Frau Marjan, wann haben Sie das letzte Mal Spiegeleier gebraten?
Marjan: Das müsste vor etwa fünf Tagen gewesen sein. Ich mache das ab und zu gerne zum Frühstück!
Ist das Braten von Spiegeleiern, ihrer Meinung nach, ein Merkmal deutscher Kultur?
Marjan: Ja, das gehört sicherlich in gewisser Weise zur deutschen Kultur, aber wir sind ja damit nicht alleine; die Engländer machen das ja auch!
In Medien und Gesellschaft kursiert schon länger der Begriff „Deutsche Leitkultur“. Existiert diese „Leitkultur“ Ihrer Meinung nach?
Marjan: Leitkultur? Was ist „Leitkultur“? Ein „Unwort des Jahres“ – die Anwendung dieses Begriffes liegt mir fern.
In der „Leitkultur“-Debatte wurden oft Forderungen laut, wonach die Migranten die deutsche „Leitkultur“ annehmen müssten um in Deutschland vollständig integriert werden zu können. Wo stehen Sie in dieser Debatte?
Marjan: Diese Forderungen gehen, meiner Meinung nach, zu weit! Natürlich muss man sich in gewisser Weise integrieren und auch anpassen, aber das darf nicht bedeuten, dass man seine eigene Kultur, die einen stark geprägt hat, aufgibt und eine völlig andere übernimmt. Hier in Köln leben zum Beispiel unglaublich viele Nationen, viele schon seit mehreren Generationen, friedlich zusammen in einer Stadt. Ich glaube, dass sich diese Menschen hier sehr wohl fühlen und sich auch gut eingefügt haben. Sie dürfen sich nur nicht abkapseln, das wäre ein Fehler! Es muss da ein Mittelweg gefunden werden aus Anpassung und dem eigenen Identitätsgefühl. Wenn wir als Gäste ins Ausland gehen, können wir auch nicht halbnackt in die Kirche gehen, sondern müssen uns nach den dortigen Gepflogenheiten richten.
Welche Rolle spielen wir Einheimischen in Deutschland bei dieser Integration?
Marjan: Wir müssen eine helfende Rolle übernehmen, aber auf keinen Fall eine ablehnende, die auf Vorurteilen aufgebaut ist. Wir müssen aufklären und auch vieles ansprechen und erläutern, damit keine großen Missverständnisse aufkommen, die dann letztendlich nur zu Ärger und Aggression führen.
Seit 20 Jahren verkörpern Sie die „Helga Beimer“ in der ARD-Serie „Lindenstraße“ und feiern am 30.01.2005 die 1000.Folge. Kann man die „Lindenstraße“ in gewisser Weise als Abbild der deutschen Gesellschaft mit all ihren Problemen und Alltagserlebnissen betrachten?
Marjan: Wir haben in der „Lindenstraße“ elf verschiedene Nationen und es existieren praktisch keine Konflikte zwischen den Nationalitäten, außer natürlich innerhalb der Familien selber, aber das ist ja bei den deutschen Bewohnern der „Lindenstraße“ nicht anders. So hat zum Beispiel Olaf Kling einen türkischen Angestellten und das griechische Restaurant „Akropolis“ ist zu einem festen und beliebten Treffpunkt für die Bewohner geworden.
Dennoch gab es in der Geschichte der „Lindenstraße“, mit Verlaub, auch rechtsgesinnte Figuren wie den griesgrämigen Onkel Franz, der in der Straße mit heftig braunen Parolen auf sich aufmerksam gemacht hat…
Marjan: Natürlich hat Onkel Franz diese Parolen von sich gegeben, stieß damit bei den Bewohnern allerdings auf große Ablehnung und wurde zunehmend an den Rand gedrängt. Es wurde also ein Deutscher von Deutschen eben aufgrund dieser braunen Parolen nicht akzeptiert. Damit sollte gezeigt werden, dass ein solches Gedankengut heutzutage einfach keine Chance mehr hat.
Wie erklären Sie sich die seit 20 Jahren ungebrochene Faszination an dem Mikrokosmos „Lindenstraße“?
