Margarethe von Trotta

In den 60ern habe ich im Grunde wie im Mittelalter gelebt.

Margarethe von Trotta über Hildegard von Bingen, Naturheilmittel, künstlerische und göttliche Visionen und ihren Ex-Mann Volker Schlöndorff

Margarethe von Trotta

© Concorde Filmverleih

Frau von Trotta, hat die Beschäftigung mit Hildegard von Bingen Ihr Verhältnis zu Ihrer Hausärztin beeinflusst?
von Trotta: Nein. Aber da Hildegard von Bingen auch bekannt für ihre Schriften zur Heilkräuterkunde ist, habe ich einmal so einem Waldmenschen begleitet, der Kurse über Kräuter anbietet. Die Schafgarbe kann ich jetzt erkennen. Aber ein größeres Wissen besitze ich da nicht. 

Sind Sie eher eine Anhängerin der Schulmedizin?
von Trotta: Ich bin schon für beides. Wenn man Krebs hat, sollte man sich auch an die Schulmedizin wenden und nicht versuchen, sich nur mit Kräutern zu retten. Das habe ich zweimal mit Freundinnen erlebt, die das nur auf der esoterischen Kräuterbasis versucht haben; die sind beide gestorben. Da ist eine Grenze gesetzt. Ich glaube, dass Hildegard, die so wissensdurstig und neugierig war, auch heute überhaupt nichts gegen die Wissenschaft gehabt hätte. Sie wäre heute nicht mehr die Kräuterliese, sondern auch mir Physik und moderner Medizin vertraut.

Wie haben Sie Ihre Produzenten überredet, einen Film über Hildegard von Bingen zu finanzieren?
von Trotta: Das musste ich nicht. Diesmal kamen die Produzenten auf mich zu. Ich hatte schon in den 80er Jahren die Idee, einen Film über sie zu machen. Aber damals war immer noch vor allem politisches Kino gefragt. Ich bin davon ausgegangen, dass so ein Film, wie ich ihn im Kopf hatte, niemanden interessiert und habe die Idee dann fallen lassen. Vor einiger Zeit wollte ich mit meinem Produzenten Markus Zimmer ein Drehbuch über Hannah Arendt realisieren. Das wollte er nicht, aber er meinte: Du hast mir doch mal von Hildegard von Bingen erzählt. Mach doch über sie einen Film. Und ich sagte: Na gut, wenn ihr mir das zahlt, schreibe ich das Drehbuch. Hannah Arendt, hatte ich so geschrieben, ohne irgendwas dafür zu bekommen.

Was fasziniert Sie an dieser Nonne aus dem 12. Jahrhundert?
von Trotta: Ihre Vielseitigkeit. Wie sie versucht hat, ihre vielen Talente auszuleben. Das war ja gar nicht so leicht für eine Frau damals. Natürlich spielte ihr tiefer Glaube da eine wichtige Rolle, das darf man gar nicht anzweifeln. Im Mittelalter hat man eben an den Himmel, an Gott, an die Hölle, an den Teufel und die Verdammnis geglaubt. Die haben auch geglaubt, dass wir auf einer Scheibe stehen und unter uns die Hölle ist. Das muss man sich immer wieder mal vor Augen halten.

Anders als andere Gläubige hat von Bingen auch geglaubt, von Gott auserwählt zu sein..
von Trotta:  Es war mutig von ihr zu sagen: Ich habe Visionen. Die hätten ja genauso gut vom Teufel sein können. Wenn die Kirche sie verdammt, sie exkmmuniziert hätte, das wäre ja wie ein Tod gewesen, wie die Verdammnis zu Lebzeiten. Weil ihre Visionen aber offiziell anerkannt waren, konnte sie mit ihnen rechtfertigen, dass sie weg wollte, um ein eigenes Kloster mit den anderen Nonnen aufzubauen. So hat sie ihren Glauben auch genutzt, um ihre Talente ausleben zu können. Ich finde das genial, wie ihr Unbewusstes da gearbeitet hat.

Bei Regisseuren ist auch oft von Visionen die Rede, die sie umsetzen würden. Spüren Sie da eine Verwandtschaft?
von Trotta: Jeder Regisseur, erst recht, wenn er das Drehbuch auch noch selbst geschrieben hat, hat eine Vision, die er verwirklichen möchte. Und er muss Wege finden, wie er Geldgeber für sie interessiert. Da gibt es schon Ähnlichkeiten. Darüber hinaus kann so eine Vision ja auch eine Utopie für eine bessere, gerechtere Welt sein. Ich habe mal einen Film über Rosa Luxemburg gemacht. Rosa und Hildegard haben beide immer wieder gegen die Machthaber und gegen die Habgier Stellung bezogen. Das ist jetzt ja wieder sehr modern. Die Zeiten sind düster und alle bereichern sich, da kann man wieder vieles von dem, was die beiden gesagt haben, eins zu eins zitieren.

