Lothar Bisky

Ich bin Opfer und Täter der Mediengesellschaft

Lothar Bisky über sein politisches Pflichtgefühl, die Fusion von Linkspartei und WASG, das Informationsproletariat, Zerstreuung bei Sabine Christiansen und Politik via SMS

Lothar Bisky

© Daniel Khafif

Herr Bisky, Sie haben im Jahr 2000 den PDS-Parteivorsitz abgegeben und in Ihrer Autobiographie schreiben Sie, dass Sie sich ganz aus der Politik zurückziehen und wieder der Film- und Medienwissenschaft widmen wollten. Seit 2003 sind Sie erneut Vorsitzender – sind Sie ein Politik-Junkie? 

Lothar Bisky: Nein. Ein Schriftsteller, den ich sehr mag, Christoph Hein, hat einmal gesagt, ich sei der „letzte Parteisoldat“. Als ich das das erste Mal hörte, war ich etwas gekränkt. Aber er hat ja Recht: Das ist schon eine Art von Pflichtgefühl, das ich hatte, weil es der PDS plötzlich schlecht ging. Deshalb habe ich es eben noch mal gemacht.
Damit war aber auch klar, dass ich die Professur aufgeben musste, ich bin erimitiert, mit 65, wie jeder andere auch. Es ging mir dann noch um die Frage, wann ich wieder aussteige – die ist für mich inzwischen entschieden.

Und wie?
Bisky: Ich bleibe – wenn mich die Partei solange will – bis 2009. Das ist das Wahljahr, das ist die Stunde der Abrechnung, dann will ich mir von den Wählerinnen und Wählern die Quittung holen.

Und ohne Politik…
Bisky: …kann ich leben. Die zweieinhalb Jahre, die ich nicht Parteivorsitzender war, waren herrlich: Ich habe ein Buch geschrieben, ein Forschungsprojekt begonnen, ich habe mich in meinem Fachgebiet wieder sachkundig gemacht – eine schöne Zeit, die ich nicht missen möchte.

Es war also keine Politiksucht, sondern ein Pflichtgefühl, das Sie dazu bewogen hat, den Parteivorsitz wieder zu übernehmen?
Bisky: Ja, sicher. Ich kann ja nicht sagen, ich bin nur für die Erfolge der PDS zuständig, andere für die Versäumnisse und Niederlagen. Da fühlt man sich insgesamt verantwortlich. Und es war auch Wut! Die Truppe war ja zur Jahrhundertwende ganz gut aufgestellt, und dann liest man: bundesweit drei Prozent. Das hat mich natürlich gefuchst!
Und als dann eine der starken Frauen aus Brandenburg, die Kornelia Wehlan, mich in der Fraktion angegriffen hat, dass ich gar nichts mache, dass wir alle tatenlos zuschauen, wie die Partei kaputt geht, da hat mich das wachgerüttelt. Mit ihrer leidenschaftlichen Rede hat die Konny bewirkt, dass ich nachgedacht habe. Es ging mir ja auch auf den Docht, wenn beim Einkaufen die Leute immer zu mir sagten: „Was ist denn los mit deiner Truppe?“ Das verfolgt einen ja auch.

Sind Sie da ein Stückweit auch Opfer eines gewissen Machtmechanismus in der Politik?
Bisky: Ich bin Opfer und Täter der Mediengesellschaft. Und ich weiß sehr genau, dass das ein teuflischer Mechanismus ist. Man muss bekannt werden, also muss man in die Medien. Damit wird man weiter bekannt, also muss man noch mal in die Medien usw. Das ist ein Teufelskreis, der Menschen auch kaputtmachen, der Charaktere verbiegen und verbilden kann. Nur, welches Kraut ist dagegen gewachsen? Ich habe im Moment keines. Ich leide nicht unter Entzugserscheinungen, wenn ich mal nicht im Fernsehen bin, ich bin nicht mediensüchtig. Aber irgendwann kommt dann die Pressesprecherin und sagt völlig zu Recht: „Jetzt musst du aber.“
Das ist die Dialektik der Mediengesellschaft: Auf der einen Seite ist man Gefangener der Stricke, die man selbst ausgelegt hat. Auf der anderen Seite denkt man als Politiker immer, die Medien sind Instrumente, mit denen man zum Beispiel seine klugen Gedanken in die Welt streuen kann. Aber ich weiß: zugleich zappele ich ja an deren Strippen.

