Ludwig, du bist zuletzt mit Darstellerpreisen regelrecht überhäuft worden, in der Presse wurdest du hochgejubelt.
Trepte: Ja, das stimmt. Aber mir erscheint das irgendwann unglaubwürdig.
Unglaubwürdig?
Trepte: Ich bin ja nicht der Einzige, dem man sagt, er sei der Größte. Ich habe das Gefühl, das erzählt man vielen.
Tom Schilling beschrieb mir dieses Phänomen, indem er sagte: „Die Presse sucht sich jede Woche einen neuen Shootingstar“.
Trepte: Das kann ganz gut sein. Ich glaube, dass viele Schauspieler aus dem Nichts hochgejubelt werden und zu dem gemacht werden, was sie dann sind. Es wird geschrieben, sie seien ganz toll. Und das Schlimmste ist, dass sie selber anfangen, das zu glauben. Obwohl sie nicht toll sind.
Lässt du dich von außen unter Druck setzen?
Trepte: Natürlich gibt es einen enormen Druck. Ich habe das im letzten Jahr in Zusammenhang mit dem WDR-Film „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ gemerkt. Ich hatte den ersten Drehtag, bin danach zur Verleihung der Goldenen Kamera geflogen, habe den Preis als bester Nachwuchsschauspieler bekommen und stand anschließend am nächsten Tag wieder am Set. Und plötzlich hieß es: „Jetzt bring aber die Leistung, rechtfertige, dass du ‚bester Nachwuchsdarsteller’ geworden bist“.
Das wurde dir so direkt gesagt?
Trepte: Nicht direkt, aber es war zu spüren. Und in dem Moment setzt du einen Schauspieler natürlich unter Druck. Während du drehst, ist das nicht wirklich das Beste. Man muss sich davon freizumachen, indem man versucht, Distanz aufzubauen und indem man einfach in seine Rolle schlüpft.
Nun bist du im Kinofilm „Sieben Tage Sonntag“ zu sehen, in dem du – auf einem realen Fall basierend – einen von zwei Jugendlichen spielst, die völlig grundlos auf bestialische Weise einen Mann töten. Du hast die Interviews gesehen, die der Regisseur Niels Laupert mit ihnen geführt hat und du hast die Gerichtsprotokolle gelesen. Konntest du anschließend auf die Frage nach der Motivation der Täter für dich eine Antwort finden?
Trepte: Ich habe lange darüber nachgedacht, ob es Langeweile oder Übermut ist. Ob es darum ging, sich selbst spüren zu müssen oder darum, endlich ein Ziel zu haben und dieses Ziel mit allen Mitteln erreichen zu wollen. Ich bin nie wirklich dahinter gekommen. Ich glaube, es war eine instinktive Entscheidung, die nie geplant war, der die beiden schlussendlich jedoch aus einem Frust heraus auf einmal nachgegangen sind.
Hängt es vielleicht auch mit der Perspektivlosigkeit zusammen, die viele Jugendliche heutzutage empfinden, weil ihnen Orientierung fehlt?
Trepte: Es hat vielleicht etwas damit zu tun, dass man gesehen werden möchte. Vielleicht passt der Vergleich mit einem kleinen Jungen, der sich bockig auf die Straße fallen lässt und herum schreit, anstatt zu seiner Mutter zu sagen „Nimm mich in den Arm und trag mich“ oder „Küss mich doch mal“. Vielleicht ist es das.
Wer schaut zu wenig hin? Die Eltern? Die Schule? Die Gesellschaft an sich?
Trepte: Sowohl als auch. Ich glaube, es ist ein Kommunikationsproblem. Es wird untereinander nicht gesprochen, sondern nur abgearbeitet. Die Gefühle untereinander und die Bedürfnisse der jeweiligen Menschen werden nicht wirklich beachtet und aufgenommen.
Hättest du mit den Tätern zur Vorbereitung sprechen wollen, wenn es die Möglichkeit gegeben hätte?