Marjan: Das Konzept und die Dramaturgie der „Lindenstraße“ ist sehr stimmig. Wir erzählen in jeder Folge vier verschiedene Episoden, dadurch entsteht ein roter Faden und ein Spannungsbogen, der sich von Folge zu Folge zieht. Wenn es dann am spannendsten wird hört die Folge auf und der Zuschauer ist neugierig auf die nächste Folge und darauf wie sich die Geschichte weiter entwickelt. Ein weiterer Aspekt ist die große Aktualität der „Lindenstraße“, so wird immer wieder auf aktuelle politische und gesellschaftliche Inhalte Bezug genommen und auch heikle Themen wie AIDS werden thematisiert und tragen so letztendlich auch zur gesellschaftlichen Aufklärung bei. Außerdem hat die „Lindenstraße“ eine großartige Presseabteilung und sehr fleißige Mitarbeiter und Schauspieler, die immer wieder durch interessante Interviews, Preisausschreiben bis hin zu Straßenfesten auf sich aufmerksam machen.
Nun gibt es neben der „Lindenstraße“ ja auch Daily-Soaps wie „Gute Zeiten- Schlechte Zeiten“ (RTL) und „Verbotene Liebe“ (ARD), denen oft vorgeworfen wird, sie würden ein unrealistisches Bild der Gesellschaft darstellen. Wie sehen Sie dies als Mitglied einer Serie, die genau dies nicht tut?
Marjan: Ich finde es sehr gut, dass die „Lindenstraße“ so realistisch und vernünftig ist und das erklärt vielleicht auch den großen Erfolg dieser Serie. Die Zuschauer finden sich in unseren Geschichten wieder und können sich mit den Figuren identifizieren.
Sehen Sie sich persönlich Daily-Soaps im Fernsehen an?
Marjan: Nein, ich gucke an Serien nur die „Lindenstraße“!
Jede Folge?
Marjan: Ja, das ist immer eine schöne Möglichkeit zur Retrospektive, denn bei den Dreharbeiten kann ich ja immer nur meine Geschichte verfolgen und weiß nie so genau was in den anderen Erzählsträngen vor sich geht. Wenn ich es dann allerdings an einem Sonntag mal zeitlich nicht schaffen sollte nehme ich mir die aktuelle Folge auf Video auf.
Auf einer „Lindenstraßen“-Website schrieb kürzlich ein Fan: „Alle Lindenstraßen-Schauspieler sehen wir nun jeden Sonntag im Fernsehen und damit gehören sie für uns doch ein Stück weit mit zur Familie“. Was ist es für ein Gefühl eine solch große Bedeutung im Leben fremder Zuschauer zu haben?
Marjan: Wir bekommen so etwas ja hauptsächlich aus Briefen mit oder treffen einige Fans auf der Straße und beantworten dann Fragen oder geben Autogramme. Ich finde es toll, wenn man solch positive Resonanz von den Zuschauern bekommt. Das zeigt uns, dass wir unsere Figuren jede Wochen erneut mit Leben füllen und realistisch darstellen, ansonsten würden wir auf die Zuschauer gar nicht diese besondere Wirkung ausüben. Ich glaube auch, dass die Zuschauer in der „Lindenstraße“ einen gewissen Halt finden und es sie sehr glücklich macht, dass jeden Sonntag um 18.40 Uhr, komme was da wolle, die „Lindenstraße“ in der ARD läuft und sie altbekannte Gesichter wiedersehen.
Wie würden Sie den typischen Zuschauer der „Lindenstraße“ beschreiben?
Marjan: Das kann man gar nicht so klar abgrenzen, denn unsere Zuschauer bewegen sich zwischen 6-80 Jahren und vom Gemüsemann bis zum Apotheker ist da alles dabei. Ich habe sogar mal einen Professor aus dem Europaparlament in Brüssel getroffen, der gesagt hat, er wäre der „Lindenstraßen“-Fan und seine Frau würde das gar nicht so gerne gucken. Das ist eher ungewöhnlich, denn sonst sitzen eher die Frauen vor dem Fernseher.
Wir haben in der "Lindenstraße" elf verschiedene Nationen und es existieren praktisch keine Konflikte zwischen den Nationalitäten.
Vergeht eigentlich ein Tag, an dem Sie nicht angesprochen werden?
