Frau Bäumer, Ihr neuer Film „Swinger Club“ wurde mit Videokameras gedreht und beruht auf einem Improvisationskonzept, das schon im Hamburger Thalia-Theater umgesetzt worden ist. Was hat Sie daran gereizt?
Bäumer: Ich habe den ersten Teil gesehen und fand ihn sehr unterhaltsam. Ich improvisiere sehr gerne und hatte Lust, mit diesen Kollegen etwas zusammen zu machen und mich mal wieder einer Herausforderung zu stellen, die jenseits meiner gewohnten Bahnen liegt. Aber wir sind ja nicht die ersten, die einen Film ohne fertiges Drehbuch gedreht haben.
Verstehe ich richtig, dass die beiden Hälften des Films getrennt voneinander gedreht wurden?
Bäumer: Ja, der erste Teil wurde gedreht, geschnitten und war dann eine in sich geschlossene Geschichte, die so gut funktionierte, dass alle Spaß und Interesse daran hatten, wie es den Filmfiguren ein Jahr später gehen würde. Und der Regisseur Jan Schütte, den ich noch von seiner Zeit am Thalia kenne, hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, mitzumachen. Ich war erst mal skeptisch, weil man mit so einem konzeptionellen Anspruch auch schnell ins Kunsthandwerkliche abrutschen kann, in so eine kindliche Revolutionshaltung aus der heraus man seinen Frust über die papiernen Dialoggeschichten in Film und Fernsehen abreagiert. Aber ich habe mich schnell in den ersten Teil reinziehen lassen, wie in ein spannendes Bilderbuch.
Die technischen No-Budget-Bedingungen waren kein Problem für Sie?
Bäumer: Es gibt Leute, die sich dagegen wehren. Ich habe selbst so viele Sachen gesehen, wo es kein Licht und kaum Ton gab und das irgendwie zusammengeschustert wurde. Hier wusste ich, dass der Film wirklich ganz ohne Geld, innerhalb dieser Hobbykellersituation entstanden ist und dafür ist er doch ganz gut gelungen (lacht). Immerhin sind wir auf dem Max Ophüls Festival in Saarbrücken zum absoluten Publikumsliebling avanciert.
Unter dem Vorwand, kein Geld dafür zu haben, ist schon viel Interessantes nicht entstanden…
Bäumer: Gerade im Filmbereich erkennt man immer wieder, wie massiv man vom Geld abhängt, wie Geld alles steuert. Da besteht die Gefahr, dass Film nicht als künstlerische, kreative Säule verstanden wird, sondern vor allem als Wirtschaftsapparat, mit dem man in erster Linie verdienen will.
Allerdings war das in den letzten Jahren immer wieder die Forderung der deutschen Filmbranche, dass man professioneller, industrieller, also auch teurer produzieren sollte, um die Qualität, letztlich den Marktwert der Filme zu steigern.
Bäumer: Das ist natürlich ein sehr schmaler Grad. Man kann ja niemandem per se vorwerfen, dass er Geld verdienen will. Aber man muss dabei sehr wach bleiben und sich fragen: was motiviert mich eigentlich wirklich? Dass man mit fast gar keinem Geld auch gute Filme machen kann, ist ja kein Geheimnis. Wenn man die Situation in Kroatien und Bosnien zum Beispiel sieht, da gibt es ein riesiges Potential an Geschichten und man kann von Glück sagen, wenn die 100.000 Euro zur Verfügung haben, um einen ganzen Film zu produzieren. Bei so einer Summe würden den Leuten hierzulande die Tränen in die Augen steigen. Wir müssen uns immer wieder die Fragen stellen: Was ist die Geschichte, die Geschichte, die Geschichte? Was transportiert sie? Wer transportiert sie und was sind die Mindestmittel, die man dafür braucht?
