Herr Breuckmann, die Fußballweltmeisterschaft steht nun fast vor der Tür – sind Sie schon im WM-Fieber?
Breuckmann: Nein. Warum? Das ist doch noch so viele Tage hin.
Sie zählen also nicht jeden Morgen, noch 30, noch 20 Tage usw.?
Breuckmann: Nein, um Himmels willen. Es beginnt zwar allmählich, sich zu verdichten, es gibt eine Reihe von öffentlichen Anlässen, Podiumsdiskussionen oder Interviews, in denen man schon mal über die Weltmeisterschaft redet. Aber von WM-Fieber würde ich jetzt noch nicht reden. Das kommt dann Anfang Juni so allmählich angekrochen.
Und der große Trubel, der schon seit einige Monaten durch Medien und Merchandising-Industrie veranstaltet wird – finden Sie den übertrieben?
Breuckmann: Also, ich finde das, was an wirtschaftlichem Drumherum abläuft – wobei das Wirtschaftliche ja schon fast im Zentrum dieser Fußballweltmeisterschaft steht – das finde ich schon seit vielen Jahren furchtbar übertrieben. Ich habe gerade erst wieder gelesen, dass nur 30 Prozent der Karten in den freien Verkauf gegangen sind, weil der Rest an irgendwelche Sponsoren, Werbeträger und VIPs abgegeben werden muss. Das finde ich unerträglich und ich bin froh, dass meine Aufgabe darin besteht, im Stadion zu sitzen und erst wenn das Spiel anfängt, fange auch ich an zu reden. Mit dem Drumherum habe ich nichts zu tun.
Wenn Sie die WM kommentieren, werden Sie also vor allem an jene Hörer denken, die vom kleinen 30-Prozent-Kuchen nichts abbekommen haben.
Breuckmann: Ja, natürlich. Das ist meine Aufgabe. Abgesehen davon weiß ich natürlich, dass so eine Fußballweltmeisterschaft ein Fernsehereignis ist. Viele Leute müssen aber weiterhin ihrem Beruf nachgehen und können die Spiele nicht im Fernsehen verfolgen, da haben wir schon eine wichtige Ergänzungsaufgabe. Und es kann ja auch mal vorkommen, dass einem der Fernsehkommentator irgendwann auf die Zwinge geht und man dann das Radio einschaltet.
Wie verfolgen Sie privat Fußball am liebsten – im Radio oder TV?
Breuckmann: Also, wenn ich die Wahl habe zwischen Fernsehen und Radio schalte ich natürlich den Fernseher ein. Es kommt aber schon mal vor, dass ich aus Neugierde oder beruflichem Interesse das Radio phasenweise dazuschalte, um mal zu hören, was die Kollegen so machen.
Welche Vorteile für den Hörer würden Sie in Bezug auf das Radio hervorheben?
Breuckmann: Ich finde, ohne dass man da jetzt übertreibt, dass das Radio eine eigene Kunstform ist. Gerade was die emotionalen Aspekte eines solchen Fußballspiels angeht, hat eine Radioreportage kräftige Vorteile. Gucken wir mal auf den Samstagnachmittag, mit unserer Bundesligakonferenz: darauf können wir wirklich noch stolz sein, das ist die letzte Bastion einer richtigen Reportage im Hörfunk, wo live beschrieben wird, was man sieht. Da ist das Radio noch mit vielen Pluspunkten versehen.
Aber beschreiben, was man sieht – geht es dafür auf dem Spielfeld nicht viel zu schnell hin und her, als dass man dem Hörer eins zu eins vermitteln könnte, wer jetzt von rechts nach links spielt?
