Lotto King Karl

Es gibt ein Leben nach Gottschalk.

Lotto King Karl über seine Faszination für Motorsport und Fußball, Arbeitspensum, den Kinofilm "Der letzte Lude", seine Konzerte, die "Bierdusche" und Humor in Zeiten von Krieg und Terror

Lotto King Karl

© Michow Concerts

Lotto, wie geht’s deinem sagenumwobenen "Silbermärzer"?
Lotto: Dem Auto geht’s fantastisch und obwohl er schon tierisch alt ist, schiebt er noch immer wie ’ne Sau! Wenn man aber so richtig schnell fahren will, sollte man schon einen Sportwagen nehmen. Der Silbermärzer schafft zwar im Schnitt 200 km/h, hat aber dafür eine schwere Lenkung und damit kann nicht jeder umgehen.

In dem Song "Das schlimmste was passieren kann…" aus dem Jahr 2000 hast du einmal beschrieben, wie der "Silbermärzer" das Zeitliche segnet und einen tieftraurigen Besitzer zurücklässt. Ist diese Geschichte real?
Lotto: Nee, wir haben uns nur ausgemalt, wie es wäre, wenn die Karre wirklich mal im Arsch ist.

Wie würdest du reagieren, wenn diese Fiktion einmal Wirklichkeit wird?
Lotto: Ich würde diesen Wagen immer reparieren lassen, weil der schon echt was besonderes und mittlerweile auch auf dem Weg zum ‚Youngtimer‘ ist. Das ist ja noch so ein Saab Cabrio von ’87. Den könnte man jetzt anfangen zu restaurieren und vielleicht kriegt man dann in zehn Jahren sogar richtig Geld dafür.

Wie erklärt sich eigentlich dein Faible für Autos und Motorsport?
Lotto: Ich finde Autos einfach faszinierend und oft auch wahnsinnig praktisch. Ich nehme ja gelegentlich an Kart- und Autorennen teil, weil man da heizen kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben oder Strafzettel zu kriegen. Ich bin definitiv ein Geschwindigkeitsfreak und liebe das Gefühl mit 200 km/h über die Bahn zu brettern!

Inwiefern kann man diese hohe Geschwindigkeit auf deinen Lebensstil übertragen?
Lotto: Ich bin sehr perfektionistisch veranlagt und versuche, in dem, was ich mache auch wirklich gut zu sein. Ich habe schon immer versucht, Grenzen auszuloten und mit einer Sache oder einer Tätigkeit so weit zu gehen, wie es nur irgendwie geht. Das erfordert natürlich eine enorm hohe Konzentration und großes Durchhaltevermögen und hat gar nicht mal so viel mit Geschwindigkeit zu tun. Ich fahre diese Autorennen ja nicht, weil ich allein geil auf die Geschwindigkeit bin, sondern weil ich mich einfach selbst prüfen will: wie weit ich mich in diesen Bereich hinein wagen kann ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren und abzuheben. Ich bin auch bereit, mich für eine Sache zu quälen und gebe nicht dem ersten Widerstand nach.

Seit zehn Jahren existieren nun "Lotto King Karl & Die Barmbek Dreamboys", darüber hinaus betreust du dein eigenes Label, moderierst eine Sendung bei Radio Hamburg, bist Stadionsprecher bei den Heimspielen des HSV… – das klingt nach ziemlich viel Arbeit.
Lotto: Ich arbeite wirklich sehr viel und durch die regelmäßigen Auftritte am Wochenende komme ich locker auf ’ne 80-Stunden Woche. Und wenn wir nicht spielen, fahre ich ein Kartrennen und bin am nächsten Tag so groggy als wenn ich acht Konzerte gegeben hätte. Oft renne ich halt auch von Termin zu Termin, es gibt Tage an denen man drei Interviews an drei verschiedenen Orten macht und zwei Mal zwischendurch ins Flugzeug steigt. Das zehrt schon an dir, bei fünf verschiedenen Klimaanlagen am Tag wird die Energie auch merklich weniger. Doch trotz des ganzen Stress‘ gibt es auch viele schöne Momente. Wenn du vor Tausenden von Fans stehst, alle deine Texte mitsingen und eine einzige Party feiern, dann bist du wie elektrisiert und wirst motiviert, weiterzumachen, weil du ja auch die Fans nicht im Stich lassen willst. Es ist aber auf keinen Fall so, dass du nur einmal in der Woche auf die Bühne fällst, dich abfeiern lässt und dann vom Geld wieder rausgetragen wirst. Deshalb finde ich es auch wichtig, den Leuten klarzumachen, dass das Musikbusiness sehr hart ist und viele Opfer von einem verlangt und dass man eigentlich nie einen geregelten Feierabend und Lebensrhythmus hat. Insofern will ich den Fans auch sagen: wenn ihr CDs brennt, klaut ihr uns das Rückgrat und wenn ihr das lange genug macht, müssen wir alle wieder irgendwo nachts auf Schicht arbeiten wie früher und können abends nicht mehr auftreten. Also, wenn ihr uns auftreten sehen wollt, dann wäre es toll, wenn nicht alle kopieren würden.

Trotz des großen Arbeitspensums gibt es bei dir hin und wieder auch kleine Seitenprojekte, wie beispielsweise einen Gastauftritt als Fußballtrainer in dem Low-Budget-Jugendspielfilm "Verliebt, na und wie!".
Lotto: Ja, wenn Zeit da ist, bin ich bei solchen Projekten auch gerne dabei. Die Sache ist ja folgende: wenn du in diesem Business anfängst, das von Popularität lebt, bist du natürlich geil auf alles, was dich überhaupt in die Zeitung bringt und das musst du auch sein, sonst kommst du keinen Schritt weiter. Natürlich musst du dann irgendwann aussieben, doch ich versuche mich immer dahingehend zu ermahnen, indem ich mir sage: vor neun Jahren wäre ich durchgedreht und hätte alles abgesagt, um bei einem Filmprojekt dabei zu sein. Warum sollte ich dann heute, wenn ich einfach nichts vorhabe an diesem Vormittag oder andere Sachen verschieben kann, an so einem Projekt nicht teilnehmen?

