Lucas Gregorowicz

Schauspieler sind mündiger geworden.

Eigentlich wollte er als Musiker durchstarten, doch erfolgreich wurde Lucas Gregorowicz vor der Kamera. Im Interview spricht der Schauspieler über die neue Goosen-Verfilmung „Sommerfest“, den Reiz des Ruhrgebiets, Despoten am Theater und warum er Daheimgebliebene beneidet.

Lucas Gregorowicz

© Tom Trambow / X Verleih

Lucas, in „Sommerfest“ spielst du Stefan, der Schauspieler ist und einst seine Heimatstadt Bochum verlassen hat. Beides trifft auch auf dich zu – wann hattest du das letzte Klassentreffen daheim?
Lucas Gregorowicz: Ich hatte neulich ein Treffen von der Schauspielschule in Bochum, weil das Gebäude der Schule abgerissen wurde, da kamen alle zusammen. Ein Klassentreffen hatte ich nicht, was daran liegt, dass ich in der 9. Klasse sitzengeblieben bin und danach die Schule gewechselt habe. Auf der anderen Schule war ich nur bis zum Anfang der 11. Klasse, dann habe ich abgebrochen.

Für die Schauspielerei?
Gregorowicz: Nein, für die Musik. Ich habe mit meiner Band damals ein Demo-Tape aufgenommen, bin nach London gefahren und wollte dort als Musiker durchstarten. Das habe ich ein Jahr lang versucht, in dem ich in London Pizza ausgefahren und auf Schiffen gearbeitet habe.
Dann bin ich wiedergekommen und habe irgendwie den Weg ins Schauspielhaus Bochum gefunden, wo damals viel los war, unter Leander Haußmann und Jürgen Kruse – da wollte ich dabei sein. Und dann hat es sich ergeben mit der Schauspielschule.

Im Film muss sich Stefan beim Heimatbesuch oft die Frage gefallen lassen, warum er weggezogen ist. Hörst du diese Frage auch manchmal, wenn du nach Bochum kommst?
Gregorowicz: Klar, das liegt in der Natur der Sache, wenn man aus einem kleineren Ort wegzieht. Aber es hat mir bis jetzt keiner einen
ernsthaften Vorwurf gemacht.

Analog die Frage zum Theater: Gibt es dort manchmal Vorwürfe von ehemaligen Kollegen, dass du zum Film gegangen bist?
Gregorowicz: Nein. Das war früher ein bisschen so, da war die Arbeit vor der Kamera aus der Sicht von Theatermachern etwas verpönt.
Mittlerweile kennt jeder die Realitäten, jeder weiß, dass man den Beruf auf verschiedene Arten ausüben kann bzw. ausüben muss, finanziell gesehen. Wenn du an einem Stadttheater anfängst, kannst du froh sein, wenn du dir die Miete leisten kannst. Und du stehst jeden Abend auf der Bühne. Ein harter Job.

Wirst du eines Tages zum Theater zurückkehren?
Gregorowicz: Ein Festengagement
ist vorerst kein Thema mehr. Aber es kommt immer wieder so eine Phase, wo ich gerne wieder Theater spielen würde. Mit den richtigen Leuten am richtigen Ort.

Zitiert

Das Ruhrgebiet ist auf dem Weg, sehr sexy zu werden.

Lucas Gregorowicz

Hast du Respekt vor Leuten, die daheim geblieben sind? So wie „Sommerfest“-Autor Frank Goosen, der dem Ruhrgebiet bis heute treu geblieben ist…
Gregorowicz: Ja, total. Auch gegenüber meinem Bruder und meinen Freunden, die dort sind. Das ist nicht nur Respekt, sondern zum Teil auch Neid. Wohlgemeinter Neid, dass die nicht diese Hummeln im Arsch haben und nicht dauernd nach irgendetwas suchen müssen und das woanders zu finden glauben. Sondern die wissen, dass die Welt die Welt ist, egal ob in der Großstadt oder in Bochum, dass das Leben sich dort genauso abspielt. Sie haben die Ruhe, sich zu einem Ort, zu einer Stadt zu bekennen. Daran denke ich mit einer gewissen Sehnsucht, ein Teil von mir wäre gerne so.

Hast du auch Respekt vor Leuten, die am Stadttheater bleiben?
Gregorowicz:
Natürlich. Wenn Leute den Beruf des Theaterschauspielers lieben und unbedingt ausüben wollen, dann auf jeden Fall. Ich finde nur, dass Schauspieler sich über Jahrzehnte zu viel haben gefallen lassen, von Theaterdirektoren und von Regisseuren.

In finanzieller Hinsicht?
Gregorowicz: Das auch, ja. Ich meine damit aber vor allem diese Mode der 70er und 80er Jahre, dass Regisseure und Intendanten cholerische Despoten sein müssen. Viele Schauspieler waren deshalb wirklich von Angst gesteuert. Ihnen wurde gesagt, dass sie nie wieder ein Engagement kriegen, wenn sie die eine Rolle nicht spielen, wenn sie kündigen oder wenn sie zum Fernsehen gehen. Du musst dann etwas spielen, egal ob es dir gefällt oder nicht.