Breuckmann: Das ist ja die hohe Kunst. Und beim Fußball ist das – im Gegensatz beispielsweise zum Eishockey, wo es noch erheblich schneller zugeht – durchaus möglich. Bei unübersichtlichen Situationen wird es manchmal schwierig, aber ein Spiel mit Worten zu beschreiben, das ist machbar. Es hat allerdings in den letzten Jahren etwas darunter gelitten, dass die Einblendungen der Kommentatoren immer kürzer werden. Viele Radiomacher haben Angst davor, dass die Menschen sich in den nächsten Fluss stürzen, wenn sie fünf Minuten Fußball am Stück hören müssen. Diese Weltanschauung von Radio hat sich durchgesetzt, weshalb diese ganz klaren Reportage-Elemente etwas unterrepräsentiert sind.
Ist die zunehmende Formatierung des Hörfunk der Grund dafür?
Breuckmann: Ja, natürlich, es gibt viele Radiomacher, für die ist es zum Beispiel eine unerträgliche Situation, wenn wir in unseren Laufplänen die Anweisung haben, die letzten zwei Minuten eines Spiels zu übertragen. Dann mache ich sowieso nur die letzte Minute, weil ich weiß, dass in der Regel nachgespielt wird – man weiß aber nicht genau, wie lang. Da fange ich in der 89. Minute an, plötzlich hebt der Assistent am Spielfeldrand ein Täfelchen, wo eine „4“ drauf steht und es wird sage und schreibe vier Minuten nachgespielt. Das ist für viele Verantwortliche beim Radio heute eine Katastrophe. Weil dann fünf Minuten Wort am Stück passieren, was nicht mehr vorgesehen ist.
Warum werden lange Wortbeiträge vermieden?
Breuckmann: Es wird die Meinung vertreten – auch wenn man die nicht ausreichend untermauern kann – dass die Leute nicht mehr als eine bestimmte Anzahl von Minuten Wortanteil ertragen und verfolgen können. Man will ein Tempo in das Programm reinbringen, was durch kurze Wortbeiträge gewährleistet ist. Das ist so ein Radioweltbild, das im Laufe der letzten Jahre entstanden ist.
Unabhängig von der Zeit, die Sie zur Verfügung haben: versuchen Fußballkommentatoren im Radio nicht viel mehr, Emotionen rüberzubringen und weniger den eigentlichen Spielverlauf zu beschreiben?
Breuckmann: Man kann das eine ja mit dem anderen kombinieren. Und um es auf den Punkt zu bringen: ich bin kein Unterhaltungskünstler, sondern Journalist, ein Sportjournalist. Und das, was beim Fußball abgeht, das ist nicht nur Show-Business, das ist ein Fußballspiel, was man sportlich bewerten kann und bei dem man auch die Spielzüge schildern kann. Ich gebe zu, dass es in vielerlei Hinsicht in Richtung Show-Business geht und deswegen ist es wichtig, eine vernünftige Kombination hinzubekommen. Aber man kann sich nicht nur auf die Emotionen beschränken. Ich glaube auch nicht, dass das die Kollegen in der Konferenz tun. Es kann sein, dass die Spielschilderung manchmal ein bisschen zu kurz kommt, das hängt aber wiederum mit den sehr kurzen Einblendungen zusammen.
Aber stellen wir uns einmal vor, die Stadiongeräusche im Hintergrund einer Radioübertragung würden fehlen – dann wäre das für den Zuhörer doch nur halb so aufregend.
Breuckmann: Sicher, ich sehe es ja auch als eine wichtige Aufgabe an, bei einem Fußballspiel Emotionen rüberzubringen. Aber das muss ergänzt werden durch eine fachliche Betrachtungsweise, weil es ist schließlich eine bestimmte Art von Fachjournalismus. Das wird manchmal gar nicht mehr erwähnt oder bewusst vergessen, aber wir sind Journalisten. Wir haben nicht nur mit Emotionen zu tun, sondern wir müssen auch erklären, wie es denn wohl kommt, dass die eine Mannschaft verloren hat, wo denn vielleicht die Ursachen dafür liegen, welche Fehler gemacht worden sind, wie die taktische Ausrichtung war. Das vernachlässige ich nie.
