Kurt Langbein

Das ist Raub im klassischen Sinne.

Für seinen Dokumentarfilm "Landraub" interviewte Kurt Langbein weltweit Investoren und Opfer des sogenannten "Landgrabbings", der großflächigen Privatisierung von Ackerland zugunsten großer Konzerne. Im Interview spricht der österreichische Regisseur über "neuen Kolonialismus", den Nutzen von Handelsabkommen und Möglichkeiten des Widerstands.

Kurt Langbein

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Herr Langbein, Sie sind studierter Soziologe. Wie sind Sie dazu gekommen, überhaupt Filme zu drehen und jetzt mit Ihren neuen Film „Landraub“ das weltweite Geschäft mit Ackerland zu dokumentieren?
Kurt Langbein: Zunächst einmal ist der Laubraub ein soziales und ökologisches Problem, das für eine unserer zentralen Zukunftsfragen steht. Dazu gekommen bin ich, weil ich mit meinen ersten Forschungsprojekten bemerkt habe, dass sehr viel Auftragsforschung unternommen wird, deren wichtigste Ergebnisse zum Teil gar nicht publiziert werden. Also lag es nahe, einen Beruf zu wählen, bei dem die Publikation der Erkenntnisse quasi im Mittelpunkt steht.

Das klingt ein wenig so, als würde die Gesellschaft auf einer großen stillen Reserve von soziologischer Erkenntnisse sitzen, die möglicherweise sehr nützliche sein könnten.
Langbein: (Lacht) Das hieße, die Soziologie auch ein bisschen zu überschätzten. Das kennen Sie von Ihrem Beruf sicher auch, dass man dazu neigt, die eigene Profession ein wenig wichtiger zu nehmen, als sie eigentlich ist. Das gehört dazu. Aber sehr viele Erkenntnisse, wie zum Beispiel, dass der Mensch von seinen Grundeigenschaften her auf Kooperation und Gegenseitigkeit aufgebaut ist, finden in der Öffentlichkeit einfach sehr wenig Beachtung. Auch dass die Anthropologen mittlerweile zur selben Erkenntnis gekommen sind, hat da nicht wirklich etwas genutzt. Ich bin aber in meiner Motivation schon getragen von der Sinnhaftigkeit von Aufklärung und Information. Und manchmal ist das auch so, dass die richtige Information in den Köpfen der Leute und dann auch in der Realität ein bisschen etwas bewegen. Das sind die Glücksmomente des Publizisten.

Zitiert

Unsere politischen Führer nehmen den Begriff 'Menschenrechte' nur in den Mund, um andere zu kritisieren, nicht um die eigenen Investoren und Finanzleute in die Pflicht zu nehmen.

Kurt Langbein

Besonders bekannt sind Ihre Arbeiten über Menschenversuche der Pharmaindustrie in Österreich. Wie kamen Sie nun auf das Thema Landraub?
Langbein: Ich habe schon früher Filmprojekte über Ackerbau und die mit ihm zusammenhängenden Beziehung der Ersten zur Dritten Welt gemacht. Und als ich jetzt erfahren habe, welche Ausmaße der Landraub angenommen hat, hat mich das einfach gepackt. Ich habe gedacht: Wenn ich schon so wenig darüber weiß, als eigentlich hoch informierter Mensch, dann wissen die anderen noch viel weniger drüber. Und wenn man davon weiß, dann muss man das erzählen, weil wir als Europäer da ganz maßgeblich beteiligt sind.

Große Konzerne kaufen auf der ganzen Welt fruchtbaren Boden, um ihn für kurzfristige Renditen auszubeuten, auch wenn sie dadurch die Lebensgrundlagen der Menschen vor Ort zerstören. Inwiefern sind wir Europäer daran beteiligt?
Langbein: 44% der in diesem Feld investierten Mittel kommen aus europäischen Finanzeinrichtungen. Und wir als Konsumenten konsumieren Lebensmittel, die zu 60% nicht mehr bei uns wachsen, sondern in Regionen, wo Leute selber noch Hunger haben.

