Marianne Sägebrecht

Ich will nicht abhängig sein von der Zelluloid-Industrie

Marianne Sägebrecht über schauspielerische Begabung, bayerische Identität, Religion, ihre Absage an „Harry Potter“, den Film „Omamamia“ und ein Hasch-Attentat

Marianne Sägebrecht

© Majestic/Mathias Bothor

Frau Sägebrecht, in „Omamamia“ spielen Sie eine Großmutter, die auf eigene Faust nach Rom aufbricht um den Papst zu treffen. In einer Autobiografie schreiben Sie über Ihre eigene Großmutter, sie sei „eine schöne, musische, künstlerische Frau“ gewesen, die „sang und in jungen Jahren Theater spielte“…
Sägebrecht: Ja, das war meine Großmutter mütterlicherseits, Theresia. Ich habe sie leider nicht mehr erlebt, kenne sie aber aus den Erzählungen meiner Mutter. Es muss eine wunderbare Frau gewesen sein. Und es stimmt, sie hat damals in Chiemgau Theater gespielt.

Geht Ihre schauspielerische Begabung vielleicht zurück auf diese Großmutter Theresia?
Sägebrecht: Das kann durchaus sein. Mein Deutsch-Lehrer sprach immer von einem großen empathischen Prinzip bei mir. Er hatte mit uns in der Realschule vier Jahre lang eine Theatergruppe gemacht, da habe ich schon mit 12 Jahren mein erstes Theaterstück inszeniert. Und er meinte ich hätte die Fähigkeit, mich gut in andere Menschen hineinzufühlen. Er wollte auch, dass ich das weitermache und sagte „du musst unbedingt auf dieser Schiene bleiben“. Das war mir aber gar nicht möglich, ich wollte ja in einen Sozialberuf, ich wollte Hebamme werden. Ich wollte Menschen helfen und nicht da irgendwie auf der Bühne stehen. Als Hobby gerne, aber als Hauptberuf konnte ich mir das damals nicht vorstellen.

Empathie ist aber schon mal eine Grundlage, die man als Schauspieler gebrauchen kann…
Sägebrecht: Das denke ich schon, wenn man sich hineindenken kann in verschiedene Menschen und Lebenssituationen, dann kommt einem das schon zu gute. Das ist auch etwas, was angeboren ist. Man kann viel lernen, Dinge wie, dass man beim Weinen mit der Schulter zuckt, damit es so aussieht. Aber auf der feinstofflichen Ebene, wo auch die echten Gefühle, die in einem Schauspieler aufsteigen, übermittelt werden an den Zuschauer, da denke ich, so etwas ist angeboren.

Wenn man Ihnen eine Rolle anbietet, müssen Sie darin auch etwas von sich erkennen, um diese Figur gut zu spielen?
Sägebrecht: Ich möchte immer authentisch sein, für meine Zuschauer, und mich nicht zu sehr von mir selbst entfernen. Ein Schauspieler sollte sich nicht zu weit von seinem eigenen, seelischen Urkern wegbewegen.
Die Oma, die ich jetzt spiele, die gab es ja wirklich. Dass sie in die Welt rausgegangen ist, auswandert nach Kanada und dann mutig flüchtet – das hätte ich auch gemacht, so etwas kann ich gut nachempfinden und mir vorstellen.

Was für Rollen lehnen Sie ab?
Sägebrecht: Ich werde oft gefragt, ob ich nicht mal eine Giftmischerin oder eine Mörderin spielen will. Aber das sind dann meist sehr einseitige Figuren, da habe ich einfach andere Vorstellungen. Für mich ist das Opfer-Täter-Verhältnis eine geheimnisvolle Verbindung, jeder Mord hat eine Wandlung zur Folge, im Umfeld, in der Familie, in der Gesellschaft. Wenn man diesen Aspekt mit einbringt, dann habe ich damit überhaupt kein Problem. Die Wandlung einer Geschichte, die ist meistens in meinem Sinne.