Zumal Fußball nach den Autos ja deine zweitgrößte Faszination zu sein scheint.
Lotto: Ich bin definitiv ein fußballbegeisterter Mensch und ich denke, dass 70% der deutschen Bevölkerung diese Leidenschaft mit mir teilen! Das heißt, wenn der Dalai Lama stirbt, wird man das zur Kenntnis nehmen und sicherlich wird es auch einige Menschen emotional treffen. Doch es wird nicht so eine große Diskussion losbrechen, wie letztes Jahr über die Frage: wer wird neuer Bundestrainer?

Bist du denn der typische Fußballzuschauer, der die Spieler und Mannschaften vom Fernsehsessel aus beurteilt und kommandiert?
Lotto: Wenn es um Mannschaften geht, die mir wirklich am Herzen liegen, bin ich als Zuschauer schon extrem zitterig, nervös und schreie dann auch mal rum. Ansonsten kenne ich halt einige Fußballer persönlich und habe auch einen ganz guten Einblick gewinnen können, wie dieses Business läuft und wie hart teilweise auch die Konkurrenz zwischen den einzelnen Spielern einer Mannschaft sein kann. Dadurch bin ich natürlich in gewisser Weise befangen und dieser persönliche Bezug nimmt mir dann viel vom reinen Fan-Sein. Das war so eine ähnliche Situation, als wir den Film "Der letzte Lude" abgedreht hatten: danach habe ich bestimmt ein Vierteljahr echt Probleme mit Kinofilmen gehabt, weil mir ständig Anschlussfehler auffielen. Ich sehe dann nur noch, wo der Schauspieler einen Knopf im Sacko auf hat, obwohl er vorher zu war, dass ein Auto auf einmal verkehrt herum steht usw. Das sprudelt dann aus mir heraus und damit versaue ich den anderen immer den Kinoabend. Deshalb habe ich dann eine Zeit lang nur noch Fußball und die "Simpsons" geguckt, damit ich die Leute nicht mehr nerve.

Hat dich die Arbeit an "Der letzte Lude" auch abgeschreckt, einen weiteren Kinofilm zu drehen?
Lotto: Die Filmwelt ist schon bizarr und es ist erstaunlich, was für Leute sich da abfeiern lassen, obwohl sie eigentlich nur Dienstleister sind, die ein Produkt herstellen, um es schließlich dem Publikum zu verkaufen. Du musst dich als Schauspieler einfach darauf einstellen, dass du von links nach schräg geschickt wirst und dass es wichtiger ist, dass der Aufnahmeleiter jeden Tag zu seiner Alten fliegen kann, als dass die Schauspieler etwas zu essen kriegen. Du bist der Arsch für die Leute und das lassen dich viele auch ganz deutlich spüren! Die Macher der Filme sehen sich als die großen Paten, die alles organisiert und ermöglicht haben und dann kommst du als Schauspieler und setzt halt deren Willen um. Man muss natürlich auch sagen, dass es letztendlich die Schauspieler sind, die später die Anerkennung vom Publikum bekommen und auf der Straße angesprochen werden. Aber du bezahlst für diese Aufmerksamkeit schon einen relativ hohen Preis.

Der Film wurde von Münchner Verleih Constantin Film gedreht, wohingegen du ja vor allem im Norden zuhause bist. Hatte das auch mit dieser Diskrepanz zu tun, dass der Film letztendlich kein großer Erfolg geworden ist?
Lotto: Nein, das würde ich so nicht sagen! Ich denke, dass "Der Letzte Lude" letztendlich daran gescheitert ist, dass die Promotion einfach miserabel lief und die existierenden Potentiale nicht entsprechend genutzt worden sind. Das alles konnte ich auch nur zu einem kleinen Teil mitbestimmen. Und zur Band: die Tatsache, dass wir in Hamburg 15.000 Karten verkaufen, bedeutet ja nicht, dass es scheiße ist, in München nur 500 Leute zu ziehen. Sicherlich gibt es für uns ein großes Gefälle zwischen dem Norden und dem Rest des Landes. Da spielen wir immer noch in der 2.Liga um den Aufstieg mit, während wir hier im Norden mit den Auftritten in der Color Line Arena sicherlich schon den Höhepunkt erreicht haben. Wir wollen uns darauf aber nicht ausruhen, sondern spielen auch weiterhin auf Hochzeiten von Fans oder geben Privatkonzerte. Das ist dann der Moment, wo du genau da landest, wo du irgendwann mal angefangen hast.

Kommt es auf Hochzeiten auch zu der berühmten "Bierdusche"?
Lotto: Nee, das findet eher in kleinen, stickigen Clubs statt. Wenn kein Wasser mehr da ist, gießt du dir halt Bier über den Kopf, was natürlich Schwachsinn ist, denn die ersten fünf Liter Flüssigkeit, die du dir über den Kopf gießt, werden aufgebraucht von Rauch, Schweiß und Sabber, der von deinem Kopf runterläuft. Aber bei Bier hat man immer noch das Gefühl, dass es ja gut für die Haut ist und auch die Promillezahl hochschraubt. Ich weiß aber eigentlich gar nicht genau warum die Leute das so abfeiern, denn genau in der Phase, als das anfing "in" zu werden bin ich von der Publikumsseite auf die Bühne gewechselt und konnte das gar nicht mehr so mit verfolgen.