Der Begriff Raub ist juristisch klar mit physischer Gewalteinwirkung verbunden. Warum haben Sie den Begriff „Landraub“ gewählt, obwohl er eigentlich auf kaufmännischen, bürokratischen Handlungen basiert?
Langbein: Das was da passiert ist Raub, weil etwas Gewaltförmiges drinnen steckt. Und gerade in Ostasien und auch in Afrika ist es viel zu oft wirklich die physische brutale Waffengewalt, mit der die Leute von ihrem eigenen Boden vertrieben werden. Das ist Raub im klassischen Sinne. Aber es gibt eben auch subtilere Formen des Raubes, wo einfach Machtverhältnisse ausgenutzt werden, um Leute zu bestimmten Vertragsgestaltungen zu bringen, zu Geschäften, an deren Ende die einen fast alles haben und die anderen fast nichts. Auch dafür scheint mir Raub als Metapher der richtige Begriff für zu sein.

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In Kambodscha steht ein vom Landraub Betroffener auf den Trümmern seines zerstörten Hauses   © Movienet/ 24 Bilder


Am Anfang Ihres Films erzählen Sie von einem enteigneten Reis-Bauern in Sierra Leone, der nun in einer Fabrik sein Geld verdienen muss, um Reis kaufen zu können. Ist das nicht auch ein klassischer Entfremdungsmechanismus, den der Westen im Zuge der Industrialisierung auch einmal durchmachen musste?

Langbein: Zu einem Teil stimmt das auch. Nur sind die Verhältnisse ungleich anders, als sie bei uns damals waren. Von den Bewohnern die 53 Dörfer dieser Region profitieren, wenn es hoch kommt, zehn Prozent davon, dass sie in dieser Plantage und Fabrik Jobs bekommen, die zudem fast immer nur befristet sind. Die anderen profitieren ganz wenig oder überhaupt nicht. Im Gegenteil, wer vorher als Bauer Selbstversorger sein konnte, wird durch die veränderten Strukturen nun dazu gedrängt, eine ganz andere Landwirtschaft zu betreiben als zuvor. Sie bewirtschaften nun das Land der Konzerne, von denen sie auch noch ihre Traktoren mieten müssen und verdienen damit kaum Geld. Dadurch entstehen Perspektivlosigkeit und soziale Klüfte und das schafft Flüchtlingswellen. Die werden uns alle besuchen kommen.

Gerade wird auf der politischen Seite ständig betont, man müsse die Flüchtlingsursachen bekämpfen. Sind das von vorneherein nur Lippenbekenntnisse?
Langbein: Unser politischen Führer benehmen sich ja als Freunde dieser „Demokraturen“ oder Diktaturen, die sich einen demokratischen Anstrich geben. Es reicht ja, wenn man die Kriterien der Weltbank erfüllt und zu denen zählt nicht, dass es den Leuten besser gehen soll. Unsere politischen Führer nehmen den Begriff „Menschenrechte“ ja nur in den Mund, wenn es darum geht, andere zu kritisieren, aber nicht um die eigenen Investoren und Finanzleute in die Pflicht zu nehmen. Dabei wäre es gut, wenn man mal jemand laut die Stimme erheben und Menschenrechte für alle einfordern würde. Dazu kann natürlich eine kritische Öffentlichkeit auch ein wenig beitragen.

Sie lassen in Ihrem Film auch Investoren zu Wort kommen, durchaus vernünftige, intelligente Menschen. Man gewinnt den Eindruck, es kann doch gar nicht so viel Überzeugungsarbeit kosten, sie davon zu überzeugen, gerechter zu handeln.
Langbein: Die klügeren Teile der Großinvestoren denken ja auch längerfristig und nicht nur an den kurzfristigen Profit. Das heißt, sie halten sich auch an Rahmenbedingungen, die ihnen vorgegeben werden. Die Rahmenbedingungen können allerdings politisch gestaltet werden und wenn dort, neben fragwürdigen neoliberalen Details auch noch vernünftige, soziale, ökologische, gerechter Bedingungen definiert werden, dann würden sich die vernünftigeren Teile dieser Industrie auch anders entwickeln. Davon bin ich völlig überzeugt. Die denken ja an geordnete, langfristige Geschäfte. Und die wollen ja auch nicht aus diesem Geschäft geschmissen werden, weil sie in Misskredit geraten.