In „Swinger Club“ lädt ein Ehepaar zum Hochzeitstag die besten Freunde zu einem Festessen, wobei dann nach und nach herauskommt, dass der eine schon mal mit der anderen usw. – Würden Sie sagen „Swinger Club“ ist ein Film über das Scheitern von Patchworkfamilien oder beschreibt er nur die Kinderkrankheiten von modernen Lebensformen?
Bäumer: Ich glaube nicht, dass sich das archaische Prinzip „Mutter, Vater, Kind“ in irgendeiner Weise ändern wird. In meiner Generation zeigt sich allerdings eine ganz große Unsicherheit in Bezug auf Beziehungen, auf Auseinandersetzungen und die Möglichkeiten, Verbindungen zu lösen. Indem man Verbindungen löst, werden ja noch lange nicht die Grundbedürfnisse befriedigt. Jedes Kind wird auch als Erwachsener noch das Bedürfnis in sich tragen, seine Eltern als eine Einheit zu empfinden. Natürlich kann man sich sagen: „Nein, die sollten sich trennen, die streiten sich dauernd!“ Aber das ändert nichts am Grundbedürfnis. Es ist in keiner Weise moralisch bewertbar, dass sich andere Konstellationen bilden, dass schwule Väter Kinder adoptieren, dass eine Mutter mit drei Kindern von drei verschiedenen Männern, ihrem vierten Freund und dessen Kindern zusammenlebt. Wenn das eine Situation ergibt, die alle stützt und ihnen Kraft gibt, ist das die allerbeste Lösung. Es ist aber doch erstaunlich, dass sich der lange Atem für Beziehungen offensichtlich verändert. Wenn ich nicht Schauspielerin wäre, würde ich im Moment am liebsten in die Sozialforschung gehen und würde diese Phänomene untersuchen.
Da man Beziehungen heute kaum mehr aufgrund wirtschaftlicher Zwänge eingeht, stehen Erwachsene also auf der Straße wie in einem großen Menschenladen, könnten theoretisch mit jedem was anfangen und gehen überfordert nach Hause, weil sie sich nicht entscheiden können?
Bäumer: Ich will nicht sagen, dass alle unglücklich sind, die mit 40 immer noch alleine da stehen, keine Kinder haben oder drei Kinder, verteilt auf drei Länder, aber ich habe den Eindruck, dass die Menschen, die sich entschieden haben, die ihren Platz in einer Familie gefunden haben und dort eingebunden sind, die Zufriedeneren sind.
Im Film wird nicht zuletzt überlegt, ob so eine Entscheidung Swingerclub-Besuchern leichter fallen würde. Können Sie sich vorstellen, das ist ja auch etwas sehr Hedonistisches… Sie merken schon, ich drücke mich um die Frage: Frau Bäumer, gehen Sie eigentlich gerne in den Swingerclub?
Bäumer: (Lacht) Leider kann ich da nicht von irgendwelchen Geschichten berichten. Es geht mir da eher so, wie im Schwimmbad. Völlig losgelöst von irgendwelchen sexuellen Phantasien, die sicher jeder hat, die ich hier aber nicht weiter ausführen möchte, befällt mich schon im Schwimmbad ein leichter körperlicher Ekel. Trotz allen Chlors, und das ist ja auch nicht besonders angenehm, bewegen sich da halt lauter Menschenleiber auf engem Raum zusammen. Allein deswegen würde ich lieber die Kontrolle behalten und eher gezielt Leute aussuchen, mit denen ich schwimmen gehen würde (lacht).
Im Film hätte es ja auch nicht beim Reden darüber bleiben müssen. Immerhin stellt sich ja heraus, dass innerhalb des Freundeskreises schon fast jeder Mal mit jedem was gehabt hat.
Bäumer: Im Film entsteht eben die Spannung nicht aus dem, was man zeigt. Interessant sind die Blicke vor dem Kuss, ein Akt alleine erzählt noch nicht viel, das muss schon genau inszeniert sein, die Handlung voranbringen, das gelingt nicht oft.