Was war der Grund, als Sie vor ein paar Jahren eine Rolle in einem der „Harry Potter“-Filme absagten?
Sägebrecht: Damals sollte ich einen Vertrag unterschreiben, ohne dass der Regisseur genau wusste, wen ich spielen werde. Er konnte sich nicht festlegen, ob Teufelin oder die fette Lady… Da habe ich halt abgesagt. Bevor ich unterschreibe will ich ja wissen, was ich spreche, ich möchte schließlich das, was ich in einem Film sage, auch verantworten. Ich würde zum Beispiel nie irgendwelche Misskredite gegen Menschen aus anderen Kulturen aussprechen, nichts, was rassistisch ist, so etwas geht nie im Leben über meine Lippen.

Sie erwähnten vorhin ja bereits Ihre soziale Ader. Wo kommt die heute, abseits der Leinwand, zum Tragen?
Sägebrecht: Ich war zum Beispiel vor kurzem in Eichstätt in einem Gefängnis. Dort gab es Kulturwochen und ich wurde eingeladen, dort zu lesen. Ich habe dann allerdings gesagt: „Es ist doch immer das Gleiche, wir gehen da rein mit Musik und unseren Texten – vielleicht haben die darauf aber gar keine Lust.“

Was haben Sie stattdessen gemacht?
Sägebrecht: Wir haben sie selber schreiben und malen lassen. Ich habe die auch nicht bemitleidet sondern zu denen gesagt: „Passt mal auf, ihr könnt nicht alles auf euer Elternhaus schieben, sondern ihr müsst hier jetzt selbst Verantwortung übernehmen.“ Das hat funktioniert, am Ende kamen über 800 Besucher, die deren Geschichten hören wollten. Und viele haben gesagt, sie hätten nie gedacht, dass die Häftlinge so tolle, feine Gedanken hegen. So etwas macht mich glücklich. Ich liebe jeden Menschen in seiner Einmaligkeit, ein Mörder kriegt da genauso seine Zuwendung. Oder wenn jemand besonders kauzig, giftig ist, dann sage ich oft: „Sie sind ein besonderes Exemplar von Mensch, Sie werden von mir artengeschützt, Sie kommen in mein Menschen-Biotop“. Weil ich schon weiß: hinter dieser Fassade steckt ein sehr sensibler Mensch.

Auch Schauspieler sind mitunter schwierige Persönlichkeiten. Haben Sie viele Kollegen, die Sie in Ihr „Menschen-Biotop“ stecken würden?
Sägebrecht: In Deutschland, das muss ich leider sagen, kommt das öfter vor. Dagegen internationale Kollegen, sei es Michel Piccoli, Giancarlo Giannini oder früher Michael Douglas – die sind bescheiden, liebevoll, kollegial, auch dem Film-Team gegenüber. Das finde ich sehr wichtig, dass man immer begreift, dass man nicht alleine den Film herstellt, sondern die Techniker genauso dazugehören. Und wenn, wie ich merke, die Techniker immer schlechter bezahlt werden, dann baut sich zu den gutbezahlten Schauspielern so eine komische Ebene auf. Da kommen manchmal junge Kollegen von den Schauspielschulen und haben gegenüber dem Team einen Ton drauf…
Ich mache deshalb auch bei jedem Dreh für das Team eine „Klappe“.

Was heißt das?
Sägebrecht: Das ist immer ganz etwas Spezielles. Beim Dreh zur „Frau Holle“ zum Beispiel habe ich einen Kantinenraum asiatisch dekoriert, Lichter aufgestellt und dann für alle Sushi und schönen Wein bestellt. Die Techniker sind gekommen und dachten: „Das gibt es doch gar nicht, wo sind wir hier gelandet? So etwas haben wir seit Heinz Rühmann nicht mehr erlebt.“ Mir ist das sehr wichtig, ich möchte auch diejenigen mit ehren, die so einen Film mit uns Schauspielern auf die Beine stellen.