Neigen Radiokommentatoren auch dazu, mit den Emotionen zu übertreiben, wenn das Spiel im Stadion nicht besonders beeindruckend verläuft?
Breuckmann: Wie sehr man da mitgerissen ist, das hängt natürlich von der Qualität und der Bedeutung des Spieles ab. Und es ist so eine Unart, die man manchmal beobachten kann, wenn jemand ein Fußballspiel, beispielsweise in der Schlussphase der Bundesliga-Saison, wo es um ganz wenig oder gar nichts mehr geht, vom Grad des Engagements am Mikrofon her so behandelt, als wäre es das WM-Halbfinale. Weil dann habe ich ja gar keine Steigerungsmöglichkeiten mehr, wenn ich wirklich ein Halbfinale kommentiere. Da ist also schon Zurückhaltung angesagt.
Wie hoch sind eigentlich die Einschaltquoten bei der Bundesligakonferenz?
Breuckmann: Wir können davon ausgehen, dass bei der Konferenz am Samstag drei bis vier Millionen zuhören. Das ist schon ganz respektabel.
Gibt Ihnen die große Zuhörerzahl als Kommentator noch einen zusätzlich Kick?
Breuckmann: Nein. Wenn statt 20.000 Zuschauern 50.000 im Stadion sind und die Stimmung dramatisch gut ist, das kann einem noch einen Kick verpassen. Aber diese überhöhte Ebene, dass man sich vorstellt, da hören jetzt vier Millionen zu – die übrigens am Ende einer spannenden Saison noch aufs Doppelte steigerbar sind – ich glaube nicht, dass das irgendjemand zusätzlich beflügelt.
Mögen Sie Ihre Stimme?
Breuckmann: Anfangs mochte ich sie überhaupt nicht – das geht aber glaube ich den meisten Menschen so – und allmählich würde ich sagen, dass meine Stimme eine ganz gute Rundfunkstimme ist, auch im Zusammenhang mit Fußballspielen.
In Ihrer Vita finden sich auch Ausflüge ins Fernsehen, am Ende sind Sie jedoch beim Radio geblieben. Was stört Sie am Fernsehen?
Breuckmann: Da gibt es ja zwei Möglichkeiten: einmal das Arbeiten für eine Sendung wie die „Sportschau“, wo man eine Konserve herstellt, die zu einem späteren Zeitpunkt gesendet wird. Da fühle ich mich als Live-Kommentator im Hörfunk wesentlich besser aufgehoben. Dann gibt es noch die Magazinmoderation, ich habe auch mal eine Sportsendung im WDR-Fernsehen moderiert. Aber da stört mich diese inszenierte Körperlichkeit. Sprich, beim ersten Satz guckst du in die Kamera 1, dann drehst du dich leicht nach rechts herum und guckst in die 2 und bei deinem letzten Satz gehst du noch einen Schritt zurück. Das finde ich furchtbar, das ist für mich wie eine Art Fesselung, da kann ich weder meine sprachlichen Qualitäten noch eine gewisse Lockerheit entfalten.
Man muss sowieso sagen: Fernsehen ist eine komplett andere Baustelle. Es ist nicht die Steigerung von Radio sondern eine ganz andere Art von Berichterstattung, die man sich mühsam beibringen muss.
Ist es Ihnen auch zu viel ‚Kosmetik’ im Fernsehen, zu viel Verpackung um das eigentliche sportliche Ereignis?
Breuckmann: Ja, ich finde zum Beispiel auch die Klamottenfrage im Fernsehen unerträglich. Dazu habe ich überhaupt keinen Zugang. Ich habe keine Lust mir an einem Sonntagmorgen zu überlegen, was ich abends im Fernsehen anziehen soll. Aber das sind eben oft Kritikpunkte bei Fernsehsendungen: nicht die Inhalte, sondern wie der Schlips oder das Hemd des Modertoren ausgesehen hat.