Bei der Wahrnehmung von Parteien und Politikern spielen auch Namen eine große Rolle: Wie wichtig ist für die Fusion aus WASG und PDS der neue Name „Die Linke“ und wie wichtig der Wegfall des Namens „PDS“?
Bisky: Ich wollte den Namen PDS nicht loswerden, ich werde immer sagen, woher ich komme. Das klingt jetzt vielleicht etwas skurril, aber hätte die PDS damals verschwiegen, wo sie herkommt, wäre ich nicht Mitglied dieser Partei geworden. Die SED als Erbe zu haben, ist wahrlich schwer. Aber es zu verleugnen, wäre eine Schweinerei gewesen.
Jetzt sind wir anderthalb Jahrzehnte davon weg und die PDS ist eine ganz andere Partei geworden. Das weiß auch jeder im Osten, deshalb sind wir im Osten stark. Im Westen ist das schwieriger, weil man da die PDS vor allem aus den Medien kennt.

Darauf wollten wir hinaus, wie wichtig ist für die Medien der Wegfall von „PDS“?
Bisky: Im Westen ist das schon wichtig. Die WASG hat gesagt: Wir wollen nicht unmittelbar mit der SED in Zusammenhang stehen. Das stehen sie ja wirklich nicht und sie tun mir manchmal richtig leid, wenn man ihnen jetzt die SED-Geschichte vorwirft. Diese Ausgrenzungspolitik erlebe ich ja im Bundestag: Je größer die Probleme der Regierung werden, desto hässlicher wird die DDR, von Jahr zu Jahr. Aber diese Diffamierung derjenigen, die noch Fragen an den Kapitalismus stellen, das ist ja altbundesdeutsche Sitte. Insofern ist es schon ein Wunder, dass wir im Westen bei der Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde genommen haben.
Also, wir haben beide Prozesse: Auf der einen Seite ist es normal, dass wir für die Vergangenheit gescholten werden – die SED-Milliarden, Stalin, die Mauer, die Stasi usw. – aber auf der anderen Seite gibt es eine zunehmende Sachlichkeit, es werden konkrete Fragen an uns gestellt: Wie wollt ihr das Problem lösen? Welche Vorstellungen habt ihr? Das ist neu.

Das Image der Partei hat sich gewandelt…
Bisky: Für mich ist das eine Art kultureller Sprung, der tatsächlich passiert ist. Man beobachtet das an sich selber, wir verändern uns ja auch. Wir fangen plötzlich an, Dinge zu verteidigen, bei denen ich nicht vermutet hätte, dass wir die jemals verteidigen müssten, etwa das Grundgesetz. Weil das, was auf dem Papier steht und das, was der Verfassungsschutz so praktiziert – also, da weiß ja jeder, dass am Grundgesetz auch gedreht und gebogen wird. Thema Kurnaz oder im Vorfeld des G8-Gipfels. Da zeigt sich doch: Auch der freiheitlich rechtstaatliche Geheimdienst ist und bleibt ein Geheim-Dienst. Alle demokratische Kontrolle der Welt wird das nicht ändern, Geheimdienste haben ihre Regeln. Und da habe ich dann so meine Bedenken.

Sie werden auch vom Verfassungsschutz beobachtet.
Bisky: Das ist für mich dann eher die heitere Seite, dass die mich so aufmerksam beobachten, dass sie eine ganze Dokumentation meines Lebens machen könnten, wenn auch eine verzerrte.
Der große Vorteil im Vergleich zur DDR ist: Die sperren mich nicht ein. Das weiß ich wohl zu würdigen. Auch wenn ich es nicht für gut halte, dass dort sehr gut bezahlte Beamte sehr schlecht geschriebene Berichte über unsere Mitglieder anfertigen. Auch verfälschende Berichte: Meinen Freund Michael Schumann, ein Kämpfer für das Grundgesetz und eine rechtstaatliche Orientierung der Linken, den haben sie immer im Bundesverfassungsschutzbericht gehabt – absurder geht’s nimmer.

Besteht bei der Fusion der PDS mit der WASG die Gefahr, dass man im Osten Wähler vergrämt, die denken: Jetzt werden wir geschluckt von Leuten aus dem Westen?
Bisky: Ja, solche Befürchtungen gibt es: Die Wessis schlucken jetzt die letzte Bastion des Ostens. Aber ich habe da Zutrauen in die Kraft der Ossis.