Aber was ist das Problem der deutschen Kollegen?
Sägebrecht: Ich weiß es nicht. Vor kurzem kamen zum Beispiel ein paar Leute, die mich sehr mögen und verehren, mit einem Bus zu einem Drehort. Ich habe denen dann gesagt: „Wartet kurz, wenn ich fertig bin komme ich zu euch rüber ins Lokal.“ Da sagte ein Schauspiel-Kollege, der danebenstand, zu mir: „Ich glaub ich kotz‘ mich gleich, was du da mit deinen Leuten machst“. Das hat mich schon sehr verwundert. Wir spielen ja Menschen, wir müssen ja Menschen studieren, uns mit denen beschäftigen. Aber es gibt eben auch Kollegen, die sagen, das Publikum interessiere sie nicht, ihnen ginge es nur um den Prozess mit Regisseur, Kameramann und Schauspielern. Da hat halt jeder seine Haltung.

In „Omamamia“ spielt Religion eine besondere Rolle. Würden Sie auch zum Papst pilgern?
Sägebrecht: Nein, nicht unbedingt. Ich bin heidnisch-katholisch, so nenne ich das immer, weil ich mich auch sehr für die anderen Religionen interessiere. Ich studiere die, bin auch sehr tolerant, wenn es um den Respekt für andere Religionen geht und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass sich das bei uns fusioniert und die Ökumene immer weiter fortschreitet. Solche Gedanken binde ich dem Zuschauer aber nicht unbedingt auf die Nase. Wie ich philosophisch denke und wie ich fühle, das erfährt man dann eher in meinen Büchern. Weil meine Person, die muss jetzt nicht unbedingt in der der Drei-Dimension der Vielschichtigkeit in einer Rolle drin sein.
Ich bin als Katholikin jedenfalls nicht vatikanabhängig, ich sage immer: Vatikan es, Mutti kann es auch. (lacht)

Haben Sie den Papst denn schon mal live gesehen?
Sägebrecht: Nein. Ich habe aber seine letzte Reise nach Deutschland verfolgt und ich muss sagen: seine Rede im Bundestag war hochinteressant und intelligent. Da hat er ja von der Natur des Menschen gesprochen, auf die wir achten müssen. Ich hätte da nur gerne hinzugefügt, das zum Beispiel auch die Natur eines homosexuellen Menschen gewürdigt werden muss, das ist so ein Wunsch von mir.
Ansonsten hat er das Thema Ökumene ja schon in Angriff genommen, er hat er die Hildegard von Bingen geehrt, die ich sehr verehre, er hat sich entschuldigt für die Gräueltaten an den Juden – er hat schon Einiges gemacht. Aber natürlich gibt es in der katholischen Kirche Jahrhunderte alte Prinzipien, die sich nur langsam wandeln.

Zitiert

Ich wollte Hebamme werden. Ich wollte Menschen helfen und nicht da irgendwie auf der Bühne stehen.

Marianne Sägebrecht

Auf dem Weg zum Papst landet die Film-Oma unter anderem in einer Rock-Disko, wo sie trinkt, wo ein Joint die Runde macht, sie eine Tätowierung bekommt. Inwiefern hat dieses Wilde auch mit Ihrem Naturell zu tun?
Sägebrecht: Nun, dieses Archaisch-wilde, was plötzlich aus ihr rausbricht, wo sie das Headbanging mitmacht, sich in diesen Rhythmus der Musik reinbegibt – das kenne ich. Ich war ja auch sehr wild, ich war Rock’n’Roll-Meisterin, tanze heute noch total gerne und ich mag zu bestimmten Zeiten wilde Musik. Insofern konnte ich das sehr gut nachfühlen. Nur das Rauchen nicht, ich habe nie Zigaretten geraucht, ich habe auch nie gekifft.