Wird denn nur mit "Holsten Pilsener" geduscht?
Lotto: Das ist eigentlich egal, man darf das gar nicht so religiös sehen! Holsten ist einfach das Bier, mit dem ich aufgewachsen bin. "Holsten knallt am dollsten!" das war das Motto. Holsten" war auch das Bier, das man in den 80er Jahren am leichtesten bekommen konnte und somit unser Bier. Ganz angesagt ist natürlich auch "Becks", denn egal wo du auf der Welt bist, dieses Bier gibt es echt überall und das ist schon echt abgefahren. Flensburger war eine Zeit lang auch total angesagt, wegen Werner, oder auch "Einbecker Urbock", was aber so ein richtiger Schädelspalter war und du eigentlich das Gefühl hattest, gerade Gulaschsuppe mit Kohlensäure zu trinken.

Was ist mit "Astra"?
Lotto: Als ich und meine Kumpels damals als Packer gearbeitet haben, nannten wir "Astra" immer "Maurer-Pisse-aus-der-Handknolle" und gebrauchten so Wörter wie "Gerüstbauer-Cocktail", also vor 11 Uhr Morgens ein Bier und ein Korn trinken.

War deine Zeit Arbeit als Packer eigentlich auch etwas, was dich später inspiriert hat?
Lotto: Sicherlich wurde ich durch dieses Leben und die damaligen Umstände stark geprägt. Der Vorteil ist, dass mir die Leute das heute auch nicht übel nehmen, wenn ich mal einen Witz über Packer mache, weil ich ja selber einer war und mich trotz des Erfolgs immer noch als einer von denen sehe. Ich habe mit diesen Menschen monatelang gearbeitet und bin immer mit ihnen zurecht gekommen. Ich habe auch großen Respekt vor den Leuten, die diesen Job noch immer durchziehen, denn da stößt du physisch schon an deine Grenzen und kannst diese Arbeit sicherlich auch nicht bis zum 80.Lebensjahr ausüben. Diese Arbeit hat aber einen entscheidenden Vorteil, den ich bei meinen jetzigen Aktivitäten oft vermisse: wenn du nach der Arbeit nach Hause kommst, tut dir alles weh aber du weißt, was du geleistet hast – und schläfst wie ein Stein. Wohingegen meine heutigen Aufgaben sehr viel mehr mit dem Kopf zu tun haben, ich ständig in Tausenden Verknüpfungen denken und planen muss. Das ist eine ganz andere Ebene!

In einer schwierigen Situation warst du ja mit deiner Band , als ihr wenige Tage nach dem 11. September ein Konzert im Hamburger Stadtpark geben solltet. Wie seid ihr damit umgegangen?
Lotto: Wir waren unmittelbar nach den Anschlägen neben dem HSV die einzige Großveranstaltung in Hamburg und da haben wir uns natürlich viele Gedanken im Vorfeld gemacht und standen vor einer sehr schwierigen Entscheidung, ob wir den Auftritt nun durchziehen oder abblasen. Wir machen zwar nicht unbedingt Comedy, aber zumindest ist es Unterhaltung. Wir haben uns dann gefragt, welche Songs wir überhaupt spielen können, und da flogen dann Stücke wie "Das ist wie Fliegen" oder "Wir sehen uns oben" aus der Playlist raus. Ein Freund von mir aus New Jersey, der damals in Hamburg gelebt hat, hatte sogar Verwandte in New York, die durch Zufall zu spät zur Arbeit im World Trade Center gekommen sind, und deshalb überlebt haben. Ich habe mich dann mit ihm über unser Problem unterhalten und er sagte mir: "The Show must go on!", was sicherlich auch die Mentalität vieler Amerikaner widerspiegelt. Wir haben das Konzert dann durchgezogen, denn man darf vor dem Terror nicht in die Knie gehen.
Auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass man, wenn man in solchen Zeiten ein Konzert vor tausend Leuten gibt, auch eine große Verantwortung trägt, vor allem, wenn nicht mehr vorauszusehen ist, wo das nächste Attentat stattfinden wird.

Zitiert

Ich arbeite wirklich sehr viel und durch die regelmäßigen Auftritte am Wochenende komme ich locker auf 'ne 80-Stunden Woche.

Lotto King Karl

Die Nachrichten sind immerzu voll mit Kriegen, Konflikten, Hungersnöten – glaubst du, das wird sich eines Tages wieder bessern?
Lotto: Nein, ich glaube, dass die Zivilisation, so wie wir sie heute haben, noch maximal 100 Jahre bestehen wird. Ich gehöre glücklicherweise noch zu der Generation, die mit einem blauen Auge vielleicht noch 90 werden kann – das war’s dann aber auch. Mir tun die Kinder leid, die das ganze Chaos, was wir hier jeden Tag fabrizieren, irgendwann vererbt bekommen. Wie willst du deiner fünfjährigen Tochter erklären, was tag täglich in der Welt passiert: diese Enthauptungen, dieser Barbarismus, der da stattfindet und dieser religiöse Schwachsinn. Es gibt eben Menschen auf dieser Welt, die gehen an das Töten mit einer Selbstverständlichkeit ran. So, wie wir es hier als selbstverständlich ansehen, einer alten Frau über die Strasse zu helfen, gibt es Leute, für die jeder Amerikaner oder Israeli getötet werden muss, wenn man ihn nur sieht. Das ist für die wie Schuhe-Zubinden. Das muss man aber auch versuchen zu verstehen. Und da hat die Welt nach dem 11. September die große Chance verpasst, da hat man es verpennt, solche Dinge den Leuten zu erklären.

