Marcel Reif

Geld schießt sehr wohl Tore, wenn es vernünftig ausgegeben wird.

TV-Kommentator Marcel Reif über die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs, käuflichen Erfolg, Pay-TV und die Krise beim FC Bayern

Marcel Reif

© Premiere

Herr Reif, spielen Sie gerne Monopoly?
Reif: Nein, überhaupt nicht. Dauert mir viel zu lange, habe ich nie gemocht das Spiel.

Wenn man sich die Summen ansieht, die heutzutage beim Fußball bezahlt werden, fühlt man sich leicht an ein Spiel erinnert. Können Sie das noch nachvollziehen?
Reif: Nein, ich spiele ja nicht mit. Von daher ist es auch nicht mein Einsatz. Das sind ja alles virtuelle Zahlen. Ich weiß jetzt nicht genau, worauf Sie abzielen, ob Fernsehrechte oder Spielergehälter: Aber überall geht es um Summen, die für einen Normalsterblichen außerhalb seiner Möglichkeiten und Vorstellungen liegen. Von daher: Ja, das hat etwas von Monopoly.

Und wie erklären Sie sich, dass beim Fußball soviel Geld bezahlt wird?
Reif: Weil ein Markt dafür da ist. Es gibt Menschen, die bereit sind, so viel Geld dafür auszugeben. Allerdings ist das ja nicht der Wert. Natürlich verdient ein Fußballspieler zu viel Geld, natürlich kosten die Rechte viel zu viel, aber sie sind begehrt – also werden diese Gelder auch bezahlt. Das ist freie Marktwirtschaft.

Der FC Chelsea hat für Kaká 100 Millionen Euro geboten. Ist damit auch sportlicher Erfolg käuflich?
Reif: Wenn das mit Vernunft gemacht wird und wenn Kaká genau der Spieler ist, der in dieses Puzzle beim FC Chelsea passen würde, dann kann man sich damit Erfolg kaufen. Geld schießt sehr wohl Tore, wenn es vernünftig ausgegeben wird. Gegenbeispiel ist Real Madrid vor ein paar Jahren: Da wurden Globetrotter zusammengekauft. Das war zwar lustig und ich habe mir auch von allen Autogramme auf mein Real-Trikot geben lassen – eins der wenigen Trikots, das ich Zuhause hängen habe -, aber das hatte mit Fußball nix zu tun. Deswegen war auch sportlicher Erfolg nicht machbar. Das war Unsinn. Die besten Spieler der Welt zusammengenommen ergeben noch nicht die beste Mannschaft. Aber wenn es mit Verstand geschieht, kann man sich Erfolg sehr wohl kaufen.

Der FC Bayern, der finanziell stärkste Verein der Bundesliga, ist sehr schlecht in die Saison gestartet. Sind die Transfers dort auch ohne Verstand gemacht worden?
Reif: Nein, Bayern hat sich in den letzten Jahren richtig gut verstärkt. Der FC Bayern macht jetzt nur einen Quantensprung, was den Trainer angeht. Da wird ein ganz neues System, eine ganz neue Philosophie implantiert – und das braucht Zeit. Das, was beim FC Bayern im Moment an sportlichem Erfolg fehlt, ist nicht Folge von Fehleinkäufen sondern die Folge von einer kleinen sportlichen Revolution. Das muss erstmal in allen Bereichen rein.

Wird Jürgen Klinsmann überhaupt genügend Zeit gegeben, damit er sein Konzept durchsetzen kann?
Reif: Das ist eine sehr gute Frage. Ich fürchte, wenn nicht bald Ergebnisse kommen, wird er die Zeit nicht haben. Man kann es dem Münchner Publikum und dem Münchner Umfeld nicht verkaufen, dass es auch Jahre dauern kann, bis das greift. Das geht in München nicht.

Eigentlich müsste man doch meinen, dass die Spieler, die er hat, ein neues taktisches Konzept relativ schnell umsetzen können – bei der ganzen Erfahrung, die sie haben. Warum braucht es trotzdem so lange?
Reif: Es sind schon noch Spieler aus verschiedenen Kulturen und letztes Jahr haben sie unter Ottmar Hitzfeld in einem ganz klaren System gespielt. Das war von allen akzeptiert, wurde auch nicht gewechselt und zwar nach dem Motto: Ey, es macht doch Spaß, mit guten Fußballspielern zusammenzuspielen. Das war noch so ein bisschen eine Spaßgesellschaft – in einem klaren Rahmen, an dem nicht gerüttelt wurde. Und jetzt möchte Klinsmann Flexibilität und mehrere taktische Systeme. Das möchte er parallel haben, das möchte er schnell wechseln können. Dann rotiert er zu einem Zeitpunkt, wo es sicher nicht notwendig oder nicht hilfreich war, und im Endeffekt entsteht so eine Verunsicherung und dann hat man auch ein bisschen Pech, was in der Regel immer dann dazukommt, wenn etwas nicht glatt läuft. So, und plötzlich fehlt der Erfolg und man guckt auf die Tabelle. Bayern ist ja nicht die elftbeste Mannschaft in Deutschland, aber so läuft das im Moment. Vielleicht ist es auch sehr viel auf einmal, was da so im Umfeld passiert – das Trainingszentrum und die ganzen anderen Methoden plus Rotation, plus mehrere taktische Systeme – selbst für großartige Spieler vielleicht ein bisschen viel.