Aber wie schwer ist es heute für einen Politiker bzw. eine Partei, die Bürger mit der eigenen politischen Position überhaupt zu erreichen?
Bisky: Sicher ist das schwierig. Aber in dem Moment, wo die Interessen von Menschen berührt werden ist die große Chance da. Wir haben es ja geschafft, bei der Hartz-Gesetzgebung eine klare Position zu entwickeln. Die WASG genauso, das hat uns ja auch zusammengebracht.
Von Hartz IV sind viele Menschen betroffen und an der Stelle haben wir deren Interessen artikuliert. Wir haben eine erkennbare Position eingenommen, das ist „Armut per Gesetz“. Dann gab es die Demonstrationen usw. und die Leute haben mitgekriegt: „Aha, das sind die von der PDS.“ So wird man erkennbar.
Auch bei der Rente mit 67, die nichts als eine Rentenkürzung ist. Das haben wir gleich richtig beim Namen benannt. Genauso unsere Ablehnung von Militäreinsätzen in immer mehr Ländern der Welt – das sind inhaltliche Positionen, damit erreichen wir die Öffentlichkeit.
Wir sind 2005 gewählt worden, weil man gehört hat, dass wir auf Straßen, Plätzen und vor den Kaufhallen immer wieder gesagt haben: Wenn man mit Waffen Profit macht, dann produziert man viele Waffen, um viel Profit zu bekommen und schickt die friedensstiftenden Soldaten hinterher. Denn: Mit Waffen kann man tatsächlich schießen! Und das Gesäusel über die Tornados, die da friedlich am Himmel rumkreisen… Das sind Kriegsgeräte! Da haben wir eine deutliche Sprache gesprochen, und das wird gehört. Man muss eben manchmal etwas deutlicher sein als andere, dann hat man das Gehör.

Wie begegnet eine Partei der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft? Als beispielsweise das kommunistische Manifest verfasst wurde, ließ sich die Gesellschaft noch relativ einfach beschreiben. Es gab eine große Arbeiterklasse, wenige Akademiker, wenige Arbeitslose… Heute dagegen gibt es Internet-Junkies, Freelancer, Aussteiger usw. Wie erreichen Sie diese zunehmend ausfransende Gesellschaft in Ihrer Gesamtheit?
Bisky: Wir müssen auf eine Reihe von Fragen anders reagieren als traditionell. Wobei es immer noch eine große Industriearbeiterschaft gibt, deren Interessen zu vertreten wichtig ist. Die wollen wir nicht vernachlässigen.
Aber wir müssen vom Industrieproletariat als alleinigem Adressaten weg und uns um das Informationsproletariat kümmern. Darunter verstehe ich im weitesten Sinne all jene, die Information herstellen, verbreiten, bearbeiten, archivieren. Das ist eine Unmenge von Berufen, die mit der Medienindustrie und der Kulturindustrie zusammenhängen. Die Ansprache des Informationsproletariats gelingt uns aber noch nicht richtig, weil wir inhaltlich nicht richtig darauf vorbereitet sind. Ich selbst wollte da eigentlich meine Forschung fortsetzen, um dem Informationsproletariats auf die Schliche zu kommen. Dafür gibt es bisher zu wenig analytisches Material.

Weil es noch jung ist.
Bisky: Ja. Es gibt natürlich so etwas wie eine Informationsrendite, aber was ist das genau? Das ist alles noch etwas schwammig. Eine Folge ist jedenfalls, dass die Beschäftigungsverhältnisse sehr prekär sind. Da muss ich Ihnen als Journalisten ja nichts erzählen…

…man ist quasi vogelfrei…
Bisky: Ja, der Lohnarbeiter war doppelt frei, das sind Sie mindestens auch. Im Informationsproletariat habe ich sogar den Eindruck, die Leute sind fünffach frei. Das gilt für die Zeilenschreiber, bei denen das Zeilenhonorar immer mehr abnimmt, und es immer mehr entvölkerte Redaktionen gibt. An diese Stelle setzen die großen Zeitungsredaktionen sozusagen ihre Maschinerie, die im Grunde genommen eine gestanzte Zeitung als Produkt herstellt. Die großen deutschen Zeitungen sparen am Feuilleton – na woran denn sonst? Man presst aus immer weniger Leuten mit immer mehr Technik immer größere Gewinne raus. Das ist schon widernatürlich.
Und wenn die Leute was schreiben, was der Gesinnung ihrer Zeitung widerspricht, kriegen sie ihre Zeilen nicht los. Das betrifft natürlich auch andere mediale Bereiche und da sehe ich Gefahren, die in Zukunft noch auf uns zukommen werden.