Führen Sie fürs Radio auch Interviews mit Fußballern?
Breuckmann: Nein, Gott sei Dank nicht. Ich halte von Fußballer-Interviews überhaupt nichts. Die sollen Fußball spielen und keine Interviews geben. Die meisten dieser Interviews sind nichtssagend bis unsäglich und vom Informationsgehalt auch sehr dürftig. Ich halte wirklich nicht viel davon.
Dennoch sind jene Interviews fester Bestandteil der Fußball-Übertragungen im TV.
Breuckmann: Ja, das gehört offenbar dazu, bitteschön – ich persönlich könnte drauf verzichten. Es gab mal eine Zeit, da fingen Fußballländerspiele noch mit der Eurovisionshymne an. Wenn die vorbei war, erschien auf dem Bildschirm der Mittelkreis vom Fußballfeld, da standen die zwei Spieler und die machten wenige Sekunden später den Anstoß. Wenn das heute genauso wäre, hätte ich überhaupt nichts dagegen.
Das Vorprogramm gibt es doch nur, damit man die Werbespots besser platzieren kann und nicht, weil dort ein umfassender Informationsanspruch herrscht. Man kann doch alles notwendige an Information während des Spiels sagen. Ich jedenfalls brauche diesen einstündigen Vorlauf nicht.
Der lange Vorlauf ist Ihrer Meinung nach also mehr für die Brauereien und ihre Werbespots gedacht…
Breuckmann: Ja sicher, wofür denn sonst?
Für den Zuschauer, der sich informieren will.
Breuckmann: Das ist doch ähnlich wie zum Beispiel beim Karneval. Der WDR zeigt Karneval ohne Ende, und stellt fest: die Leute schalten ein. Nur weil da „Karneval“ drauf steht, egal was da passiert. Genauso haben die Fernsehsender wahrscheinlich ihre Erfahrung mit dem Vorlauf bei Fußballspielen gemacht, das weiß ich jetzt nicht im Detail. Ich rede ja nur davon, was diese Vorläufe für eine Substanz haben. Nämlich gar keine, oder nur sehr wenig.
Abseits vom Spielfeld, welches Bild haben Sie da von den Fußballprofis?
Breuckmann: Ich habe festgestellt, dass Fußballer in gewisser Weise den Durchschnitt der Bevölkerung repräsentieren. Früher war es vielleicht so, dass die Arbeiter-Schicht etwas überrepräsentiert war, die eher schlicht gestrickten Menschen. Das ist heute nicht mehr so. Im Schnitt hat jetzt jeder Realschulabschluss. Fußballer sind nicht doof, entgegen dem Vorurteil, das in bestimmten bürgerlichen Kreisen immer noch verbreitet ist, wo es auch immer heißt, Fußball wäre ein Proleten-Sport. Das stimmt so nicht mehr. Es gibt intelligente Spieler, es gibt auch welche mit bescheideneren intellektuellen Mitteln, aber ein einheitliches Bild stellt sich nicht mehr da.
Und jemand wie Oliver Kahn, ist das für Sie eine Persönlichkeit?
Breuckmann: Ich würde sagen, er ist eine neurotische Persönlichkeit. Der hat einen so verbissenen, verbohrten Ehrgeiz – ich sage jetzt bewusst nicht, dass das behandlungsbedürftig ist. Aber vielleicht sollte man mal Gespräche darüber führen, was denn das Wichtige für eine Persönlichkeit ist, wie weit der Ehrgeiz gehen darf, auch während eines Fußballspiels. Das könnte ihm nicht schaden, auch wenn er jetzt schon fast am Ende seiner Karriere ist. Er kam mir in seinem hohen Ehrgeiz immer sehr verkrampft vor.
Klingt so, als wären Sie mit Jürgen Klinsmanns Torwart-Entscheidung zufrieden.