Das hat Sie nie gereizt?
Sägebrecht: Ich habe mir immer gesagt: Ich darf nicht kiffen, weil ich schon so viel Adrenalin und so viel freudige Endorphine in meinem Blut habe – da hätte ich dann eine Überdosis, mich würde es in drei Teile reißen.
Allerdings ist es in meiner Künstlerkneipe „Spinnradl“ einmal passiert, dass ein Junge einen Haschkuchen mitgebracht hat. Er hat den verteilt, ohne dass wir wussten, um was es ging. Und das hatte schlimme Folgen. Ich habe fürchterlich die Balance verloren, den anderen Leuten ging es auch richtig schlecht, zwei mussten sogar ins Krankenhaus. Der Junge musste sich dann verantworten, das war ja ein richtiges Attentat.

Wie lange brauchten Sie denn, um den Rausch auszuschlafen?
Sägebrecht: Bei mir hielt das den Abend und den ganzen nächsten Vormittag an, das hat sehr stark in meine Wahrnehmung eingegriffen – ich möchte das ehrlich gesagt nicht nochmal erleben.

Im aktuellen Film strahlen Sie wie so oft eine große Lebenslust aus – und Sie kochen. Inwiefern gehören seelisches Wohlbefinden und gutes Essen für Sie zusammen?
Sägebrecht: Ich bin ja ein bekennender runder Mensch, das ist meine Botschaft an die Welt. Mir ist es wichtig, dass es da einen runden, mütterlichen Körper gibt, der voller Saft und Kraft ist, da bin ich total stolz drauf, das würde ich auch nicht ändern wollen. Denn bis auf ein paar Männer gibt es das auf der Zelluloid-Wiese ja nicht mehr. Die Frauen beugen sich ja alle dem Schlankheitsdiktat.

Was konkret kommt bei Ihnen so auf den Tisch?
Sägebrecht: Bei mir ist viel lebendiges Gemüse dabei, auch viel Fisch und einmal die Woche gibt es Fleisch. Ganz wichtig sind mir die Gewürze und das Süß-Saure, ich kombiniere zum Beispiel Fisch mit Birne und Kokosmilch, Curry und Galgant, Kurkuma, Ingwer und Koriander sind wichtig… Ich versuche, mit den Gewürzen und Kräutern etwas herstellen, womit ich dann auch meine Familie und meine Gäste aus den Schuhen heben kann. Und nichts ist schöner, als wenn bestimmte Gewürze miteinander eine Fusion eingehen, das ist ja auch Medizin.

Sind Ihre Suppen also auch tatsächlich „Überlebenssuppen“, wie eines Ihrer Kochbücher heißt?
Sägebrecht: Ja, eine gute Suppe ist eine gute Medizin, das sagte mein Opa. Zum Beispiel die klassische Hühnersuppe, das baut schon den ganzen Körper auf. Und dazu die Gewürze, die gelangen auf den Nervenbahnen überall hin, das ist wie ein medizinischer Effekt. Nur sollte man natürlich auf keinen Fall ein Huhn nehmen, das mit Antibiotika vollgestopft ist.

Bücher, Lesungen, soziales Engagement – brauchen Sie für die Arbeit als Schauspielerin einen Ausgleich?
Sägebrecht: Ich will einfach nicht abhängig sein von der Zelluloid-Industrie. Deswegen ist für mich die Kombination mit dem Schreiben sehr wichtig, auch meine Lesungen. Zum Beispiel war ich gerade in Sachsen unterwegs, in Glauchau, Zwickau und Leipzig. Die Menschen dort sind so was von offen, belesen und musikalisch… Zu den Lesungen bringe ich ja auch immer Musik mit. Und im Publikum sind viele Menschen, auch viele junge, die sich dem komplett öffnen. Ich begegne gerne den Menschen, ich bin neugierig: Wer kommt da eigentlich zu mir, wer ist das? Das möchte ich überhaupt nicht missen.