Als Medienwissenschaftler müssten Sie dafür ja aber ein Stück weit gewappnet sein.
Bisky: Es ist aber noch zu wenig erforscht, da gibt es wenig Empirie.
Die neuen Medien sind auf der einen Seite fürchterliche Instrumente, weil sie uns noch medienabhängiger machen. Andererseits haben wir das Internet als Befreiungsmaschine. Das ist die Dialektik der Mediengesellschaft. Ich bin kein Mediengegner, ich wäre ja verrückt. Ich sehe auch in der Massenkultur im traditionellen Sinne sehr kreative Elemente und Vorgänge, die für die Kulturentwicklung der Menschheit von großer Bedeutung sind.
Aber die sozialen Folgen sind anders als beim Industrieproletariat und ich glaube, die neue Linke ist gut beraten, sich auf diese einzustellen.

Inwiefern hat Ihnen denn Ihre Tätigkeit als Medienwissenschaftler in der DDR geholfen, als Sie später in die Politik gegangen sind?
Bisky: Ich war besser in der Ausbildung als in der Ausführung…

Immerhin haben Sie in der DDR mehrere Bücher über die Massenmedien veröffentlicht.
Bisky: Natürlich, das hat geholfen. Die Medienwelt war für mich keine fremde Welt.

Wie zufrieden sind Sie denn heute mit den Massenmedien, in Hinblick auf die Vermittlung von Politik? Nehmen wir als einfaches Beispiel die „Tagesschau“…
Bisky: Die Story-Erzähler der Tagesschau stutzen den Tag mundgerecht zurecht, die große Aufklärung ist das nicht immer. Das ist jetzt keine Klage, ich sitze da nicht als Kulturkritiker am Rande. Hellauf begeistert bin ich trotzdem nicht. Wir haben überall eine gewisse Nachrichtenschlamperei, die mag ich nicht und die will ich kritisieren dürfen. Genauso wie man die Gesinnungspresse kritisieren muss, die in Deutschland ja vorwiegend konservativ ist.
Aber davon abgesehen: einerseits habe ich mich damals in den 70er geirrt. Die Abhängigkeit der Medien von Besitz ist nicht so direkt, wie ich es angenommen habe. Sie ist subtiler. Und gründlicher.
Auf der anderen Seite, die heutigen Eigentumsformen, also die Pressefreiheit als Freiheit einiger 100 reicher Leute, ihre Meinung zu verbreiten – diese Analyse stammt jetzt nicht von mir, sondern ist als Spätfolge der 68er aus West-Deutschland gekommen. Die Abhängigkeiten im Medienbereich sind ja insgesamt nicht so geartet, dass sie zu einer großen Befreiung der Medien geführt haben, und der Menschen, die dort arbeiten. Sondern wir haben eine Unmenge von Abhängigkeiten der Beschäftigten, der Produzenten und der Verbraucher, die darauf angewiesen sind. Für diese muss sich die Linke einsetzen.

Ein Aspekt Ihrer damaligen Kritik war, dass die Menschen durch Show und Inszenierung von den eigentlichen Inhalten abgelenkt werden…
Bisky: Was ich damals kritisiert habe – „The show must go on“ – dazu kann ich stehen, manches würde ich heute etwas anders akzentuieren, aber in der generellen Tendenz, dass vorwiegend eine Show inszeniert wird, da habe ich nichts zurückzunehmen. Ich bin zwar nicht bei Neil Postman gelandet, für den sich die Welt zu Tode amüsiert, aber er hat in der Radikalität seiner Kritik in vielen Punkten Recht behalten. Das ist nicht Aufklärung, was mir da von früh bis spät entgegenschwappt – sondern sehr viel Zerstreuung.

Ist zum Beispiel die Talksendung von Sabine Christiansen Zerstreuung?
Bisky: Aber selbstverständlich. Das ist Politik so wie früher die White-Collar-Society: der Angestellte in Berlin, der redlich seine Ärmelschoner anhat – so kann er sich die Welt vorstellen. Wunderbar, alles angenehm, alles toll. Die Talkshow ist das bronzene Denkmal vom Ende der Aufklärung! Talkshows sind keine Aufklärung, es ist kein Diskurs. Die Talkshows lösen nur die Probleme, die es ohne Talkshows nicht gäbe. Das ist eine Grundregel, an die kann man sich halten.