Breuckmann: Mich lässt das relativ kalt, weil ich nicht glaube, dass einer von den beiden bedeutend besser oder schlechter ist. Was mich gestört hat, war dieses so genannte „Duell“ über anderthalb Jahre. Das fand ich vollkommen Schwachsinn, weil ich die Auffassung vertrete, dass eine Mannschaft einen festen Torwart haben soll. Diese Rotation war nicht schön. Und vielleicht stimmt es sogar, dass Klinsmann es von Anfang an vor hatte, den Kahn auszubooten. Aber das können wir nicht behaupten, weil wir es nicht wissen. Es kann auch sein, dass Kahns Erklärung, nun als Nummer 2 auf die Bank zu gehen, gewisse Begleitumstände gehabt hat, die wir nicht kennen – davon gehe ich auch aus.
Sie haben Oliver Kahn in einem Radiokommentar als „Stachel im Fleisch von Klinsmann“ bezeichnet, wenn er sich auf die Bank setzt.
Breuckmann: Ja, ich glaube schon, dass solche Leute wie Hoeneß oder Rummenigge sich ein bisschen mit ihm unterhalten haben. Ich glaube auch, dass wirtschaftliche Interessen, also Sponsorenverträge dabei eine Rolle spielen. Dennoch, das ist alles reine Spekulation und das habe ich in dem Kommentar auch gesagt.
Sicher ist aber: auch der Fußball ist nicht frei von Intrigen.
Breuckmann: Nein, überhaupt nicht, gerade im Fall des Verhältnisses zwischen Klinsmann, Bayern München und der BILD-Zeitung, da wimmelt es von Fouls, Intrigen und Sepp Maier-Interviews…
Gibt es bestimmte Spieler, die Ihrer Ansicht in der deutschen Nationalmannschaft nicht fehlen sollten?
Breuckmann: Es gibt vielleicht ein paar Spieler, wo man darüber streiten kann. Aber eigentlich hat Klinsmann die zusammen, die den deutschen Fußball zur Zeit repräsentieren. Er hat ja die Linie verfolgt, auf junge Leute zu setzen. Deswegen hat er meiner Meinung nach zu Recht den Christian Wörns ausgebootet. Nun nimmt er doch den Nowotny mit – das ist vielleicht eine Panikreaktion, weil er sieht, dass er mit seinen jungen Verteidigern alleine nicht klar kommt. Ich würde jetzt aber keine Forderungen erheben, dass bestimmte Spieler auf jeden Fall mitgenommen werden müssen. Was wir als WM-Aufgebot kriegen ist das, was den Zustand des deutschen Fußballs repräsentiert.
Und wie würden Sie momentan den Zustand des deutschen Fußballs beschreiben?
Breuckmann: Mittelmaß. Ein Mittelmaß, das vielleicht durch eine gewisse Euphorie bei dieser WM im eigenen Lande noch befördert werden kann. Ansonsten können die Deutschen aber mit solchen Fußballnationen wie Brasilien, Argentinien, Italien, England oder Holland nicht so richtig mithalten. Das ist Fakt. Darüber kann man eigentlich gar nicht diskutieren, darüber wird ja nur deswegen diskutiert, weil alle so enthusiastisch und manchmal auch hysterisch fordern, dass Deutschland Weltmeister werden muss, bei dieser wunderbaren Weltmeisterschaft im eigenen Land. Ich frage mich manchmal: warum müssen wir denn Weltmeister werden? Wir müssen gute Gastgeber sein. Aber wir müssen doch nicht Weltmeister werden. Warum? Es wäre schön, wenn wir es würden, aber wenn es leistungsmäßig nicht langt, wovon ich ausgehe, dann ist das doch keine nationale Katastrophe. Dann wird doch Deutschland nicht von der Weltkarte getilgt.
Ehrlich gesagt hätte ich wenige Wochen vor Beginn der WM mit ein wenig mehr Euphorie gerechnet.