In „Omamamia“ treffen durch das Gespann Großmutter-Tocher-Enkelin auch drei Generationen aufeinander. Wenn Sie sich andere deutsche Filme anschauen, wie gut finden Sie da die ältere Generation repräsentiert?
Sägebrecht: Momentan sehe ich häufig Filme, in denen die alten Menschen zwar ausbrechen, aus ihrem bisherigen Leben, aber dann verunglücken sie meistens oder bringen sich um. Es ist nie lebendig. Es wird einem oft gezeigt, was ein schöner Tod ist, es geht immer mehr in die Richtung, dass man im Film den Leuten zeigt, wie man sich umbringt.
Was ich auch seltsam finde, sind Komödien über Frauen mit Krebs. Wenn man weiß, was Frauen mit dieser Krankheit durchmachen, körperlich und seelisch – das in einer Komik-Geschichte abzuarbeiten finde ich merkwürdig. Aber vielleicht ist das auch einfach ein Ausdruck unserer Zeit.

Was würden Sie anders machen?
Sägebrecht: Es gibt ein Thema, das ich sehr interessant finde, und zwar das heute viele Leute im Alter Nachbarschaftshilfe machen, ehrenamtlich. Die bringen sich ein, sind voll in Bewegung, ob für Kinder oder in Heimen – und das wird in Zukunft auch immer mehr werden, das müssen wir ja auch machen. Da passieren heute schon die unglaublichsten Dinge, nur wird darüber kaum berichtet. Es ist aber auf jeden Fall ein Thema für die Leinwand.

An eine ältere Frauengeneration wenden Sie sich mit Ihrem aktuellen Buch „Auf ein prima Klimakterium“. Da würde mich interessieren: Was haben Sie gedacht, als vor zwei Jahren die Rocksängerin Gianna Nannini mit 54 ihr erstes Kind bekam?
Sägebrecht: Ich war erst erschrocken, weil ich gedacht habe, dass sie für ihr Kind wahrscheinlich gar keine Zeit hat und irgendwelche Kindermädchen beschäftigt. Aber als ich sie dann mit ihrem Kind auf Fotos gesehen habe, fand ich das ok. Sie hat das Kind ja selbst bekommen, ihr eigener Körper hat es ihr ermöglicht, sie hat also keine Fremdaustragung gemacht. Insofern denke ich, ist das vom Schöpfer schon abgesegnet.
Ich verstehe übrigens auch nicht, warum immer so lieblos über Männer abgelächelt wird, die mit 60 nochmal Vater werden. Ein guter Freund von mir ist 67 – und seine Tochter sieben Jahre alt. Ein Mann hat in dem Alter schon einen großen sinnlichen Erfahrungsschatz, viel praktische und geistige Erfahrung und ich glaube, all das wird im Moment der Zeugung mit dem Genstempel auf das Kind übertragen. Außerdem erfahren diese Kinder eine große Zuwendung, die Männer haben dann ja weitaus mehr Zeit. Ich denke das hat alles seine Wahrheit, wenn ein Kind so eine starke Vaterzuwendung hat, dann wird der Schöpfer mit ihm etwas Besonderes vorhaben.

Sehen Sie es für die Frauen denn als Fortschritt an, wenn das Alter für eine Geburt immer weiter nach hinten gelegt werden kann?
Sägebrecht: Wenn es mit Hormonen gemacht wird sehe ich das auf lange Sicht schwierig. Und ich finde es grauenhaft, wenn Ersatzmütter ein Kind austragen, wenn das Kind den Mutterschlag die ganzen Monate hat, und am Ende zu einer anderen Mutter kommt, die sich dann mit High-Heels und Kind abfotografieren lässt – so etwas macht mich traurig. Das muss aber natürlich jede Frau selbst entscheiden, je nachdem wie ihre ethische Grundhaltung ist. Ich kann da nur für mich persönlich sprechen.