Wie beurteilst du denn die Medienberichterstattung hinsichtlich solcher Ereignisse, insbesondere nach dem 11.September?
Lotto: Spätestens zehn Minuten nach dem zweiten Einschlag in das World Trade Center war alles, was wir im Fernsehen verfolgen konnten, reine Propaganda. Sicherlich ist die Propaganda, wie sie CNN oder NBC macht, noch relativ nah an der Wirklichkeit dran und im Prinzip auch gar nicht schlecht, denn sie lenkt die Leute. Es nützt dir nichts, wenn du sagst, ich mache keine Propaganda und riskiere dadurch Plünderungen und ein Aufruhr im Volk, weil Panik ausbricht. Was mich aber stört, ist, dass die ganze Diskussion nach dem Attentat immer nur darum ging, ob die Amis nun bestochen worden sind und ob sie das Attentat am Ende vielleicht sogar selbst geplant haben. Was wir uns fragen müssen ist, welchen Teil wir selbst tagtäglich dazu beitragen, dass Leute ein paar Tausend Kilometer von hier entfernt so einen großen Hass entwickeln, der sie zu solchen Taten treibt? Solche Handlungen werden nicht von einem einzelnen Menschen geplant, sondern da existiert ein Apparat im Untergrund, den man wohl nie gänzlich auflösen und blockieren kann. Aber wenn schon 3.000 Menschen sterben, dann sollten wir wenigstens daraus lernen, und uns auch mal fragen: Wenn ich jeden Tag aus der Garage fahre, kann es sein, dass ich da jeden Tag jemandem über den Fuß fahre ohne es zu merken? Diese Diskussion ist aber nie geführt worden, was ich sehr schade finde.

Was meinst Du, wo wird es mehr Komiker leben – in einer Welt, die befriedet und glücklich ist oder in einer Welt voller Probleme?
Lotto: Komik basiert ja oft auf einem gewissen Sarkasmus und braucht die Krise, um überhaupt entstehen zu können. So ein Spruch von Harald Schmidt zum Beispiel, zum Fußball-Sieg von Deutschland gegen die USA: "Deutschland siegt gegen Amerika auf französischem Boden, die Älteren von Ihnen werden jetzt feuchte Augen bekommen" – das ist große Comedy, die auf einer schweren Krise basiert. Und dann gibt es so etwas wie meine Radiocomedy "Das Tagebuch des Dieter B.", was nur möglich gewesen ist, weil es Menschen wie Dieter Bohlen gibt, die eine Realsatire erfordern. Insofern müsste ich als Komiker auch dem Herrgott auf Knien danken, wenn Lothar Matthäus mal Bundestrainer werden sollte. Also, in einer friedlichen Welt lässt es sich sicherlich besser leben, aber es wäre auch eine Welt mit merklich weniger Comedy.

Wie schätzt du denn die gesellschaftliche Situation in Deutschland gerade ein?
Lotto: Ich finde es teilweise bestürzend, was da im Moment passiert in diesem Land. Die Deutschen haben mehr Vermögen als je zuvor, trotzdem geht es uns von den Zahlen her superschlecht. Trotzdem haben wir es geschafft, dass diese extremen Parteien wie z.B. Schill eigentlich schon wieder am abflauen sind, diese Klippe haben wir sogar noch umschifft. Dann sehe ich nun immer öfter so Anarchie-Slogans an Litfasssäulen, woran ich auch sehe: da regt sich wieder so eine Art außerparlamentarischer Widerstand, was mir eigentlich auch ganz gut gefällt. Das muss jetzt nicht wieder in diese RAF-Szene gehen, aber zumindest gibt es Leute, die auch mal sagen, was ihnen nicht passt. Es gibt also ein Leben nach Gottschalk, der uns ja immer wieder sagt, "ist doch alles nicht so schlimm" und der aber auch mit derselben Geistesabwesenheit seine Sendung moderiert. Ich halte Gottschalk für einen grandiosen Show-Master aber ich glaube, der hat so wenig Bock auf das, was er da macht. Genauso dieser Jörg Pilawa, der nur noch mit so einem angewiderten Gesicht vor der Kamera steht und irgendetwas vorliest.

Aber zurück zu der Gesellschaftssituation in Deutschland – was stört dich?
Lotto: Also, ich finde, diese Verbissenheit bis zum Exzess muss aufhören. Und ich sehe im Moment in der gesamten Parteienlandschaft in Deutschland – in der Regierung sowieso – diese Haltung a la "Wir ziehen jetzt irgendetwas durch, selbst wenn es nur darum geht, die eigene Rente durchzuboxen. Ich ziehe das jetzt durch, das hat der Kohl auch gemacht…"
Wobei, ganz ehrlich: was haben wir alle gefühlt, als die Mauer fiel? Wir haben mit Tränen in den Augen vorm Fernseher gestanden, sind kurz darauf nach Berlin gefahren und haben mit dem Bordwerkzeug vom BMW Stücke aus der Mauer rausgehauen und fanden das total wahnsinnig. Aber diese Freude haben die Menschen heutzutage verloren. Wir sind alle nur noch am motzen und meckern, schieben alles auf die bösen Amis und merken dabei gar nicht mehr, wie gut es uns eigentlich geht, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, wo die Menschen immer noch unter totalitären Diktaturen leben müssen.

