Konstantin Wecker

Mit dem Wort ‚Stolz‘ kann ich nicht viel anfangen.

Ende 2018 hat Konstantin Wecker das Album „Sage Nein!“ veröffentlicht. Darauf versammelt sind „antifaschistische Lieder“ aus der langen Karriere des Münchener Musikers und Komponisten, zum Teil textlich aktualisiert oder auch mehrsprachig übersetzt. Im Interview spricht Wecker über den Erfolg von AFD und FPÖ, die Verbindung von Kapitalismus und Faschismus und erklärt warum er mit dem Wort „Stolz“ nicht viel anfangen kann.

Konstantin Wecker

© Thomas Karsten

Herr Wecker, Sie haben Ende 2018 das Album „Sage Nein!“ herausgebracht, eine Sammlung „antifaschistischer Lieder 1978 bis heute“. Wie faschistisch ist unsere Gesellschaft?
Wecker: Ich habe die Befürchtung, dass es sehr schnell gehen könnte, dass Europa faschistisch wird. Viele Anzeichen deuten gerade daraufhin, nicht zuletzt die Ausschreitungen in Chemnitz. Das total Erschreckende für mich ist, dass ich mir noch vor zwei Jahren nicht hätte vorstellen können, dass so etwas möglich ist. Dass es so plötzlich passierte, macht mir Angst. Mein Aufruf an alle demokratisch gesinnten Menschen ist daher: Wir müssen jetzt zusammenhalten.

Es gab auch in den letzten dreißig Jahren immer wieder Ausschreitungen und Anschläge, die Anlass gaben, gegen Neonazis und Rassismus zu demonstrieren. Was macht den Unterschied aus?
Wecker: Jetzt geht es um Menschen, die eigentlich von sich weisen würden, Nazis zu sein. Sie haben aber trotzdem dasselbe Gedankengut und kein Problem damit, sich mit Nazis abzugeben. Vor zehn Jahren gab es die bekennenden Neonazis und der Rest der Gesellschaft hat sich von denen distanziert.

Sie halten nichts von der These, dass es auch in Deutschland schon lange ein größeres Spektrum potentieller Wähler einer rechtspopulistischen Partei gibt, die sich aber jetzt erst zunehmend an die Öffentlichkeit trauen?
Wecker: Doch, mittlerweile bin ich leider davon auch überzeugt.

Innerhalb der AFD scheint die Frage, wie rechts die Partei nun wirklich sein will, immer wieder umstritten…
Wecker: Bei der AFD gibt es vielleicht noch ein paar, die sagen, dass sie sich nicht mit Nazis abgeben wollen. Aber sie tun es trotzdem. Auch in Österreich hat die FPÖ immer mal wieder versucht, sich ein etwas liberaleres Image zu geben. Aber lesen Sie mal Hans-Henning Scharsachs Buch „Strache im braunen Sumpf“. Da wird eindeutig belegt, wie stark zum Beispiel völkische Verbindungen und Burschenschaften in der FPÖ vertreten sind. Die sind dann nicht einfach rechts oder rechtsaußen. Das sind zum Großteil echte Nazis.

Die FPÖ mit ihrem Vorsitzenden Heinz-Christian Strache erreichte bei der letzten Nationalratswahl 26 Prozent der Wählerstimmen und sitzt heute mit in der Regierung…
Wecker: Da muss ich an meine Mutter denken. Meine Eltern waren ja Antifaschisten, das war ein großes Glück für mich. Sie waren keine Widerstandskämpfer, aber sie haben einfach nicht mitgemacht bei diesem ganzen schrecklichen Wahnsinn. Die Mama war auch mit mir demonstrieren, als wir einmal in München gegen die Republikaner und die NPD demonstrierten sagte sie: „Schau Konstantin, da im Rathaus war sie, diese widerliche braune Brut. Aber die Neonazis, die sind doch noch viel dümmer als die Nazis damals. Die müssten doch wissen, wie es ausgegangen ist.“ Meine Mutter konnte früher den Menschen das Mitlaufen mit den Nazis noch nicht so vorwerfen, weil sie oft nicht wussten, was für eine Ideologie das überhaupt ist. Das haben auch manche Holocaust-Überlebende ähnlich formuliert: Wenn man jetzt um die Geschichte weiß und trotzdem mitläuft, dann ist es etwas ganz anderes, als damals am Anfang, als man vielleicht noch gedacht hat, da ist irgendwas Edles, Heeres oder Gutes dran.