Das heißt, die politischen Rahmenbedingungen sind so, dass Vernunft nicht belohnt wird?
Langbein: Genau. Das sieht man im Beispiel beim Schweizer Unternehmen Addax Bioenergy, dass dort Entwicklungshilfegelder unter kontrollierten Bedingungen für Investments gegeben werden, damit auf Böden von afrikanischen Ländern, wo Hunger nach wie vor ein Thema ist, großflächig Pflanzen für unsere Tanks angebaut werden. Da fängt ja der Widersinn schon an. Und das sind Rahmenbedingungen, die die EU geschaffen hat, mit ihren Verordnungen der Beimischung von sogenanntem Bio-Sprit in den Treibstoff. Solche Rahmenbedingungen schaffen diese Form von Ausbeutungsverhältnissen. Andere Rahmenbedingungen könnten die wiederum konterkarieren oder unmöglich machen.

Wenn es in Ihrem Film um Kambodscha geht, kommt auch ein Handelsabkommen zur Sprache…
Langbein: Das gehört auch zu diesen Rahmenbedienungen. Da geht es um das „Everything but arms“-Programm. Es wurde ursprünglich von der EU ins Leben gerufen, um den ärmsten Staaten Möglichkeiten zu geben, Agrarrohstoffe begünstigt, das heißt ohne Zoll nach Europa zu exportieren. Findige Oligarchen in diesen Ländern haben dieses Instrument dazu verwendet, um im großen Ausmaß Zucker anzubauen, die Bauern zu vertreiben um den Zucker hoch profitabel, weil subventioniert, in die EU zu exportieren. Das passiert in Kambodscha seit vielen Jahren. Nach zuverlässigen Recherchen wurden alleine im letzten Jahr deswegen 10.000 Menschen von ihrem Land vertrieben. Das ist in der EU bekannt, das Europarlament hat sogar eine Resolution verabschiedet, dass man das überprüfen und einstellen will. Aber die Europäische Kommission hält immer noch daran fest.

In der Diskussion um die TTIP-Verhandlungen wird von Befürwortern gerne betont, dass Handelsabkommen etwas komplett Alltägliches, Sinnvolles seien…
Langbein: Handelsabkommen werden in der Tat in irgendeiner Form ständig abgeschlossen und gestalten die Profitmöglichkeiten und damit auch die Warenströme. Die sind sinnvoll gestaltbar oder eben zugunsten einzelner Gruppen, die vor allem absahnen wollen. Wie sie gestaltet werden ist eine Frage der Politik.

Landraub PlakatWie einfach oder schwer war die Arbeit an „Landraub“?
Langbein: Es war ein zweijähriger Prozess, der schon viel Arbeit und Zeit gekostet hat, alleine schon aufgrund der geographischen Gegebenheiten. Aber es war sehr spannender, sehr aufregend.

Wie sind Sie an Ihre Gesprächspartner, gerade auf Seite der Investoren, herangetreten?
Langbein: Wir haben zunächst einmal das Selbstbild von Investoren sehr genau analysiert und studiert. Wir haben versucht, in ihrer Terminologie, in ihrem wording sozusagen, uns ihnen anzunähern. Zum Beispiel bei Addax halten viele darauf, dass sie sich der Nachhaltigkeit und sozialen Verträglichkeit verpflichten. Wir haben ihnen also relativ ausführlich und wortreich gesagt, dass uns das sehr interessiert, dass wir gerne sehen wollen, wie das funktioniert. Das war ja auch die Wahrheit, nur wurde das ein bisschen anders verstanden. Wir sind dann eingeladen worden. Parallel dazu haben wir überall Kontakt mit Betroffenen aufgenommen, hauptsächlich über NGOs, die in diesen Ländern bereits arbeiten und schon länger über diese katastrophalen Zustände berichten und haben dann aus der Sicht der Betroffenen die gleiche Geschichte noch einmal gefilmt.

