Long Yu, Sie leiten heute das Shanghai Symphony Orchestra, das China Philharmonic und das Guanzhou Symphony Orchestra. Wie sah die Klassiklandschaft in China aus, als Sie Mitte der 90er, nach Ihrem Studium in Deutschland, in die Heimat zurückkehrten?
Long Yu: Zu der Zeit waren Klassik-Konzerte immer nur einzelne Veranstaltungen. Es gab kein Saison-Programm, keine Konzertreihen, keine Festivals. Deswegen habe ich die letzten 15 Jahre daran gearbeitet, dieses System hier einzuführen. Wir haben angefangen, internationale Künstler nach China einzuladen, ich habe das Bejing Festival und das China Philhamonic Orchestra gegründet, ein Repertoire aufgebaut. Und mit dem Shanghai Symphony sind wir das erste Orchester in China, das ein Kartenabonnement eingeführt hat.
Die internationale Presse beobachtet in China schon seit Längerem eine große Aufbruchstimmung in der klassischen Musik. Wie optimistisch sind Sie?
Yu: Ich denke, was die Zeitungen schreiben, ist immer etwas übertrieben. Unsere Wirtschaft wächst sehr schnell, aber kulturell gesehen entwickelt sich China nur langsam. Ich denke, dass wir uns noch viel mehr mit dem Intellektuellen beschäftigen müssen.
Es wurden in chinesischen Städten einige Konzerthallen gebaut, weil man dachte: Wir brauchen jetzt einen Saal. Aber welches kulturelle Leben hat die Stadt? – Das muss man zuerst etablieren. In dem Punkt bewundere ich Deutschland sehr, weil hier jedes Haus ein festes Ensemble hat.
Was macht für Sie heute den Reiz von Shanghai aus?
Yu: Ich bin hier geboren, ich habe hier meine Musikausbildung begonnen. Und das Shanghai Symphony ist ein sehr spezielles Orchester, das älteste in Asien, dieses Jahr sind wir 135 Jahre alt. Die Stadt hat aufgrund der Geschichte einen großen europäischen Einfluss und in den 1920ern gab es bereits eine große Vielfalt an Kultur, Filmen, Theater oder Malerei. Shanghai entwickelt sich gut und die Leute erwarten hier inzwischen auch mehr internationalen Standard. Wir eröffnen dieses Jahr unsere eigene Konzerthalle und ich denke, unser Saisonprogramm kann mit den großen Orchestern der Welt mithalten.
Und Sie haben wenig Nachwuchsprobleme, viele Kinder in China lernen heute Geige oder Klavier…
Yu: Aber nicht immer geschieht das aus den richtigen Gründen. Viele Eltern wollen, dass ihr Kind der nächste Lang Lang wird, der nächste Klassik-Star. Das gibt es ja auf der ganzen Welt, diese Art von „Tiger Mother“, aber so etwas lehne ich ab. Viel wichtiger ist doch, dass sie die Musik schätzen lernen. Sicher bin ich froh, je mehr Kinder gute Musiker werden. Doch das eigentliche Ziel ist, dass Musik die Fantasie der Kinder inspiriert, die Kreativität. Wichtig ist, dass sie Musikliebhaber werden.
Welche Motivation steckt hinter Ihrem Engagement für die Klassik?
Yu: Es ist einfach mein Beruf, ein Teil meines Lebens und ich liebe die Musik. Da geht es nicht um Geld oder Karriere. Vor kurzem habe ich Mitschüler von früher getroffen, einer ist jetzt Konzertmeister beim L.A. Philharmonic, der andere beim Chicago Symphony Orchestra. Doch als wir damals anfingen, zu studieren, haben wir mit so einem Erfolg gar nicht gerechnet.
Ich freue mich, dass ich auf diesem Weg etwas beitragen kann zur Gesellschaft, zum Leben in der Stadt, in der ich lebe. Und wir haben so viele klassische Musiker in China, sie alle brauchen eine Bühne, um ihre Arbeit zu machen.
Sie haben die Kulturrevolution miterlebt. Welche Rolle spielt das emotional für Sie?
Yu: Das war eine harte Zeit. Uns war nicht erlaubt, klassische Musik aufzuführen – deswegen schätzen wir sehr die heutige Zeit, in der wir spielen können, was wir wollen. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Arbeit, wie wir sie heute machen können, auch genießen.
Wie wichtig war für Sie das Studium in Deutschland?
Yu: Ich gehöre zu der Generation, die nach der Kulturrevolution als erste zum Studium ins Ausland gegangen ist. Und ich bin sehr froh, dass ich in Deutschland studieren konnte. In Berlin ist damals zwischen 1988 und 1992 sehr viel passiert.
Raten Sie heute jungen chinesischen Musikern, im Ausland zu studieren?
Yu: Ich denke, sie sollten hier in China anfangen, aber jeder sollte für das weitere Studium auch ins Ausland gehen. Dabei geht es mir nicht um ein bestimmtes Land, sondern es geht generell um Arbeitserfahrung, Lebenserfahrung und kulturellen Austausch.
Wir versuchen heute aber auch diejenigen, die im Ausland studiert haben, zurückzuholen, weil wir ihnen jetzt bessere Bedingungen bieten können.
Was war das Wichtigste, was Sie in Berlin gelernt haben?
Yu: Das Leben! Ich denke, seit dieser Zeit verstehe ich das Leben viel besser – und dadurch auch die Musik.
Welche Vorbilder haben Sie als Dirigent?
Yu: Sicher war Karajan ein wichtiges Beispiel für mich. Damit meine ich nicht das Dirigieren, sondern wie er für Musiker eine Basis geschaffen hat. Das ist ja in China für die klassische Musik so wichtig: das System, die Plattform zu etablieren.
Sind Sie ein Perfektionist?
Yu: Ja, zumindest versuche ich einer zu sein. Das habe ich in der Tat von Deutschland gelernt. Und ich glaube, deshalb habe ich auch diesen Ruf in China, dass meine Organisation sehr stabil ist und gut funktioniert.