Lars Kraume

Es treibt mich um, was in diesem Land passiert.

Mit seinem Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ widmet sich Regisseur Lars Kraume jenem Staatsanwalt, der in der Nachkriegszeit eine Schlüsselrolle bei der Aufarbeitung des NS-Unrechts einnahm. Im Interview spricht Kraume über Holocaust-Darstellungen auf der Leinwand, die Außenseiterrolle Fritz Bauers und den Antrieb, Filme zu machen.

Lars Kraume

© Lena Kiessler

Herr Kraume, Sie wurden 1973 geboren und sind in Frankfurt aufgewachsen. Wann haben Sie zum ersten Mal von Fritz Bauer gehört, der als Generalstaatsanwalt den ersten Frankfurter Auschwitzprozess 1963 maßgeblich initiiert hatte?
Lars Kraume: Ich habe Fritz Bauer erst durch das Buch „Heimkehr der Unerwünschten“ des französischen Autors Olivier Guez entdeckt. Darin geht es um Juden, die nach 1945 nach Deutschland zurückgekehrt sind und wie es überhaupt möglich war, dass hier wieder ein jüdisches Leben stattfand. In diesem Buch, in einem Kapitel über die 1960er Jahre, taucht Fritz Bauer auf – eine wahnsinnig schillernde, interessante Figur.

Während des Zweiten Weltkrieges hatte Bauer im schwedischen Exil mit Willy Brandt die Zeitschrift „Sozialistische Tribüne“ gegründet. Er kehrte 1949 nach Deutschland zurück.
Kraume: In Olivers Buch geht es allerdings erst um etwas Anderes. Das fängt direkt 1945 an, mit der Situation in den „Displaced Person Camps“, mit den Versuchen der letzten Überlebenden, irgendwie wegzukommen. Aber wenn sie alt und krank waren, wurden sie nirgends aufgenommen, weder in Israel noch in den USA. Überall gab es Einreisebeschränkungen. Über diese letzten Kriegsmonate könnte ich aber keinen Film machen. Ich will keine Deutschen in Nazi-Uniformen und Komparsen in KZ-Häftlingskleidung stecken müssen.

Warum nicht?
Kraume: Ich will das nicht ausschließen, vielleicht werde ich irgendwann mal einen Film über den Krieg machen. Aber bisher hatte ich immer ein bisschen das Gefühl, man kann, vor allem von der Seite der Opfer, nicht jemanden einfach einen Auschwitz-Überlebenden spielen lassen. Das lässt sich meiner Meinung nach nicht spielen, das hat für mich immer irgend etwas Ausbeutendes. Wenn man Claude Lanzmanns Dokumentarfilm „Shoah“ anguckt, weiß man, dass es eine unmenschliche Aufgabe für einen Schauspieler ist, so etwas dazustellen.

Zitiert

Fritz Bauer musste permanent gegen die Windmühlen des Systems ankämpfen.

Lars Kraume

Als Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ in die Kinos kam, gab es mehrere kritische Stimmen, die sagten Lanzmanns Dokumentarfilm, in dem er Überlebende und Täter des Holocaust interviewte, sei bei diesem Thema die einzige zulässige filmische Form.
Kraume: Für mich geht es nicht so sehr darum zu sagen, was zulässig ist und was nicht. Die Frage ist: Was will ich selber machen? Und für mich war angesichts der Biografie von Fritz Bauer dann klar: Über den würde ich gerne einen Film machen, anhand seiner Geschichte kann ich auf andere Weise von der Nazi-Zeit und dem Holocaust erzählen. Dann habe ich begonnen, mit Olivier Guez am Drehbuch zu arbeiten und uns bot dieser spezielle Ausschnitt von Bauers Biografie, seine Jagd auf Adolf Eichmann die nötige Beschränkung, um anhand einer relativ einfachen Geschichte das zu erzählen, was wir an diesem Typen und dem Thema interessant und komplex finden.