Den Investoren war also nicht bewusst, dass Sie auch Betroffene interviewen?
Langbein: Über Details haben wir nicht gesprochen. Wir haben nur gesagt: Wir wollen uns das wirklich anschauen. Wir sind bei der Wahrheit geblieben und sind vielleicht manchmal ein bisschen missverstanden worden. (schmunzelt)

Gab es dann einen Abstimmungsprozess, dass die Interviewten das Material noch freigeben wollten?
Langbein: Nein, das machen wir grundsätzlich nicht. Im Vorfeld des Kinostarts haben sich die Firmen bereits gemeldet und wollen gerne den Film vorab sehen. Aber wir haben gesagt, dass das leider nicht möglich ist, weil wir das grundsätzlich nur dann manchen, wenn es um Privates geht, um sensible, menschliche Prozesse.

Das ist Ihr presseethischer Grundsatz, sozusagen?
Langbein: Das ist ein ethischer Grundsatz, ja. Wenn wir einen Menschen durch eine Krankheit begleiten und er sagt, er möchte das vorher sehen, weil er nicht in einer herabwürdigen Art und Weise gezeigt werden möchte, dann zeigen wir ihm das natürlich. Das ist Bestandteil des Vertrauens, das man füreinander hat. Aber sonst werden Protagonisten nicht die Möglichkeit gegeben, einen Film zu beeinflussen. Das ist ein Grundsatz an dem nicht zu rütteln ist.

Hat Sie irgendetwas, was Sie im Zuge Ihrer Recherchen erlebt haben, mit Hoffnung erfüllt?
Langbein: Mit Hoffnung hat mich der Widerstand dieser 400 Bauern in Kambodscha erfüllt, mit der Hilfe der buddhistischen Mönche. Sie sind da ja eine übergeordnete Instanz, verfügen über gewisse Freiräume und Autorität. Wir haben davon eigentlich nur zufällig erfahren, weil wir gerade in der Nähe gedreht haben. Und dass dieser Widerstand Erfolg gehabt hat, dass da Familien tatsächlich ihr Land wieder zurückbekommen haben, das zeigt, dass selbst unter halbdiktatorischen Verhältnissen unter einer sehr korrupten Regierung unter solchen Verhältnissen Widerstand möglich ist und zu Ergebnissen führen kann. Umso leichter müsste eigentlich bei uns Widerstand organisierbar sein und wirksam werden, gegen Verordnungen der EU.

Sind diese Rückübertragungen durch die Regierung möglich gewesen oder waren auch die beteiligten Firmen kompromissbereit?
Langbein: Die Regierung hat nachgegeben. Sie macht diese Geschäfte, gibt Pachtverträge an die Konzerne, die über 99 Jahre laufen, und übernimmt „im übergeordneten staatlichen Interesse“ die Vertreibung der eigenen Leute vom Land. Das machen dort Polizei- und Militäreinheiten. Und die Regierung hat aufgrund des Drucks der entstanden ist, hat dann nachgegeben und den Leuten ihr Land wieder zurückgegeben. 600.000 andere sind nach wie vor vertrieben von ihrem Land. Es ist nur ein kleines Beispiel, aber es zeigt, dass sich etwas bewegen lässt.

Kurt Langbein wurde 1953 geboren. Er studierte Soziologie in Wien. Von 1979 bis 1989 arbeitete er als Dokumentarfilmer und Magazin-Journalist beim Österreichischen Rundfunk ORF. Seit 1992 produziert und inszeniert er als Geschäftsführer der mehr

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