Fehlt es den Deutschen – bei all der Verbissenheit – an Humor?
Lotto: Den Deutschen fehlt insofern der Humor, dass man das Gefühl hat, man darf über sich selbst nicht mehr lachen, weil man dann automatisch auch über Deutschland lachen müsste – und wenn man "Deutschland" erwähnt ist man dann ja fast schon wieder im Dritten Reich. Man wird allerdings auch oft in so eine Situation gedrängt: in meiner Bundeswehrzeit bei der Marine sind wir teilweise in Häfen eingelaufen, wo die Leute uns mit dem Hitlergruß empfangen haben, weil die dachten, das würde uns freuen. Genauso kam es in Frankreich vor, dass wir im Restaurant nicht mehr bedient wurden, und der Kellner sagte: "Würden Sie bitte gehen, Sie sind Deutsche". Es herrscht immer noch das Gefühl, als müsste man sich ständig dafür entschuldigen, dass man Deutscher ist.
Und die Fußballer: da geht der Michael Ballack bei der letzten WM nach der verlorenen Vorrunde hin und redet druckreif eine gute Spiel-Analyse ins Mikro, wo ich mir gewünscht hätte, dass der da mit Blut und Tränen in den Augen steht und sagt: "Das war einfach mal totale Scheiße, das war peinlich und so geht’s nicht weiter!" Währenddessen wird Oliver Kahn immer als so ein durchgeknallter Orang-Utan dargestellt, wo ich mir aber denke: der kniet sich wenigstens ein bisschen rein.

Lotto, schauen wir mal zurück auf deinen Karriere-Beginn: war die Geschichte vom großen Lotto-Gewinn eigentlich ein Jux?
Lotto: Also, mit einem Lotto-Gewinn zu sagen, ich mache jetzt eine Platte ist ja nicht viel origineller, als zu sagen "Ich heisse Zlatko und komme aus dem Container". Aber ich bin der Meinung, man kann dazulernen. Ich habe festgestellt, dass ich sogar ein bisschen gelernt habe, zu singen. Trotzdem frage ich manchmal, wie ich aus dieser Bierlaune heraus eine Platte machen konnte. Ich kann mir bis heute nicht erklären, wie ich das erste Mal auf die Bühne gegangen bin, weil ich mir nichts hätte weniger vorstellen können, als jemals auf irgendeiner Bühne zu stehen und dann auch noch zu singen. Aber das hat eben auch mit Arbeit zu tun und weniger damit, ob am Anfang ein Gewinn im Lotto oder bei "BigBrother" gestanden hat. Der Anlass ist irgendwann egal. U2 waren am Anfang eine Christrockband, ich habe die mal in Hamburg in der "Markthalle" gesehen – da haben mittendrin plötzlich alle angefangen zu beten. Heute ist das eine Band, die heute bei jeder Tour mit einer Materialschlacht sondergleichen auf der Bühne Maßstäbe setzt – aber damals hast du gedacht: "Alter, was ist denn jetzt los?"

Bei dir gab es aber jedenfalls diesen einen Anlass.
Lotto: Ja.
Das ist auch der Grund, warum ich irgendwann auf diese ganzen Casting-Trottel so herabgucke und sage: "Mein Gott, stellt euch nicht so an, ich habe das auch hingekriegt." Ich war ja damals auch in einem völlig ungünstigen Alter für so etwas. Das fanden am Anfang alle sehr schräg, witzig und abgefahren, wir haben uns auch Mühe gegeben, den Leuten im Fernsehen und in Interviews immer eine Show zu bieten. Aber im Grunde genommen haben mich viele vergessen, so wie sie auch Zlatko vergessen haben. Mit dem Unterschied, dass ich weitergemacht habe. Wir haben inzwischen das sechste Album gemacht, da ist also wohl doch mehr dahinter.
Aber letztendlich ist es ja so – wenn die Legenden stimmen – dass ein Herr Westernhagen deswegen die Möglichkeit gehabt hat, sich als Künstler zu fühlen, weil die Eltern gesagt haben: "Das finden wir ok." Meine haben das nicht gefunden, ich brauchte also einen anderen Anlass. Inzwischen haben die sich daran gewöhnt und damit zu leben gelernt.

Aber wo du schon Zlatko und die "Casting-Trottel" erwähnst – das nimmt mittlerweile schon sehr skurrile Formen an, wer da durchs Fernsehen so alles an die Oberfläche gespült wird, was am besten wohl im Fall von Daniel Küblböck zu sehen war.
Lotto: Dabei fand ich den gar nicht unsympathisch. Der wirkt zwar immer so wie ein Vollidiot, aber der hat in einem Jahr unglaublich viel über diese Musikbranche gelernt, was er sehr reflektiert und manchmal auch zum Besten gibt. Guckt man sich dagegen Jeanette Biedermann an, die war jetzt drei Jahre 21, jetzt ist sie 23 und findet das immer noch alles toll. Aber der Küblböck guckt wenigstens mal hinter die Kulissen. Der hat zwar ’ne Vollklatsche, keine Frage, aber letzten Endes ist das glaube ich ein intelligenter Typ, der auch eine gute Balance zwischen Selbstbewusstsein und Inhalten hat. Nur bleibt die Frage: warum muss der singen? Und warum muss ich solche Leute im Fernsehen sehen?
Da werden auch manchmal Leute gehyped wie diese Desirée Nick. Die erzählt da immer von ihrem tollen "Programm"… Ich muss die jetzt nicht kennen, aber so oft wie die im Fernsehen ist – die wird ja auch zu allem gefragt: wie man sich die Schuhe zubindet, ob die Sonne morgen wieder aufgeht usw. Wenn ich doch nur einmal, DinA6, fotokopiert am Laternenpfahl ein Schild sehen würde "Desirée Nick tritt morgen auf dem Camping-Platz um die Ecke bei Heinz-Karl auf" – dann wäre ich ja beruhigt. Da wüsste ich, was die beruflich macht. Aber mittlerweile hat das Fernsehen durch diese Casting-Geschichten so viele Leute auf die Bildfläche gebracht, wo ich mich frage: was sagen mir die jetzt?