Haben Sie Ihre Vision von sich als Regisseurin erfüllen können?
von Trotta: Die Vision war ja, dass ich etwas realisieren kann. Deswegen heißt der Regisseur in Frankreich ja auch réalisateur. Ob ich so geworden bin, wie ich mir das erträumt hatte, sei mal dahingestellt. Ich mache immer noch Filme. Aber ein Ingmar Bergmann bin ich nicht geworden. Das war ja mein Vorbild.

Können Sie etwas mit den göttlichen Visionen von Hildegard von Bingen anfangen?
von Trotta: Ich hatte da ein wenig Angst. Die erste Vision musste ich filmisch umsetzen, das ging nicht anders. In ihr bekommt sie ja den Auftrag von dem lebendigen Licht, dass sie sich äußern, ihr Wissen mitteilen soll und es nicht nur für sich selbst behalten darf. Sie sollte die Menschen ermahnen und sie zu Gott zurück führen. Ich habe schon vorgehabt, mehrere Visionen zu verfilmen, aber dann habe ich gemerkt, dass ich dazu einen Videokünstler brauchen würde, der da was ganz Neues macht.

Die Frage war etwas anders gemeint: Glauben Sie, dass sie ihre Visionen wirklich von Gott bekommen hat?
von Trotta: Ich glaube, dass sie davon überzeugt war, dass sie die Visionen von Gott bekommen hat. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass Gott irgendjemanden aussucht und ihm sagt: Du bist jetzt dazu da, die Glaubensinhalte weiter zu tragen. Wenn man jetzt wirklich an einen Gott glauben würde, dann würde dieser Gott ja nicht nur für die Christen da sein, sondern für alle Gläubigen. Dass ihre Visionen nur aus dem Christentum und aus der Bibel resultieren, ist für mich ein klarer Hinweis, dass sie ihre Visionen nicht von Gott hat. Das kann ich mir nicht vorstellen.

Würden Sie sich als gläubig bezeichnen?
von Trotta: Wie soll ich das sagen? Ich gehen nur in die Kirche, wenn ich Kerzen aufstelle für kranke Freunde, oder um einfach einen Moment Stille zu haben, wenn sonst niemand da ist, oder nur wenige. Aber ich gehen nicht in die Messe, in die Andacht. Ich bin wohl eine gläubige Atheistin.

Sie zeigen Hildegard von Bingen durchaus auch als egoistische Person.
von Trotta: Der Vorwurf, sie sei egoistisch kommt ja eher von außen. Wenn die junge Schwester Richardis ihren Orden verlassen will, da verhält sie sich dieser jungen Frau gegenüber auch wirklich egoistisch. Da geht einfach ihr Gefühl mit ihr durch, aber das macht sie auch wieder menschlich.

Zitiert

Jeder Regisseur, erst recht, wenn er das Drehbuch auch noch selbst geschrieben hat, hat eine Vision, die er verwirklichen möchte.

Margarethe von Trotta

Was hat Hildegard von Bingen mit den anderen Frauen gemeinsam, die Sie in Ihren Filmen porträtiert haben?
von Trotta: Ich gucke gerne auf Menschen, die eine Vorstellung von dem haben, was sie erreichen wollen. Im Film sind es bei mir meistens Frauen, im Leben gucke ich genauso auf Männer. Das hat nicht unbedingt was mit dem Erfolg des Einzelnen zu tun; das hat mit dem zu tun, was man in sich spürt und was man herauslassen will. Vom Gedanken zur Materie – das interessiert mich.

Fühlen Sie sich wohl, wenn Sie auf die Rolle einer Regisseurin für Frauen-Filme reduziert werden?
von Trotta: Naja, mittlerweile ist das eben so etwas wie mein Markenzeichen geworden. Das war noch nicht mal eine Wahl. Es kam immer auf mich zu; irgendwann habe ich akzeptiert, dass es so ist.

Sie haben als Schauspielerin angefangen. Warum haben Sie seit dem Wechsel zur Regie nie wieder gespielt?
von Trotta: Regie war das, was ich mir von Anfang an gewünscht hatte. Schauspielerin war für mich so ein Umweg. Anfang der 60er war ich in Frankreich. Die Filmemacher da waren ja ungeheuer cinephil und haben erstmals den Regisseuren wirklich Aufmerksamkeit geschenkt. Auch in Deutschland galten zuvor nur die Schauspieler etwas, niemand achtete auf die Regisseure. Die allerersten Filme, die ich gesehen habe, waren von Bergman, von Hitchcock und der Nouvelle Vague. Ich habe gedacht: Mein Gott, das mal machen zu können, das wär’s.

In Frankreich gehörte mit Agnès Varda auch eine Frau zu den Vorreitern der Nouvelle Vague.
von Trotta: Aber in Deutschland war für mich noch nicht vorstellbar, dass jemand wie ich Filme machen kann. Der Neue deutsche Film begann ja erst 65/66 mit den ersten Filmen von Volker Schlöndorff und Alexander  Kluge. Deswegen bin ich unbewusst erstmal zur Schauspielerei gekommen und hab dann in den Startlöchern gestanden, bis 1977 der Moment kam, wo ich rüber, ins andere Fach springen konnte. Und seitdem habe ich nie wieder gespielt. Ich hatte auch keine Lust mehr dazu.

