Klaus Maria Brandauer

Ich halte den Großteil der Menschen für Neurotiker

Klaus Maria Brandauer über den Körper, seine Heilung und die Methoden des umstrittenen Psychiaters und Universal-Forschers Wilhelm Reich, den er in seinem neuen Film verkörpert

Klaus Maria Brandauer

© Claudia Rorarius

Herr Brandauer, stand Ihnen Ihr eigener Körper schon einmal im Weg?
Klaus Maria Brandauer: Ja sicher. Ich weiß jetzt kein Beispiel im Einzelnen, aber manchmal ist man nicht in der Kondition, in der man gerne wäre.

Die Frage „Was ist Heilung?“ steht am Anfang Ihres neuen Films „Der Fall Wilhelm Reich“. Wie gehen Sie damit um, wenn Ihr Material, der Körper, mal nicht heil ist?
Brandauer: Ich kann gegen das Material nichts machen. Ich schau so aus wie ich ausschaue, je nach Alter. Ich habe aber den Körper auch nie als Material genommen. Ich habe eine viel zu hohe Meinung von diesem Klumpen, von dieser großartigen chemischen Industrie, dieser fantastischen Einrichtung, dieser so lange überlebensfähigen Maschine. Sie vereint so viel. Wir können mit unseren Körpern ja nicht nur essen und trinken und vielleicht noch etwas anderes Schönes machen. Nein, durch die Evolution haben wir noch so ein Häubchen über die Hypophyse bekommen, damit wir auch denken können und solche Fragen stellen können wie Sie.

Wann ist Ihnen in der Beschäftigung mit dieser „chemischen Industrie“ zum ersten Mal Wilhelm Reich begegnet?
Brandauer: In den Sechzigerjahren. Da war Reich so etwas wie ein Guru. Über ihn konnte man fast mit jedem reden, der sich ein bisschen für Dinge wie Gesellschaft, Gesundheit, Politik interessierte – und vor allem für Sachen, die nicht zu beweisen sind. Für die Subgedanken, die einem beikommen, für Träume. Reich wurde verehrt. Und als man mir vor einigen Jahren zum ersten Mal angeboten hat, einen Film über ihn zu machen, habe ich gesagt: Das interessiert mich sehr. Dann kam es nur noch darauf an, wie das Drehbuch aussieht.

Ihr Regisseur Antonin Svoboda sagt, Sie hätten an dem Drehbuch intensiv mitgearbeitet.
Brandauer: Ich habe mich von Anfang an in diesem Beruf – wenn es denn überhaupt ein Beruf ist – verstanden als jemand, der nicht nur Ideen eines anderen verfertigt. Ich bringe auch meine eigenen Ideen selbst mit ein. Nur so kann und will ich arbeiten. Ich möchte ja auch mein Leben persönlich leben und nicht das Leben nach der Vorstellung eines anderen.

Wilhelm Reich hat schon zu Lebzeiten die Vorstellung anderer sehr unterschiedlich beflügelt.
Brandauer: Ich konnte ihn von Anfang an gut leiden. Und ich finde es immer wieder erstaunlich, was man bis heute alles über ihn lesen kann. Da ist vom „schrecklichen Kerl“ oder „großartigem Guru“ die Rede, vom Sexisten, Kommunisten, Scharlatan, Nichtskönner und so weiter – was so Interpreten-Kaiser eben alles über einen Menschen sagen, ohne je selbst etwas auf die Beine gestellt zu haben, was auch nur ansatzweise mit dem vergleichbar wäre, was Reich auf die Beine gestellt hat. Aber was immer auch die Leute sagen, ihn wird es weiter geben. Er wird immer wieder ein Revival erleben, wann immer Menschen auf der Suche nach jemandem sind, der den Mainstream in Frage gestellt hat, der sich nie hat vereinnahmen lassen.