Qualität zählt immer weniger.
Lotto: Ja. Nur inzwischen merken die Leute auch, dass da manche Dinge ziemlich komisch sind – genauso wie auch McDonalds mittlerweile Probleme hat. Das war noch nie tolles Essen, sondern immer mehr Image und Lebensgefühl, mittlerweile ist es nicht mal mehr günstig und so langsam bröckelt’s auch am Image, weil der Schaden, den dieses ganze Essen anrichtet, plötzlich zum Thema wird. Unterm Strich hat sich McDonalds 30 Jahre lang gehalten mit einer absoluten Wegwerf-Geschichte, im wahrsten Sinne des Wortes. Das schaffen die Musiker aber nicht, was mir manchmal auch leid tut. Zum Beispiel dieser Alexander, der ist ja eigentlich als ‚Musiker‘ gar nicht so verkehrt. Der kann ja ein bisschen was, der kann auch mal im Möbelhaus was singen oder er geht mal in den Disney-Club und spielt da mit den Kindern rum, das ist auch ok. Aber dass der einem hingeknallt wird als "der neue Robbie Williams"? Das erinnert mich nur an den Spruch "Copy kills Music" – dabei hat den die Musikindustrie selbst erfunden. Und deswegen kacken die Plattenfirmen heute ab, weil sie sich alle selbst kopieren. Da müsste in der Musikindustrie mal einer kommen der sagt: ich setze jetzt auf etwas, was mit Trend überhaupt nichts zu tun hat. Weil diese Nummer, "wir verkaufen euch Jeanette Biedermann 28 Mal anal, rektal und oral" – das wird nicht funktionieren. Es muss ja auch immer gleich "Superstar" heißen. Reicht nicht auch "Star"? Selbst das ist schon hochgegriffen. Es gibt keinen Menschen, der so total toll ist, auch wenn er glaubt, dass er so ist. Selbst wenn du das ganze Geld von Bohlen haben möchtest – du möchtest auf keinen Fall seine Stimme haben…

…und auch nicht seine Feinde.
Lotto: Bei dem Geld sind dir die Feinde glaube ich egal. Wäre ich Bohlen, würde ich sagen, ich scheiß drauf, was die anderen sagen und bettele nicht jedem Mikrofon hinterher und erzähle auch nicht überall, dass ich ein 70.000 Quadratmeter-Haus habe, den Ferrari und die jungen Weiber auf mich stehen. Natürlich stehen die jungen Weiber auf ihn, das hat auch in gewisser Weise mit Geld oder Prominenz oder einer Mischung von beidem zu tun. Und wenn ich mit 60 – oder wie alt Bohlen jetzt ist – mich irgendwann dazu entschließe, dass ich diese ganzen Partnerschaftsprobleme nicht mehr haben will und das größte Problem der Tussi, die ich bumse, ist, dass sie ein Auto haben will und ich aber 150 Millionen reicher bin – dann kauf ihr doch um Gottes willen den Smart. Und wenn sie dafür noch sechs Freundinnen mitbringt und die sich alle gegenseitig einseifen – dann feiere ich doch wie Hugh Hefner in den besten Tagen eine Monsterparty. Das hat natürlich nichts mit der klassischen Beziehung zu tun und dem Miteinander-alt-Werden. Aber wenn mich solche Beziehungsprobleme nerven und ich die Möglichkeit habe, wie Herr Bohlen, die durch Geld auszuschalten – ja dann soll er das machen. Nur kann er dann nicht hingehen und sagen: die Weiber gucken nur auf die Kohle. Aber der Bohlen lebt seine Midlife-Crisis ja sowieso vor laufender Kamera aus. Weil er sich auch wirklich für den neuen Mozart hält, wobei er aber Plattenkäufe verwechselt mit dem, was es heißt, einen Menschen durch Songs zu berühren.

Aber was meinst du, hat man als richtiger Musiker momentan noch viele Chancen, ein großes Publikum zu finden?
Lotto: Eigentlich nicht, denn dadurch, dass immer mehr nur solche Plastik-Acts irgendwo rumeiern, sind die Bühnen, auf den man spielen kann, zwar freier als je zuvor. Nur bekommst du keine Öffentlichkeit mehr.

Wie ist das mit dir und dem Musikfernsehen?
Lotto: Also, die einzige Daseinsberechtigung von Viva und MTV ist doch, dass derjenige, der werben will, weiß, dass er dort genau sein Publikum erreicht. Ich brauche dort aber nicht aufzutauchen. Das würde auch nicht dazu führen, dass meine Karriere einen großen Sprung nach vorne macht, nur weil Viva mich "entdeckt" hat.
Irgendwann ist mal so eine E-Mail von Viva abgefangen worden, wo drinstand: "wir setzen jetzt auf deutsche Rockmusik und unser wichtigster Mann ist Joachim Deutschland." Daraufhin gab es dann einen E-Mail Wechsel zwischen Leuten von Sony Music und Viva, der zufällig in meiner Mailbox gelandet ist. Und dann habe ich dem Sony-Chef einfach meine Meinung dazu geschrieben: "Viva will jetzt also Joachim Deutschland breaken als den deutschen Rockheini? Aha. Dessen Single hieß doch "Ich fick, wen ich will". Scheinbar ist es aber doch eher "Ich fick, wer mich lässt." Da waren die alle tierisch sauer und beleidigt, anstatt dass die sich mal gefragt hätten: "wie kommt dieser Lotto eigentlich dazu, solche Töne zu spucken?" Die hätten stattdessen ja sagen können: "da fahren wir jetzt mal hin und gucken uns an, was dieser Lotto macht, das wollen wir sehen." Aber das schnallen die alle nicht, die sind alle nur von ihrer Linie überzeugt: so geht’s und nicht anders.
Ich müsste jedenfalls nie überlegen, ob ich zu Viva oder MTV gehe, ich würde auch nie gefragt werden von den Leuten, weil ich bin gar nicht auf deren Schirm. Ich finde ganz woanders statt.