Insofern wären Neonazis von heute nicht unbedingt dümmere, aber auf jeden Fall bewusste Faschisten.
Wecker: Ich kann einfach nicht verstehen, wie man heute noch einer Ideologie hinterherhecheln kann, die so schrecklich, unmenschlich und grauenvoll war, die so viele Tote hervorgebracht hat.

Zitiert

Es könnte sehr schnell gehen, dass Europa faschistisch wird.

Konstantin Wecker

In einem Interview mit der taz hat Herbert Grönemeyer kürzlich gesagt, die deutsche Gesellschaft sei aufgeklärter, stabiler und nuancierter als man denkt. Es sei denn, „man redet ihr noch fünf Jahre ein, dass sie es nicht ist.“
Wecker: In einem Punkt muss ich ihm Recht geben: Wir sind aufgeklärter. Die deutsche Gesellschaft hat ihre grausige Vergangenheit besser aufgearbeitet als andere, nicht zuletzt auch Dank der 68er-Bewegung. Es gibt kein perfektes Aufarbeiten, aber wenn man an die Geschichte der Belgier, der Holländer, der Amerikaner, der Japaner oder Franzosen denkt – da sind dunkle Stellen, die bis heute nicht aufgearbeitet wurden. Aber anscheinend ist es doch heute so, dass viele Kreise überhaupt nicht mehr aufgeklärt sein wollen. Wenn Grönemeyer meint, dass es von Schaden sei, den Menschen immer wieder zu sagen: „Pass auf, es wird gefährlich!“, dann kann ich ihm nicht zustimmen.

In der neuen Version Ihres Liedes „Willy“ teilen sie die Menschen auf in jene, die der Neoliberalismus immer „reicher und gieriger“ macht, während er „alle anderen in tiefste Verzweiflung und Verarmung stürzt“. Ist das nicht etwas zu wenig differenziert?
Wecker: Das können Sie gerne so sehen. Ich bin der Meinung, dass der Neoliberalismus tatsächlich eine straffe Ideologie ist, die genau diese Spaltung der Menschen immer schon im Sinn hatte. Und genau das muss man auch so benennen. Überhaupt, wenn man über Antifaschismus spricht, muss man auch über den Kapitalismus reden. Es gibt ja den schönen Satz von Upton Sinclair: Faschismus ist Kapitalismus plus Mord. 1933, zwei Monate vor Hitlers Machtergreifung, hat Goebbels an die 20 Industrielle eingeladen, darunter auch solche, deren Firmen bis heute Weltmarktbedeutung haben. Die durften dem Führer die Hand geben und haben im Endeffekt zugesagt, den Faschismus und die NSDAP finanziell zu unterstützen. Ohne deren Zusage hätte Hitler keine Chance gehabt. Auch im Moment ist bestimmten Kapitalinteressen die Demokratie wenig dienlich…

Weshalb die Wirtschaft zum Beispiel versucht, sogenannte Schiedsgerichte zu etablieren.
Wecker: Unter anderem, ja. Das ist wirklich gefährlich.
Im kapitalistischen Interesse liegt auch die mentale Beeinflussung der Menschen. Wenn ich zum Beispiel sehe, wie jetzt ein Mann wie Friedrich Merz gehypt wurde, der nichts Anderes ist als ein Wirtschaftsmann, ein Lobbyist ersten Grades, der niemals in die Politik gehen dürfte… Da reg i mi auf. (Lacht)

wecker-coverDer aktuellen Version Ihres Liedes „Sage Nein“ stellen Sie eine Erklärung voran: Nationalisten und Patrioten sind Idioten, weil sie stolz auf etwas sind, für das sie gar nichts können. Heißt das, man kann nur stolz auf etwas sein, was man selbst geleistet hat?
Wecker: Ich kann keinen Grund sehen, warum man überhaupt auf etwas stolz sein sollte. 99 Prozent von dem, was einem im Leben passiert, hat mit Glück oder Pech zu tun. Ich bin jetzt 71 Jahre und habe dieses unglaubliche Glück gehabt, 71 Jahre lang ohne Hunger und Krieg leben zu dürfen. Die meisten Menschen in der Geschichte der Menschheit haben dieses Glück nicht gehabt. Erstmal weiß ich, dass dieses Glück natürlich auch erkauft ist, dadurch, dass man den Krieg woanders hingetragen hat. Gleichzeitig birgt das aber auch die Verantwortung, menschlich nachzudenken und zu fühlen. Man stelle sich vor, ich hätte mit zwei Jahren meine Eltern im Bombenhagel verloren, wäre angeschossen als Kind, wurde traumatisiert. Da hätte ich ja ein Krieger oder Nazi werden müssen. Das ist ja das Schrecklichste, dass die Generation nach so einem Krieg ohne psychotherapeutische Behandlung aus ihrem Trauma gar nicht mehr herauskommt. Mein zweites Glück war, einen Beruf zu haben, der mir Spaß macht. Das ist ja auch eine Seltenheit.

