Malcolm Gladwell

Die Macht des Augenblicks

Malcolm Gladwell , Autor des Buches "Blink!", über die Bedeutung blitzschneller Entscheidungen.

Malcolm Gladwell

© Campus Verlag

Mr. Gladwell, kommen wir gleich zum Thema: Würden Sie heute Abend mit mir ausgehen wollen?
Gladwell: Oh. (lacht) Wollen Sie, dass ich ein schnelles Urteil fälle? (lacht noch mal) Auf jeden Fall!

Wie treffen Sie so eine spontane Entscheidung?
Gladwell: Diese Art von Entscheidung ist im Grunde sehr mysteriös, denn es ist eine instinktive Entscheidung. Sie kommt von unserem Unbewussten. Wir kennen nicht alle Kriterien, die wir dafür nutzen. Wenn Sie mir eine andere Frage stellen würden, bei der ich wirklich nachdenken und alle möglichen Gründe abwägen müsste, dann könnte ich Ihnen diese Entscheidung erklären. Aber diese Art von Entscheidung kann ich Ihnen nicht erklären. Alles, was ich tun kann, ist Ihnen mögliche Erklärungen zu geben. Und es wäre dumm, eine exakte Berechnung anstellen zu wollen, wie wir instinktive Entscheidungen treffen.

Mir scheint es nicht neu, dass manche unserer Entscheidungen intuitiv erfolgen. Warum haben Sie "Blink!" geschrieben? Was möchten Sie den Lesern sagen?
Gladwell: Wir haben uns selbst davon überzeugt, dass diese Art zu denken, unbedeutend ist. Und das erste, was ich erreichen möchte, ist den Leuten klar zu machen, dass dies absolut das Zentrum dessen ist, was Menschsein bedeutet. Wir sollten das ernst nehmen. Es gibt sehr viele Situationen, in denen wir meinen, alle Gründe zu kennen, warum wir so denken, wie wir denken. Und wir glauben, dass diese Art zu denken, frei von Vorurteilen ist. Doch das Ergebnis ist, das wir am Ende ungerechte Entscheidungen fällen. Ich möchte diese Art der sekundenschnellen und instinktiven Entscheidung ins Rampenlicht stellen.

Würden Sie sagen, dass es das Standardmodell dafür ist, wie Entscheidungen gefällt werden?
Gladwell: Wenn Sie die Leute fragen, dann werden Sie immer hören, dass sie Entscheidungen bewusst und überlegt treffen. Wenn Sie mit Psychologen reden, die sich damit beschäftigen, werden Sie hören, dass wir das fast nie so rational tun. Wir stülpen unserem Denken einfach nur ein rationales Begründungsmuster über. Entscheidungen werden meistens unbewusst und unmittelbar gefällt. Ich würde nicht so weit gehen wie viele Psychologen und sagen, dass die überwiegende Mehrheit unser Entscheidungen im Unbewussten stattfindet. Aber es sind sehr viele.

Nehmen wir an, ich möchte mir ein Auto kaufen. Was würden Sie mir raten: Sollte ich das erstbeste Auto nehmen, das mir gefällt? Oder sollte ich mich über Preis, Benzinverbrauch und Abgasmengen verschiedener Modelle informieren? Wie treffe ich die bessere Entscheidung?
Gladwell: Das hängt davon ab, wie gut Sie sich mit Autos auskennen. Je mehr Erfahrungen Sie mit Autos haben, desto eher wird ihre instinktive Entscheidung mit ihren wirklichen Wünschen übereinstimmen und die richtige Entscheidung sein. Wenn wir Erfahrungen sammeln, erziehen wir unser Unbewusstes. Wir häufen immer mehr Informationsstücke in unserem Unbewussten an und dadurch entsteht ein sehr ausgefeiltes Erkennungsmuster: Wir vergleichen das, was wir in unseren Köpfen haben, mit dem, was vor uns steht. Wenn nichts in unseren Köpfen ist, dann gibt es nichts zum vergleichen. Wenn Sie also zum ersten Mal ein Auto kaufen, sollten Sie sich sehr gut informieren, mit Experten reden und versuchen, eine wohl überlegte Entscheidung zu treffen. Wenn Sie sich hingegen mit Autos auskennen, dann können Sie Ihrem unmittelbaren Instinkt, welches Auto das Beste ist, vertrauen. Und es könnte von Nachteil sein, wenn Sie versuchen, rational zu entscheiden.