Bei Fortuna Köln geht man einen anderen Weg. Da dürfen die Fans im Internet über die Aufstellung mitbestimmen. Ist es erfolgversprechend, wenn die Anhänger so ein Mitspracherecht haben?
Reif: Also, das gibt es auch in England, soviel ich weiß bei einem Klub in der dritten Liga. Fortuna Köln ist aber, glaube ich, mittlerweile fünfte oder sechste Liga. In diesen Klassen, wenn einem gar nichts mehr einfällt, kann man das machen, und wenn jeder von denen auch noch einen Euro stiftet oder nach Möglichkeit fünf oder zehn, dann kann man sich auch wieder halbwegs warmes Essen leisten. Ja, das ist charmant und herzig, wie man in der Schweiz sagt, aber auf Sicht und je höher es geht, nicht das System, das funktioniert.

Also ist es eher ein PR-Gag?
Reif: Ja, und in unteren Klassen möglicherweise sogar von Erfolg gekrönt.

Von welcher Mannschaft sind Sie selber Fan?
Reif: Von gutem Fußball. Erstens mach ich das beruflich. Ich kann ja nicht rumlaufen und sagen: Ich bin Fan von der Mannschaft, und wenn die nicht gewinnt, dann bin ich sauer. Nein, ich möchte heute, wenn ich Samstag für Samstag und in der Champions League unterwegs bin, richtig guten Fußball sehen. Ich bin jeder Mannschaft dankbar, die mir den liefert. Das macht die Arbeit leicht und es erspart mir die Frage: Wie lange willst du das noch machen? Solange ich noch so viel Spaß daran habe und mir so viel Spaß geboten wird, bin ich sofort Fan.

Dann müssten Sie sich ja eigentlich über ausländische Investoren freuen, die viel Geld in die Vereine bringen und damit guten Fußball ermöglichen.
Reif: Das wird sicher eine der Kardinalfragen sein im deutschen Fußball in den nächsten Jahren – ich hoffe nicht Jahrzehnten. Irgendwo muss ja eine Chancengleichheit mit dem Rest der Welt zumindest schemenhaft sichtbar werden. Sonst können wir den Laden aus europäischer Sicht dicht machen. Wenn selbst der FC Bayern sagen muss: Nee, da können wir nicht mithalten. Dann kann er aber auch nicht mithalten. Man kann ja sogar mal die Champions League gewinnen, aber das ist dann eher ein Zufall. Der FC Bayern ist im Moment nicht konkurrenzfähig. Jetzt kann man sich mal reinmogeln unter die letzten acht, aber nach menschlichem Ermessen ist es das dann auch schon. So, also wie kann man Geld generieren, damit man mitmachen kann? Denn natürlich ist das eine Frage des Geldes. Fernsehgelder? Glaube ich nicht, dass da die Schraube noch weiter gedreht werden kann. Also Investoren – das wird auch für die Bayern zum Thema -, und umso mehr für die anderen Klubs, damit sie wenigstens den FC Bayern nicht aus den Augen verlieren, aber das ist rechtlich im Moment bei uns nicht darstellbar. Also verabschieden wir uns relativ zügig aus den diversen europäischen Wettbewerben.

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Natürlich verdient ein Fußballspieler zu viel Geld, natürlich kosten die Rechte viel zu viel, aber sie sind begehrt – also werden diese Gelder auch bezahlt. Das ist freie Marktwirtschaft.

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Ein Investor in der Bundesliga ist Dietmar Hopp von der TSG Hoffenheim. Wie bewerten Sie sein Konzept?
Reif: Viel Geld, gute Leute und siehe da: Der Erfolg ist kaufbar. Sie werden so schnell nicht Deutscher Meister. Denn dazu braucht es dann doch noch Spieler, die sagen: Ja, okay, dann geh ich lieber nach Hoffenheim als zu den Bayern. Irgendwann wird die Luft dann doch dünner. Aber fürs Erste, und um da oben mitzuspielen, ist es völlig richtig. Das ist ja nicht ein Investor, der von außen kommt, sondern fast von innen. Das ist sein Klub. Ein Junge kauft sich sein Spielzeug – bis zum bitteren Ende. Das kann nicht jeder Junge. Er kann sich das leisten und macht das –  völlig in Ordnung.