In einem berühmten Protestsong singt James Brown: „Say it loud, I’m black and proud“.
Wecker: Das kann ich verstehen, in dem Fall geht es ja um ein Politikum. Aber auf was soll ich stolz sein? Dass ich Bayer bin oder wie? Das leuchtet mir einfach nicht ein. (Lacht) Aber sagen wir mal so: Worte sind Symbole. Die Frage ist, wie interpretiert man ein Wort? Ich geben Ihnen völlig Recht, dass man das Wort Stolz auch anders belegen kann. Ich persönlich kann mit dem Wort nicht viel anfangen. Ich bin nicht stolz, ich freue mich einfach über gewisse Dinge.

Der AfD wird vorgeworfen, nur über Flüchtlinge und Migration zu sprechen, doch auch „Die Zeit“ wirkt inzwischen alarmistischer, wenn sie über die Grenzöffnung 2015 schreibt: „Die Nacht, in der Deutschland die Kontrolle verlor“.
Wecker: Da geht es ganz einfach um Macht. Das ist bei den Zeitungen genauso wie bei den Parteien. Das einzige Thema, mit dem die AFD groß geworden ist, sind die Flüchtlinge. Von 100 Anträgen, die die AFD bisher in den Bundestag eingebracht hat, haben 99 mit diesem Thema zu tun. Hätte man es bei Frau Merkels eigentlich sehr klugem Satz „Wir schaffen das“ belassen, wäre man nicht auf das Boot der AFD aufgesprungen, wäre diese Partei wahrscheinlich unter zehn Prozent bei den Wahlen geblieben und damit könnte eine Demokratie gut leben. Aber jeder wollte für sich punkten und hat das Thema Flüchtlinge zu einem Problem aufgeblasen, das es eigentlich gar nicht ist. Das Problem sind ja nicht die Geflüchteten, sondern der Finanzkapitalismus.

In „Willy 2018“ zitieren Sie Walter Benjamins Beschreibung des Faschismus aus dem Jahr 1935…

Wecker: Als Reaktion auf die durch soziale Ungleichheit hervorgerufene Wut hat der Faschismus nicht nach politischen Lösungen gesucht, wie etwa nach einer gerechteren Verteilung wirtschaftlicher Ressourcen, sondern er hat „die Massen zu ihrem Ausdruck kommen lassen.“ Schauen Sie, sowohl die AFD als auch die FPÖ, bei der merkt man es ja noch deutlicher, seit sie an der Macht ist, beide haben sich geriert als die Partei des kleinen Mannes und wurden vom sogenannten kleinen Mann gewählt. Im Endeffekt sind sie aber Vasallen des Großkapitals. Man hätte diesen Menschen gar nicht diesen Platz, diese Öffentlichkeit bieten dürfen.

Was haben Sie eigentlich davon gehalten, dass ein erklärter linker Publizist wie Jakob Augstein das CDU-Mitglied Jürgen Todenhöfer zum Herausgeber seiner linken Wochenzeitung der Freitag bestellt? Diese Konstellation hielt zwar nur ein Jahr, aber könnte sie ein Vorbild sein für neue Allianzen zwischen sogenannten Linken und Konservativen?
Wecker: So etwas habe ich ja eigentlich immer schon gemacht. Ich verlange bei meinem Konzerten kein Parteibuch und ich selbst hatte auch noch nie eins. Ich stehe sämtlichen Ideologien sowieso sehr skeptisch gegenüber. Ich werde nie vergessen, wie ich mich mal im Flugzeug mit einem Mann unterhalten habe, der mir erzählt hat, dass er meine Lieder so gerne mag. Wir haben über Oper gesprochen, über Puccini und haben von Mozart geschwärmt. Am Schluss sagte ich: Das war ja sehr schön, wir können ja mal ein Bier zusammen trinken. Und er meinte: Ich glaube, das wollen Sie nicht, Herr Wecker. Ich bin im Landtag bei der CSU. (lacht)

Und, haben Sie sich zum Bier getroffen?
Wecker: Ja, das haben wir und es war sehr unterhaltsam. Ich hatte aber nie ein Problem mit aufrechten konservativen Demokraten, das darf man auch nicht haben. Ich kenne Jürgen Todenhöfer natürlich sehr gut und ich finde seine Arbeit, die er für die Friedenspolitik macht, ganz großartig.