Breuckmann: Das wird bestimmt ein großes Fest für mich. Aber ich bin ganz weit weg davon, den Fußball als Vehikel für nationale Euphorie zu benutzen. Ich bin kein Nationalist, der sich da im Fußball austoben muss. Und trotzdem drücke ich der deutschen Mannschaft selbstverständlich die Daumen. Warum sollte ich das nicht tun? Das ist ja das Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, in dem ich lebe, mit dem ich mich identifiziere – in vielen Fällen jedenfalls. Deswegen wäre das schön, wenn die Mannschaft möglichst weit kommt. Aber ich denke immer – um mal dieses abgedroschene Bild zu nehmen – man sollte den Ball flach halten und das tue ich in jedem Fall. Wenn die Deutschen zum Beispiel gegen Argentinien im Viertelfinale ausscheiden, wozu es ja kommen könnte, dann geht die Weltmeisterschaft trotzdem weiter und wir kriegen vielleicht noch ganz tolle Spiele.
Könnte die Enttäuschung über ein frühes Ausscheiden auch deswegen sehr groß sein, weil im Vorfeld der WM die Erwartungen sehr hochgeschraubt wurden?
Breuckmann: Ja, ich habe immer gesagt, dass Klinsmanns Äußerung „Wir wollen Weltmeister werden“ ein Fehler war. Jürgen Klinsmann ist ja einer, der die mediale Wirkung von Worten einschätzen kann und wenn jemand sagt, „wir wollen Weltmeister werden“ dann kommt das in der Öffentlichkeit so an, als hätte der gesagt: „Wir werden Weltmeister.“ Dagegen kann man sich wehren, aber das nutzt nix, die Leute denken, der Klinsmann hat gesagt: „Wir werden Weltmeister“. Und daran wird er dann auch gemessen. Die Erwartungshaltung ist mit seinem Zutun beträchtlich gestiegen.
Wie ist es denn bei Ihnen, freuen Sie sich mehr auf die Übertragung der Spiele der deutschen Mannschaft, als zum Beispiel auf eine Begegnung wie Niederlande gegen Argentinien?
Breuckmann: Nein. Das könnte ich nicht sagen. Vor allem, weil ich mir zum Beispiel vorstelle, dass das Eröffnungsspiel gegen Costa Rica nicht ein großer Triumph mit 4:0 wird, sondern vielleicht eine Quälerei – dann weiß ich nicht, ob ich mich darauf freuen soll.
Sie feiern während der WM am 11. Juni Ihren 55. Geburtstag – werden Sie an dem Tag auch kommentieren, quasi zur Feier des Tages?
Breuckmann: Oh Gott, nein. Zu diesen Leuten gehöre ich nicht. Da habe ich Vorsorge getroffen. Ich kommentiere das Eröffnungsspiel, danach am 10. Juni England gegen Paraguay, und dann geht es erst am 12. Juni weiter in Gelsenkirchen.
Machen Sie selbst Sport? Als Radiomoderator haben Sie ja vermutlich kaum Bewegung.
Breuckmann: So gut wie keine. Aber ja, ich finde, man muss sportlich was tun. Ich gehe Joggen und ich sitze auch ab und zu auf dem Ergometer. Das Hobby Fußball habe ich auch, allerdings habe ich es vor einem Jahr sein lassen – hoffentlich vorübergehend – weil mein Meniskus eingerissen ist. Davor habe ich schon Jahrzehnte lang gespielt, meistens vier gegen vier, auf kleine Tore.
Und wenn Sie das kleine Hobbyfeld dann vergleichen mit den Dimensionen im Stadion – staunen Sie da noch manchmal darüber, was die Männer auf dem Spielfeld leisten?