Das Unbewusste hat also dafür gesorgt, dass Sie Ihre Talente in die Tat umsetzen konnten – so haben Sie vorhin auch Hildegard von Bingens Strategie beschrieben.
von Trotta: Naja, da sehe ich nur bedingt Parallelen. Aber wenn ich die Situation von mir als Frau in den 60ern sehe, dann kann man schon sagen, im Grunde habe ich im Mittelalter gelebt, das kann man schon vergleichen. Da hatte ich als Frau keine Chance. Aber dann habe ich eben nicht den Weg über Gott, sondern über die Schauspielerei genommen. (lacht) Meine Kolleginnen Helke Sander und Helma Sanders-Brahms haben allerdings schon vor mir Filme gemacht. Ich bin da so sein bisschen nachgetröpfelt.

Kann man sagen, dass Sie sich als Schauspielerin an Filmsets selbst zur Regisseurin ausbildeten?
von Trotta: Von meinen Regisseuren wollte ich mir abgucken, wie die es machen. Aber Claude Chabrol hat immer nur gesagt: Suprenez-moi- überrascht mich. Und das ist schwierig, so einen Meister zu überraschen. Wolfgang Staudte war schon ein bisschen ermüdet, er hatte kein großes Interesse mehr. Aber er fand toll, dass ich soviel wusste. Wir haben über die Filmgeschichte geredet und dann meinte er: So, machen wir mal wieder weiter. Du gehst da jetzt mal von rechts nach links! (lacht)

Machen Frauen anderes Kino als Männer?
von Trotta: Nicht unbedingt. Kathryn Bigelow macht schon eher männliches Kino. Ich habe mich früher immer gegen die Frage gewehrt, genauso wie gegen die Frage: Warum machen sie Filme nur über Frauen? Da habe ich gesagt: Wenn sie den Wim Wenders fragen, warum er nur Filme über Männer macht – mittlerweile hat er sich da ja geändert – dann dürfen sie mich das auch fragen.

Nun kommt in ein paar Wochen auch „Die Päpstin“ ins Kino, ebenfalls ein Film über eine starke Frau aus dem frühen Mittelalter. Er sollte ursprünglich von Volker Schlöndorff gedreht werden, mit dem sie viele Jahre verheiratet waren. War Ihr Interesse an Hildegard von Bingen dem Interesse von Schlöndorff an der Päpstin ähnlich?
von Trotta: „Die Päpstin“ ist eben ein großes Spektakel. Das ist ein 20 Millionen Euro-Projekt, was ganz anderes als meine fünf Millionen, oder wie viel ich da hatte.

Spektakel kann man viele drehen, aber dieses Sujet ist schon etwas Besonderes…
von Trotta: Als er damit anfing, war mein Film noch nicht absehbar. Aber er erinnerte sich damals an meine erste Idee für ein Bingen-Projekt, und dass ich noch die ganzen Bücher über sie habe. Er hat sich dann auch sehr mit Hildegard von Bingen beschäftigt, als Vorbereitung auf „Die Päpstin“. Aber die Päpstin ist ja eine erfundene Figur, insofern hat man da ja viel mehr Freiheiten.

Wie wichtig war Volker Schlöndorff für Ihren Weg?
von Trotta: Sehr wichtig. Mit ihm zusammen habe ich ja 1975 „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ gemacht. Am Ende habe ich damals mehr im Schneideraum gesessen, als er.

Haben Sie seine kürzlich erschienene Autobiografie gelesen?
von Trotta: Ich muss zugeben: noch nicht ganz. Er hat mir zwar das Manuskript gegeben, aber da hatte ich gerade so viel mit „Vision“ zu tun und wollte mich nicht belasten. Und ich war sicher, ich reagiere da gegen einiges ziemlich allergisch. Das wollte ich in dem Moment nicht herausfordern. Ich habe mich gewundert, als er sagte: „Ich schreibe meine Biografie“, denn ich hatte immer ein viel besseres Gedächtnis als er, musste ihm immer auf die Sprünge helfen. Das Buch muss ja wirklich sehr gut sein, nach allem, was ich darüber gelesen habe. Aber ich bin ganz sicher, dass da vieles nicht stimmt. (lacht) Er sagte: „Naja, du schreibst dann irgendwann deine eigene Biografie. Dann kannst du das alles klar stellen.“

Und? Werden Sie das tun?
von Trotta: Ach ne, warum sollte ich? Vielleicht, wenn ich 100 werde.

In der ersten Ausgabe des neuen feministischen Magazins Missy gab es eine Umfrage zum Thema: Wann haben Sie sich zum letzten Mal aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt gefühlt? Die Frage möchte ich hiermit zum Schluss an Sie weiterleiten.
von Trotta: Da fällt mir spontan nichts ein. Es gibt natürlich immer noch viel zu kritisieren. Aber solche Sachen, wie unterschiedliche Lohnverhältnisse bei Männern und Frauen, sowas habe ich so oft angeprangert, das sollen jetzt mal andere machen. Da kommen auch immer wieder welche nach, die schreien. Ich fühle mich jedenfalls momentan ganz wohl in der Welt.Vielleicht, weil ich immer noch lebe.

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