Andererseits war er ein erklärter Freund der Politik von Franz Josef Strauß…
Wecker: Ja, das ist a bissl ein Problem. (lacht). Strauß halte ich wirklich für einen der gefährlichsten Politiker, die wir jemals hatten. Aber gut, glauben Sie mir, ich beurteile Menschen nicht moralisch, das würde mir auch gar nicht in den Sinn kommen. Ich verurteile die Menschen immer weniger, je älter ich werde. Ich verurteile und wehre mich gegen ihre Taten, wenn sie unmenschlich sind. Aber ich bin nicht so arrogant zu glauben, dass ich der bessere Mensch sei.

© Dominik Beckmann

Sie postulieren immer wieder die Notwendigkeit einer „spirituellen Revolution“, derzufolge man wieder „mit dem Herzen denken“ solle. Das ist ein Rezept, mit dem sich Lifestyle-Magazine wie „Flow“ und „Happinez“ mittlerweile bestens verkaufen. Hat Ihre Revolution vielleicht schon gesiegt?
Wecker: Mit spiritueller Revolution meine ich nicht wirklich diese Wohlfühlprogramme. Ich kenne zum Beispiel sehr viel Theologen, die abgekehrt sind von dem patriarchalen, streng ideologischen Gottesbild, das natürlich wahnsinnig viel Zerstörerisches in der Welt angerichtet hat. Ich bin ein großer Fan des US-amerikanischen Franziskanerpaters Richard Rohr, der ein eher mystisches Religionsbild vertritt, genau wie der leider verstorbene jüdische Zen-Meister Bernard Glassman. Dorothee Sölle schreibt in ihrem wunderbaren Buch „Mystik und Widerstand“ über die Geschichte der Mystiker, christliche und islamische, die auch immer wieder verfolgt, verkannt und verbrannt wurden. Sie sagt: Auch wir würden ohne Spiritualität an unserer Funktionalität ersticken. Das sehe ich auch so. Sie hat mich zu meinem Titel „Wut und Zärtlichkeit“ inspiriert.

Naiv gefragt: Wie oft muss man Donald Trump umarmen, bis er zum Beispiel aufhört, kritische Journalisten zu beleidigen und aus dem Weißen Haus zu schmeißen?
Wecker: Also, ich würde auch Donald Trump umarmen, wenn es denn was helfen würde. Es wäre mir etwas unangenehm, aber ich würde das natürlich tun. (lacht) Empathie halte ich für die höchste Errungenschaft des Homo Sapiens. Aber jede Politik, die spirituelles Denken ausschließt, ist grausam, egal ob sie sich jetzt links oder rechts, oben oder unten verortet.

Auf Ihrem neuen Album arbeiten Sie unterer anderem mit dem afghanischen Sänger Shekip Mosadeq zusammen. Wie kam es dazu?
Wecker: Den Shekip kenne ich seit über zwei Jahren. Wir wurden einander auf einer Demo vorgestellt und da habe ich erfahren, dass er schon früher, als er noch in Afghanistan lebte, „Bella Ciao“ auf Farsi übersetzt hat.

Bella Ciao“ ist ein altes antifaschistisches Lied, das in Italien, Anfang des 20. Jahrhunderts entstand und zuletzt im Sommer 2018 in einem französischen Remix zum internationalen Hit wurde…
Wecker: Shekips Version fand ich so spannend, dass wir das Lied oft zusammen gesungen und nun auch aufgenommen haben. Mittlerweile sind wir befreundet. Er hat mein Lied „Empört Euch“ ebenfalls auf Farsi übersetzt und will das im arabischen Raum über Youtube publik machen.

Haben Sie etwas von ihm über den Afghanistan-Konflikt gelernt, was Sie vorher noch nicht wussten?
Wecker: Ich habe vor allem gelernt, dass Afghanistan auf keinen Fall ein sicheres Herkunftsland ist, in das man Flüchtlinge einfach wieder zurückschicken und der Willkür der Taliban ausliefern kann. Der Shekip würde dort wahrscheinlich keine Woche überleben.

3 Kommentare zu “Mit dem Wort ‚Stolz‘ kann ich nicht viel anfangen.”

  1. Prince Bobby |

    Der Konstantin geht mir auf den Wecker.

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  2. Ollie (RBB-Netz) |

    Wenn man Hashtag Afd bei euch anklickt, kommt 1 Interview. Nur dieses. Habt das Thema wohl verschlafen. Schade schade. Tolle Partei o=)

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  3. Ollie (RBB-Netz) |

    Ach der Linksextremist Krämer mal wieder

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