Breuckmann: Nicht so sehr. Weil ich vergleiche es innerlich zum Beispiel mit Rudern oder Radrennen und ich glaube, dass Fußballer bei bestimmten Sportarten kraft- und konditionsmäßig nicht mithalten könnten. Deswegen findet meine Bewunderung eher dort statt, wo artistisch und technisch hoch stehender Fußball gespielt wird. Oder wo man tatsächlich ein sehr gutes und intelligentes taktisches Schema erkennen kann.
Das lässt eine Vorliebe für Mannschaften wie Brasilien oder eines der afrikanischen Teams vermuten.
Breuckmann: Ich denke zum Beispiel dass die Elfenbeinkünste eine wichtige Rolle spielen könnte, weil die ein paar Profis haben, die auch in den europäischen Ligen tätig sind. Früher vor 20, 30 Jahren waren afrikanische Fußballer noch verspielte Kinder, das ist aber längst nicht mehr der Fall, manchmal übertreiben sie es sogar schon mit der taktischen Spielerei. Und Fußballkünstler wie Ronaldo und Ronaldinho, das große und das kleine Hasenzähnchen, oder auch der holländische Flügelstürmer Arjen Robben – die sind schon klasse. Wenn Fußball auch als eine Mischung aus Kunst und Artistik betrieben wird, was nicht mehr so oft stattfindet, dann finde ich das klasse.
Die WM dürfte also für Sie – vom Bundesliga-Alltag herkommend – ein wenig Abwechslung bedeuten.
Breuckmann: Ja klar, das fängt doch schon bei der internationalen Atmosphäre auf den Kommentatoren-Tribünen an, da freue ich mich ganz besonders drauf und natürlich auf Mannschaften, die ich sonst nie sehe. Wobei das auch seine Schwierigkeiten hat, wenn ein Koreaner auf den Platz kommt, dessen Namen man zuvor noch nie vernommen hat, wo man nicht so genau weiß, ob man ihn jetzt richtig ausspricht und ob man gerade überhaupt den richtigen Spieler erkannt hat – das kann schon ganz schön schwierig sein.
Haben Sie Lautschrift in Ihren redaktionellen Unterlagen?
Breuckmann: Nein. Das wäre ja genau der deutsche Zugang zu diesem Thema, diese Überperfektion bei der Aussprache fremdländischer Namen. Nein, da geht man vorher zum koreanischen Kollegen und lässt sich die Liste der Spielernamen vorlesen.
Was treffen Sie außerdem noch für Vorbereitungen bei den WM-Spielen?
Breuckmann: Das ist ja mittlerweile der helle Wahnsinn. Ich bin das erste Mal 1982 in Spanien bei der WM gewesen, in Vigo und La Coruna, wo ich damals die Gruppe mit Kamerun und Peru betreut habe. Und als einzige Informationsquelle diente mir damals das „Kicker“-Sonderheft.
Heute ist das ja verfünfhundertfacht worden und wir Kommentatoren haben da schon Schwierigkeiten, den Überblick nicht zu verlieren. Also, an Informationen über die verschiedenen Mannschaften mangelt es überhaupt nicht. Es kommt dann darauf an, dass man die wichtigen Dinge rausfiltert…
…um daraus die perfekte Moderation zu stricken…
Breuckmann: Also, da wurde früher auch übertrieben, da tat der Reporter immer so, als wenn er seit zehn Jahren kontinuierlich die Nationalmannschaft von Costa Rica beobachtet und alle Namen, alle Fakten voll im Griff hat – das ist eine Art von Verarschung, die betreibe ich nicht. Man muss das dosiert machen, gerade bei etwas exotischeren Nationalmannschaften. Aber ein paar interessante Fakten gibt es immer über die, wenn da einer seit 15 Jahren die Nummer 10 auf dem Rücken trägt, dann sollte man das auch erwähnen.
Unsere Schlussfrage lautet: das Leben ist ein Comic, welche Figur sind Sie?
Breuckmann: Das ist ganz klar: Ich bin der Bär Balu. Probier’s mal mit Gemütlichkeit.