Was fasziniert immer wieder neue Generationen an Reichs Arbeit?
Brandauer: Er hat sich mit Dingen beschäftigt, die nicht unbedingt seine Aufgabe waren. Er war ja nicht nur Soziologe und Psychotherapeut sondern zuallererst Mediziner. Die sollen normalerweise Leute wieder gesund machen. Wissen Sie, ich bin dafür, dass man vor einem Genie wie Albert Einstein einen Der Fall Wilhelm ReichDiener macht, aber er hat eben zu Beginn den Bau der Atombombe unterstützt – und war damit auf der Linie des Mainstreams seiner Zeit. Wilhelm Reich hat hingegen die Gefahren der Atomenergie damals gesehen und vor ihnen gewarnt.

Reich hat Heilung also nicht nur im medizinischen Sinne verstanden?
Brandauer: Also, wenn die Leute auf die Welt kommen, sind sie ein (spielt ein Baby) „Wuahh-Duddel-Duddel-Du“. Wenn man es nicht füttert, geht es ein; aber ansonsten kann es machen was es will. Es kann ein Bäuerchen machen, alle finden das großartig. Ein solcher Bangert (österreichisch für „Kind“, Anm.) beherrscht das ganze Haus. Dann geht es los: „Mach schön bitti bitti bittilein“ – es beginnt die sogenannte Ordnung. Und das ist auch richtig so. Nur – was ist die Ordnung? Wer gibt sie uns? Da ist man dann beim Mainstream. Man bringt dem Menschen bei, sich so zu verhalten, wie es gerade für en vogue gehalten wird. Dabei verlernt man ganz, das zu machen, was am wichtigsten ist: Ich möchte meine Wünsche und Sehnsüchte ans Leben sagen dürfen! Sie müssen ja nicht erfüllt werden, aber ich möchte sie sagen dürfen.

Zitiert

Ich glaube an alles Unwägbare.

Klaus Maria Brandauer

Was passiert mit dem Körper, wenn ein Mensch seine Wünsche nicht sagen darf?
Brandauer: Ich kann nicht davon ausgehen, dass wir alle ähnlich gepolt sind, ähnlich gesund oder krank. Aber ich halte den Großteil der Menschen für Neurotiker. Bei sieben Milliarden Menschen bräuchten wir unendlich viele Therapeuten, um uns alle zu behandeln. Das geht aber nicht. Das heißt, wir müssen das politisch lösen, nicht parteipolitisch, politisch. Das hat Reich erkannt. Was nutzt es, wenn wir erkrankte Teile im Körper oder im Geist, wenn wir Defizite in unserer Bildung beheben helfen, aber unsere Gesellschaft bleibt so, wie sie ist? Also brauchen wir eine Stoßtruppe, die sich um die Gesellschaft an sich kümmert. Folglich sag ich: Reich ist Sozialarbeiter.

Seine Stoßtruppe nannte er Sexpol…
Brandauer: Ach, dieser unglückliche Name… Deswegen wird er heute noch so gerne mit dem verglichen, was dann später Beate Uhse gemacht hat. Aber er hat nicht nur den Orgasmus und die Sexualmoral erforscht, er hielt schon in den Dreißigerjahren Vorträge über Frauenwahlrecht und Gleichberechtigung. Deswegen hatte seine Organisation so viele Mitglieder, das war eine politische Angelegenheit. Politik – was heißt das? Das ist ja die Sorge um die Polis, das Gemeinwesen. Da hat Reich gewaltige Anstöße gegeben. Nur wegen des Namens Sexpol gab es dann diese Karikaturen, gerade in den USA. Da ging dann eine Frau zum Arzt und so weiter… Mumpitz!

Wäre Wilhelm Reich von der Mehrheit akzeptiert worden, wenn er sich besser verkauft hätte?
Brandauer: Das ist eine Mutmaßung. Das können Sie so hinstellen wie sie wollen. Ich weiß dass es in der Demokratie eine Mehrheit gibt. Das ist zu akzeptieren. Die große Frage ist, ob die Mehrheit auch wirklich recht hat. Ich bin natürlich in meiner künstlerischen Arbeit, bei allem was ich tue erstmal bei denen, die nicht die Mehrheit haben, denen es nicht so gut geht. Denen eine Stimme zu verleihen, auf deren Seite zu stehen, das muss das Ziel sein. Das steht auf meiner Flagge und das sollte auf den Flaggen aller stehen, die künstlerisch tätig sind. Oder journalistisch. Es sei denn, sie müssen eine Blattlinie vertreten, weil sie sonst keinen Pudding zu essen haben. Es ist eben kompliziert auf dieser Welt.