Bist du da glücklich drüber?
Lotto: Ja, darüber bin ich sehr glücklich. Vielleicht sind wir auch bei diesen "wir-machen-alles-selber"-Geschichten so etwas wie der Klassensprecher. Da gibt es viele Bands, die das genauso machen und die da sehr gut von leben, ob das jetzt Stoppok ist oder die Kelly Family. Man sagt sich halt: die Presse nimmt uns hin und wieder wahr, weil sie an uns nicht vorbeikommt, da freuen wir uns auch drüber. Ansonsten sind wir aber, wenn’s sein muss, der ewige Geheimtipp. Und die Kunst besteht halt darin, als Geheimtipp trotzdem ganz gut davon leben zu können. Das ist vielleicht aber sogar einfacher, als davon leben zu können, wenn man vor allen Leuten abgefeiert wird. Weil, die großen Plattenfirmen haben immer noch so viele Verträge mit anderen Leuten, bevor sie irgendwann anfangen, dir Geld zu zahlen.

Wie geht es deiner eigenen Plattenfirma?
Lotto: Unsere Plattenfirma überlebt, die überlebt sogar mit einem kleinen Plus auf dem Konto, sogar so, dass man da auch ein bisschen von spinnen kann. Aber es ist auch nicht so viel, dass man davon ausflippen kann.

Und die Zukunft der Branche, wie siehst du die?
Lotto: Die ganze Branche wird sich gesund schrumpfen. Das bedeutet, es gibt weniger Musiker, was aber auch bedeutet, dass immer weniger XY-Prominente für irgendwelche komischen Fernsehshows gefunden werden – abgesehen davon, dass die Leute aus den Casting-Shows danach immer noch auf die Alm oder in den Dschungel müssen und sich die Vergänglichkeits-Turbine noch schneller dreht. Weil, diese Leute haben einfach nichts zu sagen. Jemand wie Thomas Anders, der darf einfach nicht moderieren. Der ist ein super Talkgast und auch ein netter Kerl und toller Sänger – aber der darf nicht moderieren, weil er das überhaupt nicht kann. Je mehr solche Leute aber so etwas machen, um so mehr machen sie die Branche kaputt, machen auch sich selbst kaputt. Da fragt man sich, was als nächstes passiert? Zum Beispiel, ob wir in Zukunft noch so viele Fernsehsender haben werden? Früher haben immer alle geglaubt, wir hätten irgendwann mal doppelt so viele Sender. Das glaubt heute keiner mehr. Weil es so eben nicht mehr weitergeht, man kann nicht ständig dasselbe immer noch mal machen, die Leute klonen und behaupten, das wären keine Kopien.

Aber hast du Hoffnung, dass der Niveauverlust in den Medien irgendwann zu stoppen ist und es wieder bergauf geht?
Lotto: Also, solche Sendungen wie "I want to be a famous face", das ist kurz vor den Gladiatoren-Spielen. Und wenn du jetzt da hingehst und sagst, du willst aussehen wie Käpt’n Ahab, mit abgetrenntem Bein und MTV das so abgefahren findet und abfilmt, weil das Quote bringt – dann ist ja nur die Frage: wie geht es weiter, was kommt als nächstes? Sagen die sich: "jetzt reicht’s!" – oder wollen die noch mehr? Dann gibt es nämlich irgendwann eine Show, in der sechs Tage die Woche Kandidaten vorgestellt werden, deren Leben mitgefilmt wird usw. Und am Samstag Abend gibt es das große Finale mit Russisch Roulette: ein Revolver, sechs Trommeln, fünf Kugeln und der, der keine erwischt, bekommt zehn Million Euro. Es gibt ja bereits "Ultimate Fighting", diese Käfig-Kämpfe, die schon sehr, sehr weit gehen. Und letztendlich ist auch Formel1 so eine Sache, die manchmal sehr an der Kippe ist, wenn man sich anguckt, wie viele Todesopfer es da schon gegeben hat. Wir sind jedenfalls auf dieser schiefen Ebene schon ziemlich weit fortgeschritten, viel mehr geht nicht mehr. Wir sind an einem Moment angekommen, wo Leute sich den Körper so formen, wie er aussehen soll, Michael Jackson ist ja ein Schauer-Beispiel dafür.
Und solche Frauen wie Jeanette Biedermann! Ich meine, so viel Blödheit kann nicht ewig unterhalten. Es ist schon ein Wunder, dass sie solange durchgehalten hat. So einen verlogenen Scheiß den Leuten vor die Füße zu göbeln, so ein ferngelenkter Kack. Eine Tussi, die mit einem Knopf im Ohr rumrennt, wo ihr permanent jemand sagt: nach rechts winken, nach links lächeln und jetzt wieder was sagen – so blöd sind die Zuschauer nicht. Deswegen kann Lothar Matthäus auch nie Bundestrainer werden, weil er dummerweise der deutschen Sprache mächtig ist und in Deutschland in Deutsch Interviews geben würde. In Ungarn fällt das gar nicht auf, was der da erzählt. Da würden das die Dolmetscher ständig geradebügeln und denken, es sei ihr Fehler. Lothar Matthäus hat sich mal in einem Interview nach einem Spiel drei Minuten über den Schiedsrichter aufgeregt, dass sie nur wegen dem verloren hätten – dabei hatten die durch Tore von Lothar Matthäus noch 4:3 gewonnen. Und als dann der Moderator gesagt hat: "Aber Sie haben doch gewonnen, Herr Matthäus" – da war der total irritiert und sagte: "Ach so,… aber trotzdem, der Schiedsrichter."

