Frau Cotillard, für den Film „La Vie en Rose“, der die diesjährige 57.Berlinale eröffnete, haben Sie sich in die berühmte französische Sängerin Edith Piaf verwandelt. Wie haben Sie sich der Rolle genähert?
Cotillard: Das ist eine ganz tolle, wunderbare und sehr vielschichtige Rolle. Ich spiele Edith Piaf ja im Alter von neunzehn Jahren bis zu ihrem Tod mit vierundvierzig. Ich kannte mich im Leben der Edith Piaf nicht sehr gut aus. Ich habe sie wirklich erst im Rahmen der Vorbereitung entdeckt, und anschließend bin ich dann wirklich eingetaucht in diesen Menschen. Ich habe sehr viele Filmaufnahmen von ihr angesehen, denn sie hat ja auch als Schauspielerin gewirkt. Das hat mir sehr weiter geholfen. Ich habe mir auch ihre Interviews angehört, und habe versucht in mir den Raum zu finden, um diese beiden Personen, Edith Piaf und mich selber, miteinander in Einklang zu bringen, wollte mehr als eine Nachahmung der Piaf darstellen. Ich und der Regisseur Olivier Dahan haben gemeinsam versucht diesem Menschen wieder Leben einzuhauchen.
Wie haben Sie es geschafft nach dem Film wieder Sie selbst zu werden?
Cotillard: Das hat ein bisschen gedauert, denn Edith Piaf ist eine Rolle, die man sich wirklich aufbauen muss. Ich habe mich vier Monate wie Edith Piaf verhalten, mich bewegt und gesprochen, so wie sie es tat. Das hat schon einige Wochen gedauert, bis all diese kleinen Eigenheiten dieser Person, die ich mir angeeignet hatte, wieder verblassten. Ein typisches Beispiel: Wenn sie vier Monate im Entenschritt laufen, dann müssen sie auch eine ganze Weile üben um wieder geradeaus gehen zu können. Das ist also völlig normal! (lacht)
Fiel es Ihnen denn schwer diese komplexe Rolle zu spielen?
Cotillard: Ja, einiges war durchaus schwierig. Ich hatte im Vorfeld der Dreharbeiten ein bisschen Furcht vor den Szenen, in denen ich Piaf in ihren Lebensjahren zwischen 40 und 47 darstellten sollte, weil ich zu diesem Alter einfach keine Beziehung habe. Darüber hinaus sah sie in dieser Zeit auch schon wie eine 70jährige aus. Da hatte ich schon Furcht, sogar einen Schwindel, also mehr als Furcht. Wir hatten den Film alle sorgfältig vorbereitet, aber die Sterbeszene ist bis zum Schluss schwierig geblieben. Da nützt dir dann auch die große Vorbereitung nicht mehr viel. Das ist einfach hart, denn wenn man es überspielt, wird es ganz schnell ins Lächerliche gezogen. Sie zieht am Sterbebett Bilanz über ihr Leben, versucht Erinnerungen wachzurufen, phantasiert; da musst du ganz sorgfältig arbeiten. Mir fielen aber auch die Playbackaufnahmen sehr schwer, daran habe ich am meisten arbeiten müssen. Wenn ein Playback schlecht gemacht ist, rennen dir die Leute aus dem Kino. Das war eigentlich die Hauptschwierigkeit!
Welche Rolle spielt Edith Piaf für Ihre Generation heute?
Cotillard: Edith Piaf ist eine Legende! Als ich zwanzig war habe ich mich für das realistische Chanson begeistert, obwohl das eigentlich keine Sache meiner Generation war. Ich glaube Edith Piaf war schon immer modern, und kann die nachfolgenden Generationen auch heute noch berühren. Ich kann natürlich nicht für eine ganze Generation sprechen: ich kann nur sagen, dass sie mich persönlich sehr berührt. Es gibt viele Leute, die mit Chansonmusik nicht viel anfangen können, aber von Piafs Interpretationen emotional erfasst werden, denn die Art wie sie ihre Musik vorträgt ist einfach nicht an eine bestimmte Zeit oder Generation gebunden.