Als Spitzenpolitiker kommen Sie an den Talkshows aber auch nicht vorbei.
Bisky: Ich muss aber eine Talkshow nicht schön finden, um dort teilzunehmen. Ich drängle mich nicht. Wir haben ja zum Glück zwei – Gregor Gysi und Oskar Lafontaine – die das gut können und die das auch lieber machen als ich.

Sie haben sich also bei Sabine Christiansen nicht wirklich wohl gefühlt.
Bisky: Nein. Wer mich kennt, wird mir das auch angesehen haben.

Sie haben vorhin Neil Postman erwähnt und sein Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“, das er Mitte der 80er geschrieben hat. Das war auch die Zeit, als in Westdeutschland die Grünen erstmals in den Bundestag einzogen. Wie hat man damals in der DDR den Grünen-Aufstieg bewertet? War das für Sie etwas Neues, was da im Westen passiert ist?
Bisky: Selbstverständlich. Es gab ja damals – man stelle sich das vor – Linke bei den Grünen. Das ist ja heute unvorstellbar geworden. Es hat auch eine linke Medienkritik gegeben, es hat eine solide marxistische Analyse gegeben. Dagegen waren wir in der DDR noch harmlos. Die haben den Klassenbegriff wirklich ernst und gründlich durch ihre Schriften gezogen. Davon habe ich viel gelernt, und manches auch übernommen.
Manches hat man auch selbstständig gemacht. Ich habe mir damals zum Beispiel gesagt, wenn man etwas über Show schreibt, dann muss man das auch analysieren. Also habe ich „Dallas“ analysiert – davon hätte ich leben können in der DDR.

Wie meinen Sie das?
Bisky: Mich hat es immer wieder überrascht, dass fast jeder alle Figuren aus „Dallas“ kannte. Wenn ich „Dallas“ analysiert habe, war es ringsherum mucksmäuschenstill, die Leute waren sehr aufmerksam, die kannten sich da offensichtlich schon besser aus als ich, waren abends geistig im Exil, mit dem Westfernsehen. Wir kannten uns wirklich aus in der westlichen Vergnügungswelt.

Wenn man nun Ihre Bücher von damals liest, hat man den Eindruck, Sie hätten eine große Abscheu gehabt gegenüber der ganzen Unterhaltung aus dem Westen – war diese Abscheu nur gespielt? War die übertrieben?
Bisky: Nein. Das war meine Illusion – die ich übrigens mit einer Menge West-Soziologen geteilt habe. Ja, ich habe eine aufgeklärte Welt gewollt und bin in dieser Frage Utopist geblieben. Ich hänge an der Aufklärung und sehe mit Sorge, wie schwer sie es hat. Obwohl es auch tolle Medien gibt.

Wie sind Sie eigentlich zum Film gekommen, was hat Sie an dem Medium interessiert? War Film für Sie vielleicht auch eine Art Ersatzwelt, eine Idealwelt?
Bisky: Mich hat Film einfach fasziniert. Vielleicht bin ich ein visueller Typ. Ich bin mit den Filmleuten jedenfalls relativ früh in eine produktive Beziehung getreten. Heiner Carow hat in meinem Leben eine große Rolle gespielt, ich kannte eine Menge guter Regisseure, auch von der DEFA. Ich war damals bei der Jugendforschung und die haben mich gefragt: Wie kommt ein Film bei Jugendlichen an? So habe ich mich dann immer mehr in diese Filmwelt verstrickt. Wenn einer einen neuen Film machen wollte, kam er zu mir und meinen Kollegen und hat gefragt, welche Interessen Jugendliche haben, wie das mit der Musik ist… Wir wussten das auch, weil wir ja auch die Westsender empirisch ganz genau untersucht haben.

Sie haben das dann auch bei anderen Medien untersucht.
Bisky: Ja, bei mir sind auch Doktorarbeiten geschrieben worden, wo getestet wurde, wie eine bestimmte Argumentation in einer Zeitung ankommt, was bei den Lesern haften bleibt. In der „Jungen Welt“ wurden damals historische Tatsachen mitgeteilt, die in keiner anderen Zeitung veröffentlicht wurden. Und danach wurde ermittelt, wie viel das aufregt. Wir haben auch untersucht, wie ein deduktiver und wie ein induktiver Stil wirkt, und haben nachgewiesen, dass der induktive Stil, bei dem man versucht, den Leser zu Schlussfolgerungen zu bringen, natürlich viel wirksamer ist, als der deduktive.