Heute ist die Zeit der Despoten am Theater vorbei?
Gregorowicz: Ich denke schon. Das funktioniert nicht mehr, Schauspieler sind mündiger geworden. Es hat mittlerweile die Runde gemacht, dass man sich nicht zu allem verdonnern lassen darf. Vielleicht sind von den Despoten auch noch welche übrig geblieben, in irgendwelchen Nischen. Ich sage auch nicht, dass das Arschlöcher sind, oder schlechte Regisseure. Im Gegenteil, es braucht ja eine Hierarchie am Theater, aber es sollte eine gemeinsam verabredete Hierarchie sein. Schauspieler stellen sowieso schon sehr viel zur Verfügung, von sich selber – und es ist so leicht, sie zu zerstören. Es gab Regisseure, die haben das gerne gemacht.

Schauspieler Stefan hat im Film einen Albtraum: Er wird Doktor in einer Krankenhaus-Serie. Was ist denn dein Soap-Albtraum?
Gregorowicz: Im Schlaf hatte ich noch keinen. Da träume ich eher, dass ich noch in der Gasse stehe, während auf der Bühne schon mein Stichwort gefallen ist. Solche Träume kommen regelmäßig.

Aber was sind so Rollenangebote, die du dankend abgelehnt hast?
Gregorowicz: Das kommt immer auf die Situation an. Es gibt Zeiten, da macht man nur die Dinge, wo man total dahintersteht – und dann gibt es, wie in jedem anderen Beruf auch, Phasen, wo man schlicht und ergreifend die Kohle für die Miete braucht und die Kinder ernähren muss. Da überlegt man sich zehn Mal ob man ein Angebot ablehnt.

Nicht nur in „Sommerfest“ kehrst du in die Heimat zurück, sondern zuvor auch in den Filmen „Schrotten“ und „Lommbock“…
Gregorowicz: Dass ich das Heimkehrer-Thema auf drei verschiedene Arten durchdekliniert habe, war kein Plan. Ich habe diese drei Rollen aus verschiedensten Ecken angeboten bekommen, insofern war das reiner Zufall.

Ließe sich denn dieses Thema, der Ausgezogene kehrt heim, überhöhen zu einem Fazit a la: ‚Wir sind von der Globalisierung überfordert‘?
Gregorowicz:
Das ist glaube ich weniger etwas Tagesaktuelles sondern eher etwas Archaisches, was es schon immer gab, oder? Einer der auszieht und wieder heimkehrt, so etwas steckt in uns und ist eher in der Steinzeit verhaftet, als in der modernen Welt.

Hast du einen bestimmten Sehnsuchtsort, zu dem du immer wieder zurückkehrst?
Gregorowicz: Ich finde grundsätzlich den Zustand der Reise ganz gut.

Die Deutsche Bahn?
Gregorowicz: Nein, die jetzt gerade nicht. Ich mag es lieber, wenn ich selbst der Kapitän bin.
Den Zustand des Bewegens finde ich gut, deswegen wechseln meine Sehnsuchtsorte auch dauernd. Wobei einer immer bleiben wird, das ist, ganz platt, New York. Das ist für mich die Stadt der Städte. Vielleicht hat das aber auch nur damit zu tun, dass ich als Kind so viele Filme gesehen habe, die in New York spielen.

Stichwort Metropole: Frank Goosen sagte uns: „Berlin ist genauso arm wie das Ruhrgebiet, aber doppelt so sexy. Berlin funktioniert als Flucht- und Sehnsuchtsort. Das Ruhrgebiet bisher nicht.“
Gregorowicz: „Bisher“ ist das entscheidende Wort. Der neue Trend geht zum Ruhrgebiet.

Wirklich?
Gregorowicz: Ja, es gibt ein unglaubliches Potential in der Ecke. Ich kenne viele Menschen, die zurückgegangen sind und damit sehr glücklich sind. Das fängt bei den Immobilienpreisen an, bei den Möglichkeiten, Räume zu mieten, in denen man kreativ sein kann, es gibt viel Bedarf nach Kultur, nach gutem Essen – all diesen Dingen. Das Ruhrgebiet ist arm, aber auf dem Weg, sehr
„sexy“ zu werden, insofern dieses Wort überhaupt passt.

Bei Trump kritisiert man heute die Rückkehr zur Kohle, im Ruhrgebiet blickt man dagegen romantisierend auf die Zeit der Kohleförderung zurück. Passt das?
Gregorowicz: Romantisiert werden auf jeden Fall die Goldenen Zeiten, in denen alle irgendwie Arbeit hatten. Auch wenn sie nur 50 wurden und Staublunge hatten. Die Welt war damals noch ein bisschen verständlicher, klarer. Heute, wo Opel und Nokia geschlossen und die Arbeitslosenzahlen in die Höhe geschossen sind, wenn man von Bochum über Wattenscheid nach Gelsenkirchen fährt – dann denkt man schon manchmal, „Aufbau West“ wäre langsam mal das Thema.