Trauen Sie ihm auch langfristig Erfolg zu?
Reif: Fragen Sie ihn. Er wird vermutlich sagen: Jawohl, das ist auch langfristig angelegt; ich werde dafür sorgen, dass hier Strukturen entstehen, damit der Klub das auch aus eigenen Mitteln machen kann. Aber da bin ich ein bisschen skeptisch. Weil, wie gesagt, Sinsheim ist nicht der Nabel der Fußballwelt und den kann man mal kurzfristig dahin operieren, aber von alleine, aus sich heraus – bin ich mal gespannt, ob das funktioniert. Bisher ging es immer linear nach oben und jetzt muss man als vernünftiger Mensch, und so schätze ich Hopp ein, davon ausgehen, dass zumindest Stagnation auf höchstem Niveau passiert. Ob das dann noch so sexy ist, das müssen Sie ihn fragen.

Eine wichtige Einnahmequelle sind Sponsoring und Merchandising. Da werden Namensrechte von Stadien verkauft, der FC Bayern war auf Asien-Tour. Werden dadurch die Vereine zunehmend auch zu Markenartikeln?
Reif: Heutzutage müssen sie das werden. Wenn sie Geld haben wollen, wenn sie Sponsoren haben wollen, wenn sie attraktiv sein wollen, dann müssen sie sich ja auch gegen andere Produkte durchsetzen. Und da müssen sie – lassen Sie mich das Wort benutzen – sexy sein. Und natürlich sind sie dann ein Markenprodukt. Der FC Bayern ist eine Marke oder möchte es zunehmend sein und nicht nur ein Fußballclub. Fußballclubs gibt es furchtbar viele. Nehmen wir den FC Bayern mal als Maß der Dinge. Die sind zwar Spitze, aber im internationalen Vergleich immer noch hinterher. Real Madrid ist sportlich in den letzten Jahren nun wirklich nicht allererste Wahl, aber trotzdem als Marke der Fußballclub schlechthin.

Bedauern Sie insgesamt diese Entwicklung?
Reif: In manchem ja, in manchem nein. Die Frage stellt sich aber nicht. Wichtig ist, dass meine Söhne Fußball immer noch so attraktiv und lustig finden, wie ich, als ich so alt war wie sie – trotz der Entwicklung, trotz der Kommerzialisierung. Es lohnt sich nicht, deswegen zu heulen. Das ist so. Wenn meine Söhne das noch gut finden und auch zum Fußball rennen wie ich, dann ist das okay. Wenn die aber sagen sollten: Das ist mir jetzt zu viel, das macht mir keinen Spaß mehr und die Leistung ist nicht entsprechend – dann spiel ich lieber Fußball auf der Playstation.

Sie haben vorhin die Fernsehrechte angesprochen, die sind ja ab 2009 immer noch in der Schwebe. Wie viel Fußball wird es Ihrer Meinung nach künftig zu sehen geben?
Reif: Ich glaube nicht, dass sich allzu viel ändern wird, nachdem was ich im Moment sehe.

Wird sich damit Pay-TV in Deutschland auch weiterhin nicht durchsetzen können?
Reif: Das ist eine mutige Darstellung. Pay-TV hat sich in seinem Rahmen sehr wohl durchgesetzt. Sonst könnte ja Premiere nicht das Geld zahlen und die Bundesliga wäre längst sonst wo. Also, durchgesetzt schon – die Frage ist: in welchem Ausmaß?

Also im internationalen Vergleich gesehen…
Reif: Wenn wir den internationalen Vergleich diskutieren, dann sitzen wir noch zwei Stunden hier. Der Fernsehmarkt ist ein völlig anderer. In England, wo das Pay-TV eine große Erfolgsgeschichte ist, können Sie aber, glaube ich, nur vier oder fünf Mal auf der Fernbedienung klicken. Wissen Sie, wie oft Sie hier in München klicken können? Es sind, glaube ich, vierzig Sender. Wenn Sie jeden Abend zehn, fünfzehn Spielfilme sehen können, dann hat Pay-TV nicht das Alleinstellungsmerkmal wie in Spanien, Frankreich oder selbst Italien und vor allem nicht wie in England.