In Ihrem Buch „Die massenideologische Erziehung der Jugend“ geht es darum, wie man als Medienschaffender beim Leser eine sozialistische Persönlichkeitsbildung erreicht. Auf der anderen Seite haben Sie aber den westlichen Gesellschaften vorgeworfen, dass sie die Massenmedien für ihre Ideologie missbrauchen. War das für Sie persönlich kein Widerspruch?
Bisky: Nein.
Sie können mir eines berechtigt vorhalten: Ich war Sozialist und habe viele Irrtümer des Realsozialismus geteilt. Man lügt sich ja etwas ins eigene Leben hinein, wenn man so tut, als wäre man nicht davon überzeugt gewesen. Ich war davon überzeugt, dass der Sozialismus eine Perspektive hat und dass er seine Hässlichkeiten bald ablegen kann – das war die Hoffnung, nur diese Hoffnung war falsch und das muss ich heute eingestehen.
Was ich mir und meinen Büchern vorwerfe, ist, dass ich die eigene Unterhaltung der DDR nicht genauso kritisch analysiert habe wie die des Westens. Das macht das Ganze fragwürdig, das lasse ich mir auch vorhalten, da gibt es überhaupt nichts dran zu beschönigen. Das war ein Fehler.

Sie haben damals zum Beispiel gegen das Horror-Genre gewettert – wie stehen Sie heute dazu?
Bisky: Das war ein bisschen ideologische Verblendung. Die habe ich dann aber später an der Filmhochschule überwunden. Da wurden auch solche Filme ganz nüchtern analysiert.
Es ist übrigens meine feste Überzeugung gewesen, dass jemand, der Film studiert, auch ins westliche Ausland fahren muss. Weil ohne Weltkenntnis kann man keinen vernünftigen Film machen. Aber damit bekam ich auch Ärger, das war nicht gewollt.
In der DDR war vieles möglich, man konnte Spielräume nutzen. Bei uns hat auch die „Hörzu“ ausgelegen. Das war möglich in der DDR, auch wenn es da manchmal Ärger gegeben hat. Aber wir brauchten die „Hörzu“, weil die Studenten wissen mussten, was wann wo läuft.
Ein Film wie „Spur der Steine“ ist eben auch gedreht worden. Und so sehr ich mich beklagt habe, als einmal zur Dokumentarfilm-Woche in Leipzig kein einziger Studentenfilm laufen sollte, so empfand ich es doch als große Anerkennung dass das Zentralkomitee – das Zentrum der Macht – sich unsere Studentenfilme angeguckt hat, weil man die für gefährlich hielt.

Heute verbreitet sich in vielen Ländern Protest und Widerstand über das Internet. Was denken Sie, wenn es in der DDR bereits in irgendeiner Form das Internet gegeben hätte, wäre die DDR dann schneller zugrunde gegangen?
Bisky: Von meinem ältesten Sohn stammt ja die These, die DDR mit Handys wäre nicht vorstellbar. Da hat er Recht. Das geht nicht, da hat diese Dialektik der Medienwelt ja auch ihre tödlichen Wirkungen für repressive Systeme.

Aber ein repressives Regime wie China hat beispielsweise alle Internet-Server unter seiner Kontrolle, kann zensieren und Widerstand unterdrücken. In Deutschland gibt es die Diskussion um die Online-Durchsuchungen. Wie ist Ihre Prognose, werden die neuen Medien zu mehr Freiheit oder zu mehr Überwachungsstaat führen?
Bisky: Also, ich gehe da in die positive Richtung und sage: Man muss so viel Informationen produzieren, dass die Überwachung der Information so viel Zeit verschlingt, dass man sie nicht mehr bewältigen kann. Sicher ist die Überwachung eine Gefahr, ja. Ich persönlich habe damit aber kein Problem, ich weiß ja, dass das übers Handy geht, oder über mein Navigationsgerät im Auto. Wenn der Verfassungsschutz wissen möchte, wo ich bin – kann er das sehen. Die können ja auch Mitschnitte am Telefon machen. Also, das Klicken in der Leitung hat mich auch zu DDR-Zeiten nicht so gewaltig beeindruckt, dass ich mir deswegen eine zweite Existenz, also eine Telefon-Existenz zugelegt hätte.