Trepte: Für mich persönlich wäre es das Wichtigste überhaupt gewesen. Ich hätte dem realen Täter Fragen gestellt, um Dinge über ihn heraus zu bekommen, die mir beim Spielen hätten helfen können: Wie raucht er seine Zigarette? Wie verhält er sich in bestimmten Situationen? Welche Eigenschaften hat er? Was sind seine Ziele gewesen, sein Motor, der ihn antreibt? Wie oft schneidet er sich die Haare? Wie putzt er sich die Zähne? Das Entscheidende ist ja, dass ich in diesem Fall eine Figur verkörpert habe, die real ist – und das wollte ich natürlich auch so gut wie möglich machen. Manchmal dauert es Wochen, sich in eine Figur hineinzuversetzen, ein anderes Mal nur zwei Tage. Manchmal braucht man einfach nur eine Boxershorts, die ich als Ludwig nicht trage. Oder putze mir die Zähne mit der linken anstatt mit der rechten Hand. Und plötzlich kommt man der Figur näher.
Du kannst auch eine Bestie sein.
Du hast erzählt, dass du ausgerechnet beim Spielen dieser brutalen Tat fürchterlich lachen musstest.
Trepte: Ich glaube, das lag daran, dass die Situation so skurril war. Zuerst war es so emotional, so authentisch, und plötzlich erschrak ich mich darüber, was ich da eigentlich mache. Ich saß da, drosch auf einen Blutbeutel ein und stellte mir dabei einen Menschen vor. Ich dachte: Das kann ja nicht ich sein. Du kannst ja nicht hier sitzen und so voller Wut sein. Ich habe etwas in mir entdeckt, das ich vorher nicht kannte. Und um das zu schützen, fing ich an zu lachen. Ich musste mir eine Mauer aufbauen, um es nicht so nah an mich ran kommen zu lassen.
Du zitierst gerne mal Henry Hübchen, von dem der Satz stammt: „Wenn es sein müsste, könnte ich auch leidenschaftlich töten“.
Trepte: Ja, anscheinend kann man das. Der Norm entsprechend und des normalen Verstandes her, könnte ich nie einen Menschen umbringen. Aber plötzlich drehst du eine Szene, kniest vor einem Typen und schlachtest den ab. Und du entdeckst: Du kannst auch eine Bestie sein.
Jugendgewalt und Jugendkriminalität sind – ausgelöst durch den gewalttätigen Übergriff von zwei jungen Männern auf einen Rentner Ende 2007 – in letzter Zeit ein Dauerthema. Wie hast du die Diskussion darüber verfolgt?
Trepte: Ich war erschrocken, als ich davon in den Nachrichten hörte und später die Kameraaufnahmen sah, wie diese zwei Jugendlichen auf den alten Mann eindroschen. Nur aus dem Grund, weil er sie ermahnt hat, in der U-Bahn nicht zu rauchen. Ich habe mich gefragt: Wo kommt diese Aggression her? Und diese Emotionslosigkeit, jemandem so weh tun zu können?
Was glaubst du?
Trepte: Vielleicht ist es einfach Selbstsucht oder diese Leute können keine wirklichen Gefühle gegenüber anderen aufbauen, weil sie der Meinung sind, dass eh alles scheiße ist.
Kann man diese Jugendlichen überhaupt noch erreichen?
Trepte: Es gibt ja schon Jugendclubs. Aber was bringen die? Du kannst dort vier Tage lang breakdancen und bist mit anderen Jugendlichen zusammen. Aber das eigentliche Problem ist damit ja nicht gelöst. Wie sollst du soziale Kontakte knüpfen, wenn du gar nicht weißt, wie das geht? Wenn du gar nicht gelernt hast, das emotionale Gefühl, das du dafür brauchst, aufzubauen?