Marjan: Das kommt sehr selten vor. Man kann das aber stellenweise umgehen, indem man einfach morgens um 9.00 Einkaufen geht, wo nicht so viel Leute unterwegs sind oder einfach ruhigere Plätze in der Stadt zum Bummeln wählt.
Wie hält man es aus über 20 Jahre konstant in der Öffentlichkeit zu stehen, verbunden mit der Gewissheit, dass einen mittlerweile nahezu jeder Mensch aus dem Fernsehen kennt?
Marjan: Ich habe ja auch 20 Jahre Theater gespielt und hatte da auch meinen bestimmten Rhythmus. Das hat sehr viel mit Disziplin zu tun und ich rede ja auch gerne mit den Leuten. Ich gehe mit den Zuschauern um wie mit einem Nachbarn, bin höflich, nett und normal.
Gab es in der Vergangenheit einen Punkt an dem Sie kurz davor waren die „Lindenstraße“ zu verlassen?
Marjan: Nein, ich möchte die „Lindenstraße“ auch gar nicht verlassen, denn diese Serie ist zu einem festen Teil meines Lebens geworden. Ich habe in Bill Mockridge einen wunderbaren Spielpartner gefunden und das ganze Team ist wirklich wie eine große Familie mit jungen und älteren Menschen, die sehr viel Zeit miteinander verbringen. Genau aus diesem Grund habe ich auch für die nächsten drei Jahre mein Mitwirken zugesagt.
Im Laufe der 20 Jahre hat sich die Rolle „Helga Beimer“ stark verändert. War sie zu Beginn der Serie auf die Rolle der Vollblut-Hausfrau mit Spiegelei-Vorliebe festgelegt führt sie mittlerweile als erfolgreiche Unternehmerin ein Reisebüro. Kann man „Helga Beimer“ als eine Art Vorbild für die neue und erstarkte Frau des 21. Jahrhunderts betrachten?
Marjan: Ja, denn Helga Beimer verbindet Humor mit Durchsetzungsvermögen, ist sehr warmherzig und geht mutig durch das nicht immer ganz einfach Leben. Das finde ich großartig!
Im Rahmen des „Lindenstraßen“-Jubiläums haben Sie sich für die Fernsehzeitschrift „TV DIGITAL“ als „Katharina die Große“ ablichten lassen. Wie kam es dazu?
Marjan: Das war ein Vorschlag von unserer Presseabteilung. In der „Lindenstraße“ haben wir Frauen oft Alltagskleidung an und es war schon immer unserer Wunsch mal in schicken Kleidern und Kostümen vor die Kamera zu treten. Dieser Wunsch wurde uns schließlich erfüllt.
Warum haben Sie sich für „Katharina die Große“ entschieden?
Marjan: Ich habe schon länger eine besondere Beziehung zu St. Petersburg, habe dort zusammen mit Eddy von Anhalt für die Organisation „Lebensbrücke“ gearbeitet und bin schon einmal vor einiger Zeit für einen „Brisant“-Beitrag (MDR) im Bernsteinzimmer in die Rolle der „Katharina der Großen“ geschlüpft.
Was bewundern sie an „Katharina der Großen“?
Marjan: „Katharina die Große“ hat sehr viele soziale Reformen durchgeführt, war sehr mütterlich und gutherzig. Man spricht fälschlicherweise immer nur von der Katharina mit dem Pferd und ihren Offizieren, doch das ist ein Klischee und entspricht nicht der wahren Katharina. „Katharina die Große“ wird in St.Petersburg von den Russen sehr verehrt und es wurde ihr sogar ein Denkmal gebaut.
Mögen Sie starke Frauen?
Marjan: Ja, starke Frauen finde ich sehr bewundernswert und sehe Sie oft auch als Vorbilder. Man kann von starken Frauen aus der Geschichte viel darüber lernen, wie man mit Schwierigkeiten und Schicksalsschlägen umgeht und das Leben meistert.
Würden Sie sich selber als starke Frau bezeichnen?
Marjan: Ja, so wie ich meinen Lebensweg bisher gegangen bin, hatte ich zwar auch einige schwache Momente, bin aber immer erstarkt aus ihnen hervorgetreten.
Ist Stärke etwas, dass sich bereits in der Kindheit zeigt oder muss man erst einen großen Lebensweg hinter sich bringen um persönliche Stärke zu entwickeln?
Marjan: Ich glaube, dass der Kern in einem drin steckt und der Mensch letztendlich mit den Aufgaben des Lebens wächst, dann plötzlich seine Stärke erkennt und diese von da an auch bewusst lebt.
Kommen wir zu einem anderen Thema: Im Dezember 2004 wurde Südasien von einem erschüttert, riesige Wellen fegten über das Land, über 220.000 Menschen verloren ihr Leben und mehr als 5 Millionen Menschen wurden obdachlos. Wie haben Sie diese Naturkatastrophe wahrgenommen?
Marjan: Das hat mich mit so einer Wucht getroffen, dass ich im ersten Moment einfach nur fassungslos war! Mein erster Gedanken war, dass dieser Tsunami auf die vielen unterirdischen Atomversuche zurückzuführen ist, die gemacht werden. Ich habe mich dann aber näher über dieses Phänomen Tsunami informiert und mir ist bewusst geworden, dass die Erde im Kern ständig in Bewegung ist und somit letztendlich auch nicht berechenbar sein kann. Die Erde ist ein großes Geschenk und wir müssen sorgfältig mit ihr umgehen. Wir Menschen haben auf der Erde nur ein Wohnrecht, die Fäden werden von jemand anderem gezogen.
Die Flutkatastrophe löste eine wahre Welle der Hilfsbereitschaft aus, so kamen aus Regierungs- und Privatspenden bisher über zwei Milliarden Dollar zusammen, weitere Gelder werden im Laufe der Zeit aufgebracht…
Marjan: Ich finde das großartig! Ich engagiere mich ja selber für Unicef und Plan International und habe die Schirmherrschaft für das Projekt „Unicef-Kinderstadt Heilbronn“ übernommen. Diese Initiative hat nachdem die Katastrophe geschah in meinem Namen zu Spenden aufgerufen und nur allein aus Heilbronn sind mittlerweile über 600.000 Euro zusammen gekommen. Das ist enorm, wenn man bedenkt, dass Heilbronn nur knapp 60.000 Einwohner hat.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat nach Bekanntwerden der Katastrophe öffentlich zu Patenschaften für die Menschen und Dörfer in Südasien aufgerufen. Was halten Sie von dieser Idee?
Marjan: Das ist sehr sehr wichtig! Kurzfristige Spenden sind das eine, aber das wirklich wichtige ist die nachhaltige und möglichst langanhaltende Hilfe. Nur so können sich die Menschen vor Ort wieder eine kleine Existenz aufbauen und ihr Leben fortführen. Die Menschen sollten sich eine bestimmte Region aussuchen und dann ganz gezielt für die Menschen in diesem Gebiet Patenschaften übernehmen. Eine Patenschaft für ein Kind kostet im Monat 25 Euro und sichert langfristige Hilfe. Wir haben in der „Lindenstraßen“-Kantine zum Beispiel eine Mitarbeiterin aus Sri Lanka und wir werden sie nun mit zahlreichen Sachspenden und Geld für Medikamente und Lebensmittel bestücken, die Sie dann persönlich zu ihren Bekannten nach Sri Lanka bringen wird.
Die „Lindenstraße“ ist seither bekannt für ihre außerordentliche Aktualität hinsichtlich politischer und gesellschaftlicher Ereignisse. Inwiefern wird nun auch die Flutkatastrophe verarbeitet?
Marjan: Ich habe von derartigen Aktualisierungsplänen noch nichts mitbekommen, fände es aber gut, wenn Helga Beimer die gesamte Nachbarschaft zum Spenden aufrufen würde um so den leidgeplagten Menschen zu helfen. Sehr gut wäre es auch, wenn jeder „Lindenstraßen“-Bewohner eine Patenschaft für Kinder oder Familien übernehmen würde, denn das würde wiederum auch die Zuschauer zu einer Patenschaft animieren und das Thema bliebe aktuell.
Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Marjan: Oh, ich kann mit Comics nicht viel anfangen – das ist nicht meine Welt!