Geht heute eigentlich viel Politik übers Handy?
Bisky: Ja, heute geht viel übers Handy.

Per SMS?
Bisky: Ja, natürlich. Mich hat das anfangs geärgert. Ich habe doch junge Stellvertreterinnen und als die eine, Katja Kipping, anfing, mir SMS zu schicken, da hat mich das natürlich auf die Palme gebracht! Da habe ich gesagt: Na warte, jetzt wirst du mit SMS zugeschüttet – und ich kann’s inzwischen, das ist für mich heute ein ganz normales Instrument.

Als Politiker muss man sich heute offenbar auch einigermaßen mit der Technik auskennen…
Bisky: Ja, vor allem E-Mail und die Textverarbeitungsprogramme, weil man sonst absolut abhängig von Sekretärinnen, von Büros wird, wenn man nicht in der Lage ist, alles selber zu produzieren. Die Textverarbeitung ist meine Befreiung.

Uns würde zum Abschluss noch eine Sache interessieren: Man sieht immer wieder, wie gerne sich die PDS und SPD umtanzen, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Aber warum gibt es bisher so wenig Annäherung zwischen der PDS und den Grünen? Wo es doch im Grunde sehr viele Schnittmengen gibt?
Bisky: Ja, das frage ich mich auch manchmal. Ich habe 1994 in einem Zeitungsartikel geschrieben: „Die Grünen sind die Oppositionellen im Westen – wir sind die Oppositionellen im Osten.“ – in dem Sinn: Eigentlich müssten wir viel mehr Gemeinsamkeiten mit den Grünen haben als mit der SPD. Dieser Artikel ist aber nicht auf Gegenliebe gestoßen, es gab keine Resonanz, nirgends. OK, das musste ich dann einfach einsehen.

Wo sehen Sie denn heute die Grünen?
Bisky: Die Grünen haben sich sehr verändert. Und den Artikel von damals würde ich heute so nicht mehr schreiben. Weil seit die in der rot-grünen Bundesregierung waren, seit dem Krieg in Jugoslawien und der unsozialen Agenda 2010 haben sich unsere Wege gegabelt. Das war die Entscheidung. Seit dem zeigen die Grünen immer mehr ein für Renegaten geradezu klassisches Verhalten, in dem sie heute kreischen, wenn ein Linker sagt, „ich bin gegen Militärseinsätze“. Das war damals noch nicht klar.

Wie kommt es denn, dass Allgemein die Linken untereinander zerstrittener sind als die Konservativen?
Bisky: Das hat eine innere Logik: Die Konservativen wollen ja bewahren und dafür braucht man sehr viel Verstand. Aber wenn man etwas verändern will, braucht man noch mehr Verstand. Und auch mehr Streit. Ich glaube, das liegt ein bisschen in der Natur der Sache, die Linken sind immer auch Weltverbesserer, mit den guten aber auch den schlechten Seiten. Letzteres sind Rechthaberei, der erbitterte Streit um Banalitäten, und dass oft die Ideologie viel ernster genommen wird als die Realität.

In zwei Jahren wird man Die Linke auf Bundesebene wählen können und nicht wenige sagen Ihrer Partei schon jetzt gute Chancen beim Wähler voraus. Daher abschließend die Frage: wie sehen Sie das Verhältnis der Linken zur Macht? Prinz Philip, der Ehemann der Queen, hat ja einmal über Tony Blair gesagt: Um Blairs linke Ideologien loszuwerden müsse man ihn nur an die Macht lassen.
Bisky: Ja, da ist was dran. Ich habe großen Respekt vor den korrumpierenden Einflüssen der Macht. Und die Linken sind am Ende auch nicht a priori bessere Menschen, sondern sie sind ganz einfach Menschen. Sie sind nicht Jesus, sie haben keinen Heiligenschein, insofern sind sie genauso gefährdet. Macht ist eine große Gefährdung für die Linken. Aber sie haben keine andere Wahl, wenn sie ernsthaft Politik betreiben und zeigen wollen, dass sie es besser können. Das geht nur über praktische Politik, das heißt, sie müssen es dann auch machen. Und wenn sie da versagen, werden sie zu Recht abgewählt. Das ist ein bitterer Weg, aber es ist nicht billiger zu haben.
Ich selbst allerdings werde in die Versuchung der Macht nicht mehr kommen, das ist dann biografisch korrekt, insofern passt das.

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