Ludwig, in „Guten Morgen Herr Grothe“ hast du einen aggressiven Hauptschüler verkörpert, in „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ einen Jungen, der die ganze Schule in die Luft jagen will, jetzt in „Sieben Tage Sonntag“ den bestialischen Mörder. Suchst du die Extreme?
Trepte: Ich suche nicht danach, ich kriege die Bücher schon angeboten. Aber meistens ist es so, dass mich diese Rollen komischerweise unglaublich interessieren. Weil ich immer probieren möchte, diese Figuren zu verstehen. Ich will gucken, was dahinter steckt. Was macht diesen Menschen, zu dem, was er ist oder vorgibt zu sein?
Ist es nur das Verstehen-Wollen oder auch ein Sich-Selbst-Wiederentdecken in bestimmten Eigenschaften der jeweiligen Charaktere?
Trepte: Ich kenne es natürlich auch, sich irgendwie abgeschieden zu fühlen oder ein wenig ausgegrenzt oder nicht ganz verstanden. Deswegen kann ich das gut nachvollziehen. Ich kann es auch gut nachvollziehen, sich irgendwie ausdrücken zu wollen, in den Dingen, die man tut oder wie man sie dann tut, um irgendetwas zu erreichen. Was halt im Endeffekt auch dazu führen kann, dass man sich einen bestimmten Charakter aneignet, der eigentlich gar nicht man selbst ist. Das ist das Spannende an den Figuren, die ich bisher gespielt habe: dass sie etwas ganz anderes sind, als sie vorgeben zu sein.
Bist du zu 100 Prozent Ludwig?
Trepte: Es ist nicht immer leicht, sich selbst treu zu bleiben. Manchmal gibt es Tage, da ist es unglaublich simpel, manchmal ist es unglaublich schwer. In dem Moment, wo man sich selbst überschätzt und auf jede beschissene Filmparty rennt, wird’s wahrscheinlich irgendwann schwierig. Ich sehe unglaublich viele Kollegen, die nicht mehr die sind, die sie mal waren und nur noch eine Rolle spielen, sich darin verlieren. Die es ganz toll finden, Schauspieler zu sein, und hauptsächlich deswegen Schauspieler sind. Oder auch Regisseure. Wie viele Regisseure gibt es, die es einfach nur toll finden, Regisseur zu sein, ohne das mehr dahinter steckt? Ganz oft ist es auch so, dass du auf einer Filmparty stehst, und gar nicht du selbst sein kannst, weil es irgendwie uncool ist.
Uncool?
Trepte: Ja, vielleicht weil man Angst hat, dass man, wenn man authentisch ist, nicht besetzt wird, nicht toll gefunden wird. Ich finde das furchtbar. Das Geschäft kann auch richtig scheiße sein.
Was nichts daran ändert, dass die Schauspielerei deine Leidenschaft ist.
Trepte: Ich habe total Respekt vor diesem Beruf. Ich liebe ihn, ich kann darin aufgehen. Trotzdem will ich mich auch weiterentwickeln. Es reicht mir im Grunde nicht, mich die ganze Zeit mit Spielen zu befriedigen.
Was fehlt dir?
Trepte: Ich würde eigentlich gerne studieren, zum Beispiel Geschichte. Oder Anthropologie, Philosophie oder Psychologie. Es gibt viele Bereiche, die mich interessieren würden.
Du hast mit 16 deinen Realschulabschluss gemacht und die Schule dann verlassen.
Trepte: Ja, aber ich kann das Abi nachholen. Vielleicht mach ich das irgendwann. Eben damit ich studieren kann.
Wo siehst du dich selbst in fünf Jahren?
Trepte: Ich weiß nicht, wo ich mich sehe. Ich sehe mich grade hier mit dir am Rosa-Luxemburg-Platz in einem Café sitzen. Heute Abend treffe ich mich mit meinen Kumpels und meiner Freundin. Viel weiter denke ich gar nicht. Ich lebe sehr bewusst im Jetzt.