Es vergeht kein Tag, an dem nicht Bundesliga, Champions League oder Nationalmannschaft zu sehen sind. Sehen Sie die Gefahr, dass der Zuschauer irgendwann übersättigt ist und abschaltet?
Reif: Die Gefahr habe ich vor zehn, fünfzehn Jahren mal gesehen. Da habe ich mich richtig drüber aufgeregt. Da hab ich durchgezählt: Montags Zweite Liga, dienstags Champions League, mittwochs Champions League, donnerstags UEFA-Cup, freitags Bundesliga, samstags Bundesliga, sonntags Bundesliga und schon sind wir wieder am Montag. Ich glaube, dass die Zuschauer gelernt haben, auszuwählen. Also Sie können heute nicht mehr sagen: Hey, das ist aber ganz toll. Also UEFA-Cup im Free-TV mittags um 14.30 Uhr, ein super Spiel aus Irland. Das wird schwierig zu verkaufen. Insofern glaube ich, dass genau da der Punkt ist: Rundumversorgung mit Live geht im Pay-TV, Highlights auch im Free-TV. Das sage ich nicht nur, weil ich bei Premiere bin und das für Premiere gut finde, sondern weil das Sinn macht. Der Freak, und dazu zähle ich mich auch, wird bei uns sehr gut bedient, wie ich finde. Die Öffentlich-Rechtlichen und Free-TV überhaupt müssen gucken, dass sie keinen Unfug senden, den keiner sehen will. Aber das kriegen sie mit der Quote sofort zu spüren.

Wie viel Fußball sehen Sie sich persönlich an?
Reif: Sehr viel, wenn meine Söhne spielen, aber im Fernsehen sehr wenig. Zu der Zeit, wo Fußball läuft, bin ich meistens selber als Kommentator unterwegs. Aber wenn ich mich auf einen Klub in der Champions League vorbereite – sagen wir mal, den FC Barcelona -, dann kann ich bei Premiere Spanische Liga sehen. Aber das ist berufsbedingt und nur selten Lustprinzip.

Beim Spiel Werder Bremen gegen Schalke haben Sie sehr unwirsch auf einen Kollegen reagiert, als er aufgestanden ist, und haben vergessen, die Räuspertaste zu drücken. Wann haben Sie gemerkt, dass das ganze auch im Fernsehen zu hören war?
Reif: Also, ob das wirklich die Räuspertaste war, die ich nicht gedrückt habe, oder ob das über das Mikro meines Assistenten gegangen ist, weil ich ziemlich laut wurde, ist mal dahingestellt. Aber das ist Wurscht. Im Übrigen, die Darstellung war falsch. Ich habe nicht gesagt: Schleich dich, du Arsch! Sondern: Schleich dich, beweg deinen Arsch! Das macht die Sache nicht besser und meine Söhne – sechs und acht – haben mich gefragt, ob das denn in Ordnung sei. Ich habe dringend darauf hingewiesen, das sei nicht in Ordnung – weder bei mir noch bei ihnen.

Die Geschichte wurde ja im Radio und in vielen Zeitungen thematisiert. Hat Sie das gewundert, dass das so breit besprochen wurde?
Reif: Ich bin zu lange dabei, als dass mich das wundern würde. Es wurde von bestimmten Zeitungen thematisiert und ich weiß, wo meine Freunde sitzen und wo meine Freunde nicht sitzen. Es gibt sicher bessere Formulierungen in der Öffentlichkeit von mir als diese, aber ich habe weder inhaltlich noch am Ende in der Form, weil ich das für absolut nachvollziehbar halte, etwas wegzupacken. Ich wollte meinen Job machen und mich nicht an einem Kollegen gütlich tun.

Eine letzte Frage: Angenommen, das Leben ist ein Comic – welche Figur wären Sie?
Reif: (überlegt) Eine Kreuzung zwischen Linus und Superman. Sie dürfen es sich aussuchen.

Also eine Eigenkreation?
Reif: Ich hoffe, dass das Leben – um das mal zu übersetzen – immer wieder komisch ist. Das brauche ich am Tag mindestens zwei-, dreimal. Meine Söhne helfen mir sehr dabei, vieles komisch zu finden. Meine Frau ist auch witzig. Also ich lache sehr gerne. Und ich mach mich auch, fragen Sie meine Söhne, sehr häufig zum Affen. Die allerdings finden das lustig. Für meine Söhne bin ich auch eine Comicfigur.

Marcel Reif (geboren 1949 in Wałbrzych in Polen) ist ein deutscher Fernsehjournalist und Sportkommentator. Legendär ist seine Reportage mit Günther Jauch vom Champions-League-Spiel Real Madrid - Borussia Dortmund am 1. April 1998 in Madrid. Der mehr

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