Herr Dahan, wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, das Leben der Edith Piaf zu verfilmen?
Dahan: Ich bin bei diesem Film nicht von der Musik ausgegangen. Wie viele Franzosen kannte ich natürlich einige ihrer Chansons, aber nicht sehr viel. Ich sah in einem Buch ein Foto der jungen Edith Piaf und ihrer besten Freundin Momone, zu einer Zeit als die beiden noch auf der Straße lebten. Sie sah auf dem Foto aus wie eine Punkerin. Das hat mich einfach fasziniert und so ist dann die Idee zum Film entstanden.
Ich kannte mich im Leben der Edith Piaf nicht sehr gut aus. Ich habe sie wirklich erst im Rahmen der Vorbereitung entdeckt.
Frau Cotillard, Edith Piaf war eine sehr egozentrische Person, lebte ein Leben zwischen Euphorie und Depression. Könnten Sie sich vorstellen mit dieser Frau, wenn sie denn noch leben würde, befreundet zu sein?
Cotillard: Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel! Sie konnte allerdings tyrannisch und egoistisch sein, war aber auch von ungeheurer Großzügigkeit. Ich glaube wenn ich ihr begegnet wäre, hätte ich mich durchaus mit ihr anfreunden können, wenn sie mich denn überhaupt gewollt hätte. (lacht)
Das Verhalten von Edith Piaf scheint durch Drogen, Musik und diverse Abstürze oft sehr Rock’n’Roll inspiriert – wenn sie später gelebt hätte, wäre sie sicherlich eine Ikone wie Janis Joplin geworden, oder?
Cotillard: Ja, ganz bestimmt! Sehr viele Musikikonen haben ja ganz ähnliche Lebensverläufe. Das haben wir bei Ray Charles oder auch Johnny Cash festgestellt, die sind ja auch auf ähnliche Weise wie Edith Piaf, auf der Straße entdeckt worden. All diese Persönlichkeiten sind übersensibel, und wenn man so extrem lebt und gleichzeitig so sensibel ist, führt das auf der einen Seite zu großem Glück, aber eben auch zu Selbstzerstörung.
Herr Dahan, Edith Piaf hatte ein sehr intensives Liebesleben, war dreimal verheiratet, hatte eine tiefe Freundschaft zu Marlene Dietrich. Warum haben Sie nur Marcel als den Mann ihres Lebens dargestellt?
Dahan: Ich wollte ja keine Biographie drehen. Ich hab in den Film nur das hineingebracht, was mir interessant vorkam, und da gehörte Marcel eben dazu. Ich wollte ein Portrait dieser Frau anfertigen, und bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Ich musste mich entscheiden, und diese Entscheidung ist eben sehr subjektiv ausgefallen. Ich wollte nicht all die Prominenten aufspazieren lassen, die irgendwann einmal mit Piaf zusammen trafen, daher auch nur der sehr kurze Auftritt von Marlene Dietrich.
Sie wollten während der Drehbucharbeit niemanden treffen, der Edith Piaf persönlich kannte. Warum?
Dahan: Ich habe alles gelesen was ich über das Leben von Edith Piaf finden konnte, stapelweise Bücher, Briefe und andere Dokumente. Das war meine persönliche Lektüre. Ich wollte schreiben, ohne irgendwie beeinflusst zu werden, durch Menschen, die Piaf wirklich kannten. Nachdem ich das Drehbuch fertig geschrieben hatte bin ich allerdings einer engen Freundin von Piaf begegnet, die über zwanzig Jahre mit ihr zusammen gelebt hat. Das war für mich eine wirkliche Herausforderung, was diese Freundin nach der Lektüre über das Drehbuch sagen würde. Meine Ängste waren allerdings unbegründet, denn sie meinte, ich hätte Edith Piaf durch mein Drehbuch sehr genau und fein charakterisiert. Das hat mich sehr gefreut!