Frau Asbjörnsen, wie sprechen Sie auf Norwegisch „Hallelujah“ aus?
Asbjörnsen: (lacht und sagt so etwas wie) „Hollelujja!“…
Wo treten Sie lieber auf: in Kirchen, Konzertsälen oder in Clubs?
Asbjörnsen: Ich finde alle wunderbar. Dieses Projekt ermöglicht uns, an vielen unterschiedlichen Orten aufzutreten. In Kirchen, Konzertsälen, in Clubs und auch auf Jazz- und Rockfestivals. So oft zu wechseln ist großartig und macht das Projekt auch lebendig, du musst immer daran denken, wie es in verschiedenen Räumen klingt. Ich mag diese Veränderungen.
Sie singen afroamerikanische Spirituals – ist Religiosität für einen Sänger wichtig, um dem Publikum diese Songs nahezubringen?
Asbjörnsen: Die Spiritualität spielt eine große Rolle in diesen Songs. Weil es um eine Reise zur spirituellen Freiheit geht. Ich widme mich mehr dem, was sie vom Leben selbst ausdrücken: Sehnsucht, Trauer, Zweifel, Hoffnung und Freude. Ich versuche, sie nicht nur auf den Glauben oder eine Nationalität zu reduzieren. Ich gehe mehr von diesen Reisen aus – im Leben auf dem Weg zu sein mit diesen Songs als meinen Begleitern.
Haben die Spirituals, die Sie interpretieren, so etwas wie einen Ursprungsort?
Asbjörnsen: Sie sind an vielen Orten kreiert worden. Sowohl im Norden, als auch im Süden der USA. Sie sind aber auch von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit gewandert. Manchmal entdecke ich ganz verschiedene Versionen eines Songs aus verschiedenen Regionen. Dieses Liedgut existiert bereits seit Anfang des 17. Jahrhunderts und hat sich dann 250 Jahre lang bewegt, verändert und entwickelt. Mit der Abschaffung der Sklaverei fingen dann erstmals Menschen an, so viele Songs wie möglich aufzuschreiben. Das waren oft selbst Musiker und Arrangeure, die aber meistens mit der klassischen Musiktradition aufgewachsen sind. Diese afroamerikanischen Spirituals sind also eine Mischung, die von westeuropäischer Kirchen- und afrikanischer Musik inspiriert ist.
Das hört sich an, als würden Sie Musikwissenschaft betreiben…
Asbjörnsen: Es ist eine großartige Erfahrung für mich, Verbindungen herzustellen, von denen ich vorher nichts wußte. Ein Song auf meinem Album heißt "I am a poor wayfaring stranger". Den habe ich als afroamerikanischen Spiritual kennen gelernt, aber andere Leute kennen den als irisches Volkslied. In Norwegen wiederum gibt es einen berühmten Künstler der Samen, der diesen Song als norwegisches Volkslied lernte. Das sagt tatsächlich etwas aus über die universelle Kraft dieser Songs. Ich mag es sehr, immer wieder auf verschiedene Versionen zu treffen, weil ich dann sehe, dass diese Songs schon durch so viele Menschenleben gegangen sind. Gleichzeitig ist jede einzelne Version sehr persönlich, weil jeder sie in seiner eigenen Art aufgeschrieben hat. Wenn ich eine alte Frau höre, die ein Lied von ihrer Mutter gelernt hat, dann nehme ich das als eine echte Version an. Die niedergeschriebenen Versionen sind nur ein paar der vielen möglichen Formen, die ein Song annehmen kann. Dort kann ich ansetzen, meinen Weg hineinzufinden. Ich selbst verändere auch, nehme Verse heraus, die ich nicht mag und füge meine eigenen Worte hinzu. Das ist ebenfalls eine Arbeit im Prozess.
Was ist für Sie der Unterschied zwischen Spirituals und Gospels?
Asbjörnsen: Der größte Unterschied ist, dass Spirituals Volkslieder sind und Gospels komponierte Musik. Das ist auch in den Texten ein sehr wichtiger Unterschied: Gospels beschäftigen sich mehr mit Jesus und dem neuen Testament, Spirituals mehr mit puren Emotionen. Aber natürlich gibt es da sehr viele Verbindungen. Auch ich singe Gospels aus den 20er Jahren. Das Witzige ist, dass viele Leute, die Spirituals aufgeschrieben haben, gleichzeitig Gospels komponierten. Zum Beispiel Thomas Dorsey, der „Vater des Gospels“, der hat viele Spirituals arrangiert.