Goosen sagte auch, dass im Ruhrgebiet Figuren wie Atze Schröder durchaus real sind. Kannst du das bestätigen?
Gregorowicz: Klar, sicher. Unsere Omma im Film, die den Kiosk betreibt, ist so ein Original. Ich erinnere mich auch noch gut an Elken, die Leiterin der Kantine im Schauspielhaus. Die Frau hat mir das Kaffeetrinken beigebracht, eine absolute Koryphäe, sozusagen die heimliche Intendantin. Da saß jede Pointe, egal zu welcher Tageszeit.

© Tom Trambow / X Verleih Projekt: „Sommerfest“ Little Shark, X Filme Creative Pool GmbH WDR Produzenten: Stefan Arndt, Tom Spieß, Uwe Schott Regie: Sönke Wortmann Kamera: Michael Wiesweg Herstellugsleiter: Ulli Neumann Produktionsleitung: Sebastian Fröhlich 1. Aufnahmeltg.: Jan Beek Costume Designer: DT#01 18.05.2016 Motiv: "KIOSK" Bild: 8 Stefan besucht Toto und Omma Änne im Kiosk Cast: 01. Stefan Zöllner - Lucas Gregorowicz 03. Toto Starek - Nicholas Bodeux 11. Omma Änne - Elfriede Fey 29. Frau Lorkowski - Lore Duwe -------- Drehfrei:

Szene aus Sommerfest mit Nicholas Bodeux (li.) und Elfriede Frey (Mitte)  © Tom Trambow / X Verleih


Regisseur Sönke Wortmann sagt, er habe bei seiner „Sommerfest“-Verfilmung versucht, Ruhrpott-Klischees zu vermeiden…

Gregorowicz: … aber das schützt dich nicht davor, dass dir diese Authentizität am Ende doch wieder als Klischee ausgelegt wird. Das ist ein schmaler Gra
t. Ich finde, ein Film muss eine plausible, gute Geschichte transportieren, dann funktioniert das schon. Dann ist es egal, ob ein Auto blau ist, das eigentlich rot war.

Du warst selbst einmal Teil einer der Debatte um Authentizität, mit deiner Rolle als Anführer der polnischen Heimatarmee in „Unsere Mütter unsere Väter“. Die Darstellung der Heimatarmee wurde von polnischer Seite stark kritisiert, die Filmemacher mussten sich sogar in Polen vor Gericht verantworten. Hast du dadurch Abstand von Realverfilmungen genommen?
Gregorowicz: Nein, überhaupt nicht. Einerseits war ja klar, dass wir nicht zu einer Dokumentation angetreten sind, sondern dass der Film letztlich Fiktion ist und bleibt. Andererseits habe ich daraus gelernt, dass man in der Vorbereitung die andere Seite mehr hätte einbeziehen müssen. Man hätte noch mehr den Dialog suchen müssen.
Aber ich würde nach wie vor in so einem Film mitspielen. „Unsere Mütter unsere Väter“ hat
Diskussionen ausgelöst – und das ist gut so. Da haben Leute auf einmal wieder miteinander geredet, generationsübergreifend, über die Landesgrenze hinweg.

Du selbst hast polnische Wurzeln…
Gregorowicz: Ja, und die polnische Seite meiner Familie war in heller Aufregung. Letztlich kam auch heraus, dass die Darstellung im Film einen hohen Wahrheitsgehalt hatte, denn es gab diese Menschen, es gab sie auch in der Heimatarmee. Trotzdem hätten die Produktion und ich mehr Respekt davor haben müssen, dass die Heimatarmee eine verdiente Institution ist. Mit denen hätte man vorher reden müssen. Insofern ging es eigentlich nur um Kommunikation, der Streit um den Film war das Ergebnis eines großen Kommunikationsdefizits.

Zum Schluss: Gibt es eine Theaterfigur, in der du dich wiederfindest?
Gregorowicz: Ich würde sehr gerne mal etwas von Tschechow spielen, das habe ich nämlich noch nie. Da würde sich etwas finden, denn diese seltsame slawische Ambivalenz, dieses Komische, die Lakonie, das Psychologische zwischen den Zeilen – dieses ganze Universum ist etwas, wozu ich eine große Affinität habe. In dem Kosmos würde ich mich als Schauspieler gerne mal austoben.

Lucas Gregorowicz wurde 1976 in London als Sohn polnischer Eltern geboren. Zunächst wuchs er in Polen auf, ab dem zehnten Lebensjahr lebte die Familie in Bochum. Nachdem er die Schule abgebrochen hatte, versuchte sich Gregorowicz in London als mehr

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