Sie sind in Starnberg geboren, und Sie leben auch heute in Starnberg. Was, Frau Sägebrecht, ist bayerisch an Ihnen?
Sägebrecht: Also in Bayern gibt es ja die verschiedenen Regionen, die südlichen und die nördlichen, wo alles ein bisschen anders genetisch verschmolzen ist. Vom historischen Urgrund her haben wir den keltischen Gürtel, und ich muss sagen, ich habe sehr viel Keltisches in mir. Dann haben wir die Römer, die ganze Region rauf bis Regensburg, außerdem die Türken, im 30-jährigen Krieg kamen die Franzosen, dann die Schweden – es ist toll, wie viele Kulturen hier etwas hinterlassen haben. So sind wir schon sehr lange multikulturell verschmolzen. Und der Körper ist ein Produkt dieser vielen verschiedenen Zusammenlegungen der verschiedenen Gene über die Jahrhunderte.
Meine Seele kommt aber von weit her, da sehe ich mich als bayerisch-surinamisch, ein sehr weites Bewusstsein in dem vieles zusammenfließt. Darüber bin ich auch froh, dass die Seele mich immer wieder rausholt in die Welt.

Sind Sie aber auch in bestimmten Dingen konservativ?
Sägebrecht: Konservativ würde ich nicht sagen, eher ist es die bäuerliche Linie. Ich habe eine ethische Grundhaltung, eine Moral, die ich lebe. Es gibt für mich keine Lüge, keinen Betrug und Nächstenliebe wird für mich tatsächlich gelebt.

Wer ist für die bayerische Identität wichtiger, Papst Benedikt oder Ludwig II.?
Sägebrecht: Beide sind wichtig, aber dazu haben Sie noch einen vergessen, den Komiker und Filmemacher Karl Valentin. Das ist ja der andere Bayer, der für die Absurden, die Linksdrehenden steht, der ist mir auch ganz wichtig. Man könnte sagen, identitätsmäßig bewege ich mich irgendwo zwischen diesen dreien.

Sie wurden einmal als „Mutter der Subkultur im Geiste von Ludwig II.“ bezeichnet.
Sägebrecht: Ludwig II. habe ich als Kind sehr verehrt, das war mein Märchenkönig. Seine große Fantasiewelt war mir als Kind sehr nahe, auch seine androgyne Erscheinung. Ich habe ihn oft besucht, bin zur Votivkapelle gegangen…

…die am Starnberger See dort errichtet wurde, wo man damals seine Leiche fand.
Sägebrecht: Mich haben einmal Fischer beobachtet, wie ich die Votivkapelle besuchte. Die sagten dann zu mir, Ludwig sei gar nicht ertrunken, sondern man habe ihn erschossen, weil er zu viel Fantasie hatte und Pazifist war. Damals bekam ich es mit der Angst zu tun, weil ich dachte: Ich habe ja auch so viel Fantasie und ich bin auch Pazifist, weil mein Vater im Krieg gefallen ist. Hoffentlich werde ich nicht erschossen, wenn die Leute das merken.
Dann hat später aber ein Pfarrer zu mir gesagt: „Ganz ruhig, du musst keine Angst haben, du bist eine kleine Scheherazade, du hast ganz viel Fantasie und wirst mit deiner Fantasie den Menschen noch viel Freude machen.“

Wie wir heute wissen, hat der Pfarrer Recht behalten. Frau Sägebrecht, herzlichen Dank für das Gespräch.

2 Kommentare zu “Ich will nicht abhängig sein von der Zelluloid-Industrie”

  1. Hanno |

    @ sabbi @Planet Interview

    Absolut! Super Portal, super Inhalte (naja, oft jedenfalls), aber total oller Look… Macht was draus, Leute!

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  2. sabbi |

    wann

    bekommt planet interview eigentlich mal ein zeitgerechtes layout? eure seite wirkt bissl alt, leute.

    Antworten

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