Sie haben im letzten Gespräch mit Planet-Interview über ihren Film „Der alte Affe Angst“ gesagt: „Je näher man sich kommt, desto mehr spiegeln sich die eigen Konflikte im Anderen.“
Bäumer: Der Kern von Oskar Roehlers Film war ein Paar, das sich wirklich liebt und Probleme bekommt. Die Frage lautet ja „Wie kann man leben als Mensch, der Liebe braucht?“ In „Swinger Club“ werden Menschen portraitiert, die irgendwie stecken geblieben sind. Ihre Positionen verschieben sich und sie stellen fest, dass es so für sie nicht weitergehen kann. Schon aufgrund meines Berufes kenne ich so einen festgefahrenen Freundeskreis nicht, weil meine Freunde eher weit verstreut sind. Aber ich höre von solchen Geschichten immer wieder. Für mich ist die Nachvollziehbarste jene Frau, die raus will. Ihr Mann sagt: „Was ist denn? Wir haben Jobs, leben auf dem Land, uns geht’s doch gut.“ Ich bewundere Paare, die es dann schaffen, sich für ihre jeweiligen verschiedenen Bedürfnisse ihre Freiräume zu schaffen.
Dazu muss man sie aber erst mal erkennen und formulieren.
Bäumer: Man muss sich äußern, Bedürfnisse akzeptieren und einen langen Atem haben.
Letzte Frage: Was lernen Sie eigentlich als Schauspieldozentin in Hamburg?
Bäumer: Immer wieder Neues. Für mich ist das ein Spiegel im Bezug auf die Energie, den Einsatz, den Kraftpegel auf den man sich begibt. Es ist immer wieder überraschend für mich, wie vorsichtig oder ängstlich und zurückhaltend viele Studenten heute sind. Im Vergleich zu den eher frechen, widerspenstigen, schärferen Generationen von vor zehn, zwanzig Jahren hat sich da viel verändert. Die muss man dann erst mal aufmischen und vom rumpuscheln abhalten.
Rumpuscheln?
Bäumer: Ja, die sind eben lieb zu einander. Lauter freundliche Diplomaten. Bei einer Übung zu zweit wird dann viel über den Kopf gestreichelt. Dann sage ich: Hört mal auf hier, das könnt ihr in der Pause machen. Jetzt wird mal gearbeitet! Ansonsten stelle ich immer wieder fest, wie simpel der Beruf im Vorgang und wie unglaublich schwierig er in der Ausführung ist. Um einen künstlerischen Moment zu erreichen, versuche ich immer wieder Aufgaben und Übungen zu finden, die klar sind, die man verinnerlichen kann. Man kann auch alle Fragen stellen. Wenn einer über eine Frage lacht, schicke ich ihn in der Regel erst mal raus und lass ihn nachdenken.
Klingt fast autoritär.
Bäumer: Ja, aber wenn hinter der Autorität nicht Macht, sondern Liebe zur Sache steht, wenn sie mit Sinn und Verstand gearbeitet haben, habe ich die autoritären Lehrer immer am meisten geliebt. Die waren eben völlig überzeugt von dem, was sie einem beigebracht haben. In meinem Unterricht gibt es auch keine Jacken, die rumfliegen, keine Getränke und kein Getuschel. Wenn die in den Klassenraum reinkommen, wird sich hingesetzt und konzentriert. Was denken die denn, wie es mal sein wird, wenn die ans Theater oder ans Filmset kommen? Natürlich springen dich immer ein paar an, von denen du sagst okay, die sind toll, mit denen möchtest du arbeiten. Aber die machen sowieso ihren Weg, denen kannst du nur noch ein paar Anstöße geben. Die Aufgaben stellen sich bei denen, von denen nichts kommt. Da ist es meine Aufgabe, den richtigen Schlüssel zu finden!