man sagen, dass die Zusammenarbeit zwischen uns beiden, mit der Produktionsfirma und mit der Redaktion auch nach zehn Jahren noch sehr frisch ist.
Bär: Es ist ja auch nicht immer reibungslos.
Behrendt: Nein, das ist ja auch gut.
Bär: Es gibt auch so etwas wie ein Clubgefühl. In Köln rekrutieren sich die Teams immer aus den gleichen Leuten. Gleichzeitig kommen immer wieder neue Kollegen hinzu. Und es passiert jedes Mal was Neues, wir haben ja auch jedes Mal eine neue Geschichte. Dann gibt es einen Kameramann, der wieder neue Ideen hat, wie man dieses millionenfach fotografierte Köln noch einmal neu zeigen kann. So bleibt man lebendig. Und man freut sich, dass man einen ziemlich geilen Beruf hat, auch wenn er über Strecken sehr intensiv ist, und sehr kräftezehrend. Wenn man bei minus zehn Grad weiß, es geht noch bis morgens um fünf.

Haben Sie als „Tatort“-Kommissar auch so etwas wie eine Vorbildfunktion, Herr Bär?
Bär: Man spürt, dass man als prominenter Schauspieler eine merkwürdige Art von Verantwortung hat. Eine Vorbildfunktion haben für mich aber eher Lehrer oder Ausbilder. Wir sind und bleiben Schauspieler.

Herr Behrendt, Herr Bär, wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wären Sie?
Bär: (überlegt) Ich habe jede Menge gelesen. Viel Disney, viel Fix und Foxi. Außerdem habe ich die Marvel Comics total geliebt. Da wäre Spiderman eine spannende Figur. Ich hätte mich aber bestimmt auch in irgendeinem Asterix-Comic wohl gefühlt. Aber ich müsste jetzt nicht –aha – Obelix sein. Und du Klaus, Lucky Luke?
Behrendt: (nach langem Überlegen) Ich bin Robin Hood. Ich glaube, das passt ganz gut.

Ein Kommentar zu “Der Tatort ist das Premiumprodukt. Meine Güte, kastriert es nicht!”

  1. Peter Pit Liebmann |

    TATORT – längst mehr als nur ein Krimi

    Angenehm überrascht hat mich das offenkundig sehr tief greifende Thema im Zusammenhang von TATORT, handelnden Personen und der Botschaft hinter dem Film.
    Der TATORT ist folglich nicht erst in jüngster Zeit zu einem Informationsfundus avanciert, sondern war es schon mit dem TAXI NACH LEIPZIG, wird jedoch von Mal zu Mal aktueller.
    Eigentlich ist es auch logisch, Fakten aus dem realen Leben in fiktive, aber schon durchsichtige Stories einzubauen und zu vernetzten.
    Namen, kurze Einblendungen, Kulisse und signifikante Redewendungen werden nicht zufällig per Los gezogen, sondern wie Figuren auf einem Schachbrett placiert und gezogen.
    Seit etwa 15 Jahren arbeite ich mit Analysen zur Hintergrundauflösung durch Abgleich der bereits genannten Auffälligkeiten, suche Bezüge in die aktuelle Tageslage und verknüpfe es so zu einem Insider- Infogramm.
    Einerseits versuche ich die Intensionen des Drehbuchautors und Regisseurs zu erfassen, anderseits schiebe ich meine eigenen Interpretationen mit Basis aus meinem aktuellen Archiv mit hinzu.
    Dadurch entsteht, völlig unabhängig von den Macher- Intensionen, meine eigene Story mit neuen oder von anderen nie oder vielleicht schon angedachten Komponenten, ergo eine neue Sicht als Fundament für weitere Ideen, Exposees oder Drehbücher.
    Der TATORT ist mein Reflexionsmedium um das zu sagen, was hier schon in Bildern und Dialogen als Gerüst steht, und dadurch greifbarer wird – vorausgesetzt, dass mein hinzu geschobenes Detailwissen auch auf den anderen Seiten vorliegt.
    Alles in allem ist der TATORT mein stilles Sonntagsvergnügen, allerdings sehe ich mir auch die alten Stücke immer wieder gerne an, und entdecke dann wieder Neues in dem was ich vorher nicht wahrgenommen hatte.
    Es ist eine Art Spiel, ohne Verbissenheit und Starrsinn.
    Wer den TATORT als Krimimärchen ohne aktuellen Subflow sieht, der mag sich gerne über meine Kommentare im RUBYCON Forum amüsieren oder auch aufregen.
    Der TATORT wird schon lange in meinen Kreisen als Erklärungsmuster für Vieles verwendet, mal als Stichwort, Bild oder Infogramm für andere Informationen, sozusagen auch als hoch komprimiertes Archivmodul.
    Zurück zu den Kommissaren: Die Seele des Teams, als Privatpersonen und engagierte Kämpfer für diese gute Sache, kommt für mich gerade deshalb auch im TATORT authentisch durch.
    Meine volle Anerkennung aus Flensburg an Freddy und Max!

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