Was ist für dich gute Unterhaltung?
Lotto: Ein gutes Buch ist zum Beispiel "Traumhüter" über diesen komischen Fußballer, der durch Zufall in der englischen Premier-League gelandet ist. Das ist vom Schriftstellerischen nicht besonders toll, aber es unterhält dich. Natürlich habe ich das Buch in zwei Tagen durchgelesen und es bleibt auch nicht viel hängen. Aber das ist so auf den Punkt gebracht, da stimmt alles. Dann gibt es natürlich Leute, die kommen und meinen, das muss aber intelligent und intellektuell sein, aber da sag ich: "Sei doch froh, dass du mal was anderes liest als "Ey krass, Dicker." Das ist doch schon super.

Und in der Musik?
Lotto: Ich habe damals ja wirklich mal "Take That" live gesehen. Das war einfach der Wahnsinn. Das ist überhaupt nicht meine Musik, aber du stehst da vor der Bühne und denkst: das ist der Hammer. Die haben praktisch einen Marathon gelaufen und dabei noch gesungen. Was die da gemacht haben, das willst du nicht in einer Woche an Rommelbahn beim Bund machen. Da sind die Stangen runtergerutscht, da hingerannt, dort hingesprungen und du dachtest nur, die müssen ja irgendwann mal außer Atem sein. So perfekt, das war überhaupt nicht peinlich, das war nicht anbiedernd – die haben da wirklich ihre Show abgezogen.

Wann fühlst du dich im Kino gut unterhalten?
Lotto: Also, als damals "Total Recall" im Kino kam, da haben wir die ersten zehn Minuten nur gelacht, weil Arnie mit nacktem Oberkörper zu sehen war und die Muskeln so unecht aussahen, das war so lächerlich. Aber wenn du einen Film machst, dessen Inhalt die Muskeln des Hauptdarstellers sind und irgendwann nur die teuren Special-Effects auftauchen: dann ist das so was von auf den Punkt. Wenn es dir um zünftige, knallharte Action geht, mit irgendwelchen Special-Effects, wo man sich für keine Peinlichkeit zu schade ist, gibt es bei Arnie nichts zu meckern. Oder wenn du einen Typen mit der Knarre sehen willst, der im Urlaub alle Leute umnietet, dann musst du "Rambo" gucken. Genauso, wenn ordentlich gefickt werden soll, musst du dir einen Porno angucken, du darfst nur nicht auf die Handlung achten.

Wie siehst du dich als Unterhalter im Radio, bei deiner Sendung auf Radio Hamburg?
Lotto: Mich interessiert erst mal nicht, wie viele Hörer Radio Hamburg sowieso schon hat. Ich darf die zwar nicht vergraulen, das ist klar. Aber für mich ist der Typ interessant der von Römmen nach Freiburg nach Hause fährt, mit seinem Wohnwagengespann drei Stunden in der Nähe von Hamburg im Stau steht und dann das Radio anmacht und denkt "Radio Hamburg ist ja ein großer Sender, lass mal den Verkehrsfunk hören". Und in dem Moment erzählt Lotto dann: "Lothar Matthäus bumst billige Hartgeldnutten aus dem Osten" – dass dieser Typ den Satz einmal hört. Der fragt sich dann: Was hat der da gerade gesagt?… Und dann geht der in Freiburg zu seinen Freunden und sagt: "Kennt ihr Radio Hamburg, die haben da einen Typen so wie diesen Howard Stern, der erzählt immer so’n Wahnsinn und heißt Lotto King Karl." So musst du Unterhaltung generell sehen: so musst du Filme machen, so musst du Musik machen oder Bücher schreiben. Ich will, dass jemand denkt: Moment mal, war das gerade wirklich so?

Wir haben ja schon viel über Kopien gesprochen. Wurdest du eigentlich auch schon kopiert?
Lotto: Es wurden Witze von mir verwendet. Das habe ich zum Beispiel bei der "Anke Late Night"-Show gesehen, dass da scheinbar Sonntag Abends Leute fleißig mitgeschrieben haben bei Radio Hamburg. Und bei Harald Schmidt ist es mir ein, zwei Mal auch ganz extrem passiert.

Darauf warst du dann aber stolz.
Lotto: Nein, ich fand das ärgerlich, weil das jemand gemacht hatte, der damals wie ich bei Radio Energy gearbeitet hat und 150 Mark für den Witz kassiert hat. Da gibt es so einen Schreiberpool, wo die Gags von überall herkommen. Also, wenn du sagst: "Die Oscar-Verleihung war so spannend wie die Jahrestagung der Scientologen" und das kommt dann wortwörtlich drei Tage später bei Harald Schmidt, dann findest du das nicht wirklich witzig.

Lotto, unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Lotto: Da bin ich Silversurfer, der immer leicht melancholisch auf der Suche nach Unrecht ist, das es zu beheben gilt und für Gerechtigkeit sorgen will. Ich versuche auch immer so ein bisschen "Yps" das Känguru zu sein – weil ich dann immer noch ein zweites Gimmick im Beutel habe. Das war früher immer so der Witz in dieser Branche: du überlebst nur, wenn es auch einen Plan B, eine zweite Lösung gibt. Ich habe für mich dann daraus gemacht: es gibt mindestens eine zweite Lösung. Das ist glaube ich auch mein Erfolgsrezept.

Ein Kommentar zu “Es gibt ein Leben nach Gottschalk.”

  1. luna3 |

    hmm…..wenn das nichtgeschönt wurde……

    moin…………..
    nicht nur lottos musik gefällt mir, auch das interview………falls nicht geschönt !

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