Übersetzen Sie manche der Songs auch auf Norwegisch?
Asbjörnsen: Nein.
Als Jazzsängerin bekommst du leicht das Gefühl, du müsstest besser sein als ein Instrumentalist.
Weil Englisch als universal verständliche Sprache gilt?
Asbjörnsen: Als ich mit der Arbeit anfing, mußte ich erst herausfinden, wie ich mit der Sprache umgehen kann. Viele der Songs sind in einer Art afrikanischem Slang überliefert, da hieß es zum Beispiel "heaben" für "heaven". Für mich war es eine wichtige Entscheidung, dass ich nicht versuchen würde, eine afrikanische Person zu imitieren, die ein bisschen falsches Englisch spricht. Das wäre Schauspiel gewesen. Ich möchte diese Songs aus meiner heutigen Sicht ausdrücken. Das muss ich dann in korrektem Englisch tun, das die Leute auch verstehen können. Ich möchte, dass die Hörer miteinbezogen werden.
Sehen Sie sich eher als Sängerin oder Musikerin an?
Asbjörnsen: Ich bin beides. Als Sängerin ist es wichtig, die allumfassende Aufmerksamkeit einer Musikerin zu haben. Weil ich viel mit Improvisation arbeite, sehe ich mich als Instrumentalistin. Mit dem Singen aufgewachsen und ausgebildet zu sein hat dafür gesorgt, dass ich gute Melodien erkenne und ihnen vertrauen kann. Gerade als Jazzsängerin bekommst du leicht das Gefühl, du müsstest besser sein als ein Instrumentalist. Ich bin einfach nur ein bisschen simpler als all die Saxofonisten. Mit dem Singen kannst du nach dem Kern suchen, der Sache auf den Grund gehen. Diese Spirituals haben mich dazu verleitet, so zu arbeiten, herauszufinden, was der Kern eines Songs ist, unnötige Verzierungen wegzulassen…
Ist das ein Grund, weshalb Sie auf Ihrem Album keine Blasinstrumente einsetzen?
Asbjörnsen: Das Album wäre auch mit anderen Instrumenten schön geworden. Über die Jahre habe ich an diesen Songs auch mit dem Pianisten Tord Gustavsen gearbeitet. Aber letztes Jahr arbeitete ich intensiv mit zwei Gitarristen zusammen, die auch singen, dann haben wir noch Percussion hinzugefügt und das ging sehr gut. Mein Zugang war, mich auf die starken Melodien zu konzentrieren und auf diese Wiederholungen, ich glaube wirklich an die Kraft dieser repetetiven Worte und Melodien. Das ist ein so wichtiger Teil dieser Tradition. Für mich ist da die Verbindung zur (west-)afrikanischen Musik am stärksten.
Wo findet man Ihre CD eigentlich im Musikgeschäft? Ist es Weltmusik, Jazz…
Asbjörnsen: Ich glaube, mein Album lässt sich schwer einordnen. In den Läden findest du es mal unter Gospel, mal unter Welt- oder Popmusik. In Norwegen bin ich als Jazzsängerin bekannt, weil ich Jazzgesang studiert habe. Ich selbst sehe mich als Sängerin, die mit Improvisation arbeitet.
Reagiert das Publikum unterschiedlich, je nachdem in welchem Land Sie auftreten?
Asbjörnsen: Das ist schwer zu beschreiben. Ich glaube, die Musik spricht auf unterschiedliche Art und Weise zu den Menschen. Auch in Norwegen: Manche Menschen bekommen sehr viel Energie, andere fühlen sich sehr gut aufgehoben. Wir haben viel in Italien gespielt und dort haben die Menschen auch dieses melancholische Gespür für die Musik aber gleichzeitig lieben sie die intensive Energie. Ich glaube, diese Musik deckt beides ab, einerseits die Stille und andererseits eine große Kraft.
Gibt es unter Sängerinnen eigentlich einen Dresscode?
Asbjörnsen: Nicht mehr, als ich ihn mir selbst vorschreibe. Für Konzerte mit den Spirituals ziehe ich ganz bestimmte Kleider an. Mir ist der visuelle Gesamteindruck wichtig, oft begleiten mich auch Lichtdesigner auf Tournee. Meistens singe ich barfuß, um besser geerdet zu sein. Das ist aber nicht des visuellen Eindrucks wegen, sondern um zu fühlen, dass ich da bin in meinem Körper.