Zu Reichs berühmt-berüchtigten Erfindungen gehört der Akkumulator. Haben Sie so einen zuhause?
Brandauer: Ja, der wurde mir geschenkt. Und einen Cloudbuster, mit dem er angeblich Regen gemacht hat, habe ich auch einmal ausprobiert.

Der Akkumulator ist eigentlich eine mit Metall ausgekleidete Holzkiste, in der man seine Selbstheilungskräfte stärken können soll. Waren Sie da mal drin?
Brandauer: Nein, weil ich so Angst habe. Jeder der da drin war kommt raus mit so großen Augen… Der Kasten hat ja so ein Guckloch vorne, wenn man den hinlegt, schaut er aus wie ein Sarg. Aber wenn man drin sitzt, sieht man aus, wie auf einem Königsthron. Ein Mitarbeiter von mir hatte Knieschmerzen, den habe ich da reingesetzt. Unsere Haushälterin hatte auch so Wehwechen, die habe ich da reingesteckt. Und die Wehwechen waren weg.

Trotzdem klingen Sie skeptisch.
Brandauer: Ich habe mit einem Freund mal eine Urschrei-Therapie gemacht, als wir so 30 Jahre alt waren. Ich glaube an alles Unwägbare. Nicht dass ich sage, das und das ist richtig, aber ich möchte mich damit beschäftigen, es freut mich so, ich finde es toll. Ich war in Lourdes und war begeistert. Nicht weil ich daran glaube, sondern wegen der tausenden von Menschen da. Die faszinieren mich genauso wie ägyptische Pflanzen, die plötzlich im Schwarzwald wachsen. Was ist da passiert? Das ist ja unbeschreiblich sowas. Sagen Sie mal, wieso lassen Sie mich hier einen Monolog sprechen? Fragen Sie doch mal. Zum Beispiel, warum ich so gut in dem Film bin, oder so’n Scheiß. (lacht)

Ich habe noch nicht verstanden, wovor Sie soviel Angst haben, dass Sie in den Akkumulator noch nicht hineingegangen sind.
Brandauer: Keine Ahnung. Ich habe Angst, dass es mir gefällt da drinnen. Dass ich vielleicht nicht mehr raus will. (lacht)

Sie sind doch als Schauspieler mit allen möglichen Energien vertraut, da kann Sie doch nichts schrecken…
Brandauer: Es ist ja auch ein bisschen übertrieben von mir. Ich bin einfach noch nicht reingegangen und ich möchte sie nicht anlügen. Was soll schon sein… Obwohl. Kommando zurück! Ich hatte Schnupfen gehabt und bin da rein gegangen, es war fantastisch. Dann habe ich mal den Anfang einer Gastritis gehabt, bin reingegangen – gut, da hat es fünf Mal gebraucht, beim ersten Mal nur zweimal. Aber es hat funktioniert. Reden kann man alles.

 Claudia Rorarius

Claudia Rorarius

Hätte ich jetzt an Ihrer Körpersprache sehen können, ob Sie gerade die Wahrheit gesagt haben, oder nicht?
Brandauer: Das können Sie nicht. Das ist ja das tolle. Und hätte ich das eine nicht gesagt, dann würden sie mir das andere eventuell glauben; oder sie glauben mir sowieso nicht. Das ist die Geschichte, das ist das Unwägbare an unserem Betriebsunfall Menschsein. Jetzt könnten sie mir als Christ vielleicht vorhalten, dass ich sage, der Mensch ist ein Betriebsunfall und dann kriege ich eins vom Bischof aufs Dach. Aber ich mag Religionen sowieso nur, wenn sie auch in der Lage sind, andere Religionen oder Philosophien zu akzeptieren. Wenn das nicht der Fall ist möchte ich bei der Firma nicht dabei sein.

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