Zitiert

Entscheidungen werden meistens unbewusst und unmittelbar gefällt.

Malcolm Gladwell

Man muss also ein Experte auf einem bestimmten Gebiet sein, um auf diesem Gebiet eine gute instinktive Entscheidung zu treffen?
Gladwell: Ja, ohne Erfahrungen sind unsere Instinkte nicht sehr nützlich. Worauf ich mit diesem Buch hinaus will, ist die allgemeine Auffassung, dass wir Instinkte von Natur aus haben. Und das ist nicht wahr. Instinktives Urteilsvermögen muss erlernt werden. Es scheint paradox, aber es ist eine grundlegende Tatsache.

Woher weiß ich denn, wann ich meiner Intuition trauen kann und wann nicht?
Gladwell: Da gibt es keine feststehende Regel. Wissen Sie, ich bin mir bewusst, dass ich mit meinem Buch den Entscheidungsfindungsprozess entmystifiziere. Ich sage, dass es komplizierter ist, als wir denken. Und es gibt keine einfachen Regeln, die uns sagen, wie wir die beste Entscheidung treffen. Es ist eine schwierige Angelegenheit. Alles, was ich sagen kann, ist: wenn man Erfahrungen hat, sollte man mehr seinen Instinkten vertrauen.

In Ihrem Buch schlagen Sie vor, dass man vor Gericht die Angeklagten in ein Nebenzimmer setzen und per email verhören sollte. So könnte man Ihrer Meinung nach die hohe Zahl von falschen Verurteilungen schwarzer Angeklagter senken. Mögliche Vorurteile des Richters und der Jury gegenüber der Hautfarbe hätten somit keinen Einfluss auf die Entscheidung für schuldig oder nicht schuldig. Würde man damit nicht andere Faktoren wie Mimik, Gestik oder Tonfall der Stimme ausschalten, die auch sehr wichtig sind für das Treffen des richtigen Urteils?
Gladwell: Sie haben Recht. Gibt es Informationen, die wir sammeln, wenn wir jemandem von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen? Absolut! Sind diese Informationen ausschlagend für die Frage, ob dieser jemand die Wahrheit sagt oder nicht? Ja! Aber: Wie gut sind die meisten Leute darin, diese Informationen zu interpretieren? Nicht sehr gut! Gibt es andere Informationen, die wir auch beim Beobachten erhalten, aber die für das Urteil unwichtig sind und uns verwirren? Auf jeden Fall! Eine negative Sache, die uns auffällt, wiegt mehr als eine positive Sache. Man muss immer das Gute und das Schlechte abwägen und leider gibt es in den meisten Situationen mehr schlechte als gute Informationen. Deswegen müssen wir meiner Meinung nach sehr viel vorsichtiger sein, wie unsere Entscheidungen strukturieren.

Aber können Sie sich das wirklich vorstellen, dass Ihr Vorschlag mit dem Gericht funktioniert?
Gladwell: Ich würde es gern ausprobieren. Ich weiß nicht, ob es besser funktioniert. Aber ich finde es beschämend, dass angesichts dessen, wie unterschiedlich schwarze und weiße Abgeklagte oft behandelt werden, es noch nicht probiert wurde.

Haben Sie andere Vorschläge, wie man Entscheidungen verbessern oder erleichtern könnte?
Gladwell: Man kann Leuten kleine Hilfestellungen geben: Denken Sie an die Stelle im Buch mit den medizinischen Entscheidungen. Ärzte können bei Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt besser und schneller entscheiden, welche Behandlung die Richtige ist, wenn sie wissen, welche Informationen ihnen nützen und welche nicht. Dies ist ein Fall bei dem wir alle bestehenden rationalen Daten über Herzinfarkte nutzen, um Ärzte weiterzubilden. Damit sie in den entscheidenden Situationen solche Blitzentscheidung treffen können. Wir müssen Leute trainieren, damit sie bessere Entscheidungen fällen können.

Ein Kommentar zu “Die Macht des Augenblicks”

  1. LAla |

    viel Lärm um Nichts

    Die Gedanken von Mr. Gladwell sind nicht neu und sprechen nicht wirklich gegen die rationale Methode. Manche Entscheidungen sollten wohl gut überlegt sind, vor allem die, die eine langfristige Perspektive beinhalten. schnell schnell ist nicht immer gut, wenn die Konsequenzen lang tragen.

    Antworten

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.