Was war das genau?
Kraume: Es beginnt in den 1950er Jahren. Das ist eine Zeit, die einerseits wahnsinnig deprimierend gewesen sein muss. Andererseits ging mit dem Wirtschaftswunder auch die amerikanisch geprägte Halligalli-Kultur los. Wenn meine Eltern von dieser Zeit erzählen, geht es um ihre Tanztees, um ihre Zeit als Teenager und den ganzen Kram. Ich habe mich dann gefragt: Es muss doch in diesem Land spürbar gewesen sein, dass wenige Jahre zuvor überall die Deportationen stattgefunden haben. Da müssen doch noch die Gespenster in den Straßen präsent gewesen sein. Und in dieser widersprüchlichen Zeit verhielt sich Bauer nicht wie viele Opfer. Er kam nach Deutschland zurück, arbeitete als Richter und Staatsanwalt und sorgte sich um die Zukunft dieses Landes. Er sagte: Man muss darüber reden, was passiert ist. Allein das machte ihn schon zu einer Ausnahmeerscheinung.

Im letzten Jahr widmete Alexander Kluge Fritz Bauer einen Erzählband. Der Film „Im Labyrinth des Schweigens“ machte einen von Bauers Mitarbeitern zur Hauptfigur, es gibt seine Fernseh-Interviews auf DVD…
Kraume: Es gab auch eine Wanderausstellung über ihn, vom Fritz Bauer Institut, das an das Jüdische Museum Frankfurt angeschlossen ist. Vor fünf Jahren erschien auch der Dokumentarfilm „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ von Ilona Ziok. Man kann also sagen, dass man sich mit ihm seit 5, 6 Jahren auseinander setzt.

Woher kommt dieses plötzliche Interesse? Bedient das eine Sehnsucht nach positiven Helden aus dieser Zeit?
Kraume: Man kann nur spekulieren, warum manche Themen dann und wann in der Luft zu liegen scheinen. Es gab ja auch mal eine Reihe von RAF-Filmen vor ein paar Jahren. Dass man sich jetzt so mit den 1950er Jahren beschäftigt, hat vielleicht auch damit zu tun, dass die letzten Zeitzeugen langsam sterben. Bei mit ist das natürlich auch so, meine Großeltern sind alle tot. Mit meinen Eltern kann ich noch über die 50er Jahre reden. Und dann wird zu so einem Anlass wie „70 Jahre Kriegsende“ ein Dokumentarfilm wie „Night Will Fall“ gezeigt…

In ihm geht es um Filmaufnahmen, die 1945 im Auftrag der britischen Regierung in befreiten deutschen Konzentrationslagern gemacht wurden, unter anderem von Alfred Hitchcock.
Kraume: Da wird dieses alte Material plötzlich neu präsentiert und einem wird klar: Wahnsinn – die Engländer hatten bisher gar nicht die Nerven, den Deutschen dieses Material zu zeige. Mit einem Mal gibt es all diese Dinge und selbst in unseren Familie gibt es dann riesige Diskussionen: Wer hat wann was eigentlich gewusst? Wir können die 1950er noch nachvollziehen: Sie sind uns, wenn man so will, ganz schön nah. Für meine Eltern ist diese Zeit so nah, wie mir selbst meine Zeit als 20-Jähriger noch nah ist. Das kann man jetzt noch als Geschichtenerzähler angehen, es sozusagen abgreifen und nachfassen.

Burghardt Klaußner als Fritz Bauer © Valentin Menke

Burghardt Klaußner als Fritz Bauer © Valentin Menke


Es fällt auf, dass im Gegensatz zu dem mystischen Titel „Im Labyrinth des Schweigens“, Ihr Titel „Der Staat gegen Fritz Bauer“ sehr hart und konkret ist.

Kraume: Es hat auch lange gedauert, bis ich diesen Titel durch hatte. (lachte) Den wollte keiner aus außer mir, aber er ist Kern dessen, wovon der Film handelt. Da steckt schon dieses Außenseitertum, dieses Dasein eines Einzelgängers von Fritz Bauer drin. Und es klingt gleich nach einem klaren Konflikt. Es ist eine David-gegen-Goliath-Geschichte.

Sie erzählen einerseits, wie Fritz Bauer den damals in Argentinien untergetauchten Adolf Eichmann aufspürte. Andererseits geht es darum, wie Bauers Bemühungen, gegen Nazi-Verbrecher in Deutschland juristisch vorzugehen, behindert wurden.
Kraume: Bauer war ein wahnsinnig isolierter Mann, der überhaupt nicht in das Bild seiner Zeit passte. Die Deutschen wollten schon damals einen Schlussstrich unter ihre Geschichte ziehen. Und dann kam er, als Außenseiter, als Sozialist, der vermutlich homosexuell war, mit einer jüdischen Familiengeschichte aus dem Exil, mitten hinein in ein Land, dass gerade dabei war, sich mit sich selbst wieder wohlzufühlen.

Hat Bauer seine Außenseiterrolle vielleicht auch erst in die Lage versetzt, seine Nachforschungen gegen viele Widerstände überhaupt betreiben zu können? Ist es leichter, als Außenseiter so einen Weg zu gehen?
Kraume: Naja, er war kein Philosoph oder Dichter, der es sich bequem machen konnte, in seiner kritischen Außenseiterposition. In seiner Position musste er permanent gegen die Windmühlen des Systems ankämpfen, hatte ständig mit den Institutionen und Eliten zu tun.

Zudem machte ihn seine Homosexualität angreifbar. Noch 1957 war der §175 in der von den Nazis verschärften Form vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Für homosexuelle Handlungen hätte Bauer fünf Jahre ins Gefängnis gehen können.
Kraume: Er hatte da wahnsinnige Kämpfe auszutragen. Das merkt man auch an seiner verschrobenen, verspannten Gestik und Körperlichkeit, die der Burghardt Klaußner auch so toll spielt, finde ich. Er ist wie ein Roboter, der da versucht durchzukommen. Es war bestimmt nicht bequem für ihn, ein Außenseiter zu sein. Ich glaube, dass er sehr viel lieber viel freier gelebt hätte.

Sie zeigen in einer Einstellung Adolf Eichmann, gespielt von Michael Schenk, in seiner Wohnung in Argentinien. Links an der Wand hängt hinter ihm ein Kruzifix, rechts steht neben ihm eine Likörflasche. Wie kam es zu diesem Arrangement?
Kraume: Ich finde, das klingt super, aber das muss sich zufällig ergeben haben. (lacht)

Im Gegensatz zu einem anderen Detail, den gemusterten Socken, die der sonst eher konservativ gekleidete Fritz Bauer im Laufe des Films plötzlich trägt?
Kraume: Ja, diese Socken standen richtig im Drehbuch. Sie sind der ganz zarte Versuch zu zeigen, dass Bauer natürlich auch das wahrgenommen hat, was in Deutschland in dieser Zeit wieder stattfand: nämlich Mode und Lifestyle. Er sieht das und denkt: Wow! Neben seinen zu kurzen Anzügen und seinen Krawatten kann man so eben zeigen, dass er auch eine lebenszugewandte, humorvolle Seite hatte. Ganz vorsichtig schreit etwas in diesem älter werdenden Mann danach, einfach zu leben, wie wir alle leben wollen, sich auch mal mit unwichtigen Dingen zu beschäftigen.

kraume plakatWarum thematisieren Sie den Tod Bauers 1968 in Ihrem Film nicht? Der Autor Thomas Harlan war sich sicher, dass sich Bauer, mit dem er befreundet gewesen war, das Leben genommen hat, als Reaktion auf das im gleichen Jahr in Kraft getretene Dreher-Gesetz, das vielen Schreibtischtätern aus der NS-Zeit Straffreiheit durch Verjährung zubilligte.
Kraume: Es gibt Spekulationen, ob Fritz Bauer Selbstmord beging, ermordet wurde, oder ob sein Tod einfach ein Unfall war. Ich glaube, dass es ein Unfall war, mit dem wir den Film ja quasi anfangen lassen. Aber wir enden den Film mit einem kämpferischen Bauer, der nicht weichen wird, und das ist meiner Meinung nach der Fritz Bauer an den man sich erinnern sollte.

Abschließende Frage: „Die Deutschen wollen keine Visionen sondern Einfamilienhäuser“, heißt es in Ihrem Film. Haben Sie eine Vision, die über Einfamilienhäuser hinausgeht?
Kraume: Das ist eine Frage, die kann man nicht so leicht beantworten. Ich bin kein Politiker, ich bin nicht unterwegs in dem Geschäft, Visionen zu entwickeln und sie markant in drei Sätzen auf den Punkt zu bringen. Ich mache meine Filme halt, weil es mich umtreibt, was in diesem Land und in unserem Kulturkreis passiert und möglicherweise in naher Zukunft noch geschehen wird. Außerhalb von Bestandsaufnahmen und so einem inspirierenden Beispiel wie dem von Fritz Bauer, habe ich keine plausiblen Antworten auf Ihre Frage. Aber wenn ich eine habe, mache ich einen Film drüber. Ansonsten sind Einfamilienhäuser ja